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Heute unter anderem zu folgenden Themen: Innere Mobilmachung; Angst; neue NATO-Strategie; Irlands Finanzkrise; Schuldenabbau durch Sparen?; Gerechtigkeit für einige; Großbritanniens Blamage; Kommunalfinanzen; Flucht an den Genfersee; schwindendes Vertrauen; Merkel sagt endlich die Wahrheit; Hartz-IV-Reform mit Grundgesetz vereinbar?; Weihnachtsgeschäftjubelmeldung der GfK; Garantiezins der Lebensversicherer sinkt; Armut durch Gesundheitskosten; Lobbyismus; geändert wurde nur, was nichts kostet; Schulung im Spendensammeln; Inder sind billiger als Kinder; Fritz Bauer; spanische Roma; Wahlen in USA eine fehlgeleitete Empörung; haben es Amerikanerinnen besser?; Argentinien will Schulden zahlen; Berlusconisierung Bayerns; Grottian wegen Aufrufs zur Bankenbesetzung verurteilt; Volker Pispers: Ablenkung. (KR/WL)

Dieser Service der NachDenkSeiten soll Ihnen einen schnellen Überblick über interessante aktuelle Artikel und Sendungen verschiedener Medien verschaffen. Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert.

  1. Innere Mobilmachung
  2. Angst
  3. (Un)Sicherheitskakophonie: Anmerkungen zur neuen NATO-Strategie
  4. Irlands Finanzkrise
  5. Schuldenabbau durch Sparen?
  6. Joseph E. Stiglitz: Gerechtigkeit für einige
  7. J. Bradford DeLong: Großbritanniens Blamage
  8. Kommunalfinanzen
  9. Flucht an den Genfersee
  10. Schwindendes Vertrauen
  11. Merkel lässt Kritik der Wirtschaft einfach abtropfen
  12. Hartz-IV-Reform mit Grundgesetz vereinbar?
  13. Weihnachtsgeschäftjubelmeldung der GfK
  14. Garantiezins der Lebensversicherer dürfte bald sinken
  15. WHO-Bericht: 100 Millionen Menschen werden durch Gesundheitskosten arm
  16. Lobbyismus – Wie käuflich ist die Politik?
  17. Studentenproteste 2009: “Geändert wurde nur, was nichts kostet“
  18. Schavan schult Unis im Spendensammeln
  19. Zuwanderung: Inder sind billiger als Kinder
  20. Dokumentarfilm über Fritz Bauer
  21. Spanischen Roma: Von der Baracke in den zweiten Stock
  22. Noam Chomsky: Wahlen in den USA: Fehlgeleitete Empörung
  23. Da lächelt die Amerikanerin
  24. Argentinien will Schulden bezahlen
  25. Chef der bayerischen Staatskanzlei will Präsident der Landeszentrale für neue Medien werden
  26. Grottian wegen Aufrufs zu Bankenbesetzung zu Geldstrafe verurteilt
  27. Zu guter letzt: Ablenkung – von Volker Pispers

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Innere Mobilmachung
    Dem Terroralarm sei dank, der Bundestag wird bis auf weiteres nicht von Sozialprotesten belästigt. Die Berliner Polizei hat die von linken Gruppen für Freitag geplante Belagerung des Parlaments im Reichstag verboten. An dem Tag wollen die Abgeordneten den sogenannten Sparhaushalt verabschieden. Bereits am Montag war unter Verweis auf die neue deutsche Gefährdungslage die Kuppel des Reichstagsgebäudes – Symbol für die demokratische Kontrolle des Parlaments – für normale Besucher gesperrt worden. Der Zugang zum daneben gelegenen Dachrestaurant von »Feinkost Käfer« wird zahlungskräftiger Kundschaft weiter sichergestellt
    Das Berliner Schülerbündnis »Bildungsblockaden einreißen!« hält am angekündigten Protest direkt vor dem Reichstag fest. »Auch die Hysterie um einen Anschlag auf den Bundestag oder andere Objekte in der BRD werden uns nicht davon abhalten, friedlich in die Bannmeile zu gelangen, um dort auf die wirkliche Bedrohung – den massiven Sozialabbau – hinzuweisen«, heißt es in einer gestern verbreiteten Stellungnahme. Zivilcourage gegen Sozialabbau in Terroralarmzeiten eben. Die Kids sind damit im Prinzip voll auf Regierungslinie: Innenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte im Terrortalk bei »Anne Will« am Sonntag vor einem Millionenpublikum dazu aufgerufen, sich öffentlich zu versammeln: »Es ist auch ein Zeichen von Zivilcourage, dass man selbstverständlich auf einen Fußballplatz geht, auf einen Weihnachtsmarkt geht, ins Theater geht, den Reichstag besucht.«
    Quelle: junge Welt
  2. Angst
    “Deutschland ist im Ausnahmezustand” schreibt die BILD-Zeitung und meint damit die gestiegene Polizeipräsenz in deutschen Städten. Und sie hat recht. Deutschland ist bedroht. Und ich habe Angst.
    Ich habe Angst davor, dass wir unsere Freiheit im Namen der Sicherheit beschneiden, unsere E-Mails und Telefongespräche von Sicherheitsbehörden mitlesen und -hören und uns an Flughäfen unter die Kleidung schauen lassen, während wir dagegen protestieren, dass Google Fotos von Häuserfassaden ins Internet stellt.
    Ich habe Angst davor, dass Menschen unter Generalverdacht gestellt werden, weil sie lange Bärte haben, ein Kopftuch tragen oder nicht Deutsch sprechen können…
    Ich habe Angst davor, dass es nur noch darum gehen wird, dass es “der Wirtschaft” gut geht und nicht den Menschen. Ich habe Angst davor, dass einzelne Lobbyisten mehr Macht bekommen als das Volk und dass die Anzahl der Parteispenden die Politik stärker beeinflusst als die Anzahl der Wählerstimmen. Ich habe Angst davor, dass Bildung und Sozialhilfe nur noch als Kostenpunkte in einer Bilanz gesehen werden und nicht als Errungenschaften der Menschlichkeit…
    Und ich habe Angst davor, dass viele Menschen meine Angst nicht teilen, sondern sich vor anderen Dingen fürchten: vor Terror-Anschlägen, vor Überfremdung, vor Sozialschmarotzern und vor linken Spinnern. Ich habe Angst davor, dass diese Angst von einigen Medien und Personen des öffentlichen Lebens geschürt und benutzt wird. Ich habe Angst davor, dass unter dem Deckmantel dieser Angst unsere Grund- und Menschenrechte ausgehebelt werden. Und genau diese Angst ist es, die mir am meisten Angst macht.
    Quelle: Einstieg
  3. (Un)Sicherheitskakophonie: Anmerkungen zur neuen NATO-Strategie
    Am 19. November 2010 unterzeichneten die versammelten Staats- und Regierungschefs beim NATO-Gipfeltreffen in Lissabon ein neues Strategisches Konzept, das damit die bisherige Fassung aus dem Jahr 1999 ersetzt. Hochtrabend kündigte NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen einen großen Wurf an, den er griffig auf die Formel brachte, man würde damit „NATO 3.0“ einläuten und hierdurch die Allianz grundlegend neu aufstellen. Damit hatte sich der NATO-Chef, der darauf bestand, die Strategie persönlich abzufassen, ganz offensichtlich aber verhoben. Denn in dem Dokument bleibt vieles im Vagen, was darauf hindeutet, dass sich die NATO-Staaten entweder in zahlreichen Kernpunkten nicht auf bindende Maßnahmen einigen konnten oder bewusst konkrete Pläne schuldig bleiben wollten, um sich vor allzu großer Kritik zu immunisieren – vermutlich war es eine Kombination aus beidem.
    Dennoch findet sich im Strategischen Konzept genug, um sich Sorgen zu machen. Zu nennen ist hier vor allem die zahllosen aufgeführten „Bedrohungen“ gegen die sich das Bündnis künftig buchstäblich zu rüsten gedenkt sowie der Aufbau NATO-eigener „ziviler“ Planungskapazitäten und damit die forcierte Instrumentalisierung nicht-militärischer Akteure und Instrumente. Auch die erhebliche Aufwertung der Europäischen Union als „strategischer Partner“ der NATO deutet auf eine noch stärkere künftige Verzahnung beider Organisationen hin, die aus friedenspolitischer Sicht alles andere als begrüßenswert ist. Demgegenüber wurde und wird viel Aufhebens um die neue Partnerschaft mit Russland gemacht, von der aber genauer besehen ebenso wenig übrig bleibt, wie von den Bekenntnissen zur nuklearen Abrüstung.
    Quelle: Informationsstelle Militarisierung e.V.

    Dazu:

    Das neue Strategische Konzept der NATO / “Strategic Concept.
    For the Defence and Security of The Members of the NATO”
    Quelle: AG Friedensforschung [PDF – 132 KB]

    Ausgewählte Kommentare der deutschen und internationalen Presse zum NATO-Gipfel 2010 in Lissabon
    Quelle: AG Friedensforschung

  4. Irlands Finanzkrise
    1. Ulrike Herrmann: Die Iren müssen bluten
      Wie die Hilfe für Irland funktioniert, an welche Bedingungen sie gebunden ist und wer dafür aufkommt.
      Quelle: taz
    2. Schluss mit den Nebelbomben der Banken
      Spätestens seit den dramatischen Rettungsaktionen während der Finanzkrise 2008 sollte den Regierungen Europas klar sein, dass das Schicksal ihrer Länder in den Händen einiger Tausend Banker liegt – und die tanzen den Staaten offenbar auf der Nase rum.
      Ein marodes Bankensystem kann ganze Staaten in den Ruin reißen. In Irland wurde dies wegen des atemberaubenden Missverhältnisses von kleiner Volkswirtschaft und übergroßem Finanzsektor nur besonders deutlich.
      Angesichts dieser Abhängigkeit ist es umso erstaunlicher, wie sehr sich die europäischen Staaten offenbar immer noch von ihren Banken auf der Nase herumtanzen lassen. Das belegt der Fall Irland eindrucksvoll. Erst im Frühsommer hatten die europäischen Bankenaufseher in einem sogenannten Stresstest 91 Institute auf deren Krisenresistenz überprüfen lassen. Dabei verließen sie sich auf die Daten, die die Banken selbst lieferten. Am Ende bestanden 84 Banken den Test. Das Signal: alles in Ordnung. Die Rettungsaktion für Irland zeigt nun, dass gar nichts in Ordnung ist.
      Quelle: FTD
    3. Frankreichs Banken am stärksten von Irland betroffen
      Die Währungskrise bedroht erneut die Banken. Frankreichs Großbanken sind am stärksten in Problemstaaten engagiert – und der Bankenstresstest war ein Flop…
      Welche Auswirkungen Banken-Schieflagen jedoch auf die Staatshaushalte und die Stabilität der Länder hätten, macht eine Aufstellung von Barclays Capital deutlich. Demnach beläuft sich die Bilanzsumme aller dortigen Kreditinstitute auf das Siebenfache der irischen Wirtschaftsleistung. In der Schweiz ist der Faktor 6,5. In den Niederlanden sind die Banken fünfmal so groß wie das Bruttoinlandsprodukt (BIP). Frankreich, Großbritannien und Belgien kommen auf das Vierfache. Noch vor 20 Jahren, geschweige denn vor 50 Jahren war der Anteil des Finanzsektors an der Volkswirtschaft wesentlich kleiner. Damals gab es kaum eine Bank, deren Scheitern das ganze System zum Kollabieren hätte bringen können.
      Inzwischen hat sich der Finanzsektor zu einem Popanz aufgebläht. Um die Gefährdung der gesamten Ordnung werden neuerdings sogenannte Stresstests durchgeführt. Diese sollen durch die Simulation bestimmter Zahlungsausfälle Regierungen und Investoren einen Einblick verschaffen, welchen finanziellen Stress die einzelnen Geldhäuser aushalten. Das Problem dabei: Die Realität neigt dazu, die Annahmen im Negativen zu übertreffen. Damit werden die Resultate ad absurdum geführt.
      Keine irische Bank ist zum Beispiel im Sommer durch den Stresstest der europäischen Aufsichtsbehörden gefallen. Das war im Juli dieses Jahres. Doch jetzt, gerade einmal ein paar Monate später, müssen die Institute auf einmal mit zig Milliarden gestützt werden.
      Quelle: Welt Online

      Anmerkung WL: Ganz interessant sind die Darstellungen der US-Bank Morgan Stanley, welche Folgen ein Kapitalschnitt bei europäischen Wackelstaaten für einzelne Bankinstitute haben würde.
      Auch lohnt sich ein Blick auf die Darstellungen der Haushaltsdefizite und der Schuldenstände der 16 Länder, die der Euro-Zone angehören.

  5. Schuldenabbau durch Sparen?
    1. Abbau der Schulden als «Mission impossible»
      Die Zahlungsunfähigkeit von Unternehmen kommt zumeist alle Betroffenen teuer zu stehen. Nur in günstigen Fällen erhalten Gläubiger bei Pleiten ihre Forderungen vollständig erstattet. Bei Staaten gilt diese Selbstverständlichkeit eigentlich auch. Die teilweise weit unter ihren Nennwert gefallenen Preise der Anleihen von weitgehend insolventen peripheren Ländern der Euro-Zone, vor allem von Griechenland und Irland, signalisieren die von den Märkten empfundene Gefahr einer teuren Schuldenrestrukturierung. So entsprechen die tiefen Kurse irischer Staatsanleihen mit einer Laufzeit von 10 Jahren einer Wahrscheinlichkeit von rund 80%, dass die ursprünglichen Abmachungen über Verzinsung und Rückzahlung nicht eingehalten werden; bei spanischen Anleihen liegt diese Wahrscheinlichkeit bei 55%.
      Zu den wichtigsten Strukturproblemen gehören das in den peripheren Ländern deutlich kräftiger als in den Kernländern ausgefallene Wachstum der Konsumkredite und die damit verbundenen Unterschiede in der Konsumentwicklung. Ein anderes Strukturproblem ist die sich weitende Schere der Wettbewerbsfähigkeit: Während in peripheren Ländern die Lohnkosten stiegen, fielen sie in Deutschland. Beobachtungen dieser Art sind keineswegs grundsätzlich neu, zeigen aber das an den Märkten bestehende Unbehagen über die Grundstruktur der Euro-Zone. Cembalest stellt die Frage, wie die Europäische Zentralbank gleichzeitig eine «richtige» Geldpolitik für die strukturell unterschiedlichen Peripherie- und Kernländer aufrechterhalten kann. Er erinnert an ein an Strukturunterschieden gescheitertes Experiment, den Europäischen Wechselkursmechanismus (ERM). Nun verfolgen periphere Länder eine ebenfalls zum Scheitern verurteilte Strategie.
      Der Abbau der Schulden scheint eine «Mission impossible» zu sein. Rigoroses Sparen führt zu zusätzlichen Schulden, eine Mithaftung der Anleger verschärft Solvenzkrisen, abfedernde Abwertungen sind nicht möglich. Die Flucht nach vorne wäre der Aufbau eines Europäischen Währungsfonds, der finanzielle Hilfe mit strenger Konditionalität verbindet, wie Thomas Mayer von der Deutschen Bank vor Monaten empfohlen hatte – womit die Krise zu einer noch engeren Union führen würde.
      Quelle: NZZ
    2. Robert Shiller: Haushaltskonsolidierung unterbinden
      Die realen langfristigen Zinssätze, das heißt die Zinsen für inflationsgeschützte Anleihen, sind in vielen Teilen der Welt auf einen historischen Tiefstand gesunken. Diese ökonomische Tatsache ist von fundamentaler Bedeutung, da der reale langfristige Zinssatz ein direktes Maß für die Kosten von Krediten ist, mit denen Geschäfte geführt, neue Unternehmen gegründet oder existierende vergrößert werden – und das Zinsniveau widerspricht derzeit dem ganzen Gerede darüber, dass die staatlichen Defizite abgebaut werden müssen.
      Selbstverständlich sollten die langfristigen staatlichen Investitionen in die Infrastruktur, Bildung und Forschung derzeit viel höher ausfallen als vor fünf oder zehn Jahren, als die langfristigen Zinssätze ungefähr zweimal so hoch waren. Solche Investitionen würden eher höhere Gewinne bringen als damals, zumal die Wirtschaft in vielen Ländern immer noch relativ schwach ist und angekurbelt werden muss. Es ist komisch, dass so viele Regierungen derzeit den Schwerpunkt auf die Haushaltskonsolidierung legen, wo sie ihre Kreditaufnahme eigentlich erhöhen sollten, um von extrem niedrigen realen Zinssätzen zu profitieren. Dies wäre ein günstiger Moment für die Regierungen, um mehr inflationsindexierte Schulden zu emittieren, mit der Emission zu beginnen oder nominale, an das BIP gekoppelte Schulden zu emittieren, was dem gleichkommt.
      Quelle: Project Syndicate
  6. Joseph E. Stiglitz: Gerechtigkeit für einige
    In Amerika ist die Korruptheit auf einer höheren Ebene angesiedelt. Es werden keine bestimmten Richter gekauft, sondern die Gesetze selbst – durch Wahlkampfspenden und Lobbyismus, was mittlerweile als „Korruption im amerikanischen Stil“ bezeichnet wird. Es war weithin bekannt, dass Banken und Hypothekengesellschaften rücksichtslose Kreditvergabepraktiken hatten und die Kunden mit der geringsten Bildung und den wenigsten Finanzkenntnissen ausnutzten, um Kredite zu vergeben, die den Kreditnehmern maximale Gebühren und gewaltige Risiken aufbürdeten. (Gerechterweise muss man anmerken, dass die Banken auch versuchten, Kunden mit mehr finanziellem Fachwissen auszunutzen, z. B. mit den von Goldman Sachs zusammengestellten Wertpapieren, die auf Verlust ausgelegt waren.) Doch setzten die Banken all ihre politische Kraft ein, um die einzelnen Staaten davon abzuhalten, Gesetze zu erlassen, die diese rücksichtlose Kreditvergabe beschnitten hätten.
    Als deutlich wurde, dass die Kunden ihre Schulden nicht zurückzahlen konnten, änderten sich die Spielregeln. Insolvenzgesetze wurden geändert, um ein System der „partiellen Schuldknechtschaft“ einzuführen. Eine Person mit Schulden in Höhe von, sagen wir mal, 100 % ihres Einkommens könnte gezwungen werden, der Bank für den Rest ihres Lebens 25 % ihres Brutto-Einkommens vor Steuern zu überlassen, denn die Bank könnte jedes Jahr z. B. 30 % Zinsen auf den geschuldeten Betrag aufschlagen. Am Ende würde der Hypothekennehmer der Bank wesentlich mehr schulden, als sie je bekommen hat, obwohl der Schuldner tatsächlich ein Viertel seiner Arbeitszeit für die Bank gearbeitet hat. Als dieses neue Insolvenzgesetz verabschiedet wurde, beschwerte sich niemand, dass es in die Vertragstreue eingriff: Als die Kreditnehmer ihre Schulden aufnahmen, gab ihnen ein humaneres – und wirtschaftlich sinnvolleres – Insolvenzrecht eine Chance auf einen Neuanfang, falls ihre Schuldenlast zu erdrückend wurde.
    Nun, wo eine von vier Hypotheken in den USA „unter Wasser“ ist – das heißt, die Schulden übersteigen den Wert des Hauses –, herrscht zunehmende Einigkeit, dass der einzige Weg aus diesem Schlamassel ist, den Wert der Hauptsumme (was geschuldet wird) herabzusetzen. Amerika verfügt über ein spezielles Verfahren für Unternehmensinsolvenzen, genannt Chapter 11, das eine schnelle Umstrukturierung ermöglicht, indem Schulden abgeschrieben und ein Teil davon in Firmenkapital umgewandelt wird. Es ist wichtig, Unternehmen als geschäftstätige Betriebe am Leben zu erhalten, um Arbeitsplätze und Wachstum zu schützen. Doch ist es auch wichtig, Familien und Gemeinden intakt zu halten. Also braucht Amerika ein „Chapter 11 für Eigenheimbesitzer“.
    Quelle: Project Syndicate
  7. J. Bradford DeLong: Großbritanniens Blamage
    Ende 2008, als die Finanzkrise mit voller Kraft zuschlug, teilten sich die Länder der Welt in zwei Gruppen auf: diejenigen, deren Politiker entschieden, sich durchzuwursteln, und China. Nur die Chinesen nahmen Milton Friedmans und John Maynard Keynes Argument ernst, dass man bei der Möglichkeit einer Depression als Erstes mithilfe des Staats strategisch auf den Produkt- und Finanzmärkten eingreifen sollte, um den Fluss der Gesamtnachfrage aufrechtzuerhalten. Derzeit findet eine weitere Aufteilung statt, dieses Mal zwischen den Ländern, die sich nach wie vor durchwursteln, und Großbritannien. Obwohl die Kreditwürdigkeit der britischen Regierung immer noch so solide wie Gold ist, steht die Regierung von Premierminister David Cameron kurz davor, den vielleicht größten je dagewesenen, anhaltenden fiskalischen Abschwung einzuleiten: Sie plant, das staatliche Haushaltsdefizit im Laufe der nächsten vier Jahre um 9 % des BIP zu senken. Bisher bewältigt China die Finanzkrise am besten. Die Länder, die sich durchwursteln, hinken hinterher. Und diejenigen, bei denen das Vertrauen in die Verbindlichkeiten des Staates einen Knacks bekommen hat, wodurch der Staat zu Sparmaßnahmen gezwungen ist, stehen am schlechtesten da.
    Die Briten sind bereit, ihrer Regierung gewaltige Beträge zu leihen – und zwar zu Bedingungen, die großzügiger sind als die vom IWF angebotenen. Und falls man befürchtet, die britische Bevölkerung könnte ihre Meinung ändern, so wären die Prinzen an der Wall Street oder die Barone von Canary Wharf oder der US-Finanzminister Tim Geithner bestimmt bereit, Derivatkontrakte zu verkaufen, um Großbritannien in den nächsten Jahren vor Wechselkursrisiken zu schützen. Sich beim eigenen Volk Geld zu leihen ist insbesondere dann nicht blamabel, wenn die eigene Wirtschaft in der Depression steckt, wenn die Zinssätze, zu denen man einen Kredit aufnehmen kann, fast auf einem Rekordtief stehen und wenn jedes ökonomische Argument nach sofortigen Ausgaben und späteren Steuererhöhungen schreit. Was jedoch blamabel ist, ist eine Regierung zu haben, die eine halbe Million Stellen im öffentlichen Dienst streicht und den Verlust einer weiteren halben Million Arbeitsplätze im Privatsektor verursacht. In einer Wirtschaft mit 30 Millionen Arbeitsplätzen lässt sich dies in eine Erhöhung der Arbeitslosenquote von 3,5 Prozentpunkten umrechnen – zu einem Zeitpunkt, zu dem es keinerlei Ressourcen für eine Ausweitung der Nachfrage des Privatsektors gibt, um die Differenz auszugleichen. Großbritanniens Sternstunde ist das nicht.
    Quelle: Project Syndicate
  8. Kommunalfinanzen
    1. Deutscher Städtetag – Berliner Resolution der deutschen Städte zur kommunalen Finanzlage
      • Gewerbesteuer stärken, Grundsteuer reformieren
      • Deutliche Entlastung der Kommunen bei den Sozialausgaben rasch umsetzen
      • Keine neuen Belastungen ohne Ausgleich
      • Kommunen an der Gesetzgebung beteiligen, Kostenfolgen verlässlich berechnen
      • Länder müssen ihrer Verantwortung für die Städte gerecht werden

      Quelle: Deutscher Städtetag [PDF – 101 KB]

    2. Dazu:

    3. Gemeindefinanzreform – Empfehlungen aus raumwissenschaftlicher Sicht
      Ergebnisse des gemeinsamen Ad-hoc-Arbeitskreises der ARL und der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung (DASL) Hannover
      Immer mehr kommunalen Gebietskörperschaften fällt es schwer, trotz eines historisch gewachsenen fiskalischen Ausgleichsystems die Differenz zwischen laufenden Einnahmen und laufenden Ausgaben zu schließen. Im Ergebnis dieser Entwicklung weisen die kommunalen
      Gebietskörperschaften im Jahre 2009 rund 114 Mrd. € an Schulden insgesamt auf. 1999
      waren es noch 8 Mrd. € weniger.
      Durch die Finanz- und Wirtschaftskrise hat sich die Finanzierungsbasis der kommunalen Gebietskörperschaften dramatisch verschlechtert. So rutschte der Finanzierungssaldo von 2008 auf 2009 von + 7,7 Mrd. € auf -7,1 Mrd. € ab. Verantwortlich hierfür war insbesondere der Rückgang der Gewerbesteuer (netto) um fast 20 % binnen Jahresfrist (-6,1 Mrd. €), in einzelnen Städten um 40 %. Die Steuermindereinnahmen werden sich nach allen Prognosen auch 2010 und 2011 fortsetzen.
      Quelle: Positionspapier aus der ARL [PDF – 2.6 MB]
  9. Flucht an den Genfersee
    Der US-Milliardenkonzern Weatherford ist neu an der Schweizer Börse kotiert. Die Erdöl-Bohrfirma hat ihren Hauptsitz nach Genf verlegt – und beschäftigt dort vier Leute. Nur gerade zwei Topmanager und zwei Sekretärinnen von Weatherford haben letztes Jahr an der Rue Jean-François Bartholoni in Genf ihr Büro bezogen. Nach der Wahl von Barack Obama hat die US-Firma ihren Hauptsitz von der Karibik aus steuerlichen Gründen in die Schweiz verlegt. Von Genf aus lenkt nun der Hersteller von Bohrtürmen und Öl- und Gas-Pipelines die Geschicke rund um den Globus – und orchestrierte vergangene Woche den Gang an die Schweizer Börse. Die Aktien schlossen bei rund 20 Fr. Viel wichtiger ist jedoch, dass Weatherford aufgrund seiner Grösse im nächsten Jahr Teil des SMI werden dürfte – also eines der 20 Schwergewichte des Schweizer Börsenplatzes. «Wir sind ein multinationales Unternehmen», sagt Weatherford-Finanzchef Andrew Becnel gegenüber der «NZZ am Sonntag». «Unsere 53 000 Mitarbeiter sind eigentliche Klempner: In über 100 Ländern und auf mehr als 1000 Bohrfeldern holen sie Öl und Gas aus dem Boden.» Becnel schwärmt am Telefon von den Vorzügen des neuen Hauptsitzes am Genfersee. Er und der Geschäftsführer Bernard Duroc-Danner haben sich mit ihren Familien dort gut eingelebt. Und wie viele ausländische Manager hebt Becnel die perfekte Infrastruktur, die politische Stabilität und die zentrale Lage der Schweiz hervor: «Es ist phantastisch, ich kann morgens mit Singapur telefonieren und abends mit Texas. Ausserdem sind wir schneller bei unseren Kunden.» Und die kommen zunehmend aus dem Osten. Vor zehn Jahren erwirtschaftete Weatherford zwei Drittel des Umsatzes in den USA, heute noch einen Drittel.
    Quelle: NZZ

    Anmerkung Orlando Pascheit: Die Schweiz lernt es einfach nicht. Wenn es nicht so bitter wäre, könnte man herzlich lachen: eine Briefkastenfirma als Schwergewicht des Schweizer Börsenplatzes.

  10. Schwindendes Vertrauen
    Irgendwas stimmt nicht. Deutschland geht es vergleichsweise gut, trotz weltweiter Wirtschafts- und Finanzkrise sinkt – beispielsweise – die Zahl der Arbeitslosen und steigt das Wirtschaftswachstum. Aber das Gefühl von Ungerechtigkeit und Unsicherheit auch.
    Quelle: Tagesspiegel

    Anmerkung Orlando Pascheit: Das schwindende Vertrauen der Bevölkerung hat auch etwas mit dem Ausgangspunkt des Artikels zu tun. Denn das Absinken der Arbeitslosenzahl hat viel mit Statistik zu tun und kann nicht die Zunahme an prekären Jobs kaschieren. Das Wirtschaftswachstum ist nicht auf dem Niveau des hoch bejubelten zweiten Quartals geblieben. Nach 0,6% bzw. plus 2,3% hat sich im dritten Quartal mit  0,7% das Wachstum stärker als erwartet verlangsamt. Der Weltwirtschaftsklimaindex (so etwas gibt es) ging bereits zum zweiten Mal in Folge zurück. Die Erfahrung mit solchen Indices ist eigentlich, dass sie viel zu optimistisch sind. „Der leichte Rückgang des Weltwirtschaftsindikators resultierte ausschließlich aus der Verschlechterung der Erwartungen für die nächsten Monate“, orakelt ifo-Präsident Hans-Werner Sinn. Wir können also von Glück sagen, wenn wir überhaupt noch Wachstum haben werden. Und wenn schon die Weltwirtschaft den ehemaligen Exportweltmeister nicht pusht, wer dann? Aus dem sparenden Europa ist kein Impuls zu erwarten. Schließlich hatten wir bei unser wichtigster Handelspartner, Frankreich, 2009 einen Exporteinbruch von 12,6 % zu verzeichnen.- All diese Fakten sind den Journalisten bekannt, aber mit ihren äußerst heroischen Aussagen verstärken sie bei der Bevölkerung die bereits bestehende Unsicherheit, die sehr wohl registriert, dass die Lage lange nicht so gut ist, wie propagiert.

  11. Merkel lässt Kritik der Wirtschaft einfach abtropfen
    …Und so präsentierte Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt jetzt der Regierung eine lange Wunschliste. Vor allem forderte er „deutlich mehr Ehrgeiz und größere Anstrengungen, wenn wir endlich ein Kernproblem unseres Arbeitsmarktes angehen wollen“, die exzessiv hohe Steuer- und Abgabenlast auf dem Faktor Arbeit. Auch die Gesundheitsreform kommt schlecht weg. Zwei Milliarden Euro koste die Beitragserhöhung die Arbeitgeber. Dabei habe die Koalition doch versprochen, die Soziallasten nicht zu erhöhen.
    Diesen Vorwurf lässt die Kanzlerin nicht auf sich sitzen. Die Reform sei für die Arbeitgeber gemacht. Der Arbeitgeberbeitrag werde eingefroren. Kostensteigerungen im Gesundheitswesen müssen künftig die Versicherten tragen. Dass die Arbeitgeber zu den Kritikern der Reform gehören, verstehe sie nicht. Dass die Sozialbeiträge trotz Wirtschaftskrise unter 40 Prozent liegen, sei eine große Leistung. „Sie dürfen klatschen“, forderte die Kanzlerin den Applaus der versammelten Manager.
    Quelle: Welt Online

    Anmerkung WL: Dieses Eingeständnis der Kanzlerin, sollten Sie sich merken, wenn wieder einmal von einer „fairen“ Lastenverteilung gefaselt wird.

  12. Hartz-IV-Reform mit Grundgesetz vereinbar?
    Am 18. und 19. November trafen sich im Potsdam Sozialrechts-Experten beim Deutschen Sozialgerichtstag. Im Mittelpunkt stand die umstrittene Hartz-IV-Reform der Bundesregierung.
    Verfassungsrechtlich problematisch ist nach Einschätzung des Sozialrechtlers Johannes Münder von der TU Berlin die Ermittlung der Referenzgruppen für die SGB-II-Leistungen. So sei in einigen Bedarfsgruppen eine zu geringe Anzahl Haushalte erfasst worden, die für diese Bedarfsgruppen kaum belastbare Aussagen zu den tatsächlichen Ausgaben zuließe. Gleichzeitig fänden sich Fehler bei der Auswertung der erhobenen Daten. Beispielsweise habe man bei der Sonderauswertung Verkehr die Ausgaben von Personen heraus gerechnet, die ihren Mobilitätsbedarf mit einem PKW decken, ohne ersatzweise Kosten für den öffentlichen Nahverkehr einzustellen.
    Bedenken äußerte Münder zudem gegen die Festsetzung der Regelbedarfsgruppen. So betreffe die “Regelbedarfsgruppe 3” erwachsene behinderte Menschen, die im Haushalt ihrer Eltern leben. Für die Festsetzung eines niedrigeren Bedarfsatzes fehle es aber an statistischen Ermittlungen zum tatsächlichen Bedarf dieser Personen. Nicht nachvollziehbar sei auch, dass junge Erwachsene bis 25 Jahre geringere Leistungen erhalten sollen als Jugendliche im Alter von 15 bis 18 Jahren, heißt es in einer Mitteilung. Ähnliche Einwände gebe es bei der Ermittlung der Regelbedarfe für Kinder. Wegen der geringen Zahl der hierzu befragten Haushalte verschärfe sich das Problem der Validität der erhobenen Daten nochmals.
    In der Diskussion der mehr als 100 anwesenden Fachleute wurden die von Münder formulierten Bedenken vielfach geteilt und unterstützt. Sie mahnten aber an, den Gesetzgeber nicht durch überzogene Begründungsanforderungen zu überfordern. 
    Quelle: Arbeitsrecht.de
  13. Weihnachtsgeschäftjubelmeldung der GfK
    Leser „d.w.“ schreibt uns: „Zum x-ten Mal in Folge verkünden die Hofastrologen von der GfK, dass das Weihnachtsgeschäft dieses Jahr wieder richtig toll wird. Nach Grafiken wie dieser kann man auf den Seiten der Tagesschau freilich vergeblich suchen.“
  14. Garantiezins der Lebensversicherer dürfte bald sinken
    Lebensversicherungen haben attraktive Zinsen versprochen. Doch die werden wegen sinkender Renditen bald nicht mehr zu halten sein.
    Quelle: WELT

    Anmerkung KR: Obwohl als Anlageberatung gedacht, enthält der Artikel eine Menge unbequemer Wahrheiten über ein Grundproblem der privaten Vorsorge durch Sparen, z.B. diese: „Unternehmensanleihen wiederum gibt es gar nicht in dem von den Versicherern benötigten Umfang. So viele Schulden wollen BMW & Co. gar nicht aufnehmen wie die Versicherer kaufen können.“

  15. WHO-Bericht: 100 Millionen Menschen werden durch Gesundheitskosten arm
    Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat die Regierungen „eindringlich“ aufgefordert, ihre Gesundheitssysteme besser zu finanzieren. Weil sie ihre Behandlung selber bezahlen müssten, würden jedes Jahr 100 Millionen Menschen „in die Armut getrieben“, heißt es im diesjährigen Weltgesundheitsbericht, den die Organisation in Berlin präsentierte. „Niemand sollte finanziellen Ruin befürchten müssen weil er medizinische Behandlung benötigt“, so WHO-Generaldirektorin Margaret Chan.
     Die Müttersterblichkeit etwa sei seit 1990 gerade mal um ein Drittel gesunken, resümierte Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel (FDP). Vom erklärten Ziel, diese Todesursache bis 2015 um drei Viertel zu reduzieren, sei man noch weit entfernt. Da es keine Patentlösung für funktionierende Gesundheitssysteme gebe, habe sich die WHO bei ihren Empfehlungen auf drei Kernziele beschränken müssen, sagte Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP): der Gesundheitsversorgung im eigenen Land höheren Stellenwert einzuräumen, die Finanzierung gerechter zu gestalten und das Geld effektiver einzusetzen.
    Quelle: Tagesspiegel

    Anmerkung Orlando Pascheit: Herr Niebel und Herr Rösler sollten sich in ihrer Kommentierung zurückhalten, wo doch ihre Partei ganz wesentlich dazu beigetragen hat, das Gesundheitssystem zu entsolidarisieren bzw. die Zwei-Klassenmedizin zu stärken.

  16. Lobbyismus – Wie käuflich ist die Politik?
    Gäste: Heidi Klein (Vorstandsmitglied bei LobbyControl e.V.) und Michael Hartmann (SPD-Politiker, MdB)
    Erst die sogenannte “Mövenpick-Steuer”, also die Reduzierung der Mehrwertsteuer für Hotelbetriebe, dann die Laufzeitverlängerung für die deutschen Kernkraftwerke – festgelegt in einem Vertrag zwischen der Bundesregierung und den großen Energieunternehmen. Für viele Bürger ist das Maß voll und sie fragen sich: Wer hat das Sagen in Deutschland – die Wirtschaft oder die Politik? Wie käuflich sind unsere Politiker?
    Quelle 1: Deutschlandradio Kultur (Einleitungstext)
    Quelle 2: Deutschlandradio Kultur Teil 1 [Audio-Podcast – mp3]
    Quelle 3: Deutschlandradio Kultur Teil 2 [Audio-Podcast – mp3]
  17. Studentenproteste 2009: “Geändert wurde nur, was nichts kostet“
    Vor einem Jahr verschafften sich genervte Studierende Gehör. Einigen Unis ist es immerhin gelungen, die Prüfungsdichte zu lockern. Doch geändert wurde nur, was nichts kostet, klagen Studentenvertreter.
    Quelle: FR
  18. Schavan schult Unis im Spendensammeln
    Wie begeistert man Geldgeber für Stipendien?” Fragen wie diese können sich Hochschulen seit Montag im Rahmen einer Fundraiser-Schulung beantworten lassen. Und zwar kostenlos. Die dreitägige Ausbildung bezahlt das Bundesbildungsministerium – in der Hoffnung, dass das groß angekündigte Stipendienprogramm von Hausherrin Annette Schavan (CDU) endlich zündet. Schavan war lange Zeit mit der Idee eines Stipendienprogramms für ganz Deutschland hausieren gegangen. Ein solches Programm sei überfällig, meinte Schavan. Bis zu 160.000 leistungsstarke Studierende sollten damit 300 Euro monatlich von ihrer Hochschule erhalten – zur Hälfte vom Staat und zur Hälfte von der Wirtschaft finanziert. Die Länder aber weigerten sich. Doch statt 430 Millionen Euro – die der Staat jährlich zahlen müsste, wenn die Pläne wahr würden – hat das Ministerium lediglich 10 Millionen Euro für das nächste Jahr im Haushalt eingeplant.
    Kritiker prophezeien bereits das Ende des Programms, bevor es richtig begonnen hat: “Das Deutschlandstipendium ist so gut wie beerdigt”, meint die Hochschulpolitikerin der Linkspartei, Nicole Gohlke. Ihre Partei will mit dem Geld zwar weiterhin lieber das elternabhängige Bafög aufstocken. Aber nur noch pro forma: “10 Millionen Euro sind keine Summe, mit der man relevant etwas bewegen könnte.”
    Quelle: TAZ

    Anmerkung Orlando Pascheit: O weh, tut das weh! Da kann man eigentlich nichts mehr analysieren oder kommentieren. Einmal abgesehen davon, dass das Schavansche Stipendienprogramm eine Schnapsidee war,  kann man sich ob des Versagens des Staates von der Kita bis zur Hochschule nur noch die verbliebenen Haare ausreißen und in Weinen und Wehklagen ausbrechen. Schulung im Spendensammeln, welch ein Armutszeugnis, als ob das nicht schon längst die Hauptaufgabe eines jeden Forschungsreferenten an den Unis ist.

  19. Zuwanderung: Inder sind billiger als Kinder
    Zuwanderer sind ein gutes Geschäft: Ihre Ausbildung haben andere bezahlt, ihre Arbeitskraft bringt Steuern und Wachstum. So günstig macht es der eigene Nachwuchs nicht. Eine provokante Bilanz.
    Die deutschen Firmen klagen über den Fachkräftemangel, Wirtschaftsminister Rainer Brüderle will die Zuwanderung von Fachkräften erleichtern – doch in der vergangenen Woche wurde er von seinen eigenen Koalitionskollegen gebremst. Die Koalitionsrunde konnte sich nicht auf ein neues Konzept einigen – und die CSU schürte die Angst, Einwanderung werde den deutschen Staat enorme Summen kosten. „Eine Einwanderung in die Sozialsysteme ist mit uns nicht zu machen“, sagt der Chef derCSU-Gruppe in Berlin, Hans-Peter Friedrich.
    Doch neue Zahlen zeigen: Die meisten Einwanderer kosten den Staat gar nicht so viel. Sie zahlen sogar so viele Steuern und Sozialbeiträge, dass der deutsche Staat an der Zuwanderung verdient – umso mehr, wenn er die Zuwanderung richtig steuert.
    Quelle: FAZ

    Anmerkung des NDS-Lesers J.A.: Ein antisoziales Plädoyer für noch mehr Sozialabbau und die Verhinderung von Geburten in Deutschland “von dem renommierten Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen”, denn Kinder haben schließlich die unangenehme Eigenschaft, dass sie bis zum Eintritt ins Berufsleben “mit rund 28 000 Euro vom Staat rechnen [können]. Der Staat bezahlt das, indem er sich verschuldet.” Aus diesem grotesken Geschreibsel kann man leicht die Forderung nach Schulgeld und einer Extragebühr für Geburten ableiten, wenn nicht gar das Verbot, Kinder zu kriegen. (Kinder belasten schließlich nur den Staatshaushalt und arbeiten nicht für ihr Geld, die kleinen Racker. Besser, der Staat macht noch mehr Schulden für Steuergeschenke an Unternehmen und “Leistungsträger”!) Außerdem haben die Zuwanderer den weiteren Vorteil, dass “sie auch weniger Rente bekommen [als hier geborene Kinder]”. (Wie das? Sollen die Zuwanderer aus dem Rentensystem abgeschoben werden, nachdem man sie “ökonomisch verwertet”, also ausgequetscht hat???)
    Dieser gequirlte pseudo-ökonomistische Mist gipfelt dann auch konsequent in der Aussage „Mit Geburten ist das demographische Problem schwer in den Griff zu kriegen.“ Was erzählen uns denn dieselben Rentenbetrüger und die Regierungen seit Jahr und Tag? Dass die Rente nicht mehr bezahlbar sei wegen des Geburtenmangels. Auf jeden Fall arbeiten Ursula von der Leyen und die Bundesregierung ganz im Sinne dieser asozialen Politik, indem sie Millionen Kinder in Armut halten und u. a. mit der Streichung des Erziehungsgeldes bzw. der Kürzung des Elterngeldes die Geburtenrate auf das niedrigste Niveau seit 1945 gedrückt haben. Schön, dass hier die wissenschaftlich exakte Begründung für diese Politik geliefert wird.

  20. Dokumentarfilm über Fritz Bauer: Aufklärung im Kellerklub
    Er verfolgte die Verdrängung: Der hessische Staatsanwalt Fritz Bauer, der Initiator der Frankfurter Auschwitzprozesse war, steht im Zentrum von Ilona Zioks spannendem Dokumentarfilm. Der Film wirft auch die Frage nach dem angeblichen Freitod Bauers neu auf.
    Sein Misstrauen in die Strukturen der deutschen Justiz hatte ihn davon abgehalten, selbst die Auslieferung Eichmanns zu beantragen.
    Wie berechtigt dieses Misstrauen gewesen sein muss, wie übermächtig das von Altnazis auf deutschen Richterstühlen geknüpfte Verbindungsnetz in der Nachkriegszeit blieb, davon erzählt dieser mit bescheidenem Aufwand produzierte Film spannend wie ein Thriller.
    Quelle: FR
  21. Spanischen Roma: Von der Baracke in den zweiten Stock
    Die Eingliederung der spanischen Roma, die sich selbst Gitanos nennen, hat in den vergangenen Jahrzehnten sehr große Fortschritte gemacht. Dazu tragen auch Wohnprojekte bei, die eine Ghettobildung verhindern sollen. Rund 700 000 Gitanos mit spanischer Staatsangehörigkeit leben im Land. Die Integration hat hier besser funktioniert als in vielen anderen europäischen Staaten. 95 Prozent der spanischen Roma sind heute sesshaft und leben in Wohnungen. Baracken und Elendsviertel sind lediglich ein Restproblem. Noch unter Franco wurden die Gitanos als Landstreicher verfolgt. Das demokratische Spanien jedoch machte sich die Eingliederung dieser Minderheit von Anfang an zur Staatsaufgabe.
    Vor zwanzig Jahren begann man daher in der Region, die Gitanos in feste Behausungen umzusiedeln.
    Quelle: NZZ
  22. Noam Chomsky: Wahlen in den USA: Fehlgeleitete Empörung
    Die Zwischenwahlen in den USA waren begleitet von Furcht, Zorn und Desillusionierung und zwar in einem Maße, wie ich es in meinem bisherigen Leben in diesem Land noch nicht erlebt habe. Die Demokraten sind an der Macht – und daher das Ziel der Empörung über unsere sozioökonomische und politische Lage. Dabei sind die Sorgen durchaus berechtigt. Seit mehr als 30 Jahren stagnieren oder sinken die Realeinkommen der Mehrheit unserer Bevölkerung. Gleichzeitig nahm und nimmt die Arbeitszeit immer mehr zu und die (soziale) Sicherheit ab. Auch die Verschuldung nimmt zu. Andererseits haben sehr wenige Leute immer mehr Geld in den Taschen: Die (soziale) Ungleichheit ist so groß wie nie zuvor. Ich bin gerade alt genug, um noch jene düsteren, beängstigenden Tage erlebt zu haben, in denen das anständige Deutschland in einen barbarischen Nazi-Staat abglitt – um es mit den Worten von Fritz Stern, einem distinguierten deutschen Historiker, auszudrücken. 2005 schrieb Stern in einem Artikel, ihm falle Amerika ein, wenn er an jenen “historischen Prozess zurückdenke, in dessen Verlauf (die Bevölkerung), aus Enttäuschung über eine heruntergekommene säkulare Welt, ihr Heil in der Flucht in eine ekstatische Welt der Unvernunft fand”. Die Welt ist zu kompliziert, als dass sich Geschichte tatsächlich wiederholen könnte. Dennoch sollten wir uns einige historische Lektionen merken – während wir uns die Folgen dieses Wahlzyklus vor Augen halten.
    Quelle: znet
  23. Da lächelt die Amerikanerin
    Das US-amerikanische Ausland hingegen kann nicht erkennen, dass der deutsche Feminismus bereits etwas erreicht hätte. Es fragt sich vielmehr, ob ein solcher überhaupt existiert. Immerhin sei für eine fortschrittliche Nation noch sehr wenig erledigt. Und so widmet die New York Times den bizarren deutschen Frauen einen langen Artikel. Bereits in den ersten Zeilen von “German Women” wird der Handlungsbedarf betont. Die Westler, steht da zu lesen, prangerten gern die gesellschaftliche Stellung der Frau in anderen Kulturkreisen an, etwa in den muslimischen, und verschonten dabei ebenso gern andere westliche Länder, etwa Deutschland. So weit können Selbst- und Fremdwahrnehmung auseinanderdriften. Wir sollten diese Differenz ernst nehmen.
    Der Artikel ist nicht arrogant. Vielmehr bildet er die Alltagsrealität vieler deutscher Frauen und vor allem Mütter ab und macht dabei weder bei der gläsernen Decke noch dem Ehegattensplitting halt. Entsprechend wird der deutsche Familienalltag als Keimzelle des Problems ausgemacht: zu wenige Krippenplätze, kaum Ganztagschulen, unangekündigter Unterrichtsausfall. Selbst die deutschen Ladenöffnungszeiten werden angeführt. Alles zusammen verhindere den Wiedereinstieg von Müttern ins Berufsleben. Dass Deutschland trotz seiner wirtschaftlichen Stärke diese strukturellen Probleme nicht behebt, verführt im Ausland zur These von der Abwesenheit des Feminismus. Anders vermag man sich die Retardiertheit nicht zu erklären.
    Quelle: taz

    Anmerkung Orlando Pascheit: Sicherlich ist die Situation erwerbstätiger Frauen hierzulande zu kritisieren, aber wenn man Beschäftigungsquote und Lohnabstand zu Männern betrachtet, sind nur geringfügige Unterschiede zu den USA zu konstatieren. Sicherlich sind die USA für die Abwesenheit berufstätiger Eltern bis zu 12 Stunden und mehr besser eingerichtet, aber die Beschäftigungsquote von Frauen in Deutschland entspricht mit ca. 66 Prozent etwa dem Niveau von Großbritannien oder den USA. Aber der Lohnabstand zu Männerlöhnen ist auch in den USA immer noch skandalös hoch. Der durchschnittliche Unterschied zwischen den Geschlechtern beim Brutto-Stundenverdienst betrug 2006 in Deutschland laut Statistischem Bundesamt 23 Prozent, während in den USA im gleichen Jahr die Löhne der Frauen 19 Prozent unter denjenigen der Männer lagen [PDF – 1.3 MB].
    Selbstverständlich schränken auch noch statistische Erfassungsmethoden die Vergleichbarkeit ein, aber reichen 5 Prozentpunkte wirklich aus, um ein solches Loblied auf die USA anzustimmen?

  24. Argentinien will Schulden bezahlen
    Argentinien will seine Schulden beim Pariser Club – einer Gläubiger-Organisation von Industrieländern – bezahlen. Das hatte die argentinische Regierung schon einmal im September 2008 angekündigt, passiert war danach wenig. Jetzt kommt wieder Schwung in die Sache. Denn der Pariser Club hat angedeutet, auf ein begleitendes Monitoring durch den Internationalen Währungsfonds (IWF) verzichten zu können. Vor allem wegen der ausstehenden Verbindlichkeiten beim Pariser Club hatte Argentinien in den vergangenen Jahren keine internationalen Kredite aufnehmen können. Das Land steht dort mit einem Betrag von über 6 Milliarden Dollar in der Kreide. Der Pariser Club ist eine informelle Gruppe von 19 Staaten, darunter Deutschland, Japan und die USA. Die Staatengruppe bildete sich vor mehr als 50 Jahren in Paris, um gemeinsam gegenüber Schuldnerländern mit Zahlungsproblemen aufzutreten. Die Löwenanteile an den argentinischen Außenständen machen mit 2,1 und 1,6 Milliarden Dollar Deutschland und Japan geltend. Gefolgt von den Niederlanden mit 476 Millionen sowie Spanien und Italien mit rund 400 Millionen Dollar. Die USA verlangen um die 360 Millionen Dollar.
    “Jedes Mal, wenn der IWF seinen Senf dazugegeben hat, ging es den Argentiniern schlecht”, so Wirtschaftsminister Amado Boudou. Der IWF ist für die argentinische Regierung ein rotes Tuch. Ende 2005 hatte der frühere Musterschüler seine gesamten Schulden beim IWF in Höhe von 9,8 Milliarden US-Dollar vorzeitig auf einen Schlag zurückgezahlt und sich die Einmischungen und Besuche der Fonds-Vertreter verbeten.  Dass der Club jetzt bereit ist, den IWF außen vor zu lassen, hat Argentinien wohl Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zu verdanken. Präsidentin Cristina Kirchner ist es bei ihrem Treffen im Oktober wohl gelungen, die sture Haltung der Deutschen in dieser Frage aufzubrechen, so Wirtschaftsminister Boudou.
    Quelle: taz

    Anmerkung Orlando Pascheit: Dass der IWF für die Argentinier ein rotes Tuch ist, kann leicht nachvollzogen werden. Schließlich war Argentinien einst Musterschüler des IWF. Noch 1999 lobte der IWF die Wirtschaftspolitik des Landes in den höchsten Tönen. Neben der umfassende Privatisierung von Staatsunternehmen und der unilateralen Senkung der Außenzölle empfahl der IWF Argentinien viel zu lange ein Currency Board, also die unwiderrufliche Anbindung des Peso an den Dollar – auch als Argentinien durch die Dollarstärke gegenüber den Währungen der wichtigsten Handelspartner ständig aufwertete und an Wettbewerbsfähigkeit verlor. Des weiteren hat der Internationale Währungsfonds versagt, als er Argentinien in eine Sparrunde nach der anderen trieb, ohne dem Land eine Wachstumsperspektive eröffnen zu können. – Letzteres kommt uns auch heute sehr bekannt vor.
    Bemerkenswert ist aus deutscher Sicht, wie stark bereits deutsche Anleger und Banken in Argentinien engagiert waren, lange bevor die Finanzkrise endgültig klar machte, in welchem Ausmaß global spekuliert wurde. Dabei war auch für schlichte Geister etliche Zeit vor Argentiniens Zahlungsunfähigkeit (2002) klar, dass zweistellige Traumrenditen bei argentinischen Anleihen mit einem nicht unerheblichen Risiko verbunden waren.

  25. Chef der bayerischen Staatskanzlei will Präsident der Landeszentrale für neue Medien werden
    Ministerpräsident Horst Seehofer muss sich bald einen neuen Staatskanzleichef suchen. Siegfried Schneider will offenbar die Politik verlassen und neuer Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) werden. Die CSU-Vertreter im Medienrat sammeln bereits Unterstützer für Schneider, seine Chancen sollen gut stehen. Im Februar wird der Nachfolger von Wolf-Dieter Ring, 69, gewählt. Ring hat das Amt seit 20 Jahren inne.
    Quelle: SZ

    Anmerkung WL: Vom Chef der Staatskanzlei zum Chef der bayerischen Medienaufsicht: die Berlusconisierung der Republik schreitet voran.

  26. Grottian wegen Aufrufs zu Bankenbesetzung zu Geldstrafe verurteilt
    Wegen eines Aufrufs zu symbolischen Bankenbesetzungen ist der Berliner Politikwissenschaftler Peter Grottian vom Amtsgericht Lindau (Baden-Württemberg) zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Wie Grottian am Sonntag mitteilte, soll er wegen einer Aufforderung zum Hausfriedensbruch 3.900 Euro zahlen.
    Grundlage des Strafbefehls ist nach den Worten des Politologen ein öffentlicher Vortrag in Lindau, bei dem er zu einer “öffentlichen, gewaltlosen, gewissensbestimmten und gesetzeswidrigen Bankbesetzung” aufgerufen hatte. Die Verursacher der Finanzmarktkrise sollten zahlen und nicht diejenigen, die jetzt in Sparprogrammen als sozial Schwache bestraft werden, argumentierte der Wissenschaftler eigenen Angaben zufolge.
    Quelle: Zeitong
  27. Zu guter letzt: Ablenkung – von Volker Pispers (23.11.10)
    Quelle: WDR

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