Eine interne Kontrollbehörde der BBC hat nach zehnmonatigem Prüfen festgestellt, dass die Sendung „Der Kanister auf dem Bett“ nicht den Standards des Senders genügt. Die Dokumentation, die im November 2020 auf Radio 4 des britischen Senders ausgestrahlt wurde, befasst sich mit einem angeblichen Giftgasangriff auf Douma, Syrien, im April 2018. Die Sendung weise „schwerwiegende Ungenauigkeiten“ auf, so die Executive Complaints Unit (ECU). Äußerungen und die Motivation von „Alex“, einem an der Douma-Untersuchung beteiligten OPCW-Ingenieur und Whistleblower, seien falsch dargestellt worden. Beschwert hatte sich der britische Journalist Peter Hitchens, der in der Sendung ebenfalls diffamiert wurde. Von Karin Leukefeld.
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Die Intrige
Ein Programm der britischen BBC hat Unwahrheiten über einen angeblichen Angriff mit Chemiewaffen auf Duma (Syrien) 2018 verbreitet. Der Titel der betreffenden BBC-Sparte („Intrige“, was auch mit Komplott oder Verschwörung übersetzt werden kann) scheint Programm.
Im Oktober 2020 veröffentlichte die britische BBC im Radioprogramm 4 zehn Episoden unter dem Titel „Mayday“, in Anspielung auf die „Mayday Foundation“, die der ehemalige britische Elitesoldat und Offizier James Le Mesurier gegründet hatte.
Die Mayday-Stiftung fungierte als Bank der „Weißhelme“, einer im Westen hochgelobten, ansonsten aber umstrittenen Hilfsorganisation in den Gebieten unter Kontrolle der bewaffneten Regierungsgegner in Syrien. Die USA, Kanada, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, die Niederlande und Dänemark überwiesen während des Syrienkrieges mehr als 100 Millionen Euro an die Stiftung. Die leitete das Geld an die „Weißhelme“ weiter.
Anlass der BBC-Episoden war der plötzliche Tod von James Le Mesurier, der Ende 2019 bei einem Sturz aus dem ersten Stock seines Hauses in Istanbul ums Leben gekommen war. Über ihn, die „Weißhelme“ und die „Mayday-Stiftung“ waren damals zahlreiche Unstimmigkeiten bekannt geworden. Unter anderem wurde in den Niederlanden gegen die Stiftung wegen Unterschlagung ermittelt.
Im November 2020 schob die BBC eine „Extra-Episode“ über den angeblichen Giftgasangriff auf Douma, Syrien, im April 2018 nach. Diesem Bericht wurden nun von der internen BBC-Kontrollinstanz, der Executive Complaints Unit (ECU), „schwerwiegende Ungenauigkeiten“ bescheinigt.
Die Geschichte
Der angebliche Chemiewaffenangriff auf Douma 2018 war unmittelbar nach dem Ereignis über „soziale Medien“ von den „Weißhelmen“ bekannt gemacht worden. Sie beschuldigten die syrische Armee, den Angriff verübt zu haben, bei dem etwa 50 Personen getötet worden seien. Der UN-Sicherheitsrat ordnete eine Untersuchung an, ein Team der Organisation für das Verbot von Chemiewaffen, OPCW, machte sich auf den Weg nach Damaskus. Doch noch bevor sie ihre Arbeit beginnen konnten, führten die USA, Großbritannien und Frankreich zur „Vergeltung“ für den angeblichen Chemiewaffenangriff auf Douma einen massiven Luftangriff auf Syrien aus. Grünes Licht vom UN-Sicherheitsrat dafür gab es nicht.
Das Ergebnis der OPCW-Untersuchung sollte das Licht der Öffentlichkeit nicht erreichen. Das Untersuchungsteam wurde kurz nach der Rückkehr in Den Haag von dem Fall abgezogen, der erste Zwischenbericht, den das Team erstellt hatte, wurde in der OPCW-Zentrale umgeschrieben. Im Abschlussbericht schließlich stand in etwa das Gegenteil von den Ergebnissen, zu denen das ursprüngliche Untersuchungsteam gekommen war. Die Inspektoren hatten keinen belastbaren Beweis für einen Angriff mit chemischen Waffen gefunden, die Opfer, die auf Fotos zu sehen waren, waren an einem unbekannten Ort beigesetzt worden. Ein Kanister, der angeblich aus der Luft auf ein Wohnhaus abgeworfen worden sein sollte und auf einem Bett landete, schien dem zuständigen Inspektor Ian Henderson eher „von Hand“ auf dem Bett abgelegt worden zu sein. Im Abschlussbericht aber stand, dass „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ Giftgas eingesetzt worden sei.
Weil OPCW-interne Anträge für eine Anhörung der Inspektoren und ihre abweichenden Ergebnisse blockiert wurden, wandte sich im Oktober 2019 schließlich einer der Ingenieure, „Alex“, an eine kleine Gruppe internationaler Experten und Journalisten, um über seine Erkenntnisse zu sprechen. Das Treffen war von der Courage Foundation vorbereitet worden, die zahlreiche „Whistleblower“, darunter auch Julian Assange, unterstützt.
Der Kampf um die Tatsachen
Dem Bericht von „Alex“ und dem Bericht des Inspektors Ian Henderson, dessen Untersuchungsbericht ohne dessen Wissen an die Öffentlichkeit gelangt war, folgte die Veröffentlichung zahlreicher Dokumente bei Wikileaks, die die Aussagen der beiden Wissenschaftler bestätigten.
Nur wenige Medien griffen den Skandal auf. Dafür melden sich immer mehr ehemalige OPCW-Inspektoren und UN-Diplomaten, Künstler und Politiker zu Wort.
Doch bei der OPCW, der UNO und den Außenministerien der Mitgliedsstaaten stießen sie auf eine Mauer eisigen Schweigens oder sie wurden darüber belehrt, dass es sich bei den Inspektoren um unglaubwürdige Selbstdarsteller handele, die die OPCW in Misskredit bringen wollten. Als der erste Generalsekretär der OPCW, José Bustani, von der Russischen Föderation eingeladen wurde, um im UN-Sicherheitsrat zu sprechen, wurde das von den westlichen Veto-Mächten, Deutschland und deren Partnern verhindert.
Zwischen den USA, Großbritannien und Frankreich auf der einen und der Russischen Föderation auf der anderen Seite entwickelte sich eine heftige Kontroverse im UN-Sicherheitsrat. Auch Deutschland, das als nichtständiges Mitglied dem Sicherheitsrat 2019 und 2020 angehörte, wies jegliche Fragen und Kritik an der offiziellen OPCW-Darstellung zum Geschehen in Duma zurück. Verschärft wurde die Sache durch die hartnäckige Weigerung der westlichen Staaten, den Inspektoren mit ihrer abweichenden Meinung zu dem Geschehen in Duma eine OPCW-interne Anhörung und Diskussion zu ermöglichen.
Die westlichen Staaten, auch Deutschland, mit ihren OPCW-Partnern strengten stattdessen ein Verfahren gegen den Mitgliedsstaat Syrien (seit 2013) an, weil Syrien Giftgasangriffe durchgeführt und geforderte Unterlagen über den Verbleib seines früheren Giftgasbestandes nicht vorgelegt habe. Tatsächlich hatte Syrien sein Giftgasarsenal der OPCW 2013 zur Vernichtung übergeben. Die westlichen Staaten, darunter auch Deutschland, setzten dennoch die Suspendierung Syriens in der OPCW-Staatenkonferenz mit 87 Stimmen durch. Nur 15 Staaten stellten sich hinter Syrien. Die restlichen 91 Staaten allerdings verweigerten sich der Abstimmung und waren ferngeblieben.
Qualitätsmedium oder Propaganda
Vor diesem Hintergrund kommt den Mayday-Episoden der BBC eine besondere Bedeutung zu. Die „Extra-Episode“ mit dem Titel „Der Kanister auf dem Bett“ sollte eindeutig die OPCW-Inspektoren und Journalisten, die über den Skandal berichtet hatten, diffamieren. So seien dem Inspektor „Alex“ laut der BBC-Dokumentation von Wikileaks 100.000 US-Dollar in Aussicht gestellt worden, damit er seine Behauptungen aufstelle und sage, der Chemiewaffenangriff sei „inszeniert“ worden. Und der britische Journalist Peter Hitchens, der für die Tageszeitung „Mail on Sunday“ umfangreich recherchiert und ausführlich berichtet hatte, habe die „russische und syrische Sicht auf den Krieg“ in Syrien geteilt und seine Berichte entsprechend geschrieben.
Hitchens ließ die Sache nicht auf sich beruhen, sondern beschwerte sich bei der BBC-Kontrollbehörde ECU über die falsche Darstellung in der BBC-Dokumentation. Nach fast zehn Monaten Untersuchung bekam Peter Hitchens recht. Die Sendung weise erhebliche „Ungenauigkeiten“ auf, enthalte falsche Behauptungen und entspreche „nicht den BBC-Standards“ hieß es in der ECU-Erklärung.
Hitchens begrüßte die Entscheidung als „großen Sieg für die Wahrheit“. Die Motivation der OPCW-Whistleblower, die sich zu diesem Fall geäußert hätten, sei immer die „strikte Beachtung der wissenschaftlichen Wahrheit“ gewesen. „Ihnen ging es nicht um Geld, im Gegenteil, ihnen war klar, dass mit ihrem Vorgehen ihre Karriere beendet sei. Trotzdem haben sie es gemacht“, so Hitchens. Er selber arbeite im Auftrag keiner Regierung, fügte der Journalist hinzu: „Schon gar nicht für Moskau oder Damaskus“.
Folgen hatte die Entscheidung der BBC-internen Kontrollbehörde (bisher) nicht. Die Sendung ist weiter bei der BBC als Podcast zu hören.
Keine Regierung, keine UN-Behörde und auch nicht die OPCW entschuldigten sich bei den Inspektoren. Weder die US-Administration, noch die britische und französische Regierung wurden (bisher) für ihren völkerrechtswidrigen Angriff auf Syrien vor dem Hintergrund nicht erwiesener Anschuldigungen zur Rechenschaft gezogen.
Medien als Instrument der Politik
Die Episoden der BBC-Serie „Mayday“ wurden im Programm „Intrigue“ der BBC veröffentlicht, in dem es um „Verbrechen und Justiz“ geht. Der Begriff „Intrigue“, deutsch: Intrige, kann auch mit Einflüsterung, Komplott oder Verschwörung übersetzt werden. Der Titel scheint Programm, denn in der Serie „Mayday“ geht es darum, post mortem James Le Mesurier und sein Projekt der „Mayday-Stiftung“ und der „Weißhelme“ in einem guten Licht darzustellen. Indirekt wurden Kritiker der „Weißhelme“ für seinen Tod verantwortlich gemacht. Zahlreiche Medien hatten über den militärischen Hintergrund des ehemaligen britischen Eliteoffiziers berichtet und einen geheimdienstlichen Auftrag hinter seinen Aktivitäten in Syrien nicht ausgeschlossen.
Ermittlungen gegen Mayday
Ende 2018 war die „Mayday-Stiftung“ in die Schlagzeilen geraten, als die holländische Regierung – die die Mayday-Stiftung mit 12,5 Millionen Euro unterstützt hatte – eine Untersuchung wegen Korruption gegen sie einleitete. Mitte 2020 wurde bekannt, dass die niederländische Revisionsbehörde der Regierung die Rückforderung von mehr als 3,6 Millionen Euro unbezahlte Steuern von „Mayday“ empfahl. Es sei unklar, ob die Millionen dafür eingesetzt worden seien, wofür sie gedachten waren, hieß es in einem Bericht der niederländischen Zeitung „Volkskrant“.
Eine der letzten großen Operationen, die „Mayday“ abgewickelt hatte, war die Evakuierung von 422 „Weißhelmen“ und deren Familien aus Syrien über den von Israel besetzten Golan nach Jordanien. Das war im Juli 2018, als die syrische Armee Stück für Stück den Südwesten des Landes zurückeroberte. Bei der Operation gingen Teile des Mayday-Geldes „verloren“, Le Mesurier musste gegenüber Ermittlern einräumen, 50.000 US-Dollar an sich genommen, über deren Verbleib aber keinen Nachweis zu haben.
350 Millionen britische Pfund für die syrische Opposition
In Großbritannien wurde im Sommer 2021 durch die Entklassifizierung geheimer Regierungsdokumente der Umfang der britischen Intervention in Syrien zugunsten der dortigen Opposition deutlich. Das Internetportal „Declassified UK“ berichtete Ende Juli 2021, dass die britische Regierung 350 Millionen Pfund (umgerechnet etwa 409,5 Millionen Euro) ausgegeben habe, um einen Regierungswechsel in Syrien herbeizuführen. Das Geld sei im Wesentlichen über den „Conflict, Stability and Security Funds“ (CSSF) verteilt worden, der im britischen Ministerium für Außenpolitik, Commonwealth und Entwicklung in der Abteilung für den Mittleren Osten und Nordafrika angesiedelt ist.
Allein 13 in dem Bericht aufgelistete Projekte seien mit rund 215 Millionen Pfund (etwa 261,6 Millionen Euro) finanziert worden, um die politische, mediale und bewaffnete Entwicklung zu beeinflussen. 2012 wurden allein fünf verdeckte Programme aufgelegt, darunter auch die Gründung eines Netzwerks von „Bürgerjournalisten“, die helfen sollten, die Darstellung des Geschehens in Syrien zu formen.
Die „Mayday-Stiftung“, die „Weißhelme“ und James Le Mesurier waren Teil dieser britisch finanzierten Netzwerke und Projekte und arbeiteten direkt oder indirekt mit ihnen zusammen. Ob bewusst oder nicht, westliche Medien, die sich in ihrer Berichterstattung auf diese Netzwerke und Projekte der syrischen Opposition verlassen, sind Teil ihrer Propaganda.
Titelbild: Anton Garin / Shutterstock