Am Freitag zeichnete der Bundespräsident den Brigadegeneral und Leiter des Evakuierungseinsatzes in Kabul, Jens Arlt, mit dem Bundesverdienstkreuz aus, stellvertretend für alle an der Rettungsaktion in Kabul Beteiligten der Bundeswehr. In den Tagesthemen wie auch in anderen Medien spielt dieser Vorgang eine beherrschende Rolle. Ab Minute 0:50 wird die Rede des Bundespräsidenten zur Verleihung des Bundesverdienstkreuzes gesendet, einschließlich der früheren Umarmung des Brigadegenerals durch Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer – Minute 2:20. Ab Minute 2:48 bis 9:49, also 7 Minuten lang, interviewt der Tagesthemen-Moderator Ingo Zamperoni den General. Dieser spricht davon, es sei bei diesem Einsatz das Maximale erledigt worden. Dann kommt bei Minute 10:10 noch ein Kommentar von Stefan Stuchlik. Dieser kritisiert unter anderem, es habe keine ausreichenden Vorgaben für die Bundeswehr gegeben, er redet mit Recht von Kriegseinsatz und immerhin hat er Zweifel am Mali-Einsatz. Aber insgesamt ist dieser immerhin mehr als 12 Minuten dauernde Einstieg in die Tagesthemen mit der herausragenden Würdigung der Bundeswehr eine gelungene Ablenkung vom Desaster des Afghanistan-Einsatzes. Albrecht Müller
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Bundeswehr und mit ihr die Bundesregierung und Deutschland insgesamt erscheinen als Sieger, weil sie die Evakuierung gut bewältigt haben. Aber das war doch nicht die Hauptsache. Das Desaster von Afghanistan wird mit solchen Ehrungen vergessen gemacht. Selbst die zurückgelassenen Ortskräfte – die man fairerweise erwähnt – sind de facto vergessen. Und es ist auch vergessen gemacht, dass die Verantwortlichen, also der Bundesaußenminister und die Bundesverteidigungsministerin und die Kanzlerin, versagt haben. Sie haben die Hilferufe und den Rat zu einer früheren und damit rechtzeitigen Evakuierung ignoriert. Heiko Maas gab sogar zu, die Situation und die Machtverhältnisse in Afghanistan falsch eingeschätzt zu haben. Wir wissen, dass die deutsche Botschaft in Kabul zu einem früheren Rückzug und zu einer früheren Evakuierung der Ortskräfte riet und wir wissen, dass 20 Jahre Militäreinsatz sich als sinnlos erwiesen haben. Es wird jetzt mit Ordensverleihungen davon abgelenkt, dass offenbar wurde: Militäreinsätze sind fragwürdig. Sie ersetzen nicht eine vernünftige engagierte Politik.
Diese Ablenkung macht aus der Sicht der Verantwortlichen einen großen Sinn. Sie können zur Tagesordnung übergehen und zum Beispiel die Aufrüstung einer europäischen Interventionstruppe fordern. Siehe diesen Artikel auf der 1. Seite der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom Samstag:
„Ablenkung“ als Methode ist in der Liste meines 2019 erschienenen Buches „Glaube wenig. Hinterfrage alles. Denke selbst.“ beschriebenen Manipulationsmethoden noch nicht enthalten. Ich ergänze deshalb die Liste. Hier ist sie.
Wenn man durchschauen will, was um uns herum an manipulativen Einflussversuchen versucht wird, und wenn man auf dem Laufenden bleiben will, dann macht es vermutlich Sinn, sich diese Liste an den Fernseher oder Laptop zu hängen oder in die Tasche zu stecken.