Die Debatte um die Katastrophe von Afghanistan ist gespenstisch und voller Manipulationen

Die Debatte um die Katastrophe von Afghanistan ist gespenstisch und voller Manipulationen

Die Debatte um die Katastrophe von Afghanistan ist gespenstisch und voller Manipulationen

Albrecht Müller
Ein Artikel von: Albrecht Müller

Meist merken wir das gar nicht mehr. Deshalb die folgenden Hinweise: Es wird so getan, als sei die schwierige Situation und die Sinnlosigkeit der militärischen Intervention etwas Neues. Die Geschichte wird verkürzt erzählt. Es wird verschwiegen, welche dramatischen Situationen und Bedrohungen und Erkenntnisse von der Sinnlosigkeit des militärischen Einsatzes es laufend gab. Zum Beispiel: Vor 13 Jahren schilderte Hubert Seipel in einem 44-minütigen Film die bedrohliche und groteske Situation der Bundeswehr und das Scheitern der gesamten Mission. Albrecht Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Zwischenbemerkung:

Die folgende Illustration von Anke Westermann ist eine visuelle Zusammenfassung des Artikels. Sie soll Menschen mit wenig Zeit die Möglichkeit bieten, den Inhalt schnell zu erfassen, und Menschen, die Freude an solchen Illustrationen haben, diese bereiten. Was halten Sie davon?

In Seipels Dokumentation wird über die problematische Situation vom Anfang des Einsatzes im Jahre 2002 bis zum besonders schwierigen Jahr 2008 geschildert. Er zeigt einen hilflosen Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung, und vor allem die existenzielle Bedrohung der deutschen Soldaten, er zeigt wie die Deutschen aus traditionellen Freunden der Afghanen zu Feinden geworden sind. Mit der militärischen Intervention wurde unser Ruf bei einem befreundeten Volk ruiniert. Und schon damals wurde sichtbar, dass die westlichen Soldaten vor allem damit beschäftigt sind, sich selbst zu verteidigen. Befreiende und Befreite fürchten sich voreinander, stellt Seipel fest.

Anschläge gegen die westlichen „Befreier“ gab es übrigens schon 2003. Und in der Dokumentation geht der Filmemacher auch auf die Angriffe der „Befreier“ auf afghanische Zivilisten ein – so wurden 2008 bei Kundus von Bundeswehr und afghanischen Soldaten eine Frau und 2 Kinder in einem Auto getötet. Seipel erinnert auch an den bekannten Angriff von US-Flugzeugen auf eine Hochzeitsgesellschaft. Dabei wurden reihenweise Familien ausgelöscht. Von der 15-jährigen Braut blieb nur noch eine Hand übrig. Und Seipel zeigt, wie Afghanen sich wundern, dass die USA doch eine Nadel im Heuhaufen zu finden fähig seien, aber nicht fähig seien, über 60 Frauen mit Kindern als solche auszumachen, und sie deshalb bombardieren und auslöschen.

In dieser Dokumentation wie in vielen anderen Berichten wurde sichtbar, dass die militärische Mission spätestens 2008 – spätestens! – als eine wahnsinnige, zum Scheitern verurteilte Operation betrachtet werden muss. Schon damals hätte sie abgebrochen werden müssen. Spätestens!

Wenn man sich die Dokumentation von Hubert Seipel anschaut, dann kann man sich nicht mehr darüber wundern, dass die westlichen Alliierten und ihr Militär und die mit ihnen zusammenarbeitenden und von ihnen ausgebildeten afghanischen Militärs das Vertrauen der Afghanen verlieren mussten und verloren haben. Schon vor 13 Jahren konnte man wissen, dass die Taliban wiederkommen und dass die Taliban vermutlich um vieles mehr Vertrauen unter der Mehrheit der Afghanen finden werden als der Westen.

Aber, und das sollte man beachten, in unseren Zeitungen und den abendlichen Nachrichtensendungen wird uns nicht davon berichtet, was man vor über einem Jahrzehnt schon wusste, dass dieser Militäreinsatz sinnlos ist. Die Geschichte wird verkürzt erzählt. Eine der gängigsten Manipulationsmethoden.

In der heutigen Debatte wird selbstverständlich auch nicht darauf zurückgekommen, dass die Linkspartei von Anfang an gegen diesen Einsatz war.

Darauf zurückzukommen, wäre sogar im Blick auf die kommenden Bundestagswahlen und die danach zu führenden Koalitionsverhandlungen von Bedeutung. Denn die ablehnende Haltung der Linkspartei zum Afghanistan-Einsatz und zu anderen Auslandseinsätzen der Bundeswehr wurde stets dazu missbraucht, eine Koalition mit der Linkspartei für schlimm zu halten. Sozialdemokraten und Bündnisgrüne lehnten mit Hinweis auf die angeblich falsche Position der Linkspartei zu Militäreinsätzen eine Koalition mit der Linkspartei ab. Und sie wurden darin selbstverständlich von der Mehrheit der Medien unterstützt, von der CDU/CSU sowieso.

Auf diese Konstellation und diese Argumentation wird heute nicht hingewiesen. Das wird verschwiegen, obwohl es eigentlich ein wichtiges Nebenprodukt des Afghanistan-Einsatzes war. Die Linkspartei sei nicht regierungsfähig, so tönte es zum Beispiel vor allem in konservativen/rechten Teilen der SPD.

In der bei uns geführten Nachfolgedebatte zu der Katastrophe von Afghanistan wird vieles diskutiert, aber – nach meinem Eindruck – kommt die notwendige Konsequenz, nämlich der Verzicht auf militärische Auslandseinsätze insgesamt, viel zu kurz.

In den letzten Tagen musste man sogar den traurigen Eindruck gewinnen, dass die Meinungsführer richtig froh sind, dass sie jetzt eine Ablenkung vom Hauptthema haben: die Terroranschläge von gestern. Jetzt muss man nicht mehr über das Versagen von Politik und Medien sprechen und das Scheitern der Militärmission am Hindukusch eingestehen, jetzt ist man nicht mehr gezwungen, die Konsequenzen zu ziehen. Jetzt kann man Sondersendungen mit den Terroranschlägen füllen. Und man kann damit sogar ein bisschen das Versagen bei der Rettung der Ortskräfte überlagern.

Nach diesen Erfahrungen muss ich die Liste der in „Glaube wenig. Hinterfrage alles. Denke selbst“ geschilderten Manipulationsmethoden um die Methode „Ablenken“ ergänzen.

Bei der Debatte der Katastrophe von Afghanistan ist eine weitere interessante Manipulationsmethode sichtbar geworden: sozusagen die Super-Methode zur Manipulation: die grundlegende Denkweise, wir seien die Guten und die anderen seien die Bösen bzw. die Hinterwäldler.

Diese Denkweise liegt nahezu allen Berichten und Kommentaren über die Vorgänge in Afghanistan wie auch in Syrien, Libyen, im Irak usw. zugrunde. Unsere Medien sind mehrheitlich von diesem Grundmuster geprägt. Man kann es auch Haltung nennen. Das wird auch im äußerem Auftritt sichtbar. Dort die seltsam angezogenen Afghanen, hier die immer adretter werdenden Moderatorinnen unserer Sendeanstalten. Gestern Abend besonders sichtbar beim ZDF-Heute.

Hier noch zusammengefasst die beiden Ergänzungen auf der Liste der Manipulationsmethoden:

19. Ablenken

20. Das Denkschema „wir sind die Guten“ anwenden

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