So viel Narrenfreiheit war nie. Der Tesla-Chef hat eine verrückte Idee nach der anderen und setzt sie allesamt einfach mal um. Dass seine Innovationen zumeist die ganze Menschheit betreffen, ihr schaden oder sie vielleicht ins Verderben stürzen, stört ihn so wenig wie die politischen Eliten dieser Erde, die seinem Treiben verzückt zuschauen. Auch sein Starlink-Projekt hat das Zeug zum Overkill: Der Klimakollaps könnte beschleunigt, die Ozonschicht beschädigt und der Weltraum zugemüllt werden, bis es kein Durchkommen mehr gibt. Und bei tagheller Nacht gucken Sternengucker vielleicht bald in die Röhre. Es reicht mit so viel Reichtum, findet Ralf Wurzbacher.
Lust auf Lichterkette? Nicht nur zu Weihnachten, sondern das ganze Jahr über? Elon Musk macht’s möglich. Wobei sich der Hightechpionier nicht mit Funzeln nach Art eines Christbäumchens begnügt. Als Multimilliardär denkt er in größeren Maßstäben, bevorzugt in überirdischen. Er überspannt gleich den gesamten Planeten mit gigantischen Perlencolliers, die bei Nacht lamettagleich das Firmament erglitzern lassen. Dabei leuchten die Tupfer nicht von sich aus. Als lupenreiner Ökologe leiht sich Musk für sein Spektakel die Kraft der Sonne, deren Schein er in Tausenden Bündeln zum Staunen der Menschen zu Boden schickt.
Aber nicht jedem gefällt, was er da sieht. Das, was den Nachthimmel so erhellt, sind Satelliten, die der Tesla-Chef und Paypal-Mitbegründer im Rahmen seines Starlink-Programms in die Erdumlaufbahn schießen lässt. Erklärtes Ziel der Unternehmung ist es, die Menschheit mit weltumspannendem, superschnellem Internet zu beglücken, das bis in die tiefsten Höhlen Afghanistans hineinreicht. Die Gilde der Hobbyastronomen findet diese Vision gar nicht visionär. Sie sorgen sich darum, dass sich bei dem ganzen Geblinke und Geschimmere alsbald kein Stern mehr vor die Linse verirrt. Und allzu lange wird das wohl nicht mehr dauern.
„Tragödien fürs Gemeingut“
Bis dato schwirren rund 1.800 dieser Apparate um die Erde und die Entsendung von weiteren 2.600 ist bereits bewilligt. Angesichts der Gesamtmission sind das allerdings nur Kinkerlitzchen. Musk will am Ende nicht weniger als 42.000 (sic) solcher Minitrabanten ins All befördern. Das ließe sich ambitioniert nennen oder einfach nur größenwahnsinnig. Man fragt sich: Durch wen oder was fühlt sich der gebürtige Südafrikaner mit kanadischem und US-amerikanischem Pass eigentlich berufen, den Weltraum in solchen Dimensionen mit Elektronik vollzustopfen? Mit welchem Recht kann er das einfach machen? Wen hat er gefragt, wer hat es ihm erlaubt? Und gibt es nichts und niemanden, der ihn davon abhält?
Den Segen für sein Treiben erhält Musk von der US-Aufsichtsbehörde Federal Communication Commission (FCC). Für die Einzeletappen seines Projekts hat diese bisher stets grünes Licht gegeben. Aber was setzt diese Behörde in den Stand, etwas zu genehmigen, was jeden Staat dieser Welt und jeden Erdenbewohner betrifft oder irgendwann betreffen kann? Denn längst nicht nur Sternengucker könnten am Ende als Verlierer dastehen. Mithin ist der ganze Planet bedroht beziehungsweise die Menschen, die darauf leben. Forscher der University of British Columbia (UBC) im kanadischen Vancouver haben die möglichen Gefahren in einer Studie aufgezeigt. Sie sehen gleich „mehrere Tragödien fürs Gemeingut“ heraufziehen, etwa in Form zusätzlicher klimatischer Verwerfungen oder durch eine erneute Schädigung der Ozonschicht.
Kaputt in fünf Jahren
Wie das? Tatsächlich ist jedes einzelne Glied von Musks außerirdischer Technoarmada bloß von kurzer Lebensdauer. Um die Welt flächendeckend mit Internet zu versorgen, braucht es ein möglichst engmaschiges Netz an Satelliten in geringem Abstand zur Erdoberfläche. Entsprechend werden die Starlink-Abgesandten in einer Höhe von lediglich rund 500 Kilometern, im „Low Earth Orbit“ (LEO), in Position gebracht. Wegen der dort vergleichsweise starken Gravitation sacken die Flugkörper allmählich ab, bis sie nach fünf bis sieben Jahren in der Erdatmosphäre verglühen. Dabei wird, anders als bei steinernen Meteoriten, Metall, vor allem Aluminium freigesetzt und durch Verbrennung in Aluminiumoxid umgewandelt. Wissenschaftler fürchten, dass so die Chemie der oberen Atmosphäre nachhaltig verändert werden könnte und das Sonnenlicht anders gebrochen und gestreut wird – mit unkalkulierbaren Konsequenzen für das Weltklima.
Weil Musks Himmelsboten so schnell den Geist aufgeben, muss ständig für Nachschub gesorgt werden, wodurch sich die Risiken immer weiter hochschaukeln. Nach Berechnungen des Physikers Aaron Boley und des Politologen Michael Byers von der UBC werden mit der ersten Generation der Starlink-Typen täglich 2,2 Tonnen „totes Satellitenmaterial“ Richtung Erde stürzen und verdampfen. Das heißt auch: Die Zahl 42.000 umfasst nur die künftig zu einem Zeitpunkt im Orbit platzierten Satelliten. Die Reservearmee zum Austausch der ausgedienten Gerätschaften ist dabei gar nicht berücksichtigt. Zum Vergleich: Nach einem Bericht des Wirtschaftsmagazins „Capital“ befanden sich im Oktober 2019 schätzungsweise rund 20.000 künstliche Objekte in Erdumlaufbahnen, darunter circa 2.200 aktive Satelliten.
Schweine im Weltall
Allein Starlink hat also das Zeug, den Betrieb zu verdreifachen, was ein Problem mehr aufwirft: Je mehr Zeugs da oben herumsaust, desto wahrscheinlicher wird es Zusammenstöße geben. Entsprechende Warnungen kommen in diesen Tagen aus der Ecke von Musks Konkurrenten. „Das wird früher oder später in einem Desaster enden“, beklagte zum Beispiel Mark Dankberg, Vorstandsmitglied bei Viasat gegenüber dem „Handelsblatt“ (Beitrag hinter Bezahlschranke). Das Unternehmen mit Sitz in Kalifornien verdient selbst an satellitengestützten Breitbanddiensten. Als Kritiker des Starlink-Projekts ist Dankberg damit sicher nicht unbefangen, haltlos erscheinen seine Einwände jedoch nicht. Angesichts von demnächst Zehntausenden Objekten auf einem Niveau sieht er die Gefahr von Lawineneffekten: Zerschellt einer der Erdtrabanten, könnte der Trümmerflug reihenweise mehr davon zerfetzen und einen Kordon aus Schrott zurücklassen, der den Zugang zum Kosmos blockiert. Niemand wisse, wann dies der Fall sein könnte, so der Manager, aber: „Der Zeitpunkt liegt viel näher als zuvor.“
Die Wissenschaft behandelt dieses Phänomen unter der Bezeichnung Kessler-Syndrom. Ein einzelnes Unglück könnte demnach eine Kettenreaktion mit einer kaskadierenden Zunahme von Kleinteilen auslösen, bis irgendwann so viel Müll unterwegs ist, dass Weltraummissionen nicht mehr möglich sind, bei zugleich verheerenden Folgen für die globalen Kommunikationssysteme. Wie real die Gefahr ist, belegen die Forscher aus Vancouver anhand eines jüngeren Vorfalls: Demnach musste die Europäische Weltraumorganisation (ESA) 2019 einen Erdbeobachtungssatelliten umsetzen, weil ein Starlink-Satellit auf Crashkurs mit diesem steuerte – und die Betreibergesellschaft SpaceX nicht per E-Mail zu erreichen war. Außerdem krachte schon 2009 der Kommunikationssatellit Iridium 33 mit einem russischen Aufklärungssatelliten zusammen, was beide in mehr als 100.000 Bruchstücke zerlegte.
Erst Goldrausch, dann Katerstimmung
Unternehmen wie Viasat, Boeing oder SES, die selbst Satelliten betreiben, allerdings in weiterer Entfernung und mit anderen Funktionen, werfen Musk vor, sie aus dem Weltraum aussperren zu wollen. Diesem Zweck dient womöglich auch die offenbar ziemlich chaotische Verteilung der Starlink-Flotte. Ein Durchkommen könnte auf lange Sicht immer unmöglicher werden, glaubt Steve Collar, Chef der Luxemburger SES S. A., die das Astra-Satellitensystem betreibt. „Vielleicht steckt dahinter die Absicht von denjenigen, die derzeit starten, dass jeder andere außen vor bleiben muss“, sagte er dem „Handelsblatt“. Dankberg von Viasat unterstellt Zeitgenossen wie Musk und Amazon-Boss Jeffrey „Jeff“ Bezos eine „Goldrausch-Mentalität“, mit der sie den Weltraum unter sich aufteilen wollten. Allerdings sei der Platz „nicht unbeschränkt“.
Mit Zurückhaltung haben es die Technoavantgardisten aber nicht so. Amazon als der Welt größter Onlinehändler will mit dem Projekt Kuiper selbst über 3.200 Kommunikationssatelliten ins All ballern. Über 6.000 peilt das britische Unternehmen OneWeb an, wobei es ursprünglich rund 48.000 sein sollten. Hoch hinaus wollen einmal mehr die Chinesen: Nach bisher bekannten Plänen will die Volksrepublik mehr als 20.000 Satelliten an den Start bringen. Das alles verspricht nicht nur reichlich Trubel am Himmel, allerhand Unfälle und haufenweise Schrott, nebst kaputter Ozonschicht und beschleunigtem Klimakollaps. Zumal diese ganzen Dinger auch irgendwie nach oben geschafft werden müssen, mit Raketen, die nicht gerade als Spritsparer beleumundet sind und selbst kräftig Müll hinterlassen. Die Sache vollends absurd macht, dass alle diese Unternehmungen auf ein und dasselbe Ziel gerichtet sind: Kabelloses Internet mit Höchsttempo. Wenn bald jeder Konsument unter zehn satellitengestützten Angeboten wählen kann, könnte mancher Anbieter schnell wieder verschwunden sein. Was wird dann aus seiner metallenen Hinterlassenschaft im All?
Größenwahn ganz global
Nun ist es ein generelles Manko des Kapitalismus, dass es an einer Gesamtsteuerung nach Kriterien wie Logik, Vernunft und den Lebensbedürfnissen der Mehrheit der Menschen hapert. Im Fall des bevorstehenden galaktischen Overkills möge aber bitteschön doch bald ein Stück weit Rationalität in die Debatte einkehren, beziehungsweise eine Debatte überhaupt geführt werden. Bisher ist vernehmbare Kritik fast nur von Industrievertretern zu vernehmen, die ihre Claims und Profitraten gefährdet sehen. Vor kurzem reichte Viasat vor einem US-Bundesgericht Klage ein, um den Start weiterer Starlink-Satelliten zu unterbinden. Die Aussichten stehen nicht unbedingt günstig. Schon vor einem halben Jahr war ein Vorstoß des Unternehmens, die FCC per Petition zum Umdenken zu bewegen, gescheitert. Dabei gibt es durchaus vernünftige Einwürfe: Zum Beispiel regte der Astrophysiker Jonathan McDowell vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics zuletzt gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa) an, ein Aufsichtsorgan zur Kontrolle des internationalen Verkehrs im Weltraum zu schaffen, um die Risiken zu mindern. Außerdem müsse durch die Begrenzung der Satellitenzahl in bestimmten Höhen eine Überbelegung verhindert werden.
Wortmeldungen wie diese braucht es mehr – und dringend. Dazu gehörten weitere Fragen geklärt: Etwa die, ob es Einzelpersonen, Konzernen oder auch Staaten gestattet sein darf, ihre exklusive Mission zu einer des ganzen Erdballs und seines Drumherums zu machen, ohne dass hierbei Regierungen, Parlamente und überstaatliche Organisationen mitentscheiden und sie bei Bedarf aufhalten. Wie kann sich ein Bill Gates anmaßen, die gesamte Menschheit impfen zu wollen und eine breite ethische Erörterung bleibt aus, geschweige denn ein entschiedenes „Stopp“ seitens der Politik?
Wie reich darf Mensch sein?
Oder was ist mit Elon Musks transhumanistischen Ambitionen, Menschen mit Computern zu verschmelzen, damit, so sein ernstgemeinter Ansatz, Künstliche Intelligenz (KI) nicht die Kontrolle über uns übernimmt. Über eine Schnittstelle und mit der passenden App sollen schon bald fremde Sprachen oder Kampfsporttechniken ins Gehirn hochgeladen werden – wie beim Scifi-Klassiker Matrix. Erst jüngst hat Musks Firma Neuralink angekündigt, entsprechende bisher nur an Affen vorgenommene Experimente noch in diesem Jahr an Menschen zu praktizieren. Das alles berührt am Ende die Grundsatzfrage: Darf es sein, dass Menschen so reich werden, sich alles kaufen und alles machen zu können, was sie wollen?
Musk will allein 30 Milliarden Dollar in sein Satelliteninternet investieren. Da müssen andere zurückstecken. Nach einer Studie der Slowakischen Akademie der Wissenschaften wird der Nachthimmel schon heute durch die vorhandenen Satelliten um zehn Prozent aufgehellt – zum Leidwesen von Astrophysikern und Radioastronomen. Wie soll das erst werden, wenn die zigfache Menge an Flugkörpern und Weltraumschrott übers Himmelszelt geistert? Gibt’s dann vor lauter Licht keine Nacht mehr? Aber natürlich hat Musk wie für alles eine Lösung parat – eine technische, versteht sich. Man könne ja Satelliten mit einer speziellen Abdunklung testen, die das Sonnenlicht weniger reflektieren, sogenannte „DarkSats“, ließ er bei Twitter wissen. Wie hellsichtig.
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