… über sein Buch „Das Virus Demokratie“. Man nimmt es ihm ab, dieses Nicht-Aushalten. Früh schon – im Juni 2020 – hat er sich kritisch mit den Grundrechtseinschränkungen auseinandergesetzt, die aus der Pandemie-Politik folgen. Mit seinem Buch unternimmt Richling den Versuch, die „Herden-Immunität gegen unsere Demokratie“ zu verhindern. In einer Bestandsaufnahme der psychischen und physischen Langzeitfolgen der Pandemie für unsere Gesellschaft fordert er zugleich dazu auf, gegenüber dem vorauseilenden Gehorsam an der Basis, der Wissenschaft und Politik wachsam zu sein. Anette Sorg.
AS: Sie beschreiben „den Deutschen als einen Menschen, der mit dem Grundcharakterzug eines konservativen Unterwerfungsbedürfnisses ausgestattet ist“. Ist Ihnen das in der Corona-Krise erst richtig bewusst geworden oder haben Sie schon früher solche Ausprägungen festgestellt?
MR: Das habe ich wirklich schon sehr viel früher festgestellt. Wenn Sie jemals den „Untertan“ von Heinrich Mann gelesen haben, bekommen Sie für diese deutsch-typischen Ausprägungen auch eine Sensibilität und merken rasch, dass bestimmte Grundzüge im Verhalten der Deutschen durchaus genetisch verankert zu sein scheinen. Das Bedürfnis, eigene Verantwortlichkeit in den Hintergrund zu stellen und einer ‚höheren Macht‘ zuzuweisen, ist bei uns sehr beliebt.
Das daraus folgende schikanöse Zurechtweisen anderer mit dem Hinweis, man vertrete das Recht, den Staat, die Ordnung, ist ebenso sehr beliebt bei den Deutschen. Gemeinhin ist das geläufig unter der Formulierung, nach oben zu buckeln und nach unten zu treten.
Besonders intensiv gestaltet sich das aus in Zeiten, in denen eine definierte oder auch diffuse Angst breitgemacht wird. Um ein Beispiel zu geben: Wir bekamen in dieser Corona-Pandemie-Zeit klar definierte, aber auch überaus unklar definierte Maßnahmen und Regelungen. Die klar definierten sind Maske, Abstand, Hygiene. Die unklar definierten sind beispielsweise, mit Stand Oktober 2021, den Theatersaal eines Opernhauses mit 3-G-Regel vollkommen zu besetzen bis auf den letzten Platz mit Zuschauern, die keine Maske tragen. Verlassen sie den Saal und befinden sich im Foyer, haben sie die Maske aufzusetzen und werden, wie es mir passiert ist, vom Ordnungspersonal angefahren, wenn die Maske auch nur knapp unter die Nase gerutscht ist. Was ist im Foyer anders, als wenn sich Zuschauer eng an einem vorbei noch in die Mitte der Reihe quetschen und keine Maske tragen?
AS: Korrigieren Sie mich, wenn ich das falsch wahrnehme, aber ich lese zwischen den Zeilen über Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK) fast ein wenig Mit-Leid heraus. Gehe ich Ihnen auf den Leim? Oder verstehe ich Ihre Ironie an der Stelle nicht?
MR: Auch in einem Buch reicht der Platz nicht, um sich über alle und jeden auszulassen. Und auch, wenn man sich über alle und jeden auslässt, heißt das nicht, dass denen nicht auch Ungerechtigkeiten widerfahren können. Wenn ich Frau Merkel verteidige, weil man sich über ihr tiefes Dekolletee bei einem Opernbesuch echauffierte, heißt das noch lange nicht, dass ich einverstanden bin mit ihrer Corona-Politik. Wenn ich die Empörung über Frau AKKs Gender-Witzchen bei einer Faschings-Veranstaltung für vollkommen überzogen halte, hat das nichts mit einer eventuell notwendigen Kritik an ihrer Amtsführung zu tun. Wenn Sie daraus Mitleid schließen, müsste ich mich ja in Zukunft völlig undifferenziert mit dem politischen Personal beschäftigen, um nicht gleich Gefahr zu laufen, ich sympathisiere mit ihm.
AS: Der Wissenschaftsjournalist Harald Lesch, Ursula von der Leyen und Friedrich Merz oder Annalena Baerbock (Zitat: „Persönlichkeit mit minimaler sozialer Intelligenz“) kommen da deutlich schlechter weg. Dort lese ich eine tiefe Abneigung zwischen den Zeilen. Warum ist das so? Was machen sie anders als AKK? Warum hat AKK so viel Milde verdient? Warum die anderen so viel harte Kritik?
MR: Ja, wie gesagt – sie könnten die Behauptung auch ins Gegenteil drehen und fragen, warum Frau AKK so viel Häme verdient hat, nicht weiter rezensiert zu werden in diesem Buch. Der Fokus lag eben auf aktuelleren Themata, als sie Frau AKK zum Zeitpunkt der Niederschrift des Buches angeboten hat.
AS: Unsere Demokratie liegt Ihnen am Herzen. Sonst wäre dieses Buch vermutlich nicht entstanden. Ich zitiere aus Kapitel 16, in welchem Sie sich dem 40-jährigen Jubiläum der Grünen widmen:
„…Demokratie ist oft nur das Recht, Empörung zu formulieren über die Lügen derer, die die Macht haben. Und das ist meistens nicht die Regierung.”
Wenn sich Menschen während der Corona-Krise empört haben bzw. es immer noch tun, wurden sie als Querdenker etikettiert, als Covidioten beschimpft oder als Wissenschaftler und/oder Prominente ausgegrenzt. Ist das die Demokratie, in der Sie gerne leben und arbeiten?
MR: Ist das Ihr Ernst? Oder habe ich Sie jetzt falsch verstanden? Fragen Sie wirklich, ob das die Demokratie ist, in der ich leben möchte, in der Menschen, die sich empören, als Idioten beschimpft werden? So muss ich es, glaube ich, nicht beantworten. Was den Satz, den Sie zitieren, angeht, drückt er zuerst die Lethargie und die Langsamkeit aus, die für eine Demokratie charakteristisch sind. Und dass der Bürger nach seiner Stimmabgabe bei einer Wahl keine Einspruchsmöglichkeit mehr hat. Weswegen der Formulierung, ‚die Stimme abzugeben‘, eine besondere doppelte Bedeutung zukommt. Und zweitens bedeutet der Satz, dass die Macht über die Regierung hinaus vielmehr liegt bei Konzernen, bei Lobbyisten, bei der Finanzwelt etc. Insofern: Nein.
AS: Die Alkohol- und Drogenpolitik unserer Bundesregierung(en) ist Teil Ihrer Kritik. Sie entlarven damit messerscharf die Verlogenheit der sogenannten „Gesundheits“politik unserer Regierungen. Was glauben Sie, warum die meisten Bundesbürger solche einfachen Parallelen nicht mehr ziehen können oder wollen? Hat es etwas mit dem Fernsehkonsum zu tun? Sie schreiben ja: „Man kann mit dem Fernsehen eine Gesellschaft ‚einsilbig‘ machen. Das wirkt sich auf den Intellekt und natürlich auch auf die Politik aus.“
MR: Dem ist eigentlich nicht mehr viel hinzuzufügen. Wenn Sie sich ganz normale Fernseh-Konsumations-Formate anschauen, die Einfachheit, mit der sie erzählerisch gestrickt sind wie ‚Familien im Brennpunkt‘, ‚Auf Streife‘, oder die Einfachheit, mit der sie technisch produziert sind; oder wenn Sie an ständig gleiche Wiederholungen denken, die solange gesendet werden, bis die Zuschauer sie auswendig kennen müssten, wie ‚Medical Detectives‘, dann wirken schon Sendungen von vor 10 oder 20 Jahren mit Barbara Salesch oder Alexander Hold dagegen, als wären sie höchstes Niveau und größte Schauspielkunst. Und jetzt fragen Sie sich mal, was mit Ihnen passiert, wenn Sie tagaus, tagein nur Groschenromane lesen. Ich denke schon, dass das intellektuell, aber auch emotional einen Menschen oder eine Gesellschaft verändert.
AS: Sie verteidigen die Schauspieler und deren Aktion „allesdichtmachen“. Einige haben dem nachfolgenden medialen Druck nicht standgehalten und sich später distanziert. Andere haben jetzt nachgelegt und Experten, die sonst nicht zu Wort kommen (dürfen), interviewt. Wie stehen Sie zur aktuellen Aktion „allesaufdentisch“?
MR: Ich stehe nicht anders dazu als am Anfang. Es wird immer noch undifferenziert draufgehauen, wenn es jemand wagt, die Maßnahmen, die Behandlungen, die Politik in Zeiten von Corona zu kritisieren, zu hinterfragen oder sich mit ihnen ironisch auseinanderzusetzen. Immer mit dem Vorwurf, man mache sich lustig über die Kranken oder Toten. Das ist ein unerhörtes Totschlagargument, denn das passiert eben gerade nicht. Wenn man den Kriegseinsatz im Irak, die Reaktion der Regierungen, die Konsequenzen bis heute kritisiert und brandmarkt, macht man sich doch nicht lustig über die Ermordeten vom 11. September 2001.
AS: Sie positionieren sich klar, wenn Sie schreiben: „Corona darf keine Sonderstellung haben gegenüber allen anderen Gefahren des Lebens! Sonst werden wir bald zu einem Massenmenschenversuch der Virologen.“ Wie halten Sie es aus, dass allabendlich seit eineinhalb Jahren von den Lauterbachs, Wielers und Drostens dieser Republik versucht wird, uns das Gegenteil zu beweisen? Was, außer Satire, ist Ihr Ventil? Was raten Sie Menschen, die ähnlich denken wie Sie?
MR: Ich halte es gar nicht aus. Ich habe es von Anfang an nicht ausgehalten, dass beispielsweise ein Lothar vom Robert Koch-Institut täglich das Bedürfnis offenbart, jeden Infizierten persönlich vorstellen zu wollen. Und in einem Informations-Wahn schon in der ersten Woche der Corona-Presse-Konferenzen wörtlich sagte: In Esslingen (bei Stuttgart) gab es gestern 14 Infizierte, heute sind es 16. Er sprach nicht von hunderten oder tausenden. Er sprach von 14! Das löste beim Zuschauer eine Panik aus, die unverantwortlich war.
Gleichwohl habe ich mich immer an die Aussagen gehalten, die uns von RKI, WHO oder Bundesregierung gegeben werden. Und nur daraus die Schlüsse gezogen: Dass 85% keine Symptome haben, dass die Sterberate in Deutschland 0,1% ist usw. Und das empfehle ich auch all denen, die nicht so denken wie ich: Die Fakten logisch zu addieren.
Und sich nicht verleiten zu lassen von Wahnvorstellungen einiger, die ja sogar eine Weltregierung im Anmarsch sehen.
AS: Sprechen wir noch über Akteure, die es nicht in Ihr Buch geschafft haben: Christian Lindner von der FDP zum Beispiel. Die FDP und die AfD waren ja die einzigen Parteien in dieser Krise, die hin und wieder auch einmal kritische Töne angeschlagen haben. Hat Lindner Unsinn erzählt? Oder waren Sie dankbar über wenigstens ein wenig gefühlter Opposition?
MR: Man ist immer dankbar für Opposition. Einfach um Gedankenanstöße auch in eine andere Richtung zu aktivieren und sich von eigener, eventueller Eingleisigkeit lösen zu können. Aber es waren mitnichten nur Christian Lindner und die … wie war der Name noch?
Auch Wolfgang Schäuble hat mehrfach auf die Neben- und Kollateralwirkungen der Corona-Politik hingewiesen, wenn er mit der Welthungerhilfe warnte vor Millionen von Hungertoten wegen unterbrochener Lieferketten. Nur leider gab es dazu außer einer kurzen Meldung niemals auch nur eine ausführliche Talk-Show zum Beispiel.
AS: Über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und das Fernsehen urteilen Sie deutlich milder, als die NachDenkSeiten das regelmäßig tun. Im Interview mit dem Porta-Magazin (10.3.21) sagen Sie, dass Ihnen die News und Talks in Sachen Corona zu einseitig gewesen seien, dass Sie sich das aber als Notwendigkeit erklärt hätten. Schauen Sie im November 2021 noch immer mit dieser Milde auf das Agieren der öffentlich-rechtlichen Medien?
MR: Sie immer mit Ihrer ‚Milde‘. Die Erklärung für die vorwiegend staatstragende und staatsbestätigende Berichterstattung habe ich sehr deutlich immer vorgebracht. Ich habe nur – aus Verzweiflung – versucht, dem von Macron ausgerufenen Krieg, den wir bei oder mit Corona führen, auch pressetechnisch die Konsequenz zu geben, die damit offensichtlich wird.
Dass nämlich, wenn wir in einem richtigen Krieg wären, die Presse sich auch nicht einmischen kann, indem sie der Regierung Tipps gibt, lieber zum Beispiel zur See zu kämpfen als in der Luft. Das hat mit Logik zu tun und nichts mit Milde.
AS: In Ihrem Ausblick („Die Welt nach Corona“) befassen Sie sich auch mit dem Thema „Sprachtotalitarismus“, mit dem Ihrer Ansicht nach ein Moralterrorismus einhergeht. Haben Sie die Hoffnung, dass wir hier noch mal die Kurve kriegen? Oder bleibt uns dieser Nebenschauplatz auf absehbare Zeit erhalten?
MR: Nein. Und Ja. Solche Dinge ändern sich entweder durch einen dramatischen Vorfall. Oder indem die eine oder die andere Seite so genervt ist von der Überhochmetzung eines Themas, dass es wieder ins Gegenteil ausschlägt.
AS: Allerletzte Frage: Welche Frage, die Ihnen noch nie jemand gestellt hat, wollten Sie schon immer einmal beantworten?
MR: Mich hat noch nie jemand gefragt, wie ich umgehe mit der Schwerkraft. Wahrscheinlich, weil man unterbewusst spürt, wie gerne ich diese Frage beantworten würde. ABER ES NICHT KANN!!!
Vielen Dank, Herr Richling!
Das Buch (249 Seiten) erhalten Sie für 20 Euro bei der Buchhandlung Ihres Vertrauens vor Ort oder bei den Buchkomplizen.