Noch mehr Mini-Jobs und endlich Einstieg in die Aktien-Rente

Noch mehr Mini-Jobs und endlich Einstieg in die Aktien-Rente

Noch mehr Mini-Jobs und endlich Einstieg in die Aktien-Rente

Werner Rügemer
Ein Artikel von Werner Rügemer

Auf dem Weg zur grün lackierten Klassengesellschaft: Die Ampel-Koalition mit verschärfter Arbeits- und Rentenarmut, aber genderpolitisch korrekt. Von Werner Rügemer.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

„Wir wollen die Minijobs attraktiver machen“: Bei allen sonstigen Streitpunkten konnten sich SPD, Grüne und FDP darauf schnell einigen. Die Verdienstgrenze der Mini-Jobs soll von 450 Euro auf 520 Euro pro Monat angehoben werden, zudem mit der Aussicht, dass der Mindestlohn auf 12 Euro pro Stunde steigt. Und der Einstieg in die von BlackRock&Friedrich Merz lobbyierte Aktien-Rente ist auch schon klar.

Ausweitung der Minijobs längst im Gange

Doch die Ausweitung der Minijobs – das ist längst im Gange, auch ohne die angekündigten „Verbesserungen“:

  • Viele hunderttausend Beschäftigte und Selbstständige der unteren Ränge, durch die Pandemie-Politik in die Arbeitslosigkeit geschickt, strampeln sich schon jetzt um neue Mini-Jobs ab.
  • Und die kleinen, mittleren und großen Unternehmen – von kirchlichen Altenheimen über Mittelstandsbäckereien und Industriereiniger bis zu Amazon – können mithilfe der Digitalisierung die anfallende Arbeit in immer kleinere Portionen aufteilen, sprich Mini-Jobs, die je nach zeitlichem und mengenmäßigem Bedarf eingesetzt, geschoben, gekündigt werden können.

Minijob-Angebote im kostenlosen Kölner Wochenspiegel

Massenmedien der unteren Klassen agieren schon seit Monaten als Dienstleister dieser Entwicklung. Zum Beispiel der Kölner Wochenspiegel: Er ist die bei weitem auflagenstärkste Zeitung in der Millionenstadt Köln: Verteilte Auflage laut Impressum 516.046. Der Kölner Stadt-Anzeiger für das akademisch sich dünkende Publikum kommt im Kölner Stadtbezirk auf gut 100.000 Auflage, der Kölner Express für den Normalo-Prolo gerade einmal auf 50.000. Und alle drei kommen aus demselben lokalen Medien-Monopol DuMont Schauberg.

Der Wochenspiegel wird jedes Wochenende kostenlos an alle Haushalte verteilt – außer in den Villen-Vierteln – und wird in den ärmeren Stadtteilen auch gelesen. Von den 12 Druckseiten sind die meisten mit Anzeigen für wieder neue Sparpreise und Sonderangebote gefüllt sowie mit Hilfen bei Alltagssorgen: „So bekommen Sie sexuelle Schwäche in den Griff“ und „Haarausfall? Kahle Stellen? Hier kommt Hilfe aus der Apotheke.“ Heimelige redaktionelle Kurzbeiträge zeigen den hilfsbereiten Kölsch-Menschen: „Müll sammeln für ein sauberes Veedel“ (Veedel = Stadtviertel) und stimmen auf die kommende Karnevals-Saison ein. Aber drei ganze Seiten sind eng bedruckt mit Stellenangeboten und Stellengesuchen.

Bei drei Viertel der Angebote und Gesuche geht es um 450-Euro-Jobs. An erster Stelle steht da der Verlag DuMont Schauberg selbst: Er sucht laufend Minijobber zur wöchentlichen Verteilung des Wochenspiegels, Kinderarbeit eingeschlossen: „Jeder ab 13 Jahren kann für uns tätig werden.“ Über den weltweiten Leiharbeitsvermittler Randstad sucht der Verlag im Wochenspiegel auch kaufmännische Hilfskräfte im Bereich Datenerfassung.

Ladehelfer, Lagerhelfer, Nachtportiers, Sex-Telefonistin …

Gesucht werden Ladehelfer, Lagerhelfer, Montagehelfer, Lageristen und Lageristinnen, Beifahrer, Aushilfsfahrer – möglichst mit eigenem Auto – Haushaltshilfen für Privathaushalte, Bürohilfen, Küchenhilfen, Spüler, Menüassistenten, Hausmeisterhilfen, Winterdienstler, Reinigungskräfte, Raumpfleger, Sicherheitsmitarbeiter, Nachtportiers, Versandmitarbeiter, Verkäuferinnen für den Weihnachtsmarkt, Telefon-Kundenbetreuer im notfall-medizinischen Bereich, Telefonistin für eine Flirtline – alle gesucht auf Minijob-Basis.

Die meisten Angebote laufen über Agenturen und Vermittler. Aber einige Unternehmen bieten direkt an. So sucht das kirchliche St. Bonifatius-Wohnheim Minijobber für Reinigung, Wäscherei und Service. Die Service Group Stölting sucht Reinigungskräfte für Klinikreinigung. Die Ambulante Krankenpflege Hamacher sucht eine 450-Euro-Kraft für Pflege und Betreuung älterer Menschen. Die bundesweite WISAG Facility Service sucht Reinigungskräfte für die Industrie. Die Tortenmanufaktur deineTorte.de wirbt um Aushilfen, Studentinnen und Studenten, Teilzeit- und Vollzeitmitarbeiter. Hotels, Altenheime, Restaurants, Reinigungsfirmen und ein Erotik-Dienstleister suchen direkt, geben aber meist ihre Namen nicht an.

Die Unternehmen wissen: Auch Rentner und Rentnerinnen brauchen immer häufiger einen Nebenjob. Deshalb wird typischerweise häufig gesucht „rüstiger Rentner“, zum Beispiel für Hausmeistertätigkeiten. Gleichzeitig fehlt häufig nicht der dezente Hinweis „Ihr Profil: zeitlich flexibel und körperlich belastbar“.

Genderpolitisch superkorrekt

In vielen Anzeigen geht es super-freundlich zu, nach US-amerikanischem Muster: Das kumpelhafte Du herrscht vor: „Wir bieten dir flexible Arbeitsmodelle …“ heißt es da. „Junges, motiviertes Team erwartet dich“, wird versprochen. Auch kleine Häppchen werden in Aussicht gestellt: So bietet die Tortenmanufaktur deineTorte.de neben den 450 Euro auch freien Tortenverzehr an.

Und bei allen Stellenangeboten folgt nach der Berufsangabe in allen Fällen genderpolitisch superkorrekt in Klammern die Angabe (m, w, d), d für divers, also für alle etwa 40 bei Facebook kodifizierten Geschlechtsvarianten neben männlich und weiblich. Auch der gesuchte „rüstige Rentner“ darf alle Geschlechterrollen einnehmen, darf m oder w oder d sein. Ausbeuten ja, aber jetzt gendermäßig korrekt – die vorgestrigen Gender-Muffel von den Christen-Parteien haben ja nichts mehr zu sagen.

Bedürftige bieten sich selber an

Neben den Stellenangeboten durch Unternehmen und Vermittler bringt der Wochenspiegel auch Stellengesuche von Arbeitssuchenden selbst. Darunter sind nicht wenige Rentner. Sie deuten oft ihre Lage an, verhalten:

  • Psychiatrie-Krankenschwester im Ruhestand bietet stundenweise Unterstützung für Senioren
  • Dachdecker/Rentner sucht Nebentätigkeit
  • Polin sucht Arbeit, 10 Jahre Berufserfahrung
  • Rentner (70) sucht Arbeit (Nachtschicht)
  • Biete Gartenarbeit preiswert und schnell
  • Junge Frau sucht Putzstelle im Privathaushalt

Durch die Corona-Politik beschleunigt

In den vier Regierungen unter der CDU-Kanzlerin Merkel wurde die Zahl der Minijobs von vier auf sieben Millionen schrittweise ausgedehnt, im Kontext stagnierender und sinkender Arbeitseinkommen bei der Mehrheit der abhängig Beschäftigten. Damit nahm nicht nur die Armutsarmut, sondern auch die Rentenarmut zu.[1]

Unter Merkel hat die Zahl der Minijobber unter den Rentnerinnen und Rentnern zugenommen – um 40 Prozent. Im Jahre 2020 waren dies 1,04 Millionen Menschen. Noch im Alter zwischen 75 und 85 Jahren hielten sich 207.586 Rentner mit meist geringfügigen Arbeiten wie Putzen, Ausliefern und Bürodiensten über Wasser, im Alter über 85 Jahren waren es in Deutschland noch 12.101!

Die Corona-Politik der Bundesregierung hat gerade die prekär Beschäftigten am härtesten getroffen. Sie wurden im Einzelhandel, in der Gastronomie usw. arbeitslos. Die meisten, wie die Minijobber, bekommen kein Kurzarbeitergeld. So sind sie mittlerweile das Arbeitskräfte-Reservoir etwa für die mit dieser Politik geförderten Lieferdienste wie Wolt, Tier, Gorillas, Lift, Flink und für die neuen Ausliefer-Subunternehmer von Amazon. Die auch von den Ampel-Koalitionären und von den Konzernen sowieso forcierte Digitalisierung wird zur Aufteilung des Arbeitsvolumens in immer kleinere und bewegliche Portionen genutzt.

Die crowdworker für Software-Puzzles etwa bei der Vorbereitung für die digital gesteuerten Autos und für sonstige gestückelte Home-Office-Arbeiten – die werden allerdings nicht in solchen Armuts-Medien wie dem Kölner Wochenspiegel gesucht, sondern woanders.

Missbrauch von Minijobs zukünftig verhindern?

Alle diese Unternehmen setzen auf Minijobs und andere Formen prekärer Arbeitsverhältnisse als Dauerzustand. Da ist das einschränkende Versprechen der neuen Neoliberalen, den Missbrauch der aufgewerteten Minijobs zu verhindern und auch nicht zur Teilzeitfalle für Frauen werden zu lassen, reine Demagogie. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung IAB der Bundesagentur für Arbeit hat 2021 empirisch belegt: Die 450-Euro-Jobs sind seit ihrer Einführung 2003 immer mehr zu einer Falle geworden, aus der mann und frau allermeist nicht mehr rauskommt. Die versprochene Brückenfunktion hinein in ein reguläres Arbeitsverhältnis gibt es nicht.[2]

Die in der neuen Koalition führende SPD hat schließlich nicht nur unter ihrem Kanzler Schröder ab 2000 den „größten Niedriglohnsektor Europas“ implantiert, sondern hat seit 2005 unter Merkel mit ihren SPD-Arbeitsministern Franz Müntefering, Olaf Scholz, Hubertus Heil und auch mit ihren Arbeitsministerinnen Andrea Nahles und Katarina Barley die Zahl der Minijobs ständig erweitert und Millionen Frauen in die Falle geführt. Jetzt soll das unter Führung des Ex-Arbeitsministers Scholz plötzlich anders werden, angetrieben von den neu-alten Besserverdiener-Parteien Grüne und FDP?

Die Arbeitsarmut ist soweit gediehen, dass gegenwärtig 8,6 Millionen Beschäftigte weniger als 12 Euro pro Stunde verdienen, dazu zählen auch viele Minijobber[3], für die die für Anfang 2023 versprochene Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf 12 Euro hochwillkommen sein wird. Doch das ist nur ein Almosen: Für den 1.7.2022 ist die Erhöhung des Mindestlohns von jetzt 9,60 Euro auf 10,45 Euro schon beschlossen. Da käme unter der Führung des Ex-Arbeitsministers und nunmehrigen Bundeskanzlers Scholz nicht mehr viel drauf. Millionenfache Freude über Almosen!

Und wenn wir die in die Corona- und Umwelt-Politik eingepreiste Inflation nicht nur bei Strom und Gas mal einbeziehen, dann sind 12 Euro Mindestlohn ein kümmerliches Almosen, ein erneut fortgesetzter Armutslohn mit nachfolgender Armutsrente, selbst bei einer Vollzeitstelle – davon abgesehen, dass die meisten Betroffenen gar keine Vollzeitstelle haben.

Neben der Minijob-Falle noch die Privatrenten-Falle

Schnell wie bei der größeren „Attraktivität“ der Minijobs haben sich SPD, Grüne und FDP auch auf den Einstieg in die private Aktien-Rente geeinigt. Die Lobbyisten von BlackRock&Co lassen grüßen. Der langjährig oberste deutsche BlackRock-Lobbyist Friedrich Merz braucht mit seiner ollen CDU und seinem CDU-Wirtschaftsrat gar nichts dazutun.

So sollen die zukünftigen Rentner mit der Steigerung der Aktienwerte mitbibbern, also auf die möglichst schnellen und hohen Gewinne für die Aktionäre hoffen – während die Aktienwerte und Gewinne dann am besten steigen, wenn es möglichst viele Minijobs und andere prekäre Arbeitsverhältnisse gibt.

Neben der Minijob-Falle also noch die Privatrenten-Falle.

Neu Besinnen

Die Etablierung dieses noch „attraktiveren“ Arbeitsarmuts- und Rentenmarktes zugunsten von Besserverdiener-Haushalten, Altenheimbetreibern, Wohnungskonzernen bis hin zu Amazon zu verhindern, gegen die modernisierten Neoliberalen, gegen die verjüngten Konservativen mit dem grinsenden Friedrich Merz im Hintergrund – das scheint gegenwärtig unmöglich.

Aber wir müssen anfangen. Nicht nur die abgehalfterten Alt-„Konservativen“ mit den Missbrauchs-Kirchen im Schlepptau – Missbrauch des Christentums auch durch zwei Jahrzehnte Vor-Ort-Absegnung des Kriegseinsatzes in Afghanistan[4] – wollen sich in der Opposition neu besinnen, sortieren, aufstellen.

Wieviel mehr müssen das diejenigen in ihrer Weise tun, die die Menschenrechte gerade im reich-armen Deutschland auch im Bereich der Arbeit, der Wirtschaft, des Wohnens, der Gesundheit, des Wissens, der Bildung und der Kultur stärken (wollen)!

Titelbild: Pressmaster / Shutterstock


[«1] Werner Rügemer: Arbeits-Armut, Renten-Armut. Eine Bilanz der Ära Merkel, nachdenkseiten.de, Teil I: 12.7.2021, Teil II: 15.7.2021

[«2] Ulrich Walwei/IAB-Forum: Geringfügige Beschäftigung – Ausweiten oder Abschaffen? Stellungnahme zur Anhörung im Bundestag 22.2.2021; siehe auch: Raus aus der Minijob-Falle! IAB-Forum 8.2.2018

[«3] Rund 8,6 Millionen Beschäftigte verdienen aktuell weniger als 12 Euro in der Stunde, WSI/Hans-Böckler-Institut 29.10.2021

[«4] Militärpfarrer zieht Bilanz nach Afghanistan-Einsatz, evangelisch.de 5.7.2021