Hymnen auf den Zuwachs der Importe … Und Schweigen zu den wachsenden Leistungsbilanzüberschüssen

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Das Handelsblatt brachte am 8. Dezember die Meldung “Deutsche Importe brechen alle Rekorde”. Die Meldung soll bestätigen, dass wir nichts tun müssen, um die Leistungsbilanzen wieder ausgeglichener werden zu lassen. Ein guter Kandidat für die Manipulation des Monats. Albrecht Müller

Das Handelsblatt zitiert den DIHK-Chefvolkswirt Volker Treier: “Die Daten belegen: Wir sorgen über höhere Investitionen und einen stärkeren privaten Konsum für Impulse in den anderen europäischen Ländern” und “Wir sind die Konjunkturlokomotive Europas.” Damit trage Deutschland seinen Teil zur Lösung der Schuldenkrise bei. “Wir stabilisieren die Wirtschaft in den Euro-Ländern”.
Ob die deutsche Volkswirtschaft mit den Importen in den anderen Ländern insgesamt für Impulse sorgt, das kann man aus der Entwicklung der Importe allein nicht ableiten. Dazu muss man wissen, wie sich der Saldo der Leistungsbilanz und der Handelsbilanz weiterentwickelt hat. Die Meldung des Handelsblattes verschweigt wichtige Zahlen:

Der deutsche Leistungssbilanzüberschuss ist bis September 2010 von 86,5 Mrd. (im Vorjahr) auf 91 Mrd. in diesem Jahr gestiegen. Der Handelsbilanzüberschuss hat bis Oktober von 107 Mrd. im Vorjahr auf 125 Mrd. zugelegt. Im September und Oktober war die Zunahme sogar besonders groß.

Anmerkungen zum feststellbaren Niedergang des Wirtschaftsjournalismus:

Der Beitrag des Handelsblatts ist symptomatisch für den Niedergang des Wirtschaftsjournalismus. Ich muss dazu (noch einmal) eine kleine Geschichte erzählen, die das gleiche Problem, nämlich den Leistungsbilanzüberschuss Deutschlands zum Gegenstand hat:
Im Jahre 1968 begann in Deutschland eine länger andauernde Diskussion über die Leistungsbilanzüberschüsse und die damit verbundene Überbewertung der D-Mark im Vergleich zum Dollar. Die Währungsrelation war staatlicherseits festgelegt. Im Jahr 1968 und 69 gab es einen gewaltigen Spekulationsdruck, die D-Mark aufzuwerten. Professor Dr. Karl Schiller, damals Bundeswirtschaftsminister (SPD) und zuständig für die Währungspolitik, war schon im Sommer 1968 für die Aufwertung, sein Kollege Finanzminister Franz Josef Strauß war aus vielerlei Gründen dagegen, unter anderem zur Stützung der Flugzeug- und Rüstungsindustrie in Bayern. Im November 1968 verständigte man sich auf einen Kompromiss, die Erschwerung der Exporte durch eine Abgabe und die Erleichterung der Importe durch einen vier-prozentigen Abschlag bei der Mehrwertsteuer. (Siehe Anlage)

Dieser Kompromiss hielt aber nicht lange. Die Spekulation auf die Aufwertung der D-Mark ging weiter. Deshalb holte der Bundeswirtschaftsminister Mitte März 1969 sein Küchenkabinett zusammen. Als Redenschreiber gehörte ich zu diesem Kreis. Mit dazu gehörte auch sein Grundsatzreferent Tietmeyer (CDU) und sein Staatssekretär Schöllhorn (CSU). Schiller fragte, ob er dem Bundeskanzler Kiesinger (CDU) die Aufwertung der D-Mark vorschlagen soll und forderte jeden von uns auf, sich dazu persönlich zu äußern. Bei den Parteigängern von CDU und CSU überlagerte ihre politische Rücksichtnahme auf Strauß und Kiesinger den ökonomischen Sachverstand. Sachlich waren wir uns nämlich alle einig, dass eine Aufwertung der DM überfällig wäre. Ich plädierte für diese Aufwertung. Aus sachlichen Gründen und aus politischen Gründen. Denn ich wusste: wenn der Koalitionspartner CDU/CSU dem SPD-Wirtschaftsministers bei dieser sachlich eindeutigen Frage die Gefolgschaft verweigert, dann gewinnt die SPD Ansehen und Wirtschaftskompetenz bis weit ins konservative Lager hinein und wird auch die Wirtschaftsjournalisten konservativer Prägung beeindrucken.

Schiller hat dann am 9. Mai 1969 im Kabinett die Aufwertung offiziell beantragt. Kiesinger und Strauss waren dagegen. Es kam zu keiner Entscheidung und stattdessen zu einer Hängepartie. Wir bereiteten uns darauf vor, dass dieses Thema eines der Hauptthemen im begonnenen Wahlkampf werden würde. Zusammen mit der Agentur der SPD erarbeiteten wir eine ganzseitige Anzeige für die Bild-Zeitung mit der Schlagzeile: “Wir verschenken jeden 13. VW”.

Wie erwartet bekam Schiller im Wahlkampf Unterstützung auch von Wirtschaftsjournalisten konservativer Prägung, aus dem Handelsblatt, aus der FAZ, aus der Welt und konservativen Regionalzeitungen. Es lief wie geplant.
Unter den damaligen Bonner Wirtschaftsjournalisten gab es einen engeren Zirkel mit mehrheitlich konservativen Journalisten, eng angebunden an den BDI und die Arbeitgeberseite. Dazu zählten – neben zwei herausragenden eher linksliberalen Journalisten, nämlich Ricci Kohlmey (Fuchsbriefe) und Rolli Müller (FR und Vater von Mario Müller) – zum Beispiel Kurt Steves (Die Welt), Hans-Henning Zencke ( mit einem Bauchladen konservativer Blätter) und Fritz Ullrich Fack (FAZ). Selbst diese konservativen Journalisten konnten sich auf eine Unterstützung der Position von Kiesinger und Strauss aus fachlichen Gründen nicht einlassen.

Das ist der große Unterschied zu heute. Heute machen wie am eingangs zitierten Beispiel sichtbar die Wirtschaftsjournale jede Kampagne mit. Und sei sie auch noch so dümmlich. Im konkreten Fall ist es absurd, weiterhin auf eine Politik der Leistungsbilanzüberschüsse zu setzen. Das ruiniert jedes Währungssystem.  Es ist auf Dauer nicht zu halten. Und es ist für uns ein schlechtes Geschäft. Das erkennt man sofort, wenn man in realen Größen denkt. Wir verschenken unsere Produktivkräfte zurzeit nach draußen – damals, wie wir beispielhaft berechnet hatten, jeden 13. VW.
Im Jahr 1969 konnte man immerhin noch so sehr auf den Verstand der Wirtschaftsjournalisten und auch auf die Möglichkeit der Überzeugung der Mehrheit unseres Volkes setzen, dass Karl Schiller, die SPD und wir als die konzeptionellen Zuträger mit der Botschaft, wir würden mit Leistungsbilanzüberschüssen weiterhin jeden 13. VW verschenken, an die Öffentlichkeit gingen. Heute undenkbar. Wir haben es mit einer möglichen Zurückentwicklung des ökonomischen Sachverstandes zutun.

Nachtrag: Die vollständig konzipierte und schon beim Verlag von „Bild“ deponierte Anzeige erschien nicht. Jahre später habe ich erfahren, warum nicht. Der frühere Mitarbeiter von Franz-Josef Strauss und spätere Abgeordnete Dr. Erich Riedl (CSU/München) berichtete mir, Franz Josef Strauß habe von der Bild-Zeitung unseren Anzeigenentwurf gesteckt bekommen und habe dann im Kressbronner Kreis, dem damaligen Koalitionskreis, benannt nach einem Ort in Oberschwaben/Bodensee, wo Kanzler Kiesinger gerne tagen ließ, den Stopp dieser Anzeige erreicht. Nicht stoppen konnten CSU und CDU, dass das Thema des Verschenkens von Wohlstand durch Leistungsbilanzüberschüsse und die notwendige Aufwertung eines der großen Wahlkampfthemen für den Bundestagswahlkampf 1969 wurde. Auch Dank der fachlichen Qualität sogar mancher konservativer Wirtschaftsjournalisten. Und im großen Unterschied zu heute.

Anlage:
Auszug aus Spiegel vom 2.12.1968:

Gegen die Stimmen der Freien Demokraten erlegten die Koalitionspartner den Exporteuren bis zum 31. März 1970 vier Prozent Steuer für alle Warenlieferungen über die Grenzen auf. Hingegen sollen die Importeure künftig durch einen vierprozentigen Nachlaß bei der Mehrwertsteuer subventioniert werden. Damit soll der westdeutsche Exportüberschuß von zuletzt 15 Milliarden Mark jährlich vermindert werden.