Die designierte Friedensnobelpreisträgerin Maria Ressa wurde im April 2019 danach gefragt, was sie von der eine Woche vorher erfolgten Verhaftung von Julian Assange hält. Sie quittierte die Frage mit einem Schulterzucken und verstieg sich zu der Behauptung, Assange sei gar kein Journalist, was gar nicht gefragt war. Derweil hatte der Vorsitzende des Geheimdienstausschusses im US-Repräsentantenhaus, Adam Schiff, die CIA aufgefordert, sich zu den Entführungs- und Mordplänen bezüglich Julian Assange zu erklären. Der Drohnen-Whistleblower Daniel Hale ist jetzt in einem Hochsicherheitsgefängnis inhaftiert anstatt wie vom Richter angeordnet in einem Bundesklinikum (Federal Medical Center Butner). Dies alles ist der Hintergrund der am nächsten Mittwoch und Donnerstag stattfindenden Berufungsverhandlung im Assange-Auslieferungsverfahren. Ein Überblick von Moritz Müller.
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Auf die Frage nach Julian Assanges Verhaftung hätte es viel zu sagen gegeben für Maria Ressa, einer Journalistin, die jetzt geehrt werden wird, weil sie sich in den Augen des Nobelpreiskomitees mit den Mächtigen anlegt.
Sie hätte darauf hinweisen können, dass der Entzug von Julian Assanges ecuadorianischer Staatsbürgerschaft und seine Ausweisung aus der Botschaft per Präsidentendekret illegal waren.
Sie hätte darauf hinweisen können, dass es gegen die Vorsitzende Richterin, unter der er im Schnellverfahren wegen Kautionsvergehen abgeurteilt wurde, einen Befangenheitsantrag gibt, auf den der Richter nicht einging.
Sie hätte erwähnen müssen, dass die USA Stunden nach der Verhaftung im Vereinigten Königreich einen Auslieferungsantrag stellten, obwohl die Existenz eines Verfahrens von offizieller Seite sieben Jahre lang bestritten wurde.
Stattdessen behauptete Maria Ressa, dass Julian Assange kein Journalist sei und dass Wikileaks Hunderttausende Dokumente en gros ins Internet gestellt habe (wholesale dumping) und dadurch Menschenleben gefährdet habe. Hiermit wiederholte sie einerseits die unbewiesene US-Anklage der Gefährdung und andererseits wurden normalerweise die von Wikileaks veröffentlichten Dokumente vor der Veröffentlichung geprüft und Namen geschwärzt.
Nur im Fall der „Diplomatic Cables“ hatten die beiden Guardian-Journalisten Mike Leigh und Luke Harding das Passwort der in die Cloud hochgeladenen Cables in ihrem Buch über Wikileaks veröffentlicht und „Der Freitag“ machte darauf aufmerksam. Dies führte zur Veröffentlichung der unredigierten Dokumente durch die Webseite „Cryptome“, bevor sie von Wikileaks veröffentlicht wurden.
Die Geschichte ist also um einiges komplizierter, als Maria Ressa es in ihrer beiläufigen Bemerkung glauben machen will, und auch vor 2019 war schon klar, dass es trotz intensiver Suche durch US-Dienste keine Beweise für durch Wikileaks-Veröffentlichungen entstandene Gefahren für Informanten gibt.
Wenn die USA nicht in Afghanistan und im Irak einmarschiert wären, hätte es auch keine große Zahl von Informanten gebraucht, von den hunderttausenden zivilen Opfern dieser durch den Westen angezettelten Kriege ganz zu schweigen. Dass Ressa nichts über Leighs und Hardings Rolle weiß oder wissen will, ist bezeichnend.
Stattdessen zuckt sie im Interview weiter mit den Schultern und bezeichnet die Möglichkeit der Veröffentlichung von Dokumenten als ein Problem des Internets und dass es neuer Regeln bedürfe. Das klingt wie ein Ruf nach Zensur – aus dem Munde der späteren Nobelpreis-Journalistin. Man bekommt den Eindruck, dass Frau Ressa sehr gut in die westliche Propagandamaschinerie integriert ist.
Es wäre interessant zu wissen, was sie zum Fall Assange jetzt sagt, nachdem dieser seit nunmehr 2½ Jahren im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh durch Isolationshaft und vollkommene Hilflosigkeit gefoltert wird.
Vielleicht wäre die Nobelpreisverleihung im Dezember eine Gelegenheit für genauere Fragen an die Adresse von Frau Ressa.
Geheimdienstausschuss im US-Repräsentantenhaus
Der Vorsitzende des Geheimdienstausschusses im Repräsentantenhaus, Adam Schiff, hat die CIA zu einer Stellungnahme aufgefordert, nachdem Yahoo!News Ende September von Plänen der CIA zur Entführung und Ermordung von Julian Assange berichtet hatte. Auch die NachDenkSeiten hatten hierzu geschrieben.
Bis jetzt will sich auch der Ausschuss selbst nicht äußern, ob die CIA auf die Fragen reagiert hat. Dies alles, inklusive der damit einhergehenden Intransparenz, sollten die Richter des Londoner High Courts am nächsten Mittwoch und Donnerstag berücksichtigen, wenn sie die Auslieferung Assanges verhandeln.
Die US-Seite war in Berufung gegangen, nachdem die Bezirksrichterin Vanessa Baraitser die Auslieferung von Julian Assange im Januar abgelehnt hatte. Sie begründete dies mit Suizidgefahr und den Bedingungen in US-Hochsicherheitsgefängnissen, obwohl sie zwei Tage später einen Kautionsantrag von Assanges Anwälten ablehnte und ihn ins „britische Guantanamo“ Belmarsh zurückschickte.
Die USA haben angeblich Zusicherungen abgegeben, dass Assange in den USA nicht in Einzelhaft unter SAMS (speziellen administrativen Maßnahmen) festgehalten würde.
Daniel Hale im Hochsicherheitsgefängnis
Was von diesen „assurances“ zu halten ist, lässt sich am Fall von Daniel Hale leider gut beobachten. Hale hatte Informationen über zivile Opfer von US-Drohnenangriffen weitergegeben und war daraufhin zu 45 Monaten in einer Gefängnisklinik verurteilt worden.
Die Gefängnisaufsicht ignorierte diese Empfehlung und schickte den gewaltlosen und mit Drogenproblemen kämpfenden Hale in eine „Kommunikationsmanagementabteilung“ (Communication Management Unit CMU) des Marion-Hochsicherheitsgefängnisses, die eigentlich dazu dient, Terroristen und gefährliche Verbrecher von der Kommunikation mit der Außenwelt abzuschirmen.
Hierzu der Whistleblower John Kiriakou:
„Wie sieht der Tag von Daniel Hale aus? Er ist allein in einer zwei mal drei Meter großen Zelle aus Beton und Stahl. Sie hat eine Stahlkoje, eine hauchdünne Matratze, ein kleines Stahlwaschbecken und eine Stahltoilette. An den Tagen, an denen er Hofgang hat, was zwei- oder dreimal pro Woche der Fall ist, wird er in einen sechs mal zehn Fuß großen Außenkäfig geführt, wo er eine Stunde lang im Kreis laufen kann.“
„Er darf zweimal pro Woche duschen und einmal pro Monat telefonieren, allerdings nur mit seinem Anwalt. Besucher werden sorgfältig überprüft (der NSA-Whistleblower Tom Drake und ich zum Beispiel dürfen ihn nicht besuchen, weil wir strafrechtlich verurteilt sind, weil wir das Abhören ohne richterliche Anordnung bzw. die CIA-Folter aufgedeckt haben).“
„Selbst dann werden die wenigen Besucher, die ihn besuchen dürfen, ihn nur durch Panzerglas sehen und über eine Gegensprechanlage mit ihm sprechen können. Wenn Hale einen Brief erhält, wird dieser gescannt und auf einen an der Decke seiner Zelle angebrachten Bildschirm übertragen, wo er fünf Minuten lang verbleibt, während er ihn liest. Nach Ablauf der fünf Minuten verschwindet er für immer.“
Diese Zustände erscheinen kafkaesk und dass unsere Regierungen hierzu schweigen bzw. die britische Justiz ernsthaft daran denkt, einen Menschen dorthin auszuliefern, ist für mich unerklärlich. Wie können Frau Merkel, Herr Steinmeier oder Herr Habeck da ruhig schlafen?
Robert Habeck hatte im Februar sehr gewunden bei „Jung und Naiv“ behauptet, sich für die Freilassung von Assange einsetzen zu wollen. Entweder geht er bei seinem „Einsatz“ sehr subtil und im Geheimen vor, denn die Suche nach „Habeck Assange“ im Internet fördert seit besagtem Auftritt im Februar nichts Neues zutage, oder er hat nichts unternommen.
Für diejenigen unter uns, die nicht den Einfluss der oben genannten Personen haben, ist die Teilnahme an den zahlreichen Mahnwachen eine Möglichkeit, etwas für die (Presse-)Freiheit zu tun und Gleichgesinnte zu treffen. Im Vorfeld der Londoner Verhandlung finden verstärkt Mahnwachen und Online-Veranstaltungen statt.
Titelbild: JessicaGirvan/shutterstock.com