„Juncker wirft Merkel simples Denken vor“ … Endlich sagt das einer. (Finanzkrise A)
Frau Merkel macht Währungspolitik mit dem Blick auf Punktgewinne bei ihren Wählern in Deutschland. Das ist rundum unverantwortlich. Es bedroht die gemeinsame Währung. Außerdem reißt Frau Merkel mit ihrem Auftreten ein, was ihre Vorgänger vorher mühsam aufgebaut haben: Ansehen bei unseren Nachbarn. – Der für die Eurogruppe sprechende Luxemburger Ministerpräsident hat sich zu Merkels Kurs kritisch geäußert (Siehe Anlage). Das ist mutig, denn es ist nicht leicht, gegen die geballte aber populäre Unvernunft der deutschen Regierung anzugehen. Ich habe mich zu Merkels Kurs in einem Interview mit La Vanguardia, Barcelona geäußert, dessen Rohfassung in Deutsch hier als Erläuterung und Kommentar folgt. Albrecht Müller.
Interview (deutsche Rohfassung) mit Herrn Rafael Poch-de-Feliu, Berliner Korrespondent von La Vanguardia, Barcelona, erschienen am 5. Dezember 2010
Rafael Poch-de-Feliu:
Am Dienstag hat der ehemalige spanische Ministerpresident Felipe Gonzalez gesagt das „Europa ein „Leadership“ problem“ hat. Zum ersten mal hat auch die spanische Regierung ihre Unzufriedenheit über Deutschlands Anti-Krisenpolitik öffentlich ausgedrückt. In diesem Zusammenhang frage ich:
1. Hat Europa, ihrer Meinung nach, ein „Führungsproblem“ (Leadership) in der aktuellen Euro-Krise?
Albrecht Müller (AM): Europa hat das Problem, dass Personen, die wichtig sind für die Meinungsbildung und Entscheidungsfindung in Europa, nicht zu aller erst an das Wohl unseres Kontinents und aller seiner Teile denken, sondern an ihren egoistischen politischen Vorteil. Das kann man „Führungsproblem“ nennen, wenn man will. Dieser Begriff ist sicher auch richtig, wenn man an den Kommissionspräsidenten denkt, der einfach nicht die Statur und das Gewicht hat, das zum Beispiel Jacques Delors hatte. Aber viel schlimmer als die mangelnde Qualität und das mangelnde Standing von Herrn Barroso ist die Tatsache, dass wichtige Politiker Europas in Kategorien der Konkurrenz unter unseren Völkern denken. Wettbewerb der Nationen im heutigen Europa – das ist grotesk. Wenn man so denken will, dann braucht man sich nicht zusammenzuschließen.
2. Wie schätzen Sie Deutschlands Anti-Krisenpolitik für Europa ein?
AM: Die deutsche Politik leidet genau darunter, dass unsere Bundeskanzlerin offensichtlich zu allererst daran denkt, was sie in Deutschland populär macht und nicht daran, was Europa, seinen Völkern und dann auch uns gut tut. Die Bundeskanzlerin und ihr Finanzminister haben die Spekulation gegen einzelne Staaten Europas angeheizt, als sie die Beteiligung der Banken an den Rettungsaktionen forderten. Diese Forderung ist populär. Aber Frau Merkel und Herr Schäuble mussten wissen, dass man diese Forderung jetzt gar nicht durchsetzen kann. Die Forderung ist auf Deutschland gemünztes innenpolitisches Spielmaterial. Dass unsere Bundeskanzlerin auch bei schwierigen europa- und weltpolitischen Fragen zu allererst auf ihren eigenen parteipolitischen Vorteil achtet, ist sogar den amerikanischen Diplomaten aufgefallen, wie man aus den von Wikileaks veröffentlichten Dokumenten sehen kann.
Wenn der frühere Bundeskanzler Willy Brandt, für den ich vor 40 Jahren gearbeitet habe, so egoistisch gedacht hätte, dann hätte es nie eine Unterstützung Deutschlands für die demokratische Entwicklung Spaniens gegeben. Damals gab es noch Solidarität zwischen den Völkern Europas, heute gibt es Hauen und Stechen. Die deutsche Bundesregierung setzt darauf, das eine verblendete Mehrheit in Deutschland applaudiert, wenn wir reihum die Griechen, die Iren, die Portugiesen und die Spanier zum Sparen zwingen, zum Gürtel enger schnallen, wie es in unserer Sprache heißt. Es ist sehr populär, wenn man diese unsinnige Forderung gegenüber anderen Völkern ausspricht. Da kann man sich so richtig Spitze fühlen.
Tatsächlich ist die deutsche Politik jedoch ausgesprochen erfolglos gewesen. Die Löhne der Mehrheit unseres Volkes stagnieren seit fast 30 Jahren, die sozialen Sicherungssysteme wurden der Erosion preisgegeben, öffentliches Vermögen wurde privatisiert, die Arbeitsverhältnisse sind unsicher geworden, Leiharbeit floriert. Einzig beim Exportüberschuss waren wir Weltmeister beziehungsweise Vizeweltmeister. Aber was ist das wert? Wir haben Forderungen gegenüber den USA und anderen Volkswirtschaften angehäuft, ohne zu bedenken, dass diese auch entwertet und verloren gehen können. So wird es kommen.
3. Was sollte in dieser Politik und in der Europäischen Anti-Krisen-Strategie im Allgemein geändert werden?
AM: Es muss auf das gemeinsame Interesse geachtet werden. Europa müsste das Finanzcasino schließen. Es ist unerträglich, dass große Banken und Spekulanten an den Schwierigkeiten einzelner Völker verdienen. Konkret: die Kredite zur Überbrückung der Schwierigkeiten müssten von der europäischen Zentralbank direkt gegeben werden, und nicht für ein Prozent an die Banken und diese geben es dann für 5, 6 oder 8 % weiter. Und noch etwas Konkretes: die Anpassung zwischen den Volkswirtschaften mit hoher Wettbewerbsfähigkeit und Leistungsbilanzüberschüssen auf der einen Seite und den Volkswirtschaften mit niedriger Wettbewerbsfähigkeit und Leistungsbilanzdefiziten auf der andern Seite darf nicht als Einbahnstraße verstanden werden. Die deutsche Bundesregierung und die Tarifpartner müssen zu Lohnerhöhungen in Deutschland ermuntern und zu diesem Zweck auch die Binnenkonjunktur weiter anschieben. Anderen Völkern alleine die Last der Anpassung aufzuerlegen, also konkret massive Reallohnsenkungen zu fordern, ist sowohl sozialpsychologisch als auch makroökonomisch abstrus.
Es tut mir leid, das ich über meine eigene Regierung nur Kritisches sagen kann. Das folgt nicht aus parteipolitischer Orientierung. Es folgt aus meiner Einsicht in ökonomische Zusammenhänge.
Soweit das Interview.
Merkel gewinnt mit ihrer gegenüber anderen Völkern feindseligen Linie Popularität, vor allem auch in rechten Kreisen in Deutschland und bei Euro-Gegnern, die mit ihrer Kritik am Euro unbedingt Recht behalten wollen. Für den Schaden, den sie auf mittlere Sicht damit anrichtet, zahlen wir später.
Es gibt noch zwei weiter Motive für die Haltung und die besserwisserischen Äußerungen deutscher Regierungsvertreter gegenüber anderen Völkern:
Erstens: Wenn man sagt, die anderen Völker machen alle Mist, dann erscheint man als erfolgreich und als Wohltäter für das eigene Volk. Davon kann aber, wenn man die realen Verhältnisse bei Licht betrachtet, keine Rede sein. Im Interview habe ich das am Beispiel der Exportüberschüsse erläutert. Diese bringen der Mehrheit unseres Volkes wenig.
Zweitens: Wenn eine Regierung und ihre Repräsentanten in der augenblicklichen und gefährlichen Situation die Spekulation weiter anheizen, dann muss man fragen, für wen diese Personen arbeiten. Für uns jedenfalls nicht.
Wir hätten aber gerne die Antwort. Auch deshalb sind wir darauf angewiesen, dass nach den Methoden von WikiLeaks bekannt würde, welche Kontakte zwischen Vertreter/innen der Bundesregierung und den Akteuren der Finanzmärkte bestehen. Wir brauchen interne Dokumente, die die engen Kontakte zwischen Angela Merkel und Goldman Sachs und/oder Morgan Stanley z.B. erhellen. Solche zu bekommen, wäre Gold wert für die Demokratie in Deutschland. Siehe dazu auch meinen Beitrag vom 30.11.: „Wir brauchen zur Rettung des Restes an Demokratie eine Art Wikileak zur Aufklärung über innere Vorgänge in D.“
Anlage:
SPIEGEL Online
08. Dezember 2010, 13:08 Uhr
Streit um Euro-Rettung
Juncker wirft Merkel simples Denken vor
Selten hat der luxemburgische Ministerpräsident eine deutsche Regierung so scharf kritisiert: Jean-Claude Juncker wirft der Kanzlerin eine “uneuropäische Art” und “simples Denken” vor. Merkel kritisiere seine Idee einer europäischen Anleihe, ohne sie wirklich verstanden zu haben.
Hamburg – Der Streit geht um die sogenannten “Euro-Bonds”, gemeinsame Anleihen aller Euroländer. Angela Merkel hatte Anfang der Woche diesen Vorstoß, um Staatspleiten im Euro-Raum abzuwenden, strikt abgelehnt. Jetzt warf Luxemburgs Regierungschef in einem Interview mit der “Zeit” der Kanzlerin vor, auf “eine uneuropäische Art europäische Geschäfte zu erledigen”.
“Deutschland denkt da ein bisschen simpel”, sagt Juncker: “Man lehnt unseren Vorschlag ab, bevor man ihn studiert hat.” Diese Art, “in Europa Tabuzonen zu errichten und sich gar nicht mit den Ideen anderer zu beschäftigen”, wundere ihn sehr.
Juncker erklärte, dass es bei seinem Vorschlag mitnichten zu einem einheitlichen Zinssatz käme – wie die Bundeskanzlerin kritisiert habe. Stattdessen würden “wir einen Teil der nationalen Schuld auf europäischer Ebene bündeln und mit Euro-Anleihen bedienen. Der größte Teil der Schulden würde aber zu nationalen Zinssätzen verzinst.”
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