Die Berliner Bürgerinitiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ hat es geschafft. Die gesammelten 349.000 Unterschriften sollten nach der nun folgenden Prüfung ausreichen, um am 26. September parallel zur Bundestagswahl und zu den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus einen Volksentscheid durchzuführen. Es geht dabei um nicht weniger als die „Enteignung“ sämtlicher privatwirtschaftlicher Wohnungskonzerne, die mehr als 3.000 Immobilien in der Stadt vermieten. Davon betroffen sind rund 243.000 Wohneinheiten. Doch was von vielen als letzte Möglichkeit gesehen wird, die prekäre Wohnsituation in der Hauptstadt zu verbessern, hat zahlreiche Tücken im Detail und dürfte selbst bei einem Erfolg beim Volksentscheid nicht zu dem großen Wurf führen, den nun viele erwarten. Von Jens Berger.
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Wer Berlin kennt, weiß, dass der dortige Wohnungsmarkt eine einzige Katastrophe ist. Dies ist nicht nur für die Berliner ärgerlich, sondern auch ein Verteilungsproblem mit volkswirtschaftlichen Auswirkungen. Im Median stiegen dort die Immobilienpreise um 12% pro Jahr – in einigen Stadtteilen steigt der Wert pro Jahr sogar um mehr als 20%. Die Mieten hinken dieser Entwicklung nur leicht hinterher und stiegen bei Neuvermietungen in den letzten Jahren um durchschnittlich 5,6%, in speziellen Lagen sogar um mehr als 9%. Der Anteil der Mietkosten am Einkommen beträgt in der Hauptstadt durchschnittlich stolze 46%. Das heißt auch, dass die Berliner Mieterhaushalte die Hälfte ihres Einkommens direkt nach dem Gehaltseingang gleich an den Vermieter durchreichen müssen. Von Mietsteigerung zu Mietsteigerung vermindert sich dadurch das verfügbare Einkommen, da das Gehalt in der Regel langsamer steigt als die Mieten. Dieser mietenbedingt steigende Kaufkraftentzug für die fast 85% der Stadtbevölkerung, die nicht in den eigenen vier Wänden wohnen, ist eine Konjunkturbremse par excellence. Wer sein ganzes Geld für die Miete ausgeben muss, konsumiert weniger, worunter die lokale Wirtschaft leidet.
Diese Zahlen kann man auf folgende Formel herunterbrechen: Je stärker die Immobilienpreise und Mieten steigen, desto mehr Geld wird von den Mietern an die Vermieter umverteilt. Da die Vermieter dieser Rendite- oder besser Spekulationsobjekte statistisch nahezu komplett zum wohlhabendsten Zehntel des Landes gehören, stellt dies eine gigantische Umverteilung von unten nach oben dar. Oder um es zuzuspitzen: Die Reichen werden immer reicher, die Mieter immer ärmer.
Im Falle der großen Wohnungskonzerne ist dieser Kaufkraftentzug sogar global. Der größte deutsche Wohnungskonzern Deutsche Wohnen, der alleine in Berlin mehr als 150.000 Wohneinheiten vermietet, gehört beispielsweise zum Großteil Investmentbanken und Vermögensverwaltungen, die fast ausschließlich in den USA sitzen – größter Einzelaktionär ist BlackRock mit einem Anteil von rund acht Prozent. So fließen die Mieten der Berliner über die Deutsche Wohnen als Dividende in die Wall Street und werden von dort aus an die Kunden dieser Finanzkonzerne auf der ganzen Welt weitergereicht. Es ist richtig, diese Entwicklung zu korrigieren, und das Grundgesetz bietet dafür sogar einen geeigneten Rahmen.
Das Motto der Berliner Kampagne „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ ist zugegebenermaßen schlecht gewählt. Das Grundgesetz sieht Enteignungen vor und davon wurde auch in der Vergangenheit rege Gebrauch gemacht. Wann immer eine neue Autobahn, ein Braunkohlerevier oder eine Stromtrasse entstehen sollte, wurden renitente Eigentümer von Grund und Boden mittels Artikel 14 daran erinnert, dass Eigentum verpflichtet und sein Gebrauch doch bitteschön auch zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen solle – zumindest wenn die Allgemeinheit gerne Auto fährt und Kohle verheizt. Das Grundgesetz sieht jedoch nicht nur die Enteignung nach Artikel 14, sondern auch ganz ausdrücklich die Vergesellschaftung nach Artikel 15 vor. „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden“, heißt es dort in der dem Grundgesetz so eigenen juristendeutschen Mischung aus Pathos und Bürokratie. Davon wurde jedoch in der gesamten Geschichte der Bundesrepublik noch nie Gebrauch gemacht. Der Berliner Volksentscheid sieht nicht die Enteignung, sondern genau diese Vergesellschaftung nach Artikel 15 vor. Korrekt müsste die Initiative also „Deutsche Wohnen & Co. vergesellschaften“ heißen.
Was heißt das konkret? Ginge es nach der Bürgerinitiative, würde der Berliner Senat ein Gesetz einbringen, das die Wohnungskonzerne zwingt, ihre Wohnungen an eine noch zu gründende öffentliche Wohnungsgesellschaft zu verkaufen. Die 243.000 Wohnungen wären dann im Besitz der Stadt Berlin. Das klingt simpel, bringt jedoch zwei Probleme mit sich.
So sieht das Grundgesetz eine angemessene Entschädigung des Vorbesitzers vor. Was genau hier „angemessen“ ist, ist jedoch juristisches Neuland – wie bereits erwähnt, es gab in der Vergangenheit noch keinen Präzedenzfall. Das Spektrum reicht hier von der Schätzung der Bürgerinitiative, die bei acht Milliarden Euro liegt, bis hin zu den Schätzungen des Berliner Senats, die auf Basis des Marktwerts bei 28,8 bis 36 Milliarden Euro liegen. Sollte der Volksentscheid Erfolg haben und die Politik dem Votum der Bürger folgen, würde diese Frage wohl in letzter Instanz vom Bundesverfassungsgericht entschieden. Und es wäre dabei noch nicht einmal gesagt, dass es bei den 36 Milliarden Euro bliebe. Jeder Bauer, der ein Stück Land, das beispielsweise für den Bau einer Autobahn benötigt wird, über ein Enteignungsverfahren an den Staat abtreten muss, wird bestätigen können, dass die gerichtlich festgesetzten Entschädigungszahlen im Zweifel eher großzügiger als die Marktpreise ausfallen. Woher will die chronisch klamme Stadt Berlin dieses Geld nehmen?
Die Bürgerinitiative sieht vor, dass die Entschädigungssumme über langfristige Kredite mit den Mieteinnahmen getilgt wird. Das mag bei einer Summe von acht Milliarden Euro funktionieren. Bei einer Summe, die rund fünfmal so hoch ist, wird die Stadt Berlin jedoch nicht darum herumkommen, die laufenden Kreditkosten aus dem regulären Haushalt zu tragen. Dieses Geld fehlt dann für andere Dinge. Zudem ist es vollkommen offen, ob die Stadt überhaupt Kredite in dieser Höhe aufnehmen darf – schließlich hat die Politik im Bund und auch in der Stadt Berlin mit der Schuldenbremse derartigen Vorhaben einen mächtigen Riegel vorgeschoben. Auch hier müssten wohl Gerichte entscheiden.
Dies sind aber ohnehin eher Gedankenspiele, die voraussetzen, dass die Politik ein positives Votum der Bürger auch tatsächlich akzeptiert und umsetzt. Dazu ist der Berliner Senat durch den Bürgerentscheid aber keineswegs gezwungen. Gerade der Berliner Senat ist bekannt dafür, das Ergebnis von Volksentscheiden schon mal auszusitzen oder komplett zu ignorieren. So paradox es klingt: Nach der Berliner Verfassung hat ein Volksentscheid eigentlich nur dann eine realistische Chance auf Umsetzung, wenn die Meinung des Volkes sich nicht von der Meinung der Senatoren unterscheidet. Und die SPD hat bereits klipp und klar erklärt, dass sie nichts von den Ideen der Bürgerinitiative hält. Bei CDU und FDP sieht es genauso aus. Nur Linke und Grüne unterstützen die Idee, doch eine dunkelrot-grüne Mehrheit wird es in Berlin nicht geben und damit ist es auch eher unwahrscheinlich, dass ein mögliches positives Ergebnis des Volksentscheids überhaupt konkrete Folgen haben wird.
Dennoch ist die mit dem Volksentscheid verbundene Debatte wichtig. Bei der gesamten Debatte darf man nämlich nicht vergessen, dass die heute kritisierten Wohnungskonzerne nicht vom Himmel gefallen sind. Der Grundstock der Berliner Immobilien der Deutsche Wohnen stammt von der ehemals öffentlichen Immobiliengesellschaft GSW. Deren damals 65.000 Berliner Wohnungen wurden 2004 von der rot-roten Koalition in Berlin für rund zwei Milliarden Euro an private Investoren verkauft und fanden später ihren Weg in das Portfolio der Deutsche Wohnen. Fast alle Wohnungen, die jetzt für eine stattliche Summe zurückgekauft werden sollen, wurden zuvor aus der öffentlichen Hand an private Investoren verkauft.
Kritische Stimmen, wie die NachDenkSeiten, haben seit jeher auf die negativen Folgen der Privatisierung hingewiesen. Die heutige Debatte wäre überhaupt nicht nötig gewesen, wenn man damals auf die kritischen Stimmen gehört hätte. Man kann also letztlich nur hoffen, dass die Öffentlichkeit ihre Lektion aus den Entwicklungen auf dem Berliner Wohnungsmarkt gelernt hat. Die Fehler wurden gemacht und es wird unter den neuen neoliberalen Rahmenbedingungen wie der Schuldenbremse leider nicht möglich sein, sie rückgängig zu machen. Wenn man jedoch wenigstens aus diesen Fehlern lernt und sie in Zukunft vermeidet, wäre jedoch schon viel gewonnen. Und irgendwann könnte man dann ja mal darüber nachdenken, auch die Rahmenbedingungen zu ändern. Dies würde einer Politik, die wirklich die Interessen ihrer Wähler vertritt, die Möglichkeiten schaffen, die sie sich selbst verwehrt hat.
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