Die „Regenbogen“-Erleuchtung des Stadions in München wäre ein Akt der Heuchelei gewesen. Und ein Präzedenzfall dafür, Sportveranstaltungen als Bühne der moralischen Überheblichkeit zu nutzen. Man kann die UEFA für Vieles kritisieren, aber das Verbot der politischen Symbolik bei der Fußball-EM war richtig. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download
Das Vorhaben, das Münchner Fußballstadion zum gestrigen Spiel Deutschland-Ungarn in Regenbogenfarben zu erleuchten, war ein Akt der Heuchelei. Das Gleiche gilt für die große Aufregung von Medien, Politikern und Verbänden gegenüber der UEFA, die das politische Farbenspiel verboten hat.
Moralische Überheblichkeit: Deutschland „setzt ein Zeichen”
Ein Vorwurf gegen die UEFA lautet, sie würde sich gerne mit allgemeinen Phrasen als weltoffen „tarnen“, aber wenn es dann konkret drauf ankomme (wie jetzt beim Verhalten gegenüber Ungarn), würde die Organisation „den Schwanz einziehen“. Die Beobachtung ist einerseits richtig: Die hochkommerzielle und mutmaßlich korrupte UEFA schmückt sich gerne mit teils hohlen Floskeln, um sich als weltoffen und „divers“ darzustellen. Darüber kann man sich lustig machen oder es als durchschaubares und kitschiges Marketing eines problematischen Verbands abtun. Dass sich die UEFA jedoch, „wenn es darauf ankommt“, oft nicht mit konkreten Vorwürfen öffentlich gegen konkrete Länder positioniert, ist trotzdem zu begrüßen.
Ebenso ist das Verhalten der UEFA in den letzten Tagen zurückhaltend als positiv zu beurteilen. Ich finde das Verbot der Regenbogen-Aktion richtig, aus verschiedenen Gründen: Es ist ein großer Unterschied, ob die Fußball-EM als Projektionsfläche allgemeiner Appelle der Völkerverständigung und der Menschenrechte fungiert, wie sie die UEFA gerne aus Marketinggründen verbreitet, oder ob als Reaktion auf konkrete politische Vorgänge mit konkreter Symbolik gegen ein konkretes Land pauschal Stimmung gemacht wird. Letzteres wäre der Fall gewesen, wenn die Stadt München oder „ganz Deutschland“ von einer hohen moralischen Warte aus ein Zeichen „gegen Ungarn“ gesetzt hätten und dafür die eigentlich politisch neutrale Bühne der EM hätten nutzen dürfen.
Präzedenzfall für die Politisierung des Sports
Dass nun gerade durch das Verbot der Stadionbeleuchtung eine große Aufmerksamkeit für das ungarische Gesetz zu sexuellen Minderheiten entstanden ist, steht dieser Beurteilung nicht entgegen, denn hier geht es um eine prinzipielle Entscheidung, die über das konkrete Thema hinausgeht: Eine Erlaubnis der UEFA für eine solche Selbstdarstellung der Deutschen als die besseren Freunde der Nicht-Heterosexuellen wäre ein Präzedenzfall gewesen. In Zukunft hätten sicherlich zahlreiche Länder dieses Recht der politischen Eigenwerbung ebenfalls für sich eingefordert: Würde die Ukraine die russische Mannschaft dann in einem mit den Nazi-Sprüchen illuminierten Stadion empfangen dürfen, die sie bereits auf ihre EM-Trikots drucken wollten? Dürfte man die Fußball-Mannschaft der USA dann künftig mit Illustrationen von Drohnen- und anderen Kriegstoten empfangen und auf der Bühne der Sportveranstaltung dem Land die Leviten lesen (bzw. stellvertretend seinen Sportlern)? Und wie würde wohl die deutsche Mannschaft zukünftig empfangen, wenn man den Deutschen nun ihre moralische Überheblichkeit hätte durchgehen lassen? Die „Leipziger Volkszeitung“ beschreibt ein Szenario:
„So schön die Illumination als Zeichen für Toleranz gewesen wäre, es hätte auch eine hässliche Seite gehabt. Es wäre gegen ein Land und gegen eine Mannschaft gerichtet gewesen, die bei uns zu Gast ist. Wie würden wir Deutschen es finden, wenn bei einem Auswärtsspiel in Lateinamerika das Stadion mit deutschen Rüstungsgütern verziert würde, die wir so gern in alle Welt exportieren?“
Manche Beobachter würden die durch Präzedenzfälle mögliche Politisierung des Sports vielleicht begrüßen, endlich würde dann „Haltung gezeigt“. Ich würde darin eher eine Gefahr sehen: Zum einen wäre das (von den eigenen geopolitischen Interessen motivierte) Anprangern von Missständen der Anderen immer selektiv – der unhaltbare Geist von „Wir sind die Guten“ würde mitschwingen. Zum anderen würde der Sport den letzten Rest seines Potenzials der Völkerverständigung einbüßen und würde zur Bühne gegenseitiger Moralpredigten. Missstände sollen angeprangert werden. Aber der internationale Sport sollte von Politik möglichst befreit bleiben, um seine wichtige diplomatische Vermittlerrolle nicht gänzlich zu verlieren. Politische Zurückhaltung im Falle von IOC oder UEFA stets als ein „Einknicken“ aus niederen „geschäftlichen“ Motiven zu beschreiben, finde ich kurzsichtig. Die „Stuttgarter Zeitung“ sieht das, beispielhaft für zahlreiche Medien, anders:
„Dass Sport und Politik nichts miteinander zu tun haben dürfen, ist ein großes Missverständnis und billiges Alibi der Verbände, denen es nur darum geht, die stete Profitmaximierung nur ja nicht zu gefährden. Andernfalls hätte die Fifa die WM 2022 niemals nach Katar vergeben dürfen, wo Legionen von Gastarbeitern unter menschenunwürdigen Bedingungen Stadien bauen und nicht nur vereinzelt dabei umkommen. Eine bunt strahlende Arena an diesem Mittwochabend wäre nur ein kleines Zeichen gewesen – doch selbst das ist der Uefa zu viel. Was für ein Trauerspiel!“
„Rote Karte“ gegen Ungarn: Regenbogenfahne kein politisches Statement?
Zum Aspekt, dass mit der Aktion pauschal das Land Ungarn und seine Bürger (und auch Fußballer) in moralische Kollektivhaft genommen worden wären, hat sich die Deutsch-Ungarische Gesellschaft laut Deutschlandfunk geäußert. Die Regenbogen-Aktion sei kein Zeichen für Diversität und Vielfalt, sondern vielmehr der generelle Vorwurf der Homophobie an das gesamte ungarische Volk, sagte der Präsident der Gesellschaft, Papke. Sport dürfe man nicht mit politischen Botschaften vermengen. Außerdem dürfe sich Deutschland als Gastgeber für die ungarische Fußball-Nationalmannschaft nicht derart verhalten. Man mache damit auch den Spielern pauschal den Vorwurf der Homophobie.
Ein Versuch der Verteidigung der Aktion besteht in der Aussage, die Regenbogenfahne sei kein konkretes politisches Statement, sondern ein eher allgemeines und darum unverfängliches Symbol der Vielfalt. Das trifft im konkreten Fall nicht zu. Die Illumination war von den Initiatoren als konkrete Reaktion auf ein konkretes ungarisches Gesetz gedacht. Und so wurde es auch von den meisten Beobachtern interpretiert. Als ein Beispiel unter zahllosen Medien-Beiträgen, die das UEFA-Verbot der politischen Instrumentalisierung der EM kritisieren, sei etwa auf den Kommentar in den „Tagesthemen“ am Dienstagabend verwiesen, in dem bedauert wird, dass man nun „einem Land wie Ungarn“ nicht „die Rote Karte“ zeigen dürfe.
Die Drangsalierung von nicht-heterosexuellen Menschen
Die Kritik an dem Vorhaben der Illumination ist prinzipiell, sie ist unabhängig von der konkreten politischen Debatte um die Drangsalierung von nicht-heterosexuellen Menschen. Dieser Drangsalierung muss entgegengetreten werden. Nach dem, was in deutschen Medien darüber zu lesen ist, sind das ungarische „Homosexuellen-Gesetz“ und (auch für andere Aspekte) die ungarische Regierung scharf zu kritisieren. Aber das darf meiner Meinung nach nicht auf der offiziellen EM-Bühne beurteilt und verhandelt werden. Einige Gründe wurden hier bereits genannt, das wichtigste Argument für eine prinzipielle Ablehnung einer Politisierung internationaler Sportveranstaltungen ist die Vermeidung eines Präzedenzfalls, den dann auch andere Länder für sich einfordern werden. Künftige Europameisterschaften könnten dadurch potenziell von Orten der Völkerverständigung zu Orten der gegenseitigen moralischen Übertrumpfung werden.
Das Image großer Sportveranstaltungen hat sehr gelitten: Schamlose Kommerzialisierung und Vorwürfe der Korruption haben die Organisatoren von IOC oder UEFA teils zu Recht in ein sehr ungünstiges Licht gerückt. Dass Kommerzialisierung und Korruption mit allgemeinen, folgenlosen und wohlfeilen UEFA-Phrasen von den Menschenrechten kaschiert werden sollen, ist kaum zu leugnen. Doch unabhängig von diesen unsympathischen Auswüchsen haben internationale sportliche Großveranstaltungen doch immer noch ein großes Potenzial der Verständigung in Zeiten, in denen von Politikern und Medien diese Völkerverständigung torpediert wird. Dieses Potenzial würde aber vollends verspielt, wenn die Organisatoren es zulassen würden, dass (meist von westlicher Seite) internationale Spiele zur Bühne der öffentlichen und selektiven Moralpredigten gegen einzelne Länder degradiert würden.
Selektiv und rein symbolisch
Der Aspekt der Selektivität ist auch beim aktuellen „Regenbogen“-Vorgang wichtig. Denn wenn man nun exklusiv die Benachteiligung sexueller Minderheiten anprangert – wie viele andere gesellschaftliche oder geopolitische Verfehlungen bleiben dadurch unerwähnt, auch wenn man künftig den gastgebenden Nationen erlauben würde, ihre Stadien nach politischem Gusto als Propagandafläche zu nutzen? Und wer wollte hier eine Einordnung vornehmen: Sind Kriegsverbrechen oder die maßlose wirtschaftliche Ausbeutung unterlegener Länder oder die skrupellose Privatisierung im eigenen Land weniger kritikwürdig? Und mit welchen Farben würden diese Verbrechen symbolisiert?
Dazu kommt noch, dass die symbolische Stadion-Erleuchtung auch für den Kampf der Gleichberechtigung sexueller Minderheiten nichts weiter ist als eine eben rein symbolische und darum folgenlose Marketingaktion in eigener Sache: Ist Deutschland überhaupt in der Position, sich einen vorbildlichen Umgang mit den Geschlechterfragen ans Revers zu heften, damit arrogant hausieren zu gehen und sich pauschal über andere Länder zu stellen? Und selbst wenn man diesem Glauben anhängt: Ändern symbolische Illuminationen und moralische Twitter-Posen etwas an der alltäglichen Lebensrealität der nicht-heterosexuellen Bürger? Die „taz“ äußert in diesem Artikel ihre Zweifel und fügt an:
„Richtig ist, dass in Ungarn Gesetze beschlossen wurden, die faktisch alles Queere, ob nun schwul, lesbisch oder trans, aus der Öffentlichkeit, aus Schulen und Bildungseinrichtungen bei Strafe verbannt sehen will. Das Münchner Stadion im Namen von Toleranz als Regenbogen zu inszenieren, käme indes einer Belehrung, einem Pranger gleich, einer Geste, die da sagt: ‚Hey, wir sind die Guten und ihr die Bösen‘.“
Zum Thema hat sich auch bereits Jens Berger in den Hinweisen des Tages geäußert.
Moralische Überlegenheit hält keiner Überprüfung stand
Trotz der erwähnten allgemeinen Marketing-Floskeln gegen Rassismus und Homophobie etwa von IOC oder UEFA, die man durchaus als politisch bezeichnen könnte, ist der internationale Sport noch eine vom (konkreten) Aktivismus gegen konkrete einzelne Länder (relativ!) befreite Zone. Es gab zahlreiche Versuche der Politisierung solcher Veranstaltungen (Stichwort „Staatsdoping“ und anderes), doch einige Funktionäre etwa des IOC haben dem auch teilweise widerstanden. Gerade diese (über allgemeine Erklärungen nicht hinausgehende) politische Zurückhaltung einiger Sport-Funktionäre wird ja wie gesagt gerne als ein „Einknicken“ bezeichnet, aber ich begrüße diese Zurückhaltung prinzipiell. Durch eine solche Zurückhaltung bei der moralischen Geißelung einzelner konkreter Länder bleibt wenigstens ein Rest der Idee erhalten, dass sich auch verfeindete Nationen auf der Brücke des Sports ideologiefrei begegnen können, ohne jedes Mal öffentliche moralische Vorhaltungen erwarten zu müssen.
Diese vor allem von westlichen Politikern und Journalisten zelebrierte moralische Überlegenheit hielte ja auch keiner ernsthaften Überprüfung stand: etwa wenn sich kriegsführende Nationen ihre angeblichen Vorteile bei der Beachtung der heimischen Menschenrechte öffentlich anrechnen. Oder wenn mit lauten moralischen Anklagen gegen andere Länder von den eigenen Kriegs- und Wirtschaftsverbrechen abgelenkt werden soll.
Titelbild: Rutmer Visser / Shutterstock