“Nie mehr schweigen, wenn Unrecht geschieht” – Zum Abschied von Esther Bejarano

“Nie mehr schweigen, wenn Unrecht geschieht” – Zum Abschied von Esther Bejarano

“Nie mehr schweigen, wenn Unrecht geschieht” – Zum Abschied von Esther Bejarano

Ein Artikel von Bernhard Trautvetter

Der Tod der mutigen und scharfen Kritikerin an alten und neuen Nazis sowie am Militarismus, Esther Bejarano, hat ein breites Medienecho hervorgerufen. Über viele Aspekte aus Bejaranos Leben wird aber nicht berichtet. Von Bernhard Trautvetter.

Die Tagesschau brachte Esther Bejaranos Plädoyer dafür, dass der 8. Mai als Tag der Befreiung der Menschheit vom NS-Regime ein Feiertag wird. Zitat des Nachrichtensprechers:

»Esther Bejaranos Stimme ist für immer verstummt. Jetzt müssen andere ihre Geschichte weiter erzählen. «[1]

Dies aber genau geschieht gemeinhin nur allzu ausschnitthaft, indem die schlimmste Zeit ihres Lebens von vielen anderen Erfahrungen getrennt und hervorgehoben wird. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier schrieb an die Familie:

»Mit ihrem Tod haben wir einen großen Verlust erlitten«. Sie habe am eigenen Leib erfahren, »was es heißt, diskriminiert, verfolgt und gefoltert zu werden … Wir verlieren mit ihr eine mutige Persönlichkeit, die sich bis zuletzt für die Verfolgten des Naziregimes eingesetzt hat.«

Ähnlich klingt Bundesaußenminister Heiko Maas auf Twitter:

»Die wundervolle Esther Bejarano überzeugte mit ihrer Lebenskraft und unglaublichen Geschichte…Ihre Stimme wird uns fehlen.«[2]

Exemplarisch für die Berichterstattung zu Esther Bejaranos Leben sei hier die Deutsche Welle zitiert:

“1924 als Tochter des Oberkantors der jüdischen Gemeinde in Saarlouis geboren, musste Esther – damals noch mit Nachnamen Loewy – als Kind erleben, wie die Nationalsozialisten in Deutschland die Macht übernahmen und ihr ganzes Leben veränderten.“

„Von 16 Jahren an bis 20, eigentlich die schönste Jugendzeit. Was haben wir für eine Jugend gehabt? Gar keine. Eine schlimme Jugend“, erzählte sie der DW. Schikane in der Schule, Trennung von den Eltern, drei Konzentrationslager und ein Todesmarsch – all das musste Esther Bejarano erleben. Glück, Geschicklichkeit und Mut führten sie ins Mädchenorchester Auschwitz und damit zur Chance auf ihr Überleben; dazu die Deutsche Welle:

Die Mädchen mussten spielen, ‚wenn die Häftlinge aus dem Lager zum Arbeitsdienst marschierten und wenn neue Transporte mit Zügen … eintrafen‘. ‚Du wusstest, die gehen jetzt ins Gas und du musst da stehen und musst spielen‘, erzählte Esther Bejarano 2014 der DW. Dies sei das schlimmste gewesen, dass sie in Auschwitz erlebt habe. Trotz dieser grausamen Erfahrung, wie Musik von den Nazis missbraucht werden konnte, blieb für Esther Bejarano ihr Leben lang die Schönheit der Musik bestehen.”[3]

Interessant ist bei alledem, was nicht berichtet wird; damit wird deutlich, inwiefern politisch und medial einflussreiche Kräfte sich Esther Bejaranos Biografie als Instrument der Meinungsmache zu eigen zu machen versuchen.

Esther Bejarano kam immerhin ab und zu mit ihrer Botschaft durch, nicht nur in der ZDF-Sendung ‘Die Anstalt’, sondern auch schon einmal in der Tagesschau: Die Tagesschau 24 brachte an ihrem Todestag einen Redeausschnitt, in dem sie die Frage stellte:

“Wo stehen wir 76 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz? … Wir wissen um braune Netze nach 45, das laute Schweigen und das Versagen des Staates bei der Entnazifizierung. … Was in Gaskammern endete, begann mit Repression, Ausgrenzung und Rassismus.”[4]

Eine derartig massive Kritik an der staatlichen Politik ist in den Hauptnachrichtensendungen selten zu vernehmen. Aber bei den Berichten zu Esther Bejaranos Leben fällt auf, dass ihre Erfahrungen mit Repression und Ausgrenzung nach der Befreiung vom Faschismus weithin ausgeblendet bleiben.

Vieles aus dem Leben von Esther Bejarano bleibt weithin unberichtet. Sie verließ Deutschland nach der Befreiung, fand in Palästina und dann Israel zu einem Chor, in dem Konservative, Sozialisten und Kommunisten mitsangen und lernte dort ihren Mann Nissin kennen; ab der Hochzeit hieß sie Esther Bejarano, geborene Loewy. Der Chor war außerordentlich erfolgreich und gab Konzerte in Paris und in damals auf die Sowjetunion orientierten Staaten Osteuropas, so in Prag. Sie erfuhr auch von Weggefährten, die auf eine neue Gesellschaft in der DDR hofften. Esther wurde 1948 zum Militär eingezogen, beteiligte sich am Unabhängigkeitskrieg, wurde aber wiederholt freigestellt, um mit ihrem Chor unter anderem auf den Weltjugendfestspielen in Budapest aufzutreten, wo sie einen dritten Platz errangen. Ihr Chor trat in Israel unter anderem auf Veranstaltungen der kommunistischen Partei auf.[5]

Sie bemühte sich zu Beginn der 1950er Jahre um die Mitgliedschaft im Künstlerbund in Israel, sie bestand die musikalische Prüfung mit Bravour, musste aber aufgrund der Berührung mit kommunistischen Musikern und infolge ihrer Reisen nach Prag und Budapest zwei Jahre lang warten, bis es dann doch zur Aufnahme kam. Sie hatte sich dadurch mehr Möglichkeiten verschafft, als Musikerin vermittelt werden zu können.

1956 wurde ihr Mann, die Familie war inzwischen durch eine Tochter und einen Sohn auf vier Mitglieder angewachsen, zum Sinai-Krieg eingezogen. Esther Bejarano rekapitulierte später:

“Jeden Tag kamen Autos mit Verwundeten und toten an unserem Haus vorbei. Ich hatte schreckliche Angst, dass Nissin etwas passieren würde. Er kam mit dem festen Entschluss von der Front zurück, nie wieder in den Krieg zu gehen, nie wieder zu kämpfen. Das war kein Verteidigungskrieg mehr, das wollte er nicht mehr mitmachen.”[6]

Die beiden entschlossen sich, Israel wieder zu verlassen, damit er aufgrund dieses Beschlusses nicht inhaftiert werden würde.

Sie siedelten nach Hamburg über, von wo ihnen ein freierer Geist vermeldet worden war. Die beiden Bejarano-Kinder kamen zunächst aufgrund von Sprachproblemen in eine Schule für geistig zurückgebliebene Kinder. Esther Bejarano wehrte sich, und so kamen die beiden an eine Volksschule, wo sie einen Lehrer hatten, den sie als vertrauensvoll ansah, was sie auch im Zusammenhang damit sah, dass er Kommunist war. Die beiden Kinder lernten Deutsch in sehr kurzer Zeit sehr sicher.

In den 1960er Jahren erlebte die Familie allerdings wieder einen neu aufkommenden Rassismus. Ein Angriff von Antisemiten gegen den Musik-Club, den Nissin mit einem Kollegen gegründet hatte, motivierte die beiden, die Übersiedlung in die USA zu überlegen. “Die Amis wollten Nissin nicht reinlassen, weil er in Israel in der kommunistischen Jugend war.”[7]

Ein anderes Beispiel der Ungerechtigkeit erlebte Esther Bejarano dadurch, dass sie für ihre Zwangsarbeit im KZ für Siemens eine „Wiedergutmachung“ von 1500.- DM erhielt.

Kurz nach der Goldenen Hochzeit starb Nissin.

Esther widmete sich der Aufklärung über die Verbrechen des NS-Regimes, sprach vor weit über 100 000 Schülerinnen und Schülern und widmete sich vermehrt der Musik, die sie auch mit ihrer Aufklärungs-Botschaft verband. Sie trat mit Harry Belafonte, Hannes Wader, Andre Heller, Franz Josef Degenhardt, Konstantin Wecker und anderen auf, später wurde sie Mitglied der Rap-Gruppe „Microphone Mafia“. Nach einer Konzertreise nach Kuba bekundete sie:

“Ich bin eine glühende Antifaschistin. Wenn es möglich ist, werde ich das ganze Leben lang kämpfen, damit der Faschismus nie wieder aufkommt. … Ganz unterschiedliche Personen können eine gute Arbeit schaffen mit einem wirklichen Respekt vor der Verschiedenheit, aber immer darauf gerichtet, das Gute und die Gerechtigkeit zu vertreten.”[8]

Als sie das Angebot der DKP 2017 ablehnte, deren Spitzenkandidatin zur Bundestagswahl zu werden, begründete sie das mit einem ihrer zentralen Anliegen:

„Es gab schon immer Diskussionen darüber, ob eine Eigenkandidatur der DKP in der jeweiligen Zeit sinnvoll ist. Völlig unstrittig ist die absolute Notwendigkeit, alle Kräfte gegen Kriegspolitik, Neofaschismus, Antisemitismus und Rassismus, sowie Sozial- und Demokratieabbau zusammen zu führen.  Mir ist wichtig, dass Menschen gemeinsam gegen die Rechtspopulisten und Nazis aktiv sind, und zwar unabhängig von der eigenen Mitgliedschaft in einer Partei. Ich bin bereit, mit jedem gegen menschenverachtende Ansichten zu kämpfen, auch wenn er in der CDU oder sogar in der CSU ist. Auch darin bin ich mir mit meiner Partei einig.“[9]

Passend dazu ihre Unterstützung für den Appell zum Zusammenwirken der Friedens- und der Ökologiebewegung.[10]

Es beginnt damit, nie mehr zu schweigen, wenn Unrecht geschieht.


Titelbild: Bernhard Trautvetter


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