Offensichtlich sieht das die Mehrheit unserer Medien- und Politikschaffenden anders: Die Bundeskanzlerin reist nach Washington, Kanzleramt und Weißes Haus verhandeln. Das Ergebnis: Wir zahlen Millionen an die Ukraine, wir verpflichten uns, den Gastransport über die Ukraine auch künftig zu unterstützen und zu Sanktionen gegenüber Russland bereit zu sein, sollte Russland versuchen, „Energie als Waffe einzusetzen oder weitere aggressive Handlungen gegen die Ukraine zu begehen“. So äußert sich die uns sattsam bekannte US-Diplomatin Nuland nach einer Meldung von dpa. Wer definiert, was „aggressive Handlungen“ sind? Wir begeben uns in die Interpretationsabhängigkeit der USA und zahlen obendrein zur Beruhigung der USA Millionen an ihre Verbündeten, an die Ukraine zum Beispiel. Und dieser Vorgang wird von den deutschen Medien und politischen Parteien durchgewunken. Haben Sie irgendwo eine fundierte Kritik an diesem Vorgang gesehen oder gelesen? Sie benehmen sich wie Vasallen. Das Imperium presst sie aus und sie stellen trotzdem nicht die naheliegende Frage: Was geht die Amis unsere Gasversorgung an? Albrecht Müller.
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Ob Russland ein zuverlässiger Lieferant von Energie, im konkreten Fall von Gas ist, das können wir doch selbst beurteilen. In der Vergangenheit hatten wir keinen Anlass dazu anzunehmen, Russland würde den Gashahn zudrehen, um uns politisch zu erpressen. Zur Beurteilung und Einschätzung dessen, was mit der neuen Gaspipeline Nordstream 2 an Risiken und Vorteilen verbunden ist, sind wir selbst fähig. Dazu brauchen wir den Onkel aus Amerika nicht.
Selbst zu einer solchen einfachen Feststellung sind die deutschen Medien und offenbar auch die Politikerinnen und Politiker nicht fähig. Und nicht willens. Unser Land ist durchsetzt mit Einflussagenten.
Hier (zum Überfliegen) die Stellungnahmen und Informationen einiger Medien und von zwei Abgeordneten, die man ohne Übertreibung Einflussagenten der USA nennen kann:
Tagesschau: Umstrittene Ostsee-Pipeline Einigung im Streit über Nord Stream 2 Stand: 21.07.2021 21:31 Uhr
Jahrelang stritten Deutschland und die USA über Nord Stream 2. Nun hat US-Spitzendiplomatin Nuland einen Durchbruch verkündet. Die Vereinbarung sieht unter anderem Sanktionen vor, sollte Russland die Pipeline als politische Waffe nutzen. …
Heute journal: Nord Stream 2: Deutschland und USA einigen sich
Die Ostsee-Pipeline „Nord Stream 2“ soll ohne neue Sanktionen fertiggestellt werden. Darauf haben die USA und Deutschland sich verständigt. Das erklärte ein US-Regierungsvertreter am Mittwoch vor Abgeordneten….
Heute Journal am 22.7. morgens:
Guten Morgen, Große Nachrichten kündigen sich manchmal mickrig an. Gestern erfuhren wir am frühen Abend: Es gebe einen Deal zu Nord Stream 2. Nach zehn Jahren teils bitterem Streit, der die deutsch-amerikanische Freundschaft angeknackst hat. Drei Präsidenten – Obama, Trump und Biden hatten diese Gas-Pipeline verhindern wollen. Weil sie eine ziemliche Ego-Nummer von Deutschland sei, ein Geschäft mit Putins Russland auf Kosten anderer.
Denn bislang läuft russisches Gas auf dem Landweg nach Deutschland. Auch durch die Ukraine, der Putin kurzerhand die Krim und den Donbass genommen hat. Die Gasleitung über Land ist nach Sicht der Regierung in Kiew die Lebensversicherung für ihren Staat. Solange Russland diesen Transit brauche, werde es nicht noch härter zulangen.
Die USA teilen die Sorge der Ukraine. Deutschland solle als Verbündeter doch lieber mehr amerikanisches Gas und Öl einschiffen, so die geostrategische Win-Win-Haltung Washingtons.
Von dort kam dann am Abend jedoch die Eilmeldung: “USA und Deutschland erzielen Durchbruch”. Ein Diplomat des State Departments hatte im Grunde gesagt: Nord Stream 2 kann vollendet werden und an den Start gehen, ohne dass Deutschland amerikanische Sanktionen fürchten muss. In Berlin wurde das schriftlich von der Bundesregierung bestätigt, und so konnten wir noch in Windeseile ausführlich im heute-journal berichten. Für den Fall, dass Russland Energie als “politische Waffe” einsetze, so wurde den Journalisten mitgeteilt, habe sich Deutschland verpflichtet, dass es zu Sanktionen gegen Russland komme.
zdf.de/nachrichten/briefing/nord-stream-2-utoya-schmiese-zdfheute-update-100.html
Der Spiegel: spiegel.de/politik/deutschland/nord-stream-2-angela-merkels-triumph-a-0673c15a-e066-48e2-b7e0-dc2de4592954
Zeit Online: Kompromiss zu Nord Stream 2: Russland wirft Deutschland und USA “politische Angriffe” vor
Der russische Botschafter in den USA beklagt einen feindlichen Ton in der Einigung zur Ostseepipeline. Kritik an der Übereinkunft kommt aus der Ukraine und Polen.
FAZ: Die Einigung zu Nord Stream 2 sei ein Zeichen des deutsch-amerikanischen Partnerschaftswillens, lobt der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses. Die Pipeline halte er aber weiter für falsch. Kritik kommt auch von der Ukraine und Polen. …
faz.net/aktuell/politik/inland/norbert-roettgen-begruesst-einigung-ueber-nord-stream-2-17448611.html
Alexander Graf Lambsdorff (FDP) Pressemitteilung
LAMBSDORFF: Einigung bei Nord Stream 2 wirkt wie ein Heftpflaster bei einem Beinbruch
21.07.2021
Zu den Medienberichten über eine mögliche Einigung bei Nord Stream 2 erklärt der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Fraktion Alexander Graf Lambsdorff:
„Die bevorstehende Einigung zwischen Deutschland und den USA bei Nord Stream 2 wirkt wie ein Heftpflaster bei einem Beinbruch. Denn nach wie vor besteht die Gefahr, dass die Pipeline zur außenpolitischen Waffe in der Hand Moskaus wird. Die Bundesregierung hat die diplomatische Einbettung des Projekts bei unseren Partnern in Europa und Amerika jahrelang fahrlässig vernachlässigt. Deshalb muss Deutschland jetzt wie die USA das direkte Gespräch auch mit Polen und der Ukraine suchen. Ziel muss sein, das schwer beschädigte politische Vertrauen in die Verlässlichkeit Deutschlands wiederherzustellen. Eine Politik, die Nord Stream 2 ernsthaft als privatwirtschaftliches Projekt ausgibt und Bedenken der Partner pauschal als Einmischung abtut, ist unehrlich und schadet deutschen Interessen. Gerade die sichtlich um einen Kompromiss bemühte Biden-Administration hat dieses Vorgehen als Ohrfeige wahrgenommen. Die Ukraine braucht auch über 2024 hinaus finanzielle Garantien, die sie vor finanzieller Austrocknung und energiepolitischer Isolation durch Russland schützen.“ fdpbt.de/lambsdorff-einigung-nord-stream-2-wirkt-wie-heftpflaster-einem-beinbruch
Politiker wie der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses Röttgen (CDU) und der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff schlagen sich in dieser Debatte auf die Seite der USA, obwohl sie ganz genau wissen, dass hinter der Position der USA in Sachen Nordstream 2 immer auch eigene wirtschaftliche Interessen gesteckt haben – zum Beispiel wollen die USA ihr Fracking-Gas verkaufen, russisches Gas ist das Gas der Konkurrenz. Und sie wissen ganz genau, dass die Haltung der USA in Sachen Nordstream 2 sehr viel mit ihrer Politik als Imperium zu tun hat. Die USA wollen die Ukraine in den westlichen Einzugsbereich ziehen und auch in diesem Bereich militärisch und ökonomisch, mit NATO und mit EU, an die Grenzen Russlands heranrücken.
Am 28. Oktober 2014 habe ich vom „Kolonie-Status“ unseres Landes gesprochen. Siehe hier: Einige interessante Dokumente zum Kolonie-Status Deutschlands und Europas. Daraufhin protestierte damals ein Herbert Müller aus Berlin und auch mein Mitherausgeber Lieb. Wenig später stellte sich heraus, dass der protestierende Müller aus Berlin als Troll westlicher Interessen unterwegs war.
Es gibt keinen Zweifel daran, dass wir in einem abhängigen und im Kern nicht souveränen Land leben. Wir sind nicht frei in unserer Außen-, Sicherheits- und auch nicht in der Energiepolitik. Das bisschen Freiheit, das wir haben, müssen wir uns teuer erkaufen – wie im konkreten Fall des Umgangs mit der Ostsee-Pipeline und dem damit verbundenen finanziellen und diplomatischen Sondereinsatz für die Interessen der Ukraine.
Zum Schluss komme ich zurück auf das eigentliche Anliegen dieses Artikels: Ich möchte Sie, liebe Leserinnen und Leser, dazu ermuntern, radikal – und eigentlich normal – zu fragen: Was geht die USA unsere Gasversorgung an?
Lassen Sie sich nicht auf Nebenkriegsschauplätze abdrängen. Es geht um unsere Souveränität. Und im konkreten Fall geht es auch um Krieg oder Frieden.
Titelbild: archna nautiyal / Shutterstock