Die Entscheidung des Nobel-Komitees zur Verleihung des Friedensnobelpreises an den russischen Journalisten Muratow zeigt das Elend unserer Zeit. Sie dient dem Aufbau des Feindbildes Russland und der Beschönigung der Lage im Westen. Der Feindbildaufbau fördert die weitere Konfrontation und letztendlich die Gefahr einer schlimmen militärischen Auseinandersetzung. Damit unterscheidet sich diese Preisverleihung deutlich von jener an Willy Brandt am 10. Dezember 1971. – Mit Recht ist die Auszeichnung des russischen Journalisten ein Signal gegen den Mangel an Pressefreiheit in Russland. Damit wird aber zugleich die Lage im Westen beschönigt – sozusagen in voller Anwendung des Wippschaukeleffektes, dieser professionell angewandten Methode der Manipulation. Albrecht Müller.
Wie steht es denn um die Pressefreiheit in Deutschland, in Frankreich, in den USA?
Wie steht es denn um die Freiheit von Assange und Snowden? Assange hat mit Wikileaks wesentlich dazu beigetragen, dass wir über die kriegstreibenden Aktivitäten unserer Regierungen mehr wissen. „WikiLeaks enthüllte laut Nils Melzer (UN-Sonderberichterstatter über Folter) u. a. „mutmaßliche Kriegsverbrechen und Korruption“. So schreibt sogar Wikipedia. Deshalb wird er weggesperrt. Stattdessen hätte er mindestens genauso den Friedensnobelpreis verdient wie sein russischer Kollege. Hätte das Nobel-Komitee sich zur Preisverleihung an Assange entschlossen, dann wäre das vermutlich sogar ein lebensrettendes Signal gewesen. Und eine Hilfe zur richtigen Darstellung der Verhältnisse im Westen sowieso.
Die westlichen Medien sind hochkonzentriert in wenigen Händen der Superreichen. Sie haben sich – übrigens einschließlich der öffentlich-rechtlichen Sender – an die herrschende Linie der Politik angepasst und – mit wenigen Ausnahmen – jeglichen kritischen Biss eingebüßt. Formal sind sie frei, formal gibt es die Pressefreiheit. Tatsächlich nicht.
Wie wenig der Westen seine Sonntagsreden zu Freiheit und Pressefreiheit ernst nimmt, kann man im Übrigen auch daran sehen, dass kritische Medien verfolgt und ihre Produkte gelöscht werden. Darüber haben die NachDenkSeiten in den letzten Tagen des Öfteren berichtet.
Versöhnung ist angesagt und nicht die neue Konfrontation
Um besser zu verstehen, wie sehr sich unsere Welt zum Schlechteren verändert hat, lohnt der Rückblick auf die Nobelpreisverleihung an Willy Brandt.
In der Begründung des Nobel-Komitees heißt es:
“Bundeskanzler Willy Brandt hat als Chef der westdeutschen Regierung und im Namen des deutschen Volkes die Hand zu einer Versöhnungspolitik zwischen alten Feindländern ausgestreckt. Er hat im Geiste des guten Willens einen hervorragenden Einsatz geleistet, um Voraussetzungen für den Frieden in Europa zu schaffen.”
Willy Brandt bekommt den Friedensnobelpreis am 10. Dezember 1971 in Oslo verliehen. Er antwortet in seiner Dankesrede:
“Die Ehre der Preisverleihung kann gewiss nur als eine Ermutigung meines politischen Strebens verstanden werden, nicht als ein abschließendes Urteil (…), und ich darf hinzufügen, wie viel es mir bedeutet, dass auf meine Arbeit im Namen des deutschen Volkes´ abgehoben wurde. Dass es mir also vergönnt war, nach den unauslöschlichen Schrecken der Vergangenheit den Namen meines Landes und den Willen zum Frieden in Übereinstimmung gebracht zu sehen.”
Am 11. Dezember 1971 hält Brandt dann die eigentliche Dankesrede in der Osloer Universität. Thema: Friedenspolitik in unserer Zeit. Kernsätze dieser Rede lauten:
„Der Krieg darf kein Mittel der Politik sein. Es geht darum, Kriege abzuschaffen, nicht nur, sie zu begrenzen. Kein nationales Interesse läßt sich heute noch von der Gesamtverantwortung für den Frieden trennen. Jede Außenpolitik muß dieser Einsicht dienen. Als Mittel einer europäischen und weltweiten Sicherheitspolitik hat sie Spannungen abzubauen und die Kommunikation über die Grenzen hinweg zu fördern.
…
Friedenspolitik ist eine nüchterne Arbeit. Auch ich versuche, mit den Mitteln, die mir zu Gebote stehen, der Vernunft in meinem Lande und in der Welt voranzuhelfen: Jener Vernunft, die uns den Frieden befiehlt, weil der Unfriede ein anderes Wort für die extreme Unvernunft geworden ist. Krieg ist nicht mehr die ultima ratio, sondern die ultima irratio. Auch wenn das noch nicht allgemeine Einsicht ist: Ich begreife eine Politik für den Frieden als wahre Realpolitik dieser Epoche. …
Quelle: www.willy-brandt-biografie.de
Inzwischen sind Kriege wieder Mittel der Politik geworden. Und selbst nach der offenbar gewordenen Katastrophe dieser militärisch orientierten Politik in Afghanistan meinen westliche Politikerinnen und Politiker weiter, Militär, Aufrüstung und militärische Einsätze seien ein wesentlicher Bestandteil der Politik.
Die Verleihung des diesjährigen Friedensnobelpreises hätte ein Signal dafür sein können, zu begreifen und weiterzuverbreiten, dass wir Kriege vermeiden müssen, dass wir Vertrauen aufbauen müssen, statt Misstrauen zu säen. Die Verleihung des Friedensnobelpreises an den russischen Journalisten ist nett gedacht. Sie ist keine Hilfe bei der notwendigen Verständigung zwischen Europa und Russland.