Parallelen zwischen Corona-Politik und Faschismus werden von Medien und Politikern zurückgewiesen. Aber jene, die solche Mahnungen in der Corona-Debatte als „NS-Verharmlosung“ oder gar „antisemitisch“ bezeichnen, haben das Mittel selbst ausgiebig genutzt. Die Mahnung an die Lehren aus dem Faschismus waren zudem lange nicht so begründet wie heute. Aber der Gebrauch von direkten Nazi-Vergleichen birgt auch die Gefahr, unseriös über das Ziel hinauszuschießen. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
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Die Frage der Nazi-Vergleiche und der Mahnungen an den Faschismus wird seit der Pandemie-Ausrufung häufig diskutiert. Und seitdem gibt es auch Bestrebungen, dieses Mittel zu diffamieren oder gar als „antisemitisch“ darzustellen. Beispielsweise sagte die „Tagesschau“ dazu :
„Auf Demonstrationen von ‚Querdenkern‘ werden Maßnahmen gegen die Pandemie immer wieder mit dem NS-Terror gleichgesetzt. Diese Form des Antisemitismus verfestige sich, warnen Fachleute – und fordern Konsequenzen.“
Auch Sätze wie „Wehret den Anfängen“ stehen nun unter Missbrauchs-Verdacht und werden manchmal in die Nähe von rechtsradikaler „NS-Verharmlosung“ gerückt. Wenn es aber gegen Corona-Skeptiker geht, dann fordert auch der Innenminister „die Anwendung des ‚Prinzips Wehret den Anfängen’“.
Rechtfertigen die Corona-Verhältnisse die Faschismus-Mahnung?
Können die Vorgänge im Zusammenhang mit der Corona-Politik etwaige Nazi-Vergleiche oder Mahnungen an den Faschismus überhaupt ansatzweise rechtfertigen? Heribert Prantl stellt zur aktuellen politisch-moralischen Verfassung fest:
„Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik ist das Leben außerhalb von Gefängnissen rund um die Uhr so strikt, so umfassend und so lange staatlich reguliert worden wie in der Corona-Zeit. Noch nie sind die Grundrechte so raumgreifend und handgreiflich eingeschränkt worden. Und noch nie hat das Bundesverfassungsgericht so versagt.“
Ich teile diese Einschätzung: Die Bürger befinden sich in einem teilweise rechtsfreien Raum, der durch eine Angstkampagne (um ein reales Virus) „gerechtfertigt“ und von politischer Willkür bestimmt wird. Allein der aktuelle Impf-Druck läuft dem Nürnberger Kodex, einem Beschluss der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, dem Grundgesetz und zahlreichen weiteren Prinzipien zuwider. Zusätzlich kann die sich abzeichnende Einführung von Überwachungstechniken Sorgen vor langfristigen totalitären Folgen auslösen. Sollten sich diese Sorgen als unbegründet herausstellen, so wäre das zu begrüßen – besser ist es aber, eine Warnung zu viel auszusprechen.
Man hat außerdem den Eindruck von politisch-moralischen „Erziehungsmaßnahmen“, die garantierte Grundrechte ebenso wie den Datenschutz als „gestrig“ und „obsolet“ und ihre Anrufung als „egoistisch“ erscheinen lassen sollen. Die momentan von Politikern und Redakteuren betriebene Markierung von Sündenböcken für eine selber zu verantwortende Politik trägt in Teilen sogar hetzerische Züge. Das selektive Aus- oder gar Einsperren von vorher diffamierten Gruppen (wie in Österreich geplant) wäre eine weitere Steigerung.
Nazi-Vergleiche sind gerechtfertigt, aber riskant
Ich komme darum zu dem Ergebnis: Zurückhaltende und mahnende Erinnerungen an den Beginn(!) des deutschen Faschismus sind inzwischen angemessen – zumindest waren sie seit langem nicht so angemessen wie heute. Dennoch wäre ich sehr zurückhaltend mit ihrem Gebrauch: Die Gefahr, unseriös über das Ziel hinauszuschießen, ist groß. Außerdem kann das Mittel wegen des überwältigenden Charakters der aktuellen Meinungsmache und der Umdeutung der Begriffe eine Steilvorlage für die Diffamierung als „rechts“ bieten.
Fragwürdig sind direkte Gleichsetzungen des Nazi-Terrors mit der Lockdown-Politik: Gleichstellungen des Deutschland von 2021 mit jenem von 1941 sind unseriös. Unglücklich sind auch direkte Vergleiche von Corona-Skeptikern mit verfolgten Andersdenkenden während der Nazi-Diktatur, denn diese Gleichsetzungen müssen angesichts der unterschiedlichen Risiken anmaßend erscheinen. Eine mahnende Erinnerung an diese historische Verfolgung Andersdenkender ist aber trotzdem gerechtfertigt und geboten: eben um totalitäre Entwicklungen anzuprangern, bevor eine Verschärfung dieser Entwicklungen ein Eintreten gegen sie unmöglich macht. Manche Aktionen schießen weit über das Ziel hinaus wie jene mit den Kinderschuhen. Unseriös sind auch Gleichsetzungen der Bundesregierung mit einem faschistischen Regime oder von RKI-Mitarbeitern mit „Schergen“.
Betont werden sollte auch, dass es für mich bei der Klassifizierung als „totalitär“ weniger um die aktuellen Alltagsschikanen geht als um Sorgen vor einem dauerhaften und autoritären Umbau der Gesellschaft. Um aber die Dramatik der aktuellen Situation zu betonen und gleichzeitig die Unterstellung zu vermeiden, man wolle „Gaskammern mit Gesichtsmasken“ gleichsetzen, finde ich den Satz „Wehret den Anfängen“ empfehlenswert.
Die Nazi-Herrschaft ging nicht mit Vernichtungslagern los
Erleben wir gerade solche „Anfänge“? Totalitäre Bestrebungen sind meiner Meinung nach nicht mehr zu ignorieren, auch wenn sie noch nicht entfaltet sind. Ein in jeder Hinsicht schlechter Gesellschaftsumbau („Neue Normalität“) scheint angestrebt zu sein, der meiner Meinung nach nicht geeignet, nicht erforderlich und nicht verhältnismäßig ist, um die offiziell proklamierten Ziele zu erreichen.
Und auch die Nazi-Herrschaft ging nicht mit Vernichtungslagern los: Vorher stand die pauschale Diffamierung bestimmter Gruppen, auch mit Hilfe von Politikern, Redakteuren – und Wissenschaftlern. Martin Schulz hat das Prinzip der gruppenbezogenen Hetze 2018 im Bundestag so beschrieben – seine Worte richteten sich damals an die AfD, sie könnten aber auch die aktuelle Kampagne gegen nicht geimpfte Bürger und Kritiker der Lockdown-Politik beschreiben:
„Die Reduzierung komplexer politischer Sachverhalte auf ein einziges Thema, in der Regel bezogen auf eine Minderheit im Land, ist ein tradiertes Mittel des Faschismus. (…) Ich finde, es ist Zeit, dass die Demokraten in diesem Lande sich gegen diese Art der rhetorischen Aufrüstung wehren, die am Ende zu einer Enthemmung führt, deren Resultat Gewalttaten auf den Straßen ist. Es ist Zeit, dass sich die Demokratie gegen diese Leute wehrt!“
Schuldig der Volksverhetzung macht sich laut Paragraph 130 Strafgesetzbuch unter anderem, wer „die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er eine vorbezeichnete Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet“ – und dies in einer Weise, „die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören“.
Könnte ein Anwalt nicht zu dem Ergebnis kommen, dass diese Definition auf einige aktuelle Kommentare von Redakteuren und Anderen zutrifft? Schließlich fordern sie ganz offen eine vorsätzliche Spaltung der Gesellschaft zulasten nicht geimpfter Bürger und beschreiben diese „vorbezeichnete Gruppe“ gar als „tyrannisch“ oder als indirekt „mitschuldig an tausenden Toten“. Ein Provinz-Journalist bedauert gar, dass das „Keulen, wie bei der Vogel oder Schweinegrippe ja leider nicht möglich“ sei. Noch schlimmer als die öffentliche Enthemmung finde ich das allgemeine Hinnehmen dieser Tabubrüche.
Darf nur die eine Seite mahnen?
Die nun verbreitete These, dass nichtgeimpfte Lockdown-Kritiker der ersten Stunde für die sozialen Folgen eines ihnen aufgezwungenen Lockdowns verantwortlich seien, hat selbstverständlich keinen Bestand – sie ist Ablenkung, wie auch die Behauptung, Nichtgeimpfte seien schuld am Kliniknotstand: Ablenkung vom staatlichen Versagen beim Erhalt der Intensivbetten und beim Schutz der Risikogruppen, Ablenkung von der redaktionellen Mitarbeit an der Panik-Kampagne und Ablenkung von der Verantwortung jenes Teils der Bürger, die durch ihre offene Lockdown-Unterstützung die Verwerfungen der letzten Monate mit möglich gemacht haben.
Kritikern der Corona-Politik soll das Mittel der Mahnung an die Vorboten des Faschismus indirekt „untersagt“ werden – auf der anderen Seite wurden aber sogar schon Kriege damit gerechtfertigt. Und auch die Verteidiger der Corona-Politik nutzen das Mittel ausgiebig, um Kritiker zu diffamieren: Wenn offensichtlich nicht rechts dominierte Demonstrationen gegen die Corona-Politik viel zu pauschal in die Nähe von Neonazis gerückt werden oder Corona-Skepsis als „antisemitisch konnotierte Verschwörungserzählungen der Pandemieleugner*innen“ bezeichnet werden: Ist das keine ungebührliche Relativierung der realen Nazis?
Titelbild: Stefan Malloch / Shuttershock