Gestern gab es Äußerungen, die aufhorchen lassen. Der FDP-Generalsekretär formulierte – siehe hier und hier – Bedingungen, Rote Linien: Keine Steuererhöhungen, kein Antasten der Schuldenbremse. Außerdem blitzte in einer Runde, nach meiner Erinnerung bei einer Talkrunde mit dem stellvertretenden Bild-Chefredakteur, die Erwägung auf, die Grünen könnten in einer Koalition unter CDU-Führung ihr Wähler- und Zustimmungspotenzial in der Regierungszeit besser erweitern als in einer Koalition mit der SPD. Diese Erwägung ist nicht falsch. Der Hase liefe also in Richtung Jamaika. Das wäre dann das, was die NDS zu Anfang ihrer Wahlanalyse vom 27. September formuliert hatten. Albrecht Müller.
Hier das Zitat aus diesen Anmerkungen zur Bundestagswahl/Eine Analyse der Bundestagswahl 2021 und ihrer Ergebnisse (nachdenkseiten.de):
Vorweg der Gesamteindruck von Wahl und Wahlabend:
- Die SPD ist stärkste Partei. Der Vorsprung und Abstand zur CDU/CSU ist nicht so groß, wie in Umfragen vorhergesagt.
- Die Möglichkeit für Rot-Rot-Grün gibt es nicht.
- Es wird wahrscheinlich auf eine sogenannte bürgerliche Koalition hinauslaufen, auf Jamaika. Dafür spricht unter anderem der überraschende Vorschlag des FDP-Vorsitzenden in der Elefantenrunde, zunächst sollten sich FDP und Grüne zusammensetzen und beraten. Der gleiche Vorschlag kam zuvor schon vom Co-Vorsitzenden der Grünen, Habeck. Für das wahrscheinliche und für manche überraschende Zustandekommen dieser Koalition spricht auch die betont neoliberale Einfärbung der FDP durch Lindner und die Neigung von Habeck für die sogenannte Jamaika-Koalition, die es unter seiner Mitwirkung in Schleswig-Holstein schon gibt.
- Wir werden also einen Rechtsruck erleben, obwohl das Wahlergebnis mit verengtem Blick auf das Abschneiden der SPD so aussieht, als sei diese (ehedem) linke Partei in Führung und als sei sie damit auch die gewünschte Kanzler-Partei. Die SPD hat also am Wahlabend zu früh gefeiert.
Das ist ein zugegeben subjektiv empfundenes Fazit.
Das war das am Wahlabend des 26. September formulierte und am 27.9. veröffentlichte Fazit der Wahlanalyse. Damit will ich nicht recht behalten. Noch ist vieles im Fluss. Aber die gestern erfolgte Festlegung des Generalsekretärs der FDP ist schon bemerkenswert. Man kann nämlich daraus schließen, dass sich die FDP gestern festgelegt hat, um sich nicht mehr bewegen zu können.
Wenn dieser „Erfolg“ (= keine Steuererhöhungen, kein Antasten der Schuldenbremse) von der FDP verbucht werden kann, dann kann sie – zusammen mit der Union – den Grünen in Sachen Klima große Zugeständnisse machen, so große, dass die Grünen in dieser politischen Konstellation ihre Hauptziele durchsetzen können und so den Schritt in die Jamaika-Koalition auch gegenüber ihrer Basis rechtfertigen können.
Zusammengefasst: Die FDP hätte ihren Erfolg, die Grünen hätten ihren Erfolg.
Was würde der SPD dann an Verhandlungs- und Drohpotenzial bleiben? Daran, dass sich keine Steuermehrbelastung der Spitzeneinkommen durchsetzen ließ, sind ja nicht die Grünen schuld, so werden diese sagen. Und daran, dass der Mindestlohn nicht auf zwölf Euro erhöht wird, sind dann auch nicht alleine die Grünen schuld. Und die Unterstützung der maßgeblichen Medien werden die mit leeren Taschen dastehenden Brautwerber der SPD für diese Projekte auch nicht bekommen.
Die SPD hat lange vor der Wahl und dann in den Wahlsendungen eifrig ihr Profil ab-geschliffen, sie hat Positionen geräumt und damit Verhandlungsmacht verloren. Ein naheliegendes Beispiel: Hätte die SPD auf Frieden, Entspannung und Abrüstung bestanden, dann hätte sie vermutlich im Wahlkampf auch die Grünen dazu veranlassen können, sich auch zu diesen Zielen zu bekennen. – Die SPD hat das aber nicht gemacht, im Gegenteil, Scholz stimmte den plus 2 % und sogar mehr fürs Militär zu. Damit ist die Entspannungspolitik, damit ist Frieden auch mit Russland, damit ist Abrüstung als möglicher Kitt zwischen SPD und Grünen weggefallen. Die SPD hat es damit den Grünen leicht gemacht, ihre friedenspolitischen Positionen zu räumen. Nachträglich, jetzt beim Verhandeln, lässt sich dieser Kitt nicht mehr organisieren.
Man könnte grundsätzlich fragen: Was sind denn die Bindemittel zwischen SPD und Grünen? Was soll eine Koalition zwischen den Beiden, und dann ergänzt um die FDP, sinnvoll und attraktiv machen?
Jetzt rächt sich die beständige Anpasserei der SPD. Kein Profil, keine Kante, kein Bindemittel. Auch deshalb bleibe ich bei der Prognose vom 27. September als realistische Variante: Jamaika.
Dafür sprechen auch noch andere Gründe:
- Die SPD war nicht der strahlende Sieger der Wahl. Sie hat zwar weniger verloren als die Union. Aber sie war von niedrigerem Niveau gestartet. Und ihr Ergebnis liegt mit 25,7% weit unter früheren Ergebnissen. Werfen Sie dazu einen Blick auf diese Tabelle: Deutscher Bundestag – Bundestagswahlergebnisse seit 1949 – Zweitstimmen. 2002 hatte die SPD noch 38,5% erreicht, in der Wahl davor, also 1998, waren es noch 40,9% …
- Die Macht der US-Finanzwirtschaft, die Macht von Blackrock und Co. und der Atlantiker wird ins Spiel kommen und Wirkung zeigen. Friedrich Merz war und ist vermutlich immer noch einer ihrer wichtigen Vertreter in Deutschland. Sie werden sich die Chance, ihn in einer von der Union geführten Koalition zu platzieren, nicht entgehen lassen.
- Die SPD hat die Kampagne gegen die Linkspartei laufen lassen, sogar gefördert und damit auch die Grundmelodie der Abwertung alles Linken befördert. Das fällt jetzt auf sie zurück.
Es gibt ein von vielen Medien und von tonangebenden Personen inspiriertes Gesamtklima gegen alles Linke. Das hat sich bei der Wahl gegen die Linkspartei gewendet und diese dezimiert. Es wird sich jetzt bei der Koalitionsbildung gegen die Ampel wenden, gegen die Linken in der Grünen Partei und gegen die Linken in der SPD. Und so wie man am Wahlabend gefeiert hat, dass Rot-Rot-Grün nicht möglich ist, wird man im weiteren Verlauf auch den weiteren Rechtsruck bei der Regierungsbildung und die Vermeidung eines Linksbündnisses unter Führung der SPD feiern.
Übrigens: Laschet wird zur Disposition stehen. Es könnte aber auch sein, dass die beiden potentiellen Koalitionspartner FDP und Grüne lieber einen schwachen CDU-Kanzler haben möchten, dann kann es Laschet bleiben.