„Man kann nicht nur diskutieren, man muss auch mal ‘ne Schippe in die Hand nehmen“

„Man kann nicht nur diskutieren, man muss auch mal ‘ne Schippe in die Hand nehmen“

„Man kann nicht nur diskutieren, man muss auch mal ‘ne Schippe in die Hand nehmen“

Jens Berger
Ein Artikel von: Jens Berger

Eine Woche nach den verheerenden Überschwemmungen in Westdeutschland zeigt sich immer deutlicher, wie sehr sich Teile der Politik und der Verwaltung in einem Paralleluniversum befinden. Während tausende Landwirte, Bauunternehmer und Freiwillige aus ganz Deutschland vor Ort anpacken und Übermenschliches leisten, herrscht auf oberer Ebene das reinste Chaos und eine kaum mehr zu fassende Arroganz und Ignoranz. Auch die Medien driften mehr und mehr in den Wahnsinn ab. Deren größte Sorge scheint es wohl zu sein, dass die Helfer keine FFP2-Masken tragen. Das Eintreffen des ersten „Impfbusses“ wurde dementsprechend auch bejubelt. Dass es gleichzeitig bis vor kurzem keine Dixi-Klos und Wasser für die Betroffenen und die Helfer gab, spielt da wohl eine untergeordnete Rolle. Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Wer sich mal einen Eindruck über die Aufräumarbeiten vor Ort machen will, dem sei der Facebook-Kanal des Kölner Landwirts Markus Wipperfürth ans Herz gelegt. Wipperfürth hat sich wie viele, viele andere Landwirte auch kurz nach der Hochwasserkatastrophe mit seinem Trecker in die Überflutungsgebiete aufgemacht, um dort mit anzupacken und zu helfen. Seit sechs Tagen filmt er seine Eindrücke aus dem Örtchen Walporzheim in der Nähe von Bad Neuenahr-Ahrweiler, spricht mit Anwohnern und Helfern vor Ort und sendet diese Videos als Live-Streams auf Facebook. Diese Filme erlauben einen – wenn natürlich auch subjektiv gefärbten – Eindruck, der einen auf der einen Seite tief berührt, auf der anderen Seite jedoch auch tief bestürzt.

Berührend und beeindruckend ist die Solidarität, die man im Katastrophengebiet sowohl von den Betroffenen selbst als auch von den zahlreichen Helfern mitbekommt. Da gibt es Frauen aus Bayern, die vor Ort die Helfer mit gespendeten Lebensmitteln versorgen, Jugendliche und Kinder, die mit dem Bollerwagen den Helfern Kaffee anbieten oder einen friesischen Landmaschinen-Techniker, der sich mit seinem Service-Wagen auf den Weg gemacht hat, um den Landwirten vor Ort dringend nötige Reparaturarbeiten an ihren als Räumgerät genutzten Landmaschinen anzubieten. Und dies sind nur drei kleine Beispiele. Die Solidarität ist wirklich überwältigend. Wer angesichts der fortwährenden Spaltung der Gesellschaft gedacht hat, es gäbe keine Solidarität mehr, sieht sich angesichts dieser Bilder zum Glück eines Besseren belehrt. Unter dem Artikel haben wir noch einige Videos verlinkt, die einen groben Einblick in die Arbeit vor Ort geben, die zum übergroßen Teil von Freiwilligen ohne Bezahlung und ohne Anweisung auf eigene Faust erledigt wird. Das ist wirklich fantastisch. Man muss sich vor diesen Menschen tief verneigen.

Auf der anderen Seite erhält man jedoch auch den bestürzenden Eindruck, dass sich dies nicht auf die Führungs- und Koordinationsebene übertragen lässt. So bitter es ist – vor Ort versagt der Staat auf ganzer Linie. So gab es in den ersten drei Tagen weder Wasser noch ein Dixi-Klo für die Opfer und die Helfer – offenbar waren die Verantwortlichen mit der Organisation des Impfbusses vollkommen ausgelastet; verzeihen Sie mir den Zynismus. Am schlimmsten: Die freiwilligen Helfer, die aus ganz Deutschland kamen, wurden in den ersten Tagen nicht als willkommene Hilfe, sondern als Problem gesehen. So wurden ganze Einheiten der freiwilligen Feuerwehren vom Krisenstab wieder weggeschickt und Helfer, die teils mit eigenem schweren Gerät kamen, nicht durchgelassen. Wer helfen wollte und sich bei der offiziellen – meist nicht funktionierenden – Hotline meldete, kriegte erst gar keine Antwort. Und wer durchkam und eine Antwort erhielt, dem wurde gesagt, man brauche ihn nicht. Aus den Kreisen der Landräte wurde sogar kommuniziert, man empfinde die Helfer als „Störung“. Wer sich dennoch nicht abschrecken ließ, arbeitet vor Ort selbstorganisiert und auf eigene Faust. So waren es in den ersten Tagen auch fast ausschließlich Landwirte mit ihrem Gerät und zahlreiche Bauunternehmer, die die so wichtigen Arbeiten in die eigene Hand nahmen, während unzählige Feuerwehrleute und THW-Kräfte, die allesamt helfen wollten, in Massen auf dem Nürburgring warteten und nicht eingesetzt wurden.

Der Fisch stinkt wohlgemerkt vom Kopfe her. Es lag nicht an den hoch motivierten Kräften selbst, sondern am Planungs- und Organisationschaos und am Kompetenzgerangel, dass die „staatliche“ Hilfe nicht vorankam. Während Politiker in Gummistiefeln vor versammelter Presse medienwirksam ein langes Gesicht machten – oder lieber lachten – kriegten diejenigen, die vor Ort wirklich helfen, von oben keine Hilfe und oft wurden ihnen sogar Steine in den Weg gelegt. Es wurden zwar seitens der Politik schnell Millionen Euro an Hilfen mobilisiert, ob und wie dieses Geld bei den Helfern ankommt, ist jedoch nach wie vor offen. Dabei geht es übrigens nicht darum, die Helfer zu bezahlen – das wollen sie gar nicht. Es geht jedoch um einen Kostenausgleich für die reinen Materialkosten, die vor allem bei den notwendigen schweren Geräten schnell in die Tausende gehen.

Und es geht um Aufgaben, die die freiwilligen Helfer nun einmal schlecht selbst übernehmen können – wie zum Beispiel die Bergung von Leichen und die notwendige professionelle Seelsorge. Es sind nach wie vor fast nur Privatleute, unterstützt von privaten Unternehmen, die mit schwerem Gerät helfen und immer wieder auf Tote stoßen. Wie ein Helfer in einem Interview mit n-tv berichtet, musste beispielsweise ein 25 Jahre alter Baggerfahrer seine Hilfsarbeiten einstellen, nachdem er auf seiner Schaufel die Leiche eines kleinen Mädchens entdeckte und danach ständig tote Kinder vor Augen hatte.

Der Einsatz wirkt chaotisch. Es sind zu viele Köpfe, die das Sagen haben oder haben wollen. Es ist unklar, wer gerade wofür zuständig ist. Die Bundeswehr? Die Landes- oder die Bundespolizei? Der Katastrophenschutz? Die Feuerwehr? Das Rote Kreuz? Das THW? Es gibt keine übergeordnete Stelle, die koordinierend wirkt. Außerdem fehlte und fehlt es an professionellen Kräften. […]
Die übergeordneten Stellen haben versagt. Die staatlichen Helfer sind teils frustriert, weil sie immer nur auf Befehle warten. Ich frage mich auch permanent: Was tut ihr da.
Helfer Andreas Ahaus gegenüber n-tv

Ein Landwirt spricht dementsprechend auch von einem Versagen auf Führungsebene – und auch wenn dies subjektive Eindrücke sind, kann man dem, sofern die Schilderungen korrekt sind, kaum widersprechen. Erstaunlich – oder auch wieder nicht – ist, dass diese Missstände in der medialen Berichterstattung kaum eine Rolle spielen. Dort arbeitet man sich lieber an den ganz großen Fragen wie dem Klimawandel oder vollkommen abstrusen Debatten über digitale Warnsysteme ab – während die Einen die Schippe in die Hand nehmen, debattieren die Anderen auf Nebenkriegsschauplätzen. Und wenn man sich schon mal durchringt, mit den Helfern vor Ort zu sprechen, scheint es nur noch darum zu gehen, herauszubekommen, ob sich auch „Querdenker“ unter den Helfern befinden. Es ist einfach nur noch traurig. Vielleicht sollte man den verantwortlichen Herren und Damen aus der Politik einfach mal eine Schippe in die Hand drücken und sie zum „freiwilligen“ Hilfseinsatz abkommandieren.

Titelbild: Facebookkanal von Markus Wipperfürth

Anhang: Einige interessante Videos von Markus Wipperfürth, die einen kleinen Einblick in die Situation vor Ort erlauben.

Die NachDenkSeiten sind für eine kritische Meinungsbildung wichtig, das sagen uns sehr, sehr viele - aber sie kosten auch Geld und deshalb bitten wir Sie, liebe Leser, um Ihre Unterstützung.
Herzlichen Dank!