Soziale Teilhabe und effektive Umwelt- und Klimapolitik sind keine unvereinbaren Zielkonflikte, sondern müssen Hand in Hand gehen. Dieser Satz ist wohl eine Lebenslüge grüner Politik. Linke Politik und Klimaschutz lassen sich nämlich keineswegs so einfach unter den Hut bringen, wie es gerne suggeriert wird. Mehr noch – aus makroökonomischer Sicht gibt es sogar einen Zielkonflikt zwischen Umverteilung von oben nach unten und Klimaschutz. Wer – wie Teile der Grünen – den Fokus primär auf „Grünes Schrumpfen“ und eine „Postwachstumsgesellschaft“ richtet, der sieht in einer Verbesserung der materiellen Grundlagen der unteren Einkommensgruppen eher ein Problem. Dies erklärt wohl auch zumindest zum Teil das geringe Engagement der Grünen für eine sozial und ökonomisch progressive Politik. Von Jens Berger.
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Für was wir unser Geld ausgeben, ist vor allem eine Frage des Einkommens. So ist beispielsweise der prozentuale Anteil der Ausgaben für Wohnkosten umso höher, je weniger ein Haushalt verdient. Während Geringverdiener-Haushalte mit einem Nettoeinkommen von weniger als 1.300 Euro im Schnitt 44,5% ihres Einkommens für die Wohnkosten bezahlen müssen, sind es bei Haushalten mit über 5.000 Euro Nettoeinkommen lediglich 29,1%. Umgekehrt steigen andere Konsumausgaben mit steigendem Einkommen nicht nur absolut, sondern auch relativ – so sind die Ausgaben für „Verkehr“ bei gutverdienenden Haushalten mit 16,4% relativ zum Einkommen genau doppelt so hoch wie bei schlecht verdienenden Haushalten mit 8,2%. In absoluten Zahlen sind sie bei den Gutverdienern mit 762 Euro pro Monat übrigens sogar achtmal so hoch wie bei den Geringverdienern mit 87 Euro pro Monat. Hier stellt der Kauf von Autos den größten Kostenblock dar. Während auf 100 Gutverdiener-Haushalte 187 Autos kommen (davon 72,8% Neuwagen), kommen auf 100 Geringverdiener-Haushalte nur 43 Autos (davon 12,5% Neuwagen). Dieser Trend ist linear – je mehr ein Haushalt verdient, desto mehr Geld gibt er nicht nur absolut, sondern auch relativ für genau die Konsumausgaben aus, die klimapolitisch problematisch sind. Die nicht minder problematischen Kosten für Kraftstoffe sind hier übrigens noch nicht einmal berücksichtigt.
Nun könnte man zu dem Schluss kommen, dass es aus diesem Grund auch klimapolitisch sinnvoll sei, von oben nach unten umzuverteilen. Doch so einfach ist es leider nicht, da die Geringverdiener nach der Umverteilung ja auch ein anderes Konsumverhalten haben. In der Volkswirtschaft spricht man an dieser Stelle von der marginalen Konsumquote. Diese beschreibt, für was ein zusätzlich verdienter Euro ausgegeben wird. Und diese marginale Konsumquote sinkt mit steigendem Einkommen. Das hat wiederum vor allem etwas damit zu tun, dass die Haushalte nicht nur absolut, sondern auch relativ mit steigendem Einkommen mehr Geld sparen bzw. investieren. Während ein Haushalt aus dem unteren Einkommenszehntel nur 1,8% seines Monatseinkommens sparen kann, liegt der Anteil im obersten Einkommenszehntel bei 17,0%. Würde man die Einkommensskala noch weiter unterteilen, wäre die Sparquote um so größer, je reicher die betroffenen Haushalte sind. Ein Jeff Bezos schafft es schlichtweg nicht, mehr als einen kleinen Anteil seiner Einkünfte für Konsumgüter auszugeben.
Bei den wirklich reichen Haushalten ist beispielsweise die Zahl der Autos pro Haushalt eher durch die Anzahl der Haushaltsmitglieder als durch die finanziellen Grenzen limitiert. Und hier kommt der „Albtraum“ derer ins Spiel, für die der Klimaschutz die einzige Zielgröße ist: Wenn ich von oben nach unten umverteile, geben die Menschen das Geld nur für noch mehr Autos, noch mehr Flugreisen und noch mehr Güter aus, die mit dem Einsatz begrenzter Rohstoffe hergestellt wurden. So zumindest die Logik der „Postwachstums-Fraktion“. Oder zugespitzt: Wenn man sich ausschließlich auf die CO2-Bilanz konzentriert, wäre eine Verarmungspolitik aus Sicht der „Postwachstums-Fraktion“ sogar sinnvoll. Zumindest dann, wenn man an den Rahmenbedingungen nichts ändert und vollkommen ignoriert, welche Auswirkungen die Spar- und Investitionsausgaben für das Klima haben.
Genau dies ist der Widerspruch einer „linken“ Klimapolitik, für die Wachstum stets nur quantitativ und nicht qualitativ definiert ist und immer wieder finden sich Stimmen, wie das Grünen-Mitglied und taz-Journalistin Ulrike Herrmann, die bereits offen eine klassische linke Politik infrage stellen, die auf einen Ausgleich der sozioökonomischen Verhältnisse ausgerichtet ist, und stattdessen eine grüne Schrumpfpolitik (Degrowth) und Rationierungen propagieren.
Lesen Sie dazu bitte „Es ist kontraproduktiv, Wachstum zu verteufeln – auch und gerade im Rahmen der Klimadebatte“ und „Wachstumswahn, Wachstumszwang, Postwachstumsgesellschaft – eine irrelevante und in die Irre leitende Debatte“
Die Vorstellung, man könne Wachstum und Umverteilung klimagerecht gestalten, wird von solchen Stimmen als „Illusion“ bezeichnet. Sollte man an dieser Politik festhalten, würde dies „in die Katastrophe“ führen – gemeint ist hiermit natürlich nicht die weitere Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich, sondern die „Klimakatastrophe“. Diese Position ist unter Grünen und leider mehr und mehr auch unter Linken durchaus populär. Dabei handelt es sich jedoch um einen grandiosen Denkfehler.
Es gibt wohl kaum einen Menschen, der um der Sache willen, immer nur mehr vom Gleichen haben will. Ich würde gerne Lebensqualität und Komfort genießen, sorglos sein und wissen, dass es meinen Kindern später gut geht. Nicht mehr und nicht weniger. Wie ich diese Ziele erreiche, ist eine Frage der Umstände und wer glaubt, dass diese Ziele nicht klimaneutral zu erreichen seien, dem fehlt wohl jeglicher Glaube an die Kreativität und Innovationskraft menschlichen Denkens. Unabhängig davon muss jedoch gesichert sein, dass möglichst viele Menschen die faire Chance bekommen, diese Ziele zu erreichen und zu genießen. Und das ist in einer ungleichen Gesellschaft nun einmal nicht möglich.
Auch Klimaschutz muss man sich schließlich erst mal leisten können. Wenn man sich von der klaren Zielsetzung eines solchen qualitativen, breit gefächerten Wachstums verabschiedet, dann ist dies per Definition keine linke, sondern streng genommen sogar eine reaktionäre Politik, die dem technischen und gesellschaftlichen Fortschritt ablehnend gegenübersteht und soziale sowie ökonomische Zustände anstrebt, die eigentlich als überwunden gelten sollten. Solange derartige Denkfehler in den Reihen der Grünen populär sind, wird die Partei sich auch nicht zu einer wirklich progressiven Kraft entwickeln können.
Titelbild: NicoElNino/shutterstock.com