Viele Medien feiern die gerade beschlossenen Corona-Maßnahmen in einer so distanzlosen Form, dass es peinlich berührt. Manche Redakteure loben die neuen Regeln, nicht obwohl, sondern gerade weil durch sie Millionen von Bürgern unter Druck gesetzt und ausgegrenzt werden sollen. Statt einer kritischen Begleitung wird eine fast schon blinde Gefolgschaft zu einer riskanten Politik praktiziert. Von Tobias Riegel.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download
Die tägliche Presseschau des Deutschlandfunks (DLF) hat den Anspruch, die verschiedenen Facetten aktueller Debatten in Form von Kommentaren aus meist klassischen Print-Medien darzustellen. Betrachtet man die Ausgabe der DLF-Presseschau vom 3. Dezember, so kann man beim Thema Corona-Maßnahmen aber nur eine Facette feststellen: die des Applauses für eine in meinen Augen (trotz anderslautenden Urteilen) verfassungswidrige Politik, die nicht geeignet, nicht erforderlich und nicht verhältnismäßig ist – nicht einmal, um die angeblich offiziell angestrebten Ziele zu erreichen. Einer Politik, die nicht „alternativlos“ ist und deren „Rechtfertigung“ zudem auf einer mutmaßlich manipulierten Zahlenbasis beruht. Und einer Politik, die mindestens als Nebeneffekt bedenkliche Elemente der Massenkontrolle etablieren könnte.
Die konsequente Eintönigkeit in den vom DLF ausgewählten Medien-Zitaten kann zweierlei bedeuten: Entweder hat die DLF-Redaktion gezielt nur jene Kommentare ausgewählt, die das eigene Weltbild stützen. Oder in den „etablierten“ deutschen Medien konnten einfach keine Kommentare gefunden werden, die weiter von der distanzlosen Linie abgewichen wären.
Diffamierung von Millionen Bürgern – ist das keine Hasssprache?
Zitate aus den Kommentaren folgen weiter unten. Voran sollen zur Einstimmung noch zwei Hinweise von Lesern gestellt werden. So kam es am Freitagmorgen zu interessanten Widersprüchen: Während in den Nachrichten im Deutschlandfunk um 6.30 Uhr auch über die dringliche Notwendigkeit der Bekämpfung von „Hass und Verschwörungstheorien“ berichtet wurde, hätte man Teile der in der folgenden Presseschau zitierten Kommentare durchaus unter diesem Kriterium einordnen können: als eine mit den Mitteln der gruppenbezogenen Diffamierung gesäte Spaltung der Bevölkerung, die Hass erzeugen kann.
Der zweite Leser-Hinweis bezieht sich auf ein altes Zitat der Panorama-Redakteurin Anja Reschke von 2018. Zu gerne würde man auch heute noch von prominenten Meinungsmachern solche Sätze vernehmen:
“Wo politische Gruppierungen mit Kampagnen, verbalen Entgleisungen und bewussten Grenzüberschreitungen versuchen, unser Grundgesetz anzugreifen. Wo auch Vertreter etablierter Parteien mal einfach so Artikel des Grundgesetzes in Frage stellen oder so tun, als würden sie sie in Frage stellen, weil sie glauben, damit verlorene Wähler zurückgewinnen zu können – da müssen wir uns mit dem Kampf für das Grundgesetz und die Menschenwürde gemein machen. Nie wurden unsere Demokratie, unsere Errungenschaften, vorneweg die Pressefreiheit, so offen in Frage gestellt wie jetzt.”
„Darf der Staat das? Ja, er darf.“
Das war, wie gesagt, 2018. Im Jahr 2021 sehen sich viele Redakteure offenbar nicht mehr in der Pflicht, sich „mit dem Kampf für das Grundgesetz und die Menschenwürde gemein“ zu machen, wenn politische Gruppierungen „mit Kampagnen“ unser Grundgesetz angreifen. Teilweise eher im Gegenteil: So bescheinigt die „Volksstimme“ aus Magdeburg, mit dem „Advents-Lockdown für Ungeimpfte“ hätten Noch-Kanzlerin, künftiger Kanzler und die Länderchefs endlich ein „wirkungsvolles Werkzeug“ ausgepackt und so „der verhängnisvollen Zauderei ein Ende gemacht.“ Der „Münchner Merkur“ hat die prägenden Vokabeln der Corona-Kampagne (dramatisch, drastisch, Impfstatus, Lockdown, vierte Welle, Intensivstation, Kollaps) verinnerlicht und schreibt:
„Kein Fest mehr, kein Wirtshaus, kein Weihnachtseinkauf, kein Friseur: Für Ungeimpfte sind das knallharte Beschlüsse. Darf der Staat das? Ja, er darf zu drastischen Mitteln in einer dramatischen Lage greifen. Und er muss stärker denn je nach Impfstatus differenzieren, um ohne neuen Total-Lockdown die vierte Welle zu brechen und die Intensivstationen vor dem Kollaps zu bewahren.“
Voll in der offiziellen Sprachregelung geht auch die „Ludwigsburger Kreiszeitung“ auf:
„Bund und Länder müssen mit den jetzt beschlossenen Maßnahmen darauf setzen, dass sich nun so viele Menschen wie möglich endlich impfen lassen. Denn Pandemie ist keine Privatsache. Es geht alle an und ist eine Frage der Solidarität, wenn notwendige Operationen verschoben werden müssen oder Notfälle, etwa nach Schlaganfall, nur mit Verzögerung behandelt werden können, weil Ärzte und Pflegekräfte mit der Versorgung von Coronapatienten völlig überlastet sind.“
Die „Märkische Oderzeitung“ sorgt sich bereits vor den Folgen der selber unterstützten Ausgrenzung, führt aber die Diffamierung von Millionen von Mitbürgern (etwa als „esoterische Besserwisser“) trotzdem fort:
„Die Ignoranz gegenüber dem Leid auf Intensivstationen, die esoterische Besserwisserei, kosten die Gesellschaft Kraft, Nerven, Geld und Leben. Und doch reden wir hier von Mitbürgern, Nachbarn, Verwandten, die an den Rand gedrängt werden. Die Ausgrenzung wird einen gesellschaftlichen Preis haben. Den dann wieder wir alle zahlen werden.“
Die selbstgemachte „Radikalisierung der Mehrheit“
Der „Süddeutschen Zeitung“ kommen die verschärften Spaltungen erwartungsgemäß zu spät. Außerdem „beobachtet“ sie eine „Radikalisierung der Mehrheit“ – selbstverständlich ohne den eigenen Beitrag zu dieser Radikalisierung angemessen zu thematisieren:
„Wie dramatisch sich die Pandemie und die Not auf Intensivstationen entwickeln würden, hatten Wissenschaftler vor Monaten vorhergesagt. In der öffentlichen Debatte gibt es seit drei Wochen kaum ein anderes Thema als die Auswüchse der vierten Welle. Warum also erst jetzt? Es war höchste Zeit für entschlossenes Handeln. Die Rücksicht auf Zögernde und Uneinsichtige hat zu lange gedauert. Längst ließ sich eine gedankliche Radikalisierung der Mehrheit beobachten, die nicht mehr bereit war, sich von einer Minderheit einschränken zu lassen.“
Die „Frankfurter Rundschau“ lässt zwar auch Kritik an der Politik anklingen, etwa „hätte die Politik sich so um Krankenhäuser und Pflegepersonal kümmern müssen, dass die neue Corona-Welle auf aufgerüstete statt auf weiter geschwächte Intensivstationen trifft“. „Dass es kaum einen Ausweg gibt als eine allgemeine Impfpflicht“, sei aber trotzdem „richtig“. Und die „Heilbronner Stimme“ erwartet schließlich, dass das Jahresende in Deutschland trist und traurig wird – aber nicht zuerst wegen einer politisch verordneten Spaltung bis in die Familien hinein, sondern auch wegen der Impfquote:
„Nicht, weil die Politik den Bürgern das geliebte Silvesterfeuerwerk verbietet. Sondern weil auf den Intensivstationen jeden Tag hunderte Menschen an Covid-19 sterben werden und für Ärzte und Pfleger kein Ende des Dauerstress‘ absehbar ist. Diese Situation hätte vermieden werden können, wenn die Politik auf die mahnenden Worte der Wissenschaftler gehört hätte und mit einem Plan in diesen Winter gegangen wäre. Und wenn sich mehr Menschen gegen Corona hätten impfen lassen.“
Medien und Politik auf Sündenbock-Jagd
Bereits „normale“ Lockdowns bedeuten eine riskante und unsoziale Politik. Die neuen selektiven 2G-Schikanen sind einfach nur skandalös – und gefährlich: In einer bereits vor Corona gespaltenen Gesellschaft (vor allem in sozialer Hinsicht) werden nun neue und zusätzliche Gräben ausgehoben – mit einem gesellschaftlich langfristig ungewissen Ausgang.
Man hätte dem Virus auf anderen Wegen begegnen müssen und können (Stichwort: Schutz der Risikogruppen). Das aktuelle Markieren von Sündenböcken als Ablenkung vom Versagen der Politik (unter vielem anderen bei der Intensivbetten-Versorgung) ist scharf zu verurteilen. Das momentan von Medien und Politik betriebene (und leider sehr erfolgreiche) Prinzip „teile und herrsche“ sollte von den Bürgern schnell überwunden werden.
Titelbild: View Apart / Shutterstock