In seinem NDR-Podcast vom letzten Freitag wirft der Virologe Christian Drosten einen Blick auf die Zukunft der Corona-Pandemie. Corona, so Drosten, könne schon bald eine „normale“ Krankheit werden, wenn die Bevölkerung eine weitgehende Immunität entwickelt hat. Ein Satz von Drosten lässt dabei besonders aufhorchen. Denn der Virologe sieht in einer Infektion für Doppel-Geimpfte keinesfalls ein Problem; im Gegenteil. Diese Infektionen sind das, was er eine „Booster-Immunisierung“ nennt; also eine zusätzliche Immunisierung, die das Immunsystem nahezu perfekt trainiert. Das ist interessant, denn wenn man diesen Gedanken zu Ende denkt, fragt man sich unweigerlich, wer durch die Maßnahmen überhaupt wovor geschützt werden soll. Oder um es polemisch zuzuspitzen: Will man den Geimpften etwa ihre Chance auf eine „Booster-Immunisierung“ nehmen? Von Jens Berger.
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»Mein Ziel als Virologe Drosten, wie ich jetzt gerne immun werden will, ist: Ich will eine Impfimmunität haben und darauf aufsattelnd will ich dann aber durchaus irgendwann meine erste allgemeine Infektion und die zweite und die dritte haben. […] Und dann weiß ich, bin ich richtig langhaltig belastbar immun und werde nur noch alle paar Jahre überhaupt mal dieses Virus sehen, genau wie ich die anderen Coronaviren auch immer mal wieder sehe.«
– Christian Drosten in seinem NDR-Podcast
Was Christian Drosten da sagt, ist weder neu noch sonderlich originell. Im Grunde wiederholt er nur, was andere Experten, wie beispielsweise Hendrik Streeck, Alexander Kekulé oder Klaus Stöhr schon lange als Ausweg aus der Pandemie beschreiben. Der Mensch entwickelt eine weitreichende Immunität gegen das Sars-CoV2-Virus und es wird – wie Virologen sagen – endemisch, gehört also zu den vielen regelmäßig kursierenden Krankheiten, mit denen die Menschheit in unspektakulärer Koexistenz lebt. Wie Christian Drosten vollkommen korrekt anmerkt, gehören vor allem die übrigen Coronaviren ohnehin dazu. Diese Aussage ist eigentlich unstrittig, auch wenn sie vor allem in Deutschland von einer zum Alarmismus neigenden Medienlandschaft noch immer weitestgehend tabuisiert wird. Die eigentliche Meldung ist also nicht das, was Drosten sagt, sondern der Umstand, dass gerade Drosten, der „Liebling der Alarmisten“, genau das ausspricht, wofür seine Kollegen sonst von vielen Medien – und von Drosten selbst(!) – in die Nähe von „Querdenkern“ oder „Verschwörungstheoretikern“ gerückt werden.
Was sind eigentlich die Schlussfolgerungen, die man aus diesen Aussagen zur Immunisierung ziehen kann? Dazu muss man wohl ein wenig weiter ausholen, da die allermeisten Aussagen zur Thematik leider die nötige Differenzierung vermissen lassen. Es ist vollkommen richtig, dass weder Impfung noch Infektion den Menschen weitreichend vor einer weiteren Infektion mit dem Coronavirus schützen. Sowohl Impfung als auch Infektion trainieren jedoch das Immunsystem, so dass es in beiden Szenarien nur in sehr wenigen Fällen zu sehr schweren Krankheitsverläufen bei einer neuerlichen Infektion kommt. Darauf satteln auch die Aussagen zur „Booster-Immunisierung“ auf. Sie ist nichts anderes als eine ganz normale Corona-Infektion, die hilft, das Immunsystem auf das Virus zu optimieren, so dass bei späteren Infektionen die Wahrscheinlichkeit schwerer und symptomatischer Infektionen – also hier: Erkrankungen – noch weiter sinkt. Und da man sich in der Wissenschaft mittlerweile auch größtenteils darin einig ist, dass das Virus ohnehin und vollkommen unabhängig von Dingen wie Impfquote oder Maßnahmen endemisch wird, stellt sich hierbei auch nicht die Frage, ob man diese Optimierung des Immunsystems nun freiwillig oder unfreiwillig über sich ergehen lässt. Es passiert einfach – außer man verbarrikadiert sich mit einem Schutzanzug im eigenen hermetisch abgeriegelten Keller. Richtig ist jedoch auch, dass diese Optimierung für Ungeimpfte – je nach Alter und Vorerkrankung – deutlich riskanter sein kann als für Geimpfte. Aber das ist ein anderes Thema.
Bleibt man in diesem Argumentationsmuster, kann man gar nicht anders, als zu folgendem Schluss zu kommen: Wenn eine Infektion für Geimpfte und Genesene mit einem normalen Gesundheitszustand sogar nach den Aussagen von Christian Drosten tendenziell eher eine begrüßenswerte „Immunisierung“ denn eine Gefahr ist, vor der man durch Maßnahmen geschützt werden muss, dann machen die Maßnahmen als solche überhaupt keinen Sinn; vor allem diejenigen nicht, die sich gezielt daran orientieren, dass Geimpfte vor Ungeimpften geschützt werden müssten.
Worüber reden wir eigentlich noch? Für Kinder und Jugendliche stellt Corona ohnehin eine zu vernachlässigende Gefahr dar und bei den Erwachsenen beträgt die Impfquote schon heute mindestens 77 Prozent, wahrscheinlich jedoch deutlich mehr als 80 Prozent, wenn man die massive, politisch gewollte Unterschätzung der Impfquote in Betracht zieht.
Wer soll also durch die Maßnahmen wovor „geschützt“ werden? Die 80 Prozent plus der Erwachsenen, für die eine Infektion mit den Worten von Christian Drosten eher eine „Booster-Immunisierung“ darstellt; etwas, was er durchaus als etwas Positives sieht? Die Kinder und Jugendlichen, für die Corona keine ernstzunehmende Gefahr darstellt? Oder die erwachsenen Ungeimpften, die ihre eigene Abwägung der Risiken aufgestellt haben und zu dem Schluss gekommen sind, dass für sie das Training des Immunsystems durch eine Impfung gefährlicher ist als eine Infektion und die in der großen Mehrheit sämtliche Maßnahmen ohnehin ablehnen? Die Einen müssen nicht geschützt werden, die anderen wollen nicht geschützt werden. Das soll – nein, das muss(!) – die Politik akzeptieren und respektieren.
Titelbild: peterschreiber.media/shutterstock.com