In den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts haben die Christdemokraten und ihre Anführer vor den Kommunisten und den Soffjets gewarnt, in der Bundestagswahl von 1972 haben sie, unterstützt vom Großen Geld, vor den Sozialisten um Brandt gewarnt, in den darauffolgenden Jahren haben sie „Freiheit statt Sozialismus“ auf ihre Plakate geschrieben, bei der Volkskammerwahl 1990 haben sie vor der Zusammenarbeit von PDSPDSEDSPDPDS gewarnt, 1994 erfanden sie dann das Symbol „rote Socken“ zu Diffamierung der linken politischen Kräfte und jetzt kommen die herrschenden Christsozialen und Christdemokraten wieder auf die „roten Socken“ zurück und der CSU-Antreiber Söder warnt öffentlich vor einem Linksruck. Ein Wahlkampf mit Phantomen. Albrecht Müller.
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Das war das Plakat der Vorgänger der CDU in der DDR, vom Demokratischen Aufbruch für die Volkskammerwahl vom 18. März 1990 verwendet:
(Die Gestaltung des Logos des Demokratischen Aufbruchs ist dem Logo der West-CDU entlehnt.)
Dieser folgende Aufkleber wurde von der CDU im Bundestagswahlkampf 1976 eingesetzt:
Die folgende Anzeige ist eine von 100 ähnlichen, mit denen reiche Gruppen – damals „Das Große Geld“ genannt – meist mit anonymen Absendern in den Bundestagswahlkampf 1972 eingriffen:
Das Folgende ist ein Plakat, das von der CDU/CSU im Bundestagswahlkampf 1953 verwandt worden ist, später auch von der NPD:
Alle abgebildeten Beispiele zeugen davon, dass die politischen Auseinandersetzungen in Deutschland bei Wahlen oft nichts mit der Wirklichkeit zu tun hatten und haben. Das gilt insbesondere für die Wahlaussagen der Union.
- 1953 führten die Wege nicht nach Moskau, auch nicht bei einer Wahl der SPD statt der CDU/CSU.
- 1972 stand auch bei einer Wahl der SPD nicht der Sozialismus vor der Tür.
- 1976 ging es nicht um Freiheit oder Sozialismus.
- 1990 liebäugelte die ostdeutsche SPD nicht mit der PDS/SED und koalierte nach der Wahl prompt mit den CDU-Ablegern.
- 1994 war die Herrschaft von Helmut Kohl und seiner politischen Freunde nicht von roten Socken bedroht. Und, wie man 4 Jahre später an der dann vom SPD-Bundeskanzler Schröder begonnenen Politik mit Agenda 2010 und Kosovo-Krieg-Beteiligung sehen kann, war die These von den roten Socken und vom Linksruck stets eine Schimäre, eine falsche Behauptung.
Auch bei den anderen Wahlen dazwischen ging es meist nicht um wirkliche Gegensätze und echte politische Absichten. Es wurde und wird wie bei den gezeigten Beispielen nicht über die wirkliche Lage und über die wirklichen Absichten der politischen Akteure gestritten. Es wird mit großen Propagandaaktionen eine Welt aufgebaut, die es nicht gibt und die nicht ins Haus steht. Deshalb kann man mit Fug und Recht feststellen, dass diese Art von realitätsferner Auseinandersetzung mit demokratischer Willens- und Meinungsbildung nichts aber auch gar nichts zu tun hat. Wer Belege dafür braucht, dass wir nicht in einer Demokratie leben, muss sich zu diesem Zweck nur die neue Kampagne zu den roten Socken und zum angeblichen Linksruck anschauen; wer Belege dafür braucht, muss nur zur Kenntnis nehmen, dass auf diese Weise der Wille von Menschen, die sich für die Wahl der Linkspartei entschieden haben, aus dem politischen Kräftespiel hinausgedrängt wird.
Die von der CDU/CSU in den letzten Tagen neu belebte Kampagne gegen eine neue Koalition unter Einbeziehung der Linkspartei, die Wiederbelebung der Rote-Socken-Kampagne ist ein deutliches Anzeichen dafür, dass unser politisches System ziemlich am Ende ist. Dass diese Kampagne wieder neu belebt werden kann, ohne dass die Mehrheit der etablierten Medien diesen Versuch in der Luft zerreißt, zeigt, dass die Mehrheit unserer Medien die wirklich demokratische politische Willensbildung nicht ernst nimmt.
Die bisher erkennbare ängstliche, defensive Reaktion des SPD-Spitzenkandidaten Olaf Scholz und der SPD-Spitze insgesamt wird der SPD vermutlich schaden. Vielleicht sind die führenden Sozialdemokraten noch lernfähig. Dann sollten Sie sich einmal ansehen, wie die SPD 1972 den Angriff der Union und ihrer Hilfstruppen des großen Geldes gekontert hat. So zum Beispiel:
In hoher Auflage wurde ein Flugblatt mit dem Titel „Das 100 Millionending“ gedruckt und verteilt. Der Angriff der Union wurde zum massiven Gegenangriff genutzt.
Das Ergebnis: Während die Union in der 2. Hälfte des September 1972 in Umfragen noch auf gut 50 % geschätzt wurde, zog die SPD nach Beginn der Kampagne gegen die CDU/CSU schon im Oktober an der Union vorbei und gewann die Wahl am 19. November. Sie wurde stärkste Partei. CDU/CSU erreichten 44,9 % und damit weniger als die SPD.
Weil die meisten bisherigen Kampagnen der Union mit falschen und verdrehenden Behauptungen nach dem Muster der Rote-Socken-Kampagnen erfolgreich waren, versuchen es Laschet und Söder noch einmal. Ob dieser Propagandacoup erfolgreich sein wird, hängt ganz wesentlich vom SPD-Kanzlerkandidaten und den anderen Führungspersonen ab. Wenn sie sich so defensiv verhalten wie bisher, dann wird die Angstmache der Union noch einmal funktionieren.
Wenn sie den Angriff der Union zu einem Konter nutzen, dann hätten sie die Chance, ihr Potenzial auszubauen und außerdem wären sie um vieles freier bei der Koalitionsbildung.
Heute gibt es gute Gründe, sich nicht von dem Vorwurf des Linksrucks beeindrucken zu lassen, es gibt gute Gründe, ausdrücklich einen Linksruck der Politik zu verlangen: die Einkommensverteilung ist in den letzten 10 Jahren deutlich schlechter geworden und diese Schieflage wurde durch die Coronapolitik noch verstärkt, die Vermögensverteilung stinkt gen Himmel, es gibt gute Gründe, die Privatisierung bisher öffentlicher Leistungen nicht weiterzutreiben, sondern umzukehren.
Neue Meldungen sprechen davon, dass die bisherigen Wahlkampfspenden wieder einmal einseitig verteilt sind. Von bisher 56 Spenden über 50.000 € mit einem Gesamtwert von 8,4 Millionen € sind 3,2 Millionen an die FDP, 2,8 Millionen an die CDU und 1,9 Millionen an die Grünen geflossen. Die SPD erhielt 100.000 €. Von der Linkspartei wurde keine Spende über 50.000 € gemeldet. An diesen wenigen Zahlen könnte man auch in diesem aktuellen Wahlkampf festmachen, hinter wem das große Geld steckt. Das könnte ein Thema sein und wenn man dieses wichtige und nicht-fiktive Thema nutzt, dann könnte man – wie Willy Brandt das getan hat – eine große Zahl von wirklich demokratisch gesonnenen Menschen mobilisieren und dazu motivieren, im Wahlkampf ihre Stimme zu erheben.
Aber diese Ratschläge treffen vermutlich auf taube Ohren. Dass die Behauptung der Union vom Linksruck eher eine Lachnummer ist als Wirklichkeit, rührt ja auch daher, dass die SPD keine fortschrittliche Partei mehr ist. Agenda 2010 und Kosovo-Krieg waren schon vor 20 Jahren deutliche Anzeichen dafür.