Annalena Baerbock ist in Russland auch zwei Monate nach der Bundestagswahl immer noch so gut wie unbekannt. Ich fand nur eine russische Zeitung, die sie porträtierte. Warum die russischen Medien sich bisher in Bezug auf die neue Außenministerin bedeckt halten, ist unklar. Dass Brüssel eine anti-russische Linie fährt, ist für Russland eine ausgemachte Sache. Aber nun auch Berlin? Das scheint man nicht glauben zu wollen. Von Ulrich Heyden, Moskau.
Viele Moskauer Experten und Journalisten meinen, dass Deutschland mit Russland eigentlich ein gutes Verhältnis haben will, diesen Willen aber oft nicht umsetzen kann, weil die USA Deutschland gegen Russland treiben.
Deutschland-Experte Below: „Sie ist keine Diplomatin“
Annalena Baerbock hat sich aus geostrategischen und klimapolitischen Gründen gegen die North Stream 2 ausgesprochen. Jüngst erklärte sie, man müsse die Sanktionen gegen den „Diktator Lukaschenko“ verstärken. Gleichzeitig sagte sie, man müsse in der Außenpolitik ständig „nach einem Dialog suchen“. Dann wiederum erklärte sie, Merkel hätte den „Erpresser Lukaschenko nicht anrufen dürfen“. Wer wird aus solchen sich widersprechenden Aussagen schlau?
Der stellvertretende Leiter des Moskauer Europa-Instituts, Wladislaw Below, stellte treffend fest, Baerbock habe nicht die nötige Erfahrung und das Wissen, um das deutsche Außenministerium zu führen. Below, der auch das „Zentrum für deutsche Forschungen“ leitet, erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur TASS, „sie passt überhaupt nicht, aber sie bekommt den Posten. Leider ist es so. Die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland werden darunter natürlich leiden. Sie ist keine Diplomatin, sie kennt sich nicht aus in der Außenpolitik und sie ist negativ gegenüber Russland eingestellt.“
„Die Linie in der Außenpolitik bestimmt das Kanzleramt“
Deutschland-Experte Below hat jedoch die Hoffnung, dass nicht Annalena Baerbock die Linie in der Außenpolitik bestimmt. „Die Richtung der Außenpolitik wird vom Kanzleramt bestimmt.“ Und auch andere deutsche Ministerien hätten auf die Außenpolitik Einfluss.
Bisher gibt es auch keine russischen Prognosen, wie der Personalwechsel in Berlin sich auf den Donbass-Konflikt auswirken wird.
„Die russisch-deutschen Beziehungen waren bisher das Bindeglied bei den Gesprächen über den Konflikt in der Ost-Ukraine. Aber diese Konfiguration kann sich bald ändern, weil Angela Merkel ihren Posten am 6. Dezember verlässt und ein neuer Kanzler antritt“, schreibt das liberale russische Internetportal gaseta.ru.
Fürchterliche Sätze im Koalitionsvertrag haben russische Experten bisher nicht kommentiert, wie etwa diesen Satz:
„Vor dem Hintergrund der fortbestehenden Bedrohung für die Sicherheit Deutschlands und Europas nehmen wir die Sorgen insbesondere unserer mittel- und osteuropäischen Partner Staaten ernst, bekennen uns zur Aufrechterhaltung eines glaubwürdigen Abschreckungspotenzials und wollen die Dialoganstrengungen der Allianz fortsetzen.“
Kippt Brüssel North Stream 2?
Nach Meinung der Süddeutschen Zeitung wird sich die neue Bundesregierung nicht für North Stream 2 einsetzen. Im Koalitionsvertrag wird North Stream 2 gar nicht erwähnt. Es gibt nur einen Satz, der sich auch auf „North Stream 2“ bezieht. Auf Seite 59 unter Randziffer 1923 heißt es, „Für energiepolitische Projekte auch in Deutschland gilt das europäische Energierecht.“ Die Formulierung – so die SZ – sei „ein deutlicher Hinweis an die EU-Kommission, dass die neue Regierung nicht primär auf der Vollendung der Röhre bestehe.“
Brüssel hat sich in den letzten Jahren durch einen anti-russischen Kurs ausgezeichnet. Das EU-Parlament stimmte im Januar wegen der Navalny-Inhaftierung für einen Baustopp von North Stream 2. Im September 2019 stimmte das Europäische Parlament für eine Resolution, in der Faschismus und Kommunismus gleichgestellt werden.
Hoffnung auf die Sozialdemokraten
Auch der Leiter des Auswärtigen Ausschusses der Duma, Leonid Slutzki, meint, dass Baerbock „keine eigenständige Außenpolitik machen kann, die der Linie des Kanzlers widerspricht“. Olaf Scholz habe sich „mehrmals eindeutig für die Unterstützung von North Stream 2 ausgesprochen“.
Als deutsche Sozialdemokraten in der Bundesregierung saßen, habe es sowohl zu sowjetischen als auch zu nachsowjetischen Zeiten „die besten Beziehungen mit Deutschland“ gegeben.
Wenn man nach dem Koalitions-Vertrag geht, so Slutzki, könne man auf eine Verbesserung der Beziehungen zwischen Russland und Deutschland hoffen. Aber für Aussagen über konkrete Verbesserungen sei es „noch zu früh“.
Olaf Scholz sei für Russland „ein annehmbarer Kandidat“. Aber „wer auch Kanzler in Deutschland ist, die Hände des Kanzlers sind in einem bestimmten Maße abhängig von den USA und der Nato auf der einen und der Europäischen Union auf der anderen Seite.“
Baerbocks Russland-Reise
Nach meinem Überblick ist bisher nur die Komsomolskaja Prawda ausführlicher auf die Person Annalena Baerbock eingegangen. Es war eine Abrechnung.
Erwähnt wird, dass die zukünftige Außenministerin in ihrem Buch „Jetzt. Wie wir unser Land erneuern“ „zwölf große Textteile“ von anderen Autoren abgekupfert hat. Bei Amazon habe das Buch von fünf möglichen Sternen nur dreieinhalb bekommen.
Das Blatt ermittelte, dass Annalena Baerbock vom 9. bis zum 13. April 2017 im Rahmen einer Delegation Russland besuchte. Sie sei mit einer Aeroflot-Maschine und einem Diplomatenpass von Berlin aus geflogen. Im westsibirischen Städtchen Urengoi – wo Gas gefördert wird – habe sie Gespräche mit Vertretern der deutschen Firma Wintershall und anderen Unternehmen geführt. Das Unternehmen Wintershall, das an North Stream 2 beteiligt ist, habe die Reise wohl bezahlt. Aber das habe Baerbock nicht davon abgehalten, weiter gegen North Stream 2 aufzutreten. So ein Verhalten sei „unethisch“.
Personen wie Baerbock und Thunberg seien, „abhängige Figuren ohne eigenes Gewicht und eigene Ideen“, schreibt das Blatt. Sie würden nur „die Losungen älterer Genossen“ wiederholen, „Atomkraftwerke schließen, sich von der Industrie verabschieden und Russland im Zaum halten. Alles das natürlich im Namen des Kampfes für die Ökologie“. Für Russland gäbe es keinen Platz in diesem „liberalen Paradies“.
Wenn die Grünen wirklich für die Ökologie seien, dann müssten sie „mit Händen und Füßen“ für North Stream 2 stimmen, denn beim Verbrauch von Erdgas entstehen viel weniger Treibhausgas-Emissionen als bei der Verbrennung von Öl und Kohle.
Man könne alle möglichen Positionen vertreten, selbst „links-grüne“, schreibt das Blatt. Aber wenn es nichts mehr zum Heizen in den Wohnungen gibt, dann müsse man, „ob man wolle oder nicht, mit Russland sprechen. Wer auch Außenminister von Deutschland wird, der oder die muss das machen.“
Anmerkung der Redaktion: Eine erstaunlich blauäugige russische Betrachtung des Geschehens in Deutschland.
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