Pandemie-Spiele für Plutokraten

Pandemie-Spiele für Plutokraten

Pandemie-Spiele für Plutokraten

Ein Artikel von Hans-Christian Lange

Regierungen und Reiche profitieren von der Corona-Krise. Sie haben mehr Macht und Geld, predigen Moral, aber sie lösen die Krise nicht. Im Gegenteil: Corona stellt den sozialen Sprengsatz scharf, der die Spaltung der Gesellschaft durch Verschuldung, Ausgrenzung und Verteilungskonflikte um Impfstoff weiter vorantreibt. Hans-Christian Lange, Ex-Kanzleramtsberater und BMW-Manager, der 2016 mit SOCIAL PEACE die erste Band- und Leiharbeitergewerkschaft gründete und mit Sahra Wagenknecht die Protestbewegung AUFSTEHEN initiierte, sagt den Macht- und Geldeliten in seinem neuen Buch An ihren Taten sollt ihr sie erkennen den Kampf an. Er fordert ein „Bündnis der Betrogenen“, eine Bewegung von unten mit neuen Werten, neuen öko-sozialen Zielen und einem neuen Gemeinsinn. Ein Auszug.

Bei genauer Betrachtung fällt die gesellschaftspolitische Bilanz der Corona-Krise im Herbst 2020 ähnlich aus wie diejenige des größten Finanzcrashs seit dem Zweiten Weltkrieg, desjenigen von 2008/09: Damals waren bestinformierte Kreise der Wallstreet und der globalen Investoren und Spekulanten darauf vorbereitet beziehungsweise reagierten blitzschnell und sicherten sich so teilweise tollste Gewinne – während sonstige Unternehmen und Anleger als Verlierer nach Hause gingen. Und genau das macht erneut den entscheidenden Unterschied aus zwischen dem allerobersten Prozent der Gesellschaft – und den restlichen 99 Prozent. Die Geldeliten schützen sich nicht nur perfekt, den cleversten und potentesten unter ihnen gelingt es sogar, Vorteile aus Katastrophen zu ziehen.

Bereits 2008 sammelten einige von ihnen traumhafte Profite mit Hilfe des sogenannten schwarzen Schwans – damals in Gestalt des Immobilien-Crashs. Für die wenigen Bestinformierten galt auch Covid-19 als »schwarzer Schwan«, den sie auf dem Radar hatten. Was bedeutet ein solches Phänomen?

Ein Kenner und ausgebuffter Krisenprofiteur ist Nassim Nicholas Taleb, ein Ex-Hedgefondsmanager, heute Wissenschaftler, Philosoph und Publizist. Er hatte bereits die Finanzkrise treffend vorausgesagt. Er warnt seine Fans und Luxus-Netzwerke schon im Januar 2020, dass die globale ökonomische Verflechtung ein Allzeithoch erreicht habe. Als Covid-19 in China auftaucht, stellt Talib sofort klar, dass die Seuche demnach kein schwarzer Schwan, sondern eine Folge der überzogenen globalen wirtschaftlichen Verflechtung ist. Das hat »zwangsläufig die Gefahr für Pandemien dramatisch erhöht. Das wiederum mache den Mangel an Vorsorge unentschuldbar«, lautet seine treffende Conclusio.

Insgesamt verfügt die Geldelite über überlegene Frühwarnsysteme und vor allem über materielle Reserven, die sie retten – also die nötigen Millionen- und Milliardenpuffer, um weiter mitzuspielen. Der Armutsforscher Christoph Butterwegge sagt voraus, dass der »obere Teil der Mittelschicht und die Oberschicht am Ende die Krisengewinner« sein werden.

Ein Jahr nach dieser Prognose bekommt Butterwegge recht. Die Untätigkeit der Politik lässt die Zahl der Erkrankten Rekord um Rekord brechen: Die Bevölkerung ist der dritten Seuchenwelle ziemlich schutzlos ausgeliefert. Gleichzeitig melden die Börsen: »Die Kurse brechen Rekord um Rekord – am Aktienmarkt herrscht Euphorie.« Ähnlich performen die Immobilienmärkte ungebrochen auch im zweiten Krisenjahr weiter, so die FAZ: »Die Nachfrage nach Luxus-Immobilien ist trotz der Pandemie geradezu stürmisch.« Je länger das Virus wütet, umso mehr setzen die Krisengewinner Sozialdarwinismus statt Solidarität frei. Die Armenhäuser sacken gegenüber den Wohlstands- und Reichtumszonen der Welt immer stärker ab.

»Event 201«

Jeder Durchschnittsamerikaner erhält eine einmalige Unterstützung von 1200 US-Dollar. Aber den 43.000 Millionären erstattet der Staat Steuern in Höhe von insgesamt 70 Milliarden US-Dollar. Errechnet man hier den Durchschnitt, dann sind das 1,7 Millionen Dollar im Unterschied zu 1200 US-Dollar pro Person. Im Zeitraum seit 1990 hat sich das Vermögen der »Onepercenter« um nicht weniger als 1130 Prozent vermehrt – der Median des US-Vermögens aber nur um 5,3 Prozent, so eine Studie des Institute for Policy Studies von 2020.

Die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung veranstaltet Mitte Oktober 2019 ein Pandemie-Planspiel mit dem Namen »Event 201«. Es simulierte in exklusiver Runde einen Epidemie-Ausbruch in Südamerika. Das Ergebnis des virtuellen Stresstests sind 65 Millionen Tote, aber auch jede Menge Erkenntnisse für die ausgewählten Gäste und Investoren, wie sie sich im Notfall zu schützen haben (FAZ, 3.4.2020).

Das Beispiel zeigt einen gravierenden Unterschied zwischen »Normal-Preppern« und den »Upperclass-Survivalists« des 21. Jahrhunderts auf. Erstere sind auf die Nachbarschaftshilfe oder auf Hilfeleistungen ihrer Regierungen angewiesen. Letztere verfügen teilweise sogar über mehr Einflussmöglichkeiten und Ressourcen als manches kleine oder mittlere Staatswesen. Diese privilegierten Schichten sind immer weniger bereit, in der Krise noch Beiträge für eine irgendwie definierte Gemeinschaft zu leisten. Ihnen ist das neoliberale Thatcher-Diktum lieber, nachdem es keine Gesellschaft gebe, sondern nur Individuen. (27.5.21)

Auf der Grundlage dieser Ideologie schwören sie den Werten der liberalen Eliten der Nachkriegszeit immer stärker ab: dem Gemeinwohl, dem Rechtsstaat, universalen Werten wie Bürgerrechten und damit insgesamt der Verantwortung für die Nation oder die Menschheit als Ganzes. In den 90er-Jahren löst bereits ein neuer Elitentyp den alten ab. Die Entfesselung der Finanzmärkte und die Globalisierung haben inzwischen weit skrupellosere Kasten herangezüchtet. Sie sind auf das Primat der Profitmaximierung statt auf dasjenige der Politik und Ethik abgerichtet.

Gleichzeitig pflegen sie ein tiefes Misstrauen gegenüber der Unberechenbarkeit der Bevölkerung, gefolgt von Symptomen eines »Rette sich wer kann«. So outet sich der Direktor der Investmentfirma Mayfield Fund, Tim Chang: »Ein Bürgerkrieg oder ein riesiges Erdbeben, das Kalifornien unbewohnbar macht – darauf wollen wir vorbereitet sein.« (GQ-Magazin, 23.2.2017).

Titelbild: Omurali Toichiev/shutterstock.com

Hans-Christian Lange: An ihren Taten sollt ihr sie erkennen. Ein Insider entlarvt die neue Geld- und Politikkaste, 255 Seiten, Westend Verlag, 12.7.2021

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