Jan Böhmermann wirft Gästen von Markus Lanz „Menschenfeindlichkeit“ vor, weil sie die Corona-Politik kritisieren. Der TV-Entertainer fordert gar eine „strenge, umfassende mediale und gesellschaftliche Qualitätskontrolle“, bevor bestimmten Meinungen eine Bühne bereitet werde. Der Vorgang steht, auch wenn er zunächst nebensächlich erscheint, exemplarisch für die bedenkliche Rolle, die sich Teile der Medienlandschaft inzwischen anmaßen. Von Tobias Riegel.
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In den letzten Tagen sind verbale Angriffe auf den Talkshow-Moderator Markus Lanz vonseiten des TV-Entertainers Jan Böhmermann und anderen Stellen bekannt geworden. Der Vorgang mag für sich genommen nicht besonders relevant erscheinen – ebenso wie die TV-Figur Böhmermann. Aber die Episode steht stellvertretend für größere Entwicklungen in der deutschen Medienlandschaft, die der Meinungsvielfalt nicht gut tun. Und sie demonstriert das fragwürdige Bild, das Böhmermann und auch etwa Redakteure des Spiegel (vor allem seit Corona, aber bereits zuvor) von sich selber angefertigt haben und welche Rolle von Meinungs-Torwächtern sie sich anmaßen.
„Durchtränkt von Menschenfeindlichkeit“
Böhmermann und Lanz trafen kürzlich bei einer Veranstaltung der „Zeit“ aufeinander und diskutierten über „Macht und Ohnmacht des politischen Journalismus“, wie Medien berichten. Dabei entbrannte eine Kontroverse – weil Böhmermann die Auswahl der Gäste in der Sendung von Lanz in Frage stellte (im Video ab Minute 49:10). Mit Bezug auf die Auftritte der Wissenschaftler Alexander Kekulé und Hendrik Streeck in der Talkshow „Markus Lanz“ sagte Böhmermann:
„Es gibt Meinungen, die sind so durchtränkt von Menschenfeindlichkeit (…), dass ich mich manchmal frage, warum einige Leute bei dir sitzen.“
Das sei – auch nach Meinung vieler Wissenschaftler – „keine gute Idee“, behauptete Böhmermann. Auf Lanz’ Frage, wer so etwas denn sage, antwortete Böhmermann kleinlaut: „Leute, die Ahnung davon haben.“ Der TV-Entertainer sagte außerdem, er frage sich, warum man Menschen eine Bühne biete, „die eine Meinung vertreten, die man nur deswegen veröffentlicht, weil man sagt, man muss auch die andere Seite sehen“. Es ist schon ein starkes Stück, wenn man Bürgern, die sich wie Böhmermann auch irgendwie als Journalisten begreifen, erklären muss, warum man „auch die andere Seite“ anhören muss. Wird auf diese Praxis verzichtet, kann es schließlich sehr schnell sehr tendenziös werden.
Geradezu skandalös, aber auch entlarvend, ist die folgende Äußerung von Böhmermann: Fordert er hier indirekt eine prophylaktische Zensur? Wer sollte denn die Meinungen auf „Qualität“ prüfen, bevor sie im öffentlichen Raum zur „Repräsentation“ zugelassen werden: Eine Kommission aus Böhmermann, Spiegel und RKI?
„Meinungen im öffentlichen Raum sollten einer strengen, umfassenden medialen und gesellschaftlichen Qualitätskontrolle standhalten. Die öffentliche Repräsentation von Meinungen muss nach Qualität erfolgen.“
Verantwortlich „für den Tod von Tausenden von Menschen“?
Nebenbei sei bemerkt, dass ich kein großer Fan bin, weder von Lanz als Moderator, noch von seiner Sendung. Dennoch soll er hier gegen unhaltbare Vorwürfe verteidigt werden. Solche Angriffe wie nun von Böhmermann kennt Lanz im Zusammenhang mit Corona bereits, wie Medien berichten:
„Und ich kann das auch mal öffentlich machen, weil es auch öffentlich passiert ist“, leitete Lanz ein. Ihm und seinem Redaktionsleiter Markus Heidemann sei im Zuge einer Blattkritik vom „Spiegel“ die Frage gestellt worden: „Wie fühlen Sie sich eigentlich, wenn Sie verantwortlich sind für den Tod von Tausenden von Menschen?“
Wir leben offenbar in Zeiten, in denen die Dreistigkeit siegt: Lockdown-Unterstützer gerieren sich, gestützt auf ihre große Reichweite, offensiv als Lebensretter – so absurd diese Behauptung angesichts der unverhältnismäßigen Kollateralschäden der Corona-Politik in vielen Bereichen der Gesellschaft ist, so wirkungsvoll entfaltet sie sich bei manchen Bürgern, allein durch die häufige Wiederholung.
Wie sieht es mit der Expertise etwa von Streeck und Kekulé aus? Auf Böhmermanns Frage, ob Personen wie Streeck eine große Bühne verdient hätten, wurde Lanz laut Medien deutlich:
„Die Antwort ist: Ja!“ Alexander Kekulé habe jahrelang als Berater der Bundesregierung in genau solchen Fragen beraten, zu denen er ihn auch in seiner Sendung befragt habe. Und Hendrik Streeck sei Direktor der Virologie in Bonn und habe weltweites Ansehen, vor allem im Bereich HIV.“
Abweichlertum beschädigt die Moral
Die Wissenschaftler Hendrik Streeck und Alexander Kekulé gehören noch zu den eher zurückhaltenden Kritikern der Regierungspolitik. Doch, und das ist ein Zeichen der Zeit, selbst deren Form der Kritik reicht schon für Verbotsforderungen: Auch kleinste Abweichungen werden nicht mehr geduldet – schließlich befinden wir uns im Krieg gegen ein Killervirus und Abweichlertum beschädigt die Moral an der Heimatfront. Solche Kriegsrhetoriken bilden auch Parallelen etwa zur Propaganda nach 9/11, wie die NachDenkSeiten gerade in diesem Artikel beschrieben haben: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns.
Dieses „uns“ wird von Lockdown-Verteidigern zusätzlich nach Belieben ausdehnt, das soll suggerieren, es gebe einen gesamtgesellschaftlichen Konsens dazu, dass Lockdown-Politik angemessen, wirkungsvoll und moralisch gerechtfertigt ist. Auf Basis dieses angeblichen Konsenses macht Böhmermann auch den Vorwurf der „False Balance“. Dass die Taktik der „Falschen Ausgewogenheit“ teils bei umkämpften Themen und in unseriöser Manier angewendet wird, soll nicht prinzipiell bestritten werden. Aber jeder Einzelfall ist zu prüfen und Corona ist kein gutes Beispiel dafür. Schließlich sind es die Lockdown-Verteidiger, denen die argumentativen Felle momentan immer schneller davonschwimmen, wodurch der angebliche gesellschaftliche Lockdown-Konsens, ebenso wie wichtige Säulen der Corona-Panik, immer mehr ins Wanken geraten. Im Falle von Corona von „der Wissenschaft“ zu sprechen, ist grob irreführend.
Die Verteidiger der destruktiven Regierungs-Corona-Politik sind wegen des überwältigenden Charakters der eigenen Kampagne offenbar gar keinen echten Widerspruch mehr gewöhnt – aus dieser Gewöhnung können sich aggressive Reaktionen wie die von Böhmermann erklären. Zusätzlich sind die eigenen Argumente der Lockdown-Verteidiger offensichtlich nicht so unangreifbar, dass man mit ihnen gegen seriöse öffentliche Kritik bestehen könnte. Als Konsequenz soll die Kritik dann lieber verbannt werden, das schafft weniger Unruhe. Man kann Böhmermann und den betreffenden Spiegel-Redakteuren dankbar sein für diese Einblicke in ihre Gedankengänge.
Titelbild: FXQuadro / Shutterstock