Die Frage, ob das Münchner Stadion zum Fußballspiel Deutschland gegen Ungarn zur „Solidarität“ mit Schwulen, Lesben und Menschen mit unkonventioneller sexueller Identität in den Regenbogenfarben angeleuchtet wird, war zumindest in den sozialen Netzwerken das Thema der Woche. Tobias Riegel und Albrecht Müller haben die Debatte auf den NachDenkSeiten bereits kritisch beleuchtet. Dieser Vorgang ist jedoch nur ein abstruses Beispiel von vielen. Auch Banken, Rüstungskonzerne und sogar die skrupellosen EU-Grenzschützer der Frontex nutzen die Regenbogenfarben, um sich als „fortschrittlich“ darzustellen. Die NachDenkSeiten haben einige besonders skurrile Beispiele gefunden, die die gesamte Heuchelei aufzeigen und nur mit sehr viel Zynismus zu ertragen sind. Von Jens Berger.
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Als Deutschlands Fußballer am Mittwoch in der dank UEFA-Einspruch nicht in Regenbogenfarben illuminierten Münchner Allianz-Arena kickten, war dies eine Steilvorlage für Politiker jeglicher Couleur, sich über die Sozialen Medien als aufrechte Anhänger von „Freiheit und Toleranz“ zu verkaufen. So zeigte sich beispielsweise CSU-Generalsekretär Markus Blume stolz mit einer Schutzmaske in Regenbogenfarben vor seinem ebenfalls ungewöhnlich bunt maskierten Parteichef Markus Söder. Die Botschaft war klar – „Schaut her, die CSU ist ganz toll für Schwule und Lesben und protestiert so richtig rebellisch gegen die böse UEFA“.
Bild: Screenshot Facebook
Das ist doch mal erstaunlich, hat eben jener Markus Blume die Ehe für Alle, die für Schwule und Lesben ein zentrales Thema ist, doch noch kurz zuvor mit bajuwarisch-katholischer Frömmelei abgelehnt – wenn Schwule und Lesben heiraten dürften, „entfernte sich [das] vom christlichen Eheverständnis“, so Blume. Da fragt man sich doch, warum er und sein Parteichef dann nicht lieber ein Kreuz auf ihrem Mundschutz tragen?
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Aber die CSU ist da in „bester“ Gesellschaft. Bei der Abstimmung über die Ehe für Alle hatte vor gerade mal vier Jahren auch ein übergroßer Teil der CDU-Abgeordneten – darunter übrigens auch die Kanzlerin – mit „Nein“ abgestimmt. Diejenigen, die sich jetzt für die Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben „stark machen“, verweigern ihnen also gleichzeitig das Recht auf eine Eheschließung? Ja, die Bigotterie unter dem großen „C“ ist schon erstaunlich.
Erstaunlich ist auch die demonstrative „Unterstützung“ der Rechte von Menschen mit einer homosexuellen Orientierung durch die deutsche Wirtschaft. Es wäre müßig, an dieser Stelle alle deutschen Konzerne aufzuzählen, die am Mittwoch ihr Logo in den sozialen Netzwerken aus Solidarität in Regenbogenfarben aufgehübscht haben. Doch diese „Solidaritäts-PR“ beschränkt sich natürlich auf Länder, in denen es gut für das Image ist, wenn man so tut, als trete man für die Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben ein.
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Auf den Social-Media-Kanälen für den arabischen Markt oder eben im „bösen“ Ungarn verzichtete man lieber auf derartige PR.
Bild: Screenshot Facebook
Solidarität, die nichts kostet, ist wohlfeil. Und deutsche Konzerne sind mit dieser offen zur Schau gestellten Heuchelei keineswegs allein. Der Juni ist ja – aus welchem Grund auch immer – der im Westen zelebrierte „Pride Month“. Früher gedachten unterdrückte Homosexuelle in diesem Monat ihres Kampfes um Toleranz und Gleichberechtigung. Heute klingeln vor allem die Kassen von Werbeagenturen und Grafikern, die fix die Logos westlicher Konzerne durch den Regenbogen-Filter von Photoshop laufen lassen. Aber auch hier gilt natürlich, dass diese Image-Kampagnen sich nur auf die westlichen Märkte beziehen und Länder aussparen, in denen es tatsächlich etwas für die Rechte Homosexueller zu tun gäbe.
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Selbst die Arbeitgeber-Lobbyorganisation INSM ließ es sich nicht nehmen, ihr Logo in schönsten Regenbogen-Farben erstrahlen zu lassen, pünktlich zum öffentlichkeitswirksamen Fußballspiel einen von Kinderhand gemalten Regenbogen aufgehen zu lassen und an die Vielfalt zu appellieren. Da werden sich der schwule Leiharbeiter und die lesbische Niedriglöhnerin aber freuen. Was die neoliberale Verarmungspolitik, die die INSM fordert, nun mit Vielfalt und den Rechten Homosexueller zu tun haben sollen, bleibt aber wohl das Geheimnis der Werbestrategen.
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Und was die großen Konzerne und Lobbyorganisationen können, das können staatliche Organisationen natürlich schon lange. Auch die deutsche Polizei kann sich dem systemkonformen „Protest“ anschließen und lackierte einige ihrer Dienstfahrzeuge extra für die Fotografen mit einem Regenbogen. Toll! Da wartet man nur noch darauf, dass gleich die Village People aussteigen und ihr „YMCA“ zum Besten geben.
Bild: Screenshots Twitter
Auch die EU-Grenzschutztruppe von Frontex zeigt sich in diesem Monat so richtig schön „weltoffen“ und „rebellisch“ und stellt sich voll hinter die Rechte der „LGBT-Community“ und beruft sich dabei auf die „Grundwerte der EU“ von Gleichheit und Nicht-Diskriminierung.
Bild: Screenshot Twitter
Das ist doch prima! Heißt das etwa, dass im „Pride Month“ ausnahmsweise keine wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgten schwulen Flüchtlinge abgeschoben werden? Oder dürfen nun ausnahmsweise lesbische Flüchtlinge in ihren überfüllten Booten im Mittelmeer in die geheiligte Festung Europa reisen? Oder belässt man es bei der Symbolik und schmückt die Panzer, mit denen man in Ceuta die Flüchtlinge zurück ins Meer jagt, vielleicht mit Regenbogenfahnen?
Bild: Fotomontage!
Sie finden das zynisch? Dann warten Sie mal ab. Was deutsche und europäische Konzerne und Organisationen unter dem Banner des Regenbogens verbocken, ist noch gar nichts gegen das Mutterland der Bigotterie. In den USA gibt es wohl keinen Konzern, der es sich heute überhaupt noch traut, nicht dem „Pride Month“ Tribut zu zollen und sich öffentlichkeitswirksam unter dem Banner des Regenbogens zu positionieren. Dazu zählen natürlich auch die weltgrößten Rüstungskonzerne. Egal, ob es sich um Raytheon …
BILD: Raytheon
… Boeing …
Bild: Boeing
… Lockheed Martin …
Bild: Lockheed Martin
… General Dynamics …
Bild: General Dynamics via Twitter
… Northrop Grumman …
Bild: Northrop Grumman
… oder den Rüstungsgiganten BAE handelt …
Bild: BAE
Die Konzerne, deren Produkte weltweit Menschen – gleich welcher sexuellen Orientierung – töten und die sich über ihre Lobbyverbände und Think Tanks für eine Militarisierung der Außenpolitik stark machen, nutzen immer wieder gerne die Gelegenheit, sich über die LGBTQ-Bewegung als Menschenfreunde darzustellen. Da kann man wohl nur noch das bekannte Max-Liebermann-Zitat entgegnen: „Ich kann gar nicht so viel essen, wie ich kotzen möchte.“
Der Regenbogen ist heute nur mehr eine Farce. Vielleicht überlegen sich die zahlreichen Nutzer, die – sicher mit gutem Willen – nun ebenfalls ihre Social-Media-Profilbilder mit einem Regenbogen versehen, ob sie sich mit der INSM, Frontex oder gar der US-Rüstungsindustrie gemeinmachen wollen. Denn als Symbol des Widerstands und der Forderung nach Gleichheit und Toleranz hat der Regenbogen leider ausgedient.
Selbstverständlich sind Gleichheit, Toleranz und alle nur erdenkbaren Rechte für Schwule und Lesben wichtige Forderungen – sowohl hierzulande als auch in Ländern, in denen andere sexuelle Orientierungen verfolgt und mit Gewalt unterdrückt werden. Der inflationäre und inhaltsleere Gebrauch des ursprünglich kritischen Symbols hat jedoch zur Beliebigkeit geführt, sodass der Regenbogen heute systemkonform und belanglos geworden ist. Der Regenbogen ist verblasst.