Der Abschlussbericht war noch nicht veröffentlicht, da wussten die „Freien Bauern“[1] schon, was die Beteiligung ihrer Berufskollegen in der Zukunftskommission Landwirtschaft ZKL war: „Ein Schlag ins Gesicht für alle, die sich engagiert haben.“ Es wird gestritten in der Landwirtschaft und über sie. Ab jetzt allerdings auf ganz neuer Grundlage, denn die von der Bundesregierung einberufene Zukunftskommission hat wirklich eine Vision vorgelegt. Von Florian Schwinn.
Gegründet wurde das Gremium nach einem „Agrargipfel“ mit vierzig Organisationen bei der Kanzlerin. Der war eine Reaktion auf die Bauernproteste 2019. So weit, so üblich in der Politik: Wir haben ein Problem, wir machen was: eine Arbeitsgruppe! Zwischen deren Verabredung und Einsetzung vergeht dann noch ein gutes halbes Jahr, weil die Landwirtschaftsministerin an politischer Prokrastination leidet, also an pathologischer Verdrängungssucht – und dann geht’s auch schon los. Umso erstaunlicher, dass sich die Kommission aus dreißig Vertreterinnen und Vertretern der unterschiedlichsten Interessen nach einem Jahr Detailarbeit wirklich auf ein gemeinsames Abschlussdokument einigen konnte.
Die Jugend legt vor
„Die Landwirtschaft trägt zum Umwelt-, Natur- und Tierschutz bei. Durch regenerative Landnutzung wird die Gesundheit der Menschen und Tiere sowie die Qualität des Wassers, der Böden und der Luft erhalten und verbessert.“ So steht das da in der „Gemeinsamen Vision zur Zukunft der Landwirtschaft“. Und jeder, der sich auf dem Land und in der Landwirtschaft auch nur etwas auskennt, weiß, dass das die 180-Grad-Wende ansagt. Wobei das nicht etwa meint, dass es zurück ginge, denn das, was diese Vision will, hat die Landwirtschaft noch nie gemacht. Das ist komplett neu.
Die Vision basiert auf der Zusammenarbeit der beiden jüngsten Kommissionsmitglieder. Kathrin Muus vom Bund der Deutschen Landjugend BDL und Myriam Rapior von der BUNDjugend hatten festgestellt, dass da „lauter alte Männer und Frauen über ihre Zukunft sprechen“. So jedenfalls erzählt es einer der Wissenschaftler in der Kommission, der Naturschutzprofessor Manfred Niekisch. In der Diskussion entwickelte sich dann die Idee – vorangetrieben von der Agrarökonomin Prof. Hiltrud Nieberg vom Thünen-Institut –, die beiden Jüngsten den Aufschlag machen zu lassen. Also setzten sich Myriam Rapior und Kathrin Muus zusammen und erstritten und erarbeiteten das gemeinsame „Zukunftsbild“. Aus dem stammt das visionäre Zitat. Und das hat am Ende die gesamte Kommission übernommen und zum Kern ihres Abschlussberichts gemacht.
„Das war wirklich erstaunlich“, sagt Biobauer Felix Prinz zu Löwenstein, Vertreter des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft in der Kommission. Erstaunlich war für ihn zweierlei: Dass sich die jungen Frauen von BDL und BUND geeinigt haben. „Die kommen ja aus extrem unterschiedlichen Ecken der Gesellschaft.“ Und dass die gesamte Kommission ihnen gefolgt ist: „Denn da waren ja dreißig unterschiedlichste Interessen vertreten.“ „Gesamtgesellschaftliche Aufgabe: Landwirtschaft“ titelt die Unabhängige Bauernstimme, die Zeitschrift der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft AbL, die auch in der Kommission vertreten war. So ist auch der Bericht der Kommission überschrieben. „Alle müssen Verantwortung übernehmen, statt nur Forderungen zu stellen,“ sagt die AbL-Vorsitzende Elisabeth Fresen. Irgendetwas scheint begriffen worden zu sein.
Aber noch lange nicht von allen. „In der Zukunft liegt der Tod. Die Zukunftskommission bereitet den Ausstieg aus der landwirtschaftlichen Lebensmittelerzeugung in Deutschland vor.“ So kommentieren Landwirte beim Branchendienst top agrar: „Der Tag wird kommen, wo die Teller nicht mehr voll sein werden, dann können die ganzen Vertreter dem Volk zeigen, wie man sich mit Blumenwiesen und Insekten ernähren kann.“ Und Dirk Andresen, der Vertreter der jungen Vereinigung „Land schafft Verbindung“ LsV, die die Bauernproteste der letzten Zeit mitorganisiert hat, wird von den ebenso neuen „Freien Bauern“ direkt angegriffen. Dass er da mitgewirkt habe, dies eben sei der „Schlag ins Gesicht für alle, die sich engagiert haben“. Hubertus Paetow, Mitglied der Kommission und Präsident der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft DLG, sagt im Gespräch mit der tagesschau: „Unsere große Aufgabe ist jetzt, und da habe ich noch Bauchschmerzen, dass wir den gesamten Berufsstand mitnehmen und wirklich alle sagen, das nehmen wir jetzt so an und freuen uns als Landwirte auf Agrarumweltmaßnahmen, denn das bringt uns gesellschaftliche Anerkennung.“
Das System ist am Ende
„Landwirtschaft ist systemrelevant.“ Das ist der erste Satz des 187 Seiten starken Abschlussberichts der Zukunftskommission. Er könnte auch lauten: Landwirtschaft ist das System, denn „sie ist die grundlegende wirtschaftliche Tätigkeit des Menschen. Sie hat arbeitsteilige, städte- und staatsbildende Gesellschaften erst ermöglicht und ist somit auch die Grundlage jeder Zivilisation.“ Und sie hat mit stetigen Produktionssteigerungen das Wachstum der Bevölkerung ermöglicht und für deren Wohlstand gesorgt. Der auch daraus erwachsen sei, dass uns immer mehr Geld für anderes als Ernährung zur Verfügung gestanden habe. Womit wir schon beim Kern des Problems angelangt sind. Anders gesagt: die Mieten konnten nur so hässlich steigen, weil die Lebensmittel zu billig sind. Das steht da natürlich nicht. Dafür aber dies: „Die Kehrseite dieses Fortschrittes sind Formen der Übernutzung von Natur und Umwelt, von Tieren und biologischen Kreisläufen bis hin zur gefährlichen Beeinträchtigung des Klimas.“
Die Landwirtschaft, stellt der Bericht nüchtern fest, steckt auch ökonomisch in der Krise. „Verschiedene, nicht zuletzt auch politische Faktoren haben zu Wirtschaftsweisen geführt, die weder ökologisch noch ökonomisch und sozial zukunftsfähig sind.“ Und dann folgt, schon auf der ersten Seite der „Executive Summary“, mit der solche Berichte immer beginnen, der entscheidende Satz: „Angesichts der externen Kosten, die die vorherrschenden Produktionsformen mit sich bringen, scheidet eine unveränderte Fortführung des heutigen Agrar- und Ernährungssystems aus ökologischen und tierethischen, wie auch aus ökonomischen Gründen aus.“ Später im Kommissionsbericht wird das noch ausgeführt, dass unser Wirtschaftssystem in weiten Teilen darauf beruht, „dass tatsächliche Produktionskosten zulasten von Gemeinwohlgütern wie Klima, Biodiversität und Tierwohl externalisiert werden“. Dieses Papier hat auch der Deutsche Bauernverband unterschrieben. Felix Löwenstein sagt dazu: „Ich habe mir vor der Arbeit in der Zukunftskommission nicht vorstellen können, dass der Deutsche Bauernverband akzeptiert, dass die Landwirtschaft, so wie sie heute arbeitet, einen Teil ihrer Produktionskosten externalisiert.“ Denn das heißt ja, dass wir alle zahlen für ihre Zerstörungen an Biodiversität und Klima, und die Nutztiere zahlen mit ihrem Leiden. Vielleicht war es gut, dass der eigentlich nominierte Bauernpräsident Rukwied seinen Vize Werner Schwarz die Arbeit in der Kommission machen ließ. Der sagte am Ende einen Satz, der die Stimmung in der Kommission beschreibt: „Wir sind nicht aufeinander los-, sondern aufeinander zugegangen!“
Angesichts einer gesellschaftlichen Debatte „von einschüchterndem Ausmaß“, wie der Kommissionsvorsitzende Prof. Peter Strohschneider die derzeitige Diskussion über die Landwirtschaft beschreibt, erwarteten wohl alle Kommissionsmitglieder offene Gefechte. Aber „die emotionale Konfrontation war schon nach den ersten drei Sitzungen im Plenum raus“, stellt Manfred Niekisch fest. Das dürfte auch an der Idee Strohschneiders gelegen haben, dass je zwei der sechs in die Kommission berufenen Wissenschaftler eine der drei Arbeitsgruppen zu Ökologie, Ökonomie und Sozialem leiten sollten.
Während man sich in den leidenschaftlichen öffentlichen Debatten über die Landwirtschaft gerne angebliche Fakten um die Ohren schlägt, die niemand auf die Schnelle überprüfen kann, „brachte die ständige Anwesenheit der Wissenschaftler Ruhe und Sachlichkeit in die Gespräche“, stellt Felix Löwenstein fest. Da war ein Korrektiv, das nicht belegbare Behauptungen wohl schon im Vorfeld ausbremste und das zur Not auch noch ganze Institute als Faktenchecker zur Verfügung gehabt hätte.
Mit den von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern geleiteten Diskussionen in den drei Arbeitsgruppen kehrte Sachlichkeit und Ruhe in die Kommission ein. „Es wurde Vertrauen aufgebaut“, sagt der Bauernverbandsvize Werner Schwarz bei NDR-Info. „Es wurde Vertrauen aufgebaut“, sagt mir der Ökobauer Felix Löwenstein.
Gesellschaftliche Aufgabe
Julia Klöckner, noch Bundeslandwirtschaftsministerin, sagt, das alles bestätige sie in ihrer Politik. Womit wir wieder im politischen Alltag angelangt sind. Denn das Gegenteil ist der Fall. Die Zukunftskommission verlangt, dass die Flächensubventionen der Gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Union abgeschafft werden. Julia Klöckner hat gerade dafür gekämpft, dass möglichst viel davon erhalten bleibt. Die Zukunftskommission will, dass die Landwirtschaft für ökologische Dienstleistung entlohnt wird. Die Landwirtschaftsministerin und ihre Ratskollegen in der EU haben gerade durchgesetzt, dass die dem entsprechenden Eco-Schemes in der nächsten GAP-Subventionsperiode möglichst kleingehalten werden.
Aber das sind – womöglich, hoffentlich, vielleicht – die letzten Rückzugsgefechte der alten Agrarpolitik gewesen. Die auch noch dafür sorgte, dass die Zukunftskommission Landwirtschaft ihren Abschlussbericht erst vorlegen konnte, als alle agrarpolitischen Entscheidungen für diese Legislaturperiode gefällt waren. Deshalb rauscht das Papier nun mitten in den Wahlkampf. Aber dass es dort auf übliche Weise zerredet wird, steht eher nicht zu befürchten. Die scheidende Bundeskanzlerin jedenfalls stellte bei der Übergabe des Berichts fest: „Es ist ein schöner Packen für alle, die potenziell regierungsfähig sein werden, die kommen daran nicht mehr vorbei.“ An der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe der Transformation der Landwirtschaft muss eben auch die künftige Bundesregierung mitwirken. Die nächste Landwirtschaftsministerin oder der nächste Landwirtschaftsminister kann nicht länger auf der Bremse stehen. Vielleicht muss es die oder den ja auch gar nicht geben, vielleicht ist ja ein Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft auch zu klein, ein zu enger Ressortzuschnitt für die gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
- Die Gemeinsame Vision zur Zukunft der Landwirtschaft von Landjugend und BUNDjugend
- Der Abschlussbericht der Zukunftskommission Landwirtschaft
Titelbild: Sie hat zusammen mit der Bundesvorsitzenden der Landjugend die “Gemeinsame Vision zur Zukunft der Landwirtschaft” erarbeitet: Myriam Rapior vom Bundesvorstand der BUNDjugend. | Foto: Gert Sanders / BUNDjugend
[«1] Die Freien Bauern sind eine 2020 aus dem Bauernbund Brandenburg entstandene bundesweite Organisation, die nach eigener Aussage die Interessen der bäuerliche Familienbetriebe vertritt.