Am Donnerstag fand am Londoner Royal Court of Justice der zweite Teil der zweitägigen Berufungsverhandlung im Auslieferungsverfahren der US-Regierung gegen Julian Assange statt. Hier der Bericht der NachDenkSeiten über die Vorgänge am ersten Tag. Am Donnerstag legte die Verteidigung dar, warum das im Januar gefällte Urteil der Bezirksrichterin, nach dem Assange nicht an die USA ausgeliefert wird, Bestand haben sollte. Dabei waren die Enthüllungen über Entführungs- und Mordpläne der CIA ein zentraler Punkt und wie angesichts dessen die Zusicherungen der US-Regierung bezüglich Assanges möglichen Haftbedingungen zu bewerten seien. Außerdem wurde wieder Assanges mentale Gesundheit erörtert. Von Moritz Müller.
Wie am Vortag war Julian Assange auch am zweiten Tag der Anhörung nicht persönlich anwesend. Seine Verlobte und Rechtsanwältin gibt an, dass das Gericht seine Anwesenheit als „nicht juristisch notwendig“ bezeichnet hat. Er selbst zog es dann vor, nicht aus der Distanz und per Video von seinem Zustand und etwaigen Haftbedingungen hören zu müssen.
Der Zugang für die Öffentlichkeit war am zweiten Tag um Einiges einfacher und es wurden mehr Bürger auf die Besuchergalerie gelassen. Außerdem war die Benutzung des Smartphones erlaubt, bis die Richter kurz die Köpfe zusammensteckten und es dann untersagten. Insgesamt offenbart sich hier im Kleinen die Unberechenbarkeit bzw. Willkür der „Autoritäten“. In einer richtigen Demokratie sollte es Rechtssicherheit und Standards geben, und nicht einfach nach Gusto entschieden werden.
Obwohl mittlerweile eigentlich klar ist, dass die Behandlung von Assange nicht zufällig ist, sondern eine gezielte Verfolgung darstellt. Hierzu der UN-Sonderbeauftragte Nils Melzer in seinem Buch „Der Fall Assange“:
„Denn wenn die Grundrechte einer Person über einen Zeitraum von zehn Jahren in allen Verfahren aller involvierten Behörden in jedem Stadium systematisch verletzt werden, wenn jedes dagegen ergriffene Rechtsmittel jedes Mal versagt, und wenn die übergeordneten Behörden trotz zahlreicher Hinweise und Beschwerden in keinem Fall korrigierend eingreifen, dann kann beim besten Willen nicht mehr von normalen Unregelmäßigkeiten ausgegangen werden, wie sie auch in funktionierenden Rechtsstaaten hin und wieder vorkommen können.“
Den Vormittag verbrachte Verteidiger Edward Fitzgerald damit, zu erläutern, warum die Gutachten, die Assanges Gesundheitszustand als fragil und suizidal bezeichnen, gültig sind und warum die Richterin diesen mehr Gewicht beimaß als den von der Anklage bestellten Gutachtern, die allerdings auch teilweise denen der Verteidigung zustimmten.
Eine wichtige Feststellung Fitzgeralds war, dass die Verteidigung ihre Gutachter von der Anklage ins Kreuzverhör nehmen ließ, während die Anklage selber nur schriftliche Gutachten einreichte, die von der Verteidigung nicht derart inspiziert werden konnten. Ich frage mich, ob die USA sich ihrer Sache so sicher sind, dass sie sich vor Gericht keine wirkliche Mühe geben, oder ob der Anklage einfach die Argumente ausgegangen sind.
Der Beobachter Kevin Gosztola hatte am Donnerstagnachmittag auch den Eindruck, als habe Chefankläger Lewis nichts Neues mehr zu sagen, und trotzdem räumten ihm die Richter 5 Minuten Extrazeit für sein Schlussplädoyer ein.
Vorangegangen war diesem eine Einschätzung der Zusagen der USA bezüglich möglicher Haftbedingungen für Assange. Verteidiger Mark Summers bemerkte, dass dies das erste Mal sei, dass ein Staat, in dem Mord- und Entführungspläne gegen eine Person geschmiedet wurden, danach offiziell die Auslieferung dieser Person in diesen Staat fordere.
Die CIA sei auch eine der Behörden, die Einfluss auf die Haftbedingungen von Gefangenen in den USA haben, und somit seien die diesbezüglichen Zusicherungen der USA mit großer Vorsicht zu genießen. Assange werde von der CIA als einer ihrer Hauptgegner angesehen. Außerdem wies Summers darauf hin, dass im unwahrscheinlichen Falle eines Freispruchs in den USA auch noch eine Zivilklage gegen Assange eröffnet werden könne.
Insgesamt erscheint einem dabei nicht das rosige Bild, welches die Anklage am Mittwoch versucht hatte, von den Haftbedingungen in den USA zu zeichnen.
Die Verteidigung kündigte auch an, die Zusagen der USA vor Gericht testen zu wollen und dass eine Gegenberufung (Cross Appeal) geplant sei, in der die von der Richterin in der ersten Instanz akzeptierten Auslieferungsgründe angefochten würden. Dabei würde es dann auch wieder um Fragen der Presse- und Meinungsfreiheit gehen.
Genauere Infos zum zweiten Verhandlungstag finden sich hier bei Dustin Hoffmann und in diesem englischsprachigen Artikel von Mohamed Elmaazi und Kevin Gosztola.
Außerdem ist hier noch ein weiterer sehr informativer Thread. Oder hier: Bridges for Media Freedom.
Am Donnerstag hatten sich auch der Künstler Ai Weiwei und der ehemalige Labour-Parteivorsitzende Jeremy Corbyn bei den hunderten Unterstützern von Julian Assange eingereiht. Es ist schade, dass Corbyn in seiner Zeit als Oppositionsführer nur ein einziges Mal, kurz nach Assanges Entfernung aus der ecuadorianischen Botschaft, öffentlich die Stimme für ihn erhoben hat und das Thema im Wahlkampf Ende 2019 auch überhaupt nicht angesprochen hat.
Der Lord Chief Justice sagt zum Abschluss der Verhandlung, dass die beiden Seiten ihm viel zum Nachdenken gegeben hätten und dass es einige Zeit brauchen wird, um zu einer Entscheidung zu kommen. Julian Assanges Verlobte sprach nach der Verhandlung von einem Zeitraum von mehreren Wochen.
Es ist die Frage, ob man gespannt sein darf, denn man sollte nicht vergessen, dass es das Vereinigte Königreich ist, welches für die derzeitigen unmenschlichen Haftbedingungen des Untersuchungshäftlings Assange verantwortlich ist.
Es war der britische Supreme Court, der Assange 2012 an Schweden ausliefern wollte, ohne dass ein richterlicher Haftbefehl aus Schweden vorlag. Im Fall Assange lag nur die Anfrage eines Staatsanwaltes vor. Dies führte sogar zu einer entsprechenden Gesetzesänderung, die bei Assange aber rückwirkend keine Anwendung fand.
Es war der Crown Prosecution Service, der die schwedischen Kollegen mehrmals dazu aufforderte, die dortigen Voruntersuchungen nicht einzustellen.
Die britischen Behörden investierten 16 Mio. Pfund Sterling in die Bewachung des „potentiellen Sexualstraftäters“ Assange in der ecuadorianischen Botschaft. Diese Anschuldigungen entpuppten sich später als haltlos.
Es war ein Londoner Gericht, welches Assange quasi zur Höchststrafe, nämlich 50 von 52 Wochen, für Kautionsvergehen verurteilte.
Es war der britische Innenminister Sajid Javid, der im Juni 2019 die Einleitung des Auslieferungsverfahrens gegen Assange erlaubte, anstatt es als politisch motiviert abzulehnen.
Es war die Londoner Bezirksrichterin Baraitser, die seine Auslieferung in die USA wegen möglicher unmenschlicher Haftbedingungen am 4. Januar ablehnte, ihn aber zwei Tage später auch nicht auf Kaution freiließ und ihn seitdem weiterhin im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh unter ähnlichen Bedingungen einsitzen lässt.
Wenn dies nicht nur für Assange so ernsthafte Folgen hätte, könnte man diese Tatsachen, gepaart mit der Selbstdarstellung des Vereinigten Königreichs als Hort der Pressefreiheit, als lustige Realsatire bezeichnen.
Leider stehen mit dem Fall Assange aber auch Presse- und Meinungsfreiheit weltweit auf dem Spiel. Die Bundesregierung schweigt zu alledem, und so ist es an uns, wenigstens etwas Lärm zu machen und Widerstand zu leisten.
Am 6. November gibt es in Hamburg eine große Demonstration „Alle für Assange“, Teil einer bundesweiten Aktion, koordiniert u.a. von FreeAssange.EU.
Ob demonstrieren in der heutigen Zeit etwas bringt, steht wiederum auf einem anderen Blatt, aber man trifft wenigstens Gleichgesinnte, mit denen man über weitere Schritte des zivilen Ungehorsams diskutieren kann.