Karin Leukefeld zu Hintergründen der Sperrung des YouTube-Kanals von RT DE
Am 28.09.2021 hat der US-Medienkonzern YouTube ohne Vorwarnung zwei YouTube-Kanäle von RT Deutsch gesperrt und alle darüber bisher abrufbaren Videos und Interviews gelöscht. Es war der von den Vereinten Nationen ausgerufene „Internationale Tag des allgemeinen Informationszugangs“ zur Förderung der Informationsfreiheit. Die Öffentlichkeit in Deutschland und in den umliegenden deutschsprachigen Ländern muss sich Sorgen machen darüber, was sie von Politik und Medien erfährt und was sie nicht erfährt – oder nicht erfahren soll. Besondere Sorgen muss die Entwicklung in der EU machen. Symptomatisch dafür ist die 2015 erfolgte Gründung einer Task Force gegen Informationen aus Russland.
Wenn eine andere Sicht auf das Weltgeschehen nicht mehr zugelassen wird
Ein Kommentar von Karin Leukefeld
Am 28.09.2021 hat der US-Medienkonzern YouTube ohne Vorwarnung zwei YouTube-Kanäle von RT Deutsch gesperrt und alle darüber bisher abrufbaren Videos und Interviews gelöscht.
Als Grund für diesen drastischen Eingriff in die Presse- und Informationsfreiheit teilte YouTube mit, RT sei „eine Verwarnung für das Hochladen von Inhalten ausgesprochen“ worden, die gegen die YouTube-„COVID-19-Richtlinie über medizinische Falschinformationen“ verstoßen habe. Die Rechte für RT-DE-Videoveröffentlichungen seien damit ausgesetzt worden. RT habe dann versucht, „die Beschränkungen zu umgehen“, und einen anderen RT-Kanal benutzt. Daraufhin seien „beide Kanäle wegen Verstoßes gegen die Nutzungsbedingungen von YouTube geschlossen” worden.
RT Deutsch wird gegen die Sperrung juristisch vorgehen. Das russische Außenministerium will die Sperrung der RT-DE-Kanälen bei der nächsten Sitzung des UNESCO-Exekutivrates besprechen.
Ginge es um „medizinische Falschinformationen“, hätte es eine Prüfung von Fachleuten eines entsprechenden Gremiums geben müssen. Gerade im medizinischen Bereich gibt es viele Analysen, die im wissenschaftlichen Streit liegen und erörtert werden. Mit Recht heißt es im Pressekodex des deutschen Presserates unter Ziffer 14 über die medizinische Berichterstattung: „Bei Berichten über medizinische Themen ist eine unangemessen sensationelle Darstellung zu vermeiden. (…) Forschungsergebnisse, die sich in einem frühen Stadium befinden, sollten nicht als abgeschlossen oder nahezu abgeschlossen dargestellt werden.“
Das trifft auf die Medienberichterstattung über die COVID-19-Pandemie zu und betrifft jedes Medium. Denn im Rahmen der Pandemie geht es nicht nur um medizinische Erkenntnisse oder Annahmen, es geht um die Persönlichkeitsrechte aller Bürger, in die massiv und restriktiv eingegriffen wird. Unterschiedliche Sichtweisen darüber – in Deutschland und weltweit – sind eine Tatsache und dürfen nicht unterdrückt oder diffamiert werden. Eine Öffentlichkeit darüber ist zwingend erforderlich.
Der Pressekodex in Deutschland muss daher höher gewertet werden als die Vorgaben eines US-Medienkonzerns, der mit den Daten seiner Nutzer Geschäfte macht. Die Aufgabe der Bundesregierung ist es, auch gegenüber einem solchen Konzern die Presse- und Informationsfreiheit auf deutschem Boden zu schützen. Gibt es Zweifel an Berichten – egal ob bei RT Deutsch, Spiegel, in der ARD oder bei der BILD-Zeitung – muss eine unvoreingenommene Prüfung vorgenommen werden. Auf COVID-19 und alles, was damit verbunden ist, blickt die Welt sehr unterschiedlich. Pressefreiheit bedeutet, darüber berichten zu können und zu müssen.
Die Polarisierung der Gesellschaft
In Deutschland findet – anders als in anderen Ländern – eine scharfe gesellschaftliche Polarisierung statt, zu der Politik und Medien in großem Maße beigetragen haben. Unter dem Titel „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“, erstmals verabschiedet Ende März 2020, einer Art „Pandemie-Notstandsgesetzgebung“, werden seit mehr als 18 Monaten immer neue Vorschriften und Anordnungen erlassen, denen sich die Bewohner Deutschlands unterordnen müssen. Ein nicht gewähltes „Corona-Kabinett“ unter Vorsitz des Bundeskanzleramtes ersetzt in Sachen Pandemie nicht nur die Bundesregierung, sondern auch den Bundestag.
Wer diese Entwicklung und die zunehmende Entmündigung der Bevölkerung kritisch hinterfragt, wer andere Aspekte und Analysen aufzeigt, wird nicht als „Andersdenkender“ und als Bereicherung in einer schwierigen Debatte wahrgenommen, sondern als „Gegner“ und als „Leugner“ diffamiert. Diese Stigmatisierung regt nicht das Denken und Nachfragen an, es spaltet die Gesellschaft. Daran beteiligen sich nicht nur Politiker, sondern auch öffentlich-rechtliche und private Medien, Vereine und Institutionen. Nicht die Aufklärung der Bevölkerung und der Schutz von Presse- und Informationsfreiheit, sondern Diffamierung Andersdenkender nehmen zu.
Mangelnde Transparenz
Das Kanzleramt weigert sich, die internen Corona-Protokolle von Sitzungen und Debatten des Kanzleramtes mit den Bundesländern der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Das ergab die Antwort des Kanzleramtes auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag Anfang September.
Ende September 2021 wurde bekannt, dass das „Corona-Kabinett“ sich zudem gegen ein festes Datum ausspricht, an dem die COVID-19-Maßnahmen und damit die Pandemie-Notstandsgesetzgebung beendet werden sollen.
Wann und wie die unzähligen, unübersichtlichen Anordnungen, Reglementierungen und Freiheitseinschränkungen wieder abgeschafft werden, ist nicht abzusehen. Der skandalöse Abbau von Kliniken, die Privatisierung des Gesundheitswesens, in dem nicht nur Intensivbetten fehlen, sondern auch mindestens 100.000 gut ausgebildete und bezahlte medizinische Fachkräfte, ist so gut wie überhaupt kein Thema bei Politik und Medien.
Doch zurück zu RT Deutsch. Wäre die Löschung der YouTube-Kanäle von RT Deutsch tatsächlich wegen „medizinischer Falschinformationen“ erfolgt, hätten Interviews, Reportagen, Dokumentationen, die überhaupt nichts mit COVID-19 zu tun hatten, nicht gelöscht werden dürfen. Es ist also davon auszugehen, dass es bei RT Deutsch nicht um COVID-19 ging. Worum also dann?
Eine Task Force gegen Informationen aus Russland
Die Stigmatisierung von RT Deutsch in Politik und Medien hat nicht mit dem Auftauchen des Coronavirus im Frühjahr 2020 begonnen, sondern geht auf den März 2015 zurück. Damals beschlossen vor dem Hintergrund des Geschehens in der Ukraine und auf der Krim die Staats- und Regierungschefs der 28 EU-Staaten die Bildung der East StratCom Task Force, die in den Europäischen Auswärtigen Dienst eingegliedert wurde. Informationen aus Russland wurden pauschal zu „Desinformation“ erklärt.
Bei der Task Force – einem ursprünglich militärischen Begriff für einen befristeten Zusammenschluss von verschiedenen Einheiten der US Navy aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges – handelt es sich um ein Team aus Experten der Kommunikation, des Journalismus und der Russistik (Wissenschaft der russischen Sprache und Literatur). Aufgabe dieses Teams ist es, „Russlands laufenden Desinformationskampagnen“ entgegenzuwirken. Der Auswärtige Dienst der EU hat einen „Aktionsplan über strategische Kommunikation“ gegen Russland und die von dort verbreiteten „Desinformationen“ erstellt.
Eine Webseite der East StratCom Task Force informiert inzwischen ausführlich über die Kampagne der „EU gegen Desinformationen“. Im Jahr 2018 wurde ein Aktionsplan gegen Desinformation aufgelegt, in dem auch spezielle Aus- und Fortbildung von Journalisten vorgesehen ist.
Beleidigung der Intelligenz der Europäer
Im November 2016 debattierte und verabschiedete das EU-Parlament eine Resolution, um Maßnahmen gegen „Russische und ISIS-Propaganda“ zu ergreifen. Die EU müsse „auf den Informationskrieg von Russland und islamistischen Terroristen reagieren“, hieß es. „Die Aufmerksamkeit und positive Nachrichten müssten zunehmen, die EU müsse „das Verständnis von Information ausbilden“. In der neuen Mediensprache heißt das „einordnen“.
Der vorangegangenen Debatte lag ein Bericht der Gruppe der EU-Konservativen und Reformer (ECR) zugrunde, der von der polnischen EP-Abgeordneten Anna Fotyga verfasst worden war. Russland wolle „Europa teilen und Angst schüren“, schrieb Fotyga. Das gleiche Ziel verfolgten Terrororganisationen wie der Islamische Staat (IS oder ISIS). Europa stehe unter „zunehmendem Druck durch Desinformation von Ländern wie Russland und von nicht-staatlichen Akteuren wie ISIS/Daesh, Al Qaida und anderen gewalttätigen terroristischen Dschihadisten-Gruppen” hieß es in dem Bericht. Durch „Pseudo-Nachrichtenagenturen und Internet-Trolle“ würden „Gewalt geschürt und die demokratischen Werte herausgefordert“. Auch die Bürger der USA seien Ziele von russischer Propaganda, sagte die Abgeordnete Fotyga. „Viele Werkzeuge wie Russia Today“ würden dafür eingesetzt.
Der spanische EP-Abgeordnete Javier Couso Permuy wies den Bericht zurück und sagte unter Anspielung auf die McCarthy-Ära in den 1950er Jahren in den USA, der Bericht nähre „Hysterie gegen Russland und einen Neo-McCarthyismus in Europa“. Der Bericht sei „gefährlich“ und führe zu einer „Konfrontation“, so der spanische Abgeordnete: „Er ist ein Anschlag auf die Informationsfreiheit. Terroristische Gruppen wie Daesh, die Live-Videos von Folter und Mord verbreiten, gleichzustellen mit einem Staat, der dem UN-Sicherheitsrat und anderen multilateralen Organisationen angehört und mit dem wir Meinungsverschiedenheiten haben, ist eine Beleidigung für die Intelligenz der Europäer.“
Anders als Politik und die meisten Medien, die ihre politische und mediale Konfrontation gegen Russland seit 2015 systematisch verschärft haben, hat die Öffentlichkeit in Deutschland diese wichtige und gefährliche Debatte im EU-Parlament vor Jahren verschlafen. Wie der britische Kollege Peter Hitchens (Mail on Sunday) vor einiger Zeit meinte, muss sich die Öffentlichkeit Sorgen darüber machen, was sie von Politik und Medien erfährt und was sie nicht erfährt. Oder – mit Blick auf die Löschung der RT-Deutsch-YouTube-Kanäle – nicht erfahren soll.
Wenn eine andere Sicht auf das Geschehen in der Welt nicht mehr zugelassen, sondern als „Desinformation“ diffamiert wird, gibt es keine Pressefreiheit.
(Karin Leukefeld)