Corona: Ist die „Zustimmung der Mehrheit“ ein gutes Argument?

Corona: Ist die „Zustimmung der Mehrheit“ ein gutes Argument?

Corona: Ist die „Zustimmung der Mehrheit“ ein gutes Argument?

Tobias Riegel
Ein Artikel von: Tobias Riegel

Die bloße Berufung auf eine „Mehrheit“, die hinter den eigenen Anliegen stehen würde, ist nicht immer ein gutes Argument: Oft genug wurde in der Geschichte eine angebliche oder tatsächliche Mehrheit entweder verdammt oder heilig gesprochen – je nach Gusto und Medienmacht. Und wie relevant sind emotionale Umfrageergebnisse nach Virus-Panik-Kampagnen? Dazu kommt die Unsicherheit über die seriöse Herstellung der jeweiligen Umfragen. Der Gipfel ist, eine durch Zwang erhöhte Impfquote indirekt zu einer Zustimmung zu ebendiesem Zwang zu erklären. Von Tobias Riegel.

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Gerade wird beraten, wie man die epidemische Lage einerseits „auslaufen“ lassen könnte, die Grundrechtseinschränkungen, die Überwachungs- und Passierschein-Praktiken aber beibehalten kann – auch ohne offiziellen Ausnahmezustand. Das wäre dann die erste Stufe der Verstetigung von „befristeten“ Eingriffen.

Zur Verteidigung dieser politisch fragwürdigen Praxis wird von Verantwortlichen für die Corona-Panik und -Politik auch darauf verwiesen, dass schließlich eine große Mehrheit der Bürger (laut Umfragen) den offiziellen Corona-Kurs begrüßen würde oder gar noch härtere Maßnahmen fordern würde.

Nach der Meinungsmache sind die Umfrageergebnisse kein Wunder

Dieses Argument kann aus drei Gründen schwach sein. Zum einen gab es nicht nur historische Situationen, in denen große Bevölkerungsmehrheiten auf der „richtigen“ Seite standen, sondern auch solche, bei denen sie sich zu schrecklichen Handlungen verleiten ließen. Zum anderen wurden die Bürger in den letzten 19 Monaten manipuliert, medial vergiftet und gezielt auf ihre Angst degradiert. Nach der beispiellosen Propagandawelle der letzten anderthalb Jahre sind die entsprechenden Umfrageergebnisse eigentlich keine Überraschung – selbst wenn die Umfragen seriös erstellt sein sollten. Und das führt zum dritten Punkt: Es gibt begründeten Verdacht zu Manipulationen mit verzerrten Umfrage-Ergebnissen. Beispiele folgen im Text.

Der Bezug auf den angeblichen „Mehrheitswillen“ kann außerdem schnell zur Heuchelei werden: Schließlich geht es sonst in Deutschland auch oft nicht nach einem in Umfragen eindeutig festgestellten Mehrheitswillen, etwa bei den Themen Kriege und Soziales. Und hält man den oppositionellen Minderheiten in Russland auch den Mehrheitswillen als Argument entgegen? Wird der oppositionellen Minderheit in Venezuela oder der Ukraine in manchen westlichen Medien nicht sogar das Recht zum gewaltsamen Umsturz zugesprochen?

Auch die „überwältigenden Mehrheiten“ innerhalb bestimmter Berufsstände waren sich in der Geschichte schon schrecklich einig – und erst viel zu spät hat sich herausgestellt, dass sich aus dieser Mehrheit im Meinungskampf keine inhaltlich-moralische Berechtigung ableiten ließ.

Und wurde uns nicht eingeimpft, dass es eine Auszeichnung ist, wenn man seine Stimme erhebt, auch und gerade gegen den dominanten Zeitgeist? Gibt es Beispiele, bei denen die Mehrheit der Bevölkerung auf der richtigen Seite der Geschichte gestanden hätte? Ja: Die Wahlsiege von Willy Brandt oder Salvador Allende wären für mich solche Beispiele. Zu nennen wäre unter anderem auch die regelmäßige Ablehnung von Kriegseinsätzen durch einen großen Teil der Deutschen. Aber das ist selbstverständlich keine generelle Aussage – allein die deutsche Geschichte ist auch voller Beispiele der massenhaften politischen Fehlleitung.

Der Charakter der Masse wird zudem selektiv betrachtet: Wenn es passt (wie jetzt), dann werden ihre „gesunden Instinkte“ gelobt. Wenn es nicht passt (etwa bei Kriegen oder sozialen Fragen), dann wird die Meinung der Masse schnell diffamiert: als realitätsfern, hinterwäldlerisch, in letzter Zeit oft einfach als „rechts“.

Das Gelingen eines Schachzugs rechtfertigt nicht den Schachzug

Eine angebliche oder tatsächliche Mehrheit wurde also schon oft entweder verdammt oder heiliggesprochen – je nach Gusto und Medienmacht. Zusätzlich gab es neben positiven Beispielen historische Situationen, in denen die Mehrheit schrecklichen Ideologien gefolgt ist. Dazu kommt die Unsicherheit über die seriöse Herstellung der jeweiligen Umfragen. All diese Widersprüchlichkeiten können eine bloße und unreflektierte Berufung auf eine „Mehrheit“, die hinter den eigenen Anliegen stehen würde, je nach Situation auch zu einem fragwürdigen Argument machen.

Das Gelingen des taktischen Schachzugs, die Bürger langsam an einen verfassungswidrigen Zustand zu gewöhnen und über eine Angst-Kampagne ihre „Zustimmung“ dazu herzustellen, bedeutet noch lange nicht die moralisch-inhaltliche Berechtigung des Schachzugs selber. Das gilt umso mehr, je intensiver die extreme Gefährlichkeit und besondere Einzigartigkeit des (real existierenden) Corona-Virus in seriöse Zweifel gerät.

Die hier genannten Widersprüche machen auch die Debatte um direkte Demokratie kompliziert. Diese Fragen sind immer auch von anderen Faktoren abhängig – etwa der Verteilung der Medienmacht. Und gerade die Medien spielen eine höchst problematische Rolle, nun auch bei der Frage der „Zustimmung“ zur Corona-Politik.

Reaktion auf Schikane = „Zustimmung“

So hat die „Tagesschau“ bereits vor einigen Tagen zwei aktuell verbreitete Behauptungen zumindest indirekt gestützt: die, dass eine festgestellte mehrheitliche Zustimmung automatisch politische Schritte rechtfertigen würde – und die, dass diese Mehrheit freiwillig zustande gekommen sei. Anja Miller kommentiert Maßnahmen zum Impfzwang in Italien:

„Italien erhöht noch einmal den Impfdruck. Aber die meisten Menschen stehen hinter dieser Strategie: 85 Prozent sind einmal geimpft.“

Was sagt denn eine „Zustimmung“ angesichts von sonst drohendem Jobverlust und sozialer Ausgrenzung aus? Und selbst wenn diese Zustimmung ohne Zwang und Angst-Kampagnen entstanden wäre, so müsste man dennoch hinschauen, ob die Corona-Überwachungs-Maßnahmen und 2G/3G-Spaltungen nicht trotz dieser Zustimmung schleunigst abgeschafft werden müssen, weil sie grundfalsch sind und auch durch eine „Zustimmung“ nicht geadelt werden können.

Die „schweigende Mehrheit“ wird plötzlich umarmt

Die „Zeit“ kommt unter dem Titel „Die Tugend des Stillhaltens“ zu dem Ergebnis, dass die „schweigende Mehrheit angesichts der Corona-Proteste nicht Hort reaktionärer Gesinnung, sondern Stabilisator der Republik“ sei. Die Zeitung zitiert aber auch „mehrheits-kritische“ Denker wie Jean Baudrillard und stellt fest, dass es zwar gute Gründe gebe, der schweigenden Mehrheit zu misstrauen:

Erst recht, wenn man ihre semantische Schwester in den Blick nimmt. Deren Name lautet Masse. Und diese hat sich im 20. Jahrhundert weniger durch Vernunft denn durch wahnhafte Verführbarkeit hervorgetan.

Doch bei Corona sei selbstverständlich alles anders – schließlich haben wir Pandemie:

Die sich – und das ist der entscheidende Punkt – all dem wohl nicht nur in dumpfer Affirmation unterwerfen, sondern in der geteilten Einsicht, diejenigen zu schützen, die eine Infektion mit Covid-19 nicht wie einen kleinen Schnupfen wegstecken. Wie es die Schwarmintelligenz gibt, scheint es auch eine Schwarmvernunft zu geben und den Herdentrieb in humaner Form.

Meinungsumfragen und Meinungsmanipulation

Mehrheiten (angebliche oder reale) werden abseits von Wahlen meist in Umfragen ermittelt – und auch die stehen teils unter Manipulationsverdacht: Wie geschönte Umfragen aktuell in Österreich genutzt wurden, hat Albrecht Müller im Artikel „Österreichs Kurz scheint die Manipulationsmethode Nr. 10 perfektioniert zu haben“ beschrieben. Auf eine möglicherweise „simulierte Übereinstimmung“ im Zusammenhang mit Corona und Umfragen sind wir in diesem Artikel eingegangen. Der Blog docma.info hat unter dem Titel „Sind Meinungsumfragen Meinungsmanipulation?“ einen Erfahrungsbericht zu den „Suggestivfragen und begrenzten Antwortmöglichkeiten“ verfasst. Und der „Spiegel” hat, selbstverständlich vor Corona, in einem Artikel folgendes Urteil über die Seriosität vieler Umfragen gefällt:

“Interne Dokumente verschiedener Marktforschungsunternehmen, die dem SPIEGEL zugespielt wurden, belegen, dass die scheinbar exakte Welt von Statistiken und “repräsentativen” Umfragen mitunter nicht mehr ist als eine sorgsam konstruierte Kulisse.
(…) In der Branche wird zuweilen planmäßig manipuliert. Die meisten Insider ahnen es wohl, viele wissen davon, doch sie bekommen das Problem nicht in den Griff. Und ja, auch große, seriöse Markt- und Sozialforschungsunternehmen sind indirekt betroffen.“

Aber selbst wenn die Corona-Umfrage-Ergebnisse korrekt sind und sie nicht auf manipulierenden Suggestivfragen beruhen: Eine impulsive Bürger-Reaktion auf massive Panikmache (und aktuell auf die „offizielle“ Diffamierung nicht geimpfter Bürger) ist meiner Meinung nach noch nicht als überlegte Zustimmung zu werten. Doch die Panikmache wird fortgeführt, auch um sich in der durch sie erzeugten „Zustimmung“ zu sonnen. Stattdessen sollten sich verantwortungsvolle Journalisten und Politiker fragen, wie die Gesellschaft aus der Angst-Psychose, in die sie getrieben wurde, wieder herauskommt. Panikmache ist kein Kavaliersdelikt, sondern ein schweres Vergehen an der Gesellschaft.

Wir alle sind Teil „der Masse“

„Die Masse“ darf nicht pauschal diffamiert werden – wir sind alle ein Teil von ihr. Auch berufen sich progressive Kräfte teils zu Recht auf „die Mehrheit“. Andererseits ist gerade die arrogante Erhebung über Bedürfnisse und Ansichten der „breiten Masse“ ein zentrales Problem von manchen früher „links“ eingeordneten Strömungen. Interessanterweise entdecken zur Stützung des offiziellen Corona-Kurses nun Teile dieser Strömungen eine besondere Zuneigung zu jener angeblichen „schweigenden Mehrheit“, die sie gestern noch als tendenziell „rechts“ verachtet haben. Denn als „rechts“ hat ja jetzt die Minderheit der Kritiker der Corona-Politik zu gelten.

Wird „die Mehrheit“ dadurch, dass sie in der aktuellen Meinungsmache stark als Argument genutzt wird, zum Akteur und auch zum Mitverantwortlichen für einen schlechten Gesellschaftsumbau? Oder hat man das Recht zu gehorchen, wenn die Alten einsam sterben, die Kinder eingesperrt werden, der Reichtum nach oben verteilt wird und eine aufwendige und dauerhafte Infrastruktur zur Überwachung eingeführt werden soll?

Titelbild: Circlephoto / Shutterstock

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