In unserer kurzen Serie zur Abwesenheit von Demokratie und Marktwirtschaft kommen wir heute zu dem Phänomen, dass Marktwirtschaft und Wettbewerb ein Schattendasein führen, wenn die wichtigsten Wirtschaftsunternehmen de facto über rechnerisch kleine Eigentumsanteile, aber faktisch große Einflussmöglichkeiten gesteuert werden. Der folgende Text stammt aus dem 2020 erschienenen Buch „Die Revolution ist fällig“. Albrecht Müller.
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Auszug aus Teil II:
3. Die großen Finanzkonzerne beherrschen die wichtigsten Wirtschaftsunternehmen
Die meisten Menschen haben wohl noch die Vorstellung, dass in großen Aktiengesellschaften die Anteilseigner im Prinzip gleich sind und die gleichen Rechte bei der Beeinflussung der Willensbildung der Unternehmensführung haben. Und dass sich die Unternehmensleitungen prinzipiell um das Wohl des Unternehmens kümmern. Teilweise, soweit Mitbestimmungsregeln ziehen, in Zusammenarbeit mit den Vertretern der Arbeitnehmerschaft. Diese Sicht der Dinge wurde immer mal wieder ein bisschen gestört: Es gab die Debatte um den sogenannten Shareholder-Value. Damit ist gemeint, dass die Unternehmensleitungen sich vor allem darum kümmern, den Wert des Unternehmens an der Börse zu steigern und hoch zu halten. Und dann gab es hierzulande schon seit längerem die Debatte darüber, dass Banken und Versicherungen mit großen Unternehmen über personale Verflechtungen in den Aufsichtsräten so verschwägert sind, dass die notwendige, an der Sache orientierte Kontrolle nicht mehr stattfindet. Das war die Debatte um die sogenannte Deutschland AG.
Die Regierung Schröder hat relativ früh nach Regierungsantritt begonnen, diese Deutschland AG aufzulösen. Sie hat zum Beispiel steuerlich erleichtert, dass Unternehmen und Unternehmensteile verkauft werden. Das führte zu dem Ergebnis, dass Tausende von Unternehmen in die Hände von Kapitalsammelgruppen gerieten, und es brachte für die Beschäftigten oft zusätzliche Belastungen. Die verkauften Betriebe wurden und werden häufig mit den Schulden der Käufer belastet, Sozialleistungen werden gekürzt und Arbeitnehmerrechte entwertet. Das betraf damals in den Nullerjahren Unternehmen wie Hugo Boss, Märklin, Beiersdorf. Die früheren Eigentümer konnten dank der von der Regierung Schröder verfügten Steuerfreiheit für die Gewinne beim Verkauf von Unternehmen und Unternehmensteilen die im Unternehmen steckenden und versteckten Gewinne steuerfrei realisieren.
Inzwischen ist eine größere, genauso kritisch zu betrachtende Entwicklung eingetreten. Sarkastisch und etwas ungenau könnte man sagen: Aus der Deutschland AG wurde eine US AG. Große, meist US-amerikanische Finanzkonzerne haben weltweit wie in nahezu allen großen deutschen Unternehmen geringe Anteile von drei, vier oder fünf Prozent der Aktien erworben und versuchen, mithilfe dieser geringen, aber im Kontext der Streuung der Aktien großen Anteile, Einfluss auf die Unternehmenspolitik zu gewinnen. Sie beeinflussen Personalentscheidungen. Sie beeinflussen vermutlich auch die Haltung der Unternehmen und möglicherweise auch der Verbände auf große politische Entscheidungen – wie zum Beispiel die Haltung zu den von den USA gegenüber Russland und dem Iran verordneten Sanktionen. Oder zum Beispiel die Haltung der deutschen Unternehmen und der Wirtschaft zu den Freihandelsabkommen.
Dieser Prozess ist schon seit längerem im Gange, er hat aber erst spät die notwendige Aufmerksamkeit gefunden. In der FAZ erschien am 30. Juli 2016 ein Gastbeitrag der Ökonomen Axel Ockenfels und Martin Schmalz mit dem Titel »Die neue Macht der Fondsgesellschaften«. Im Einführungstext heißt es: »Im großen Stil kaufen riesige amerikanische Fondsgesellschaften Unternehmensanteile – und bündeln die Eigentumsrechte ganzer Branchen. Das bringt ganz neue Probleme.« – Sie berichten in diesem Artikel zum Beispiel, dass die Vermögensverwalter Vanguard und BlackRock die größten Anteilseigner sowohl von Microsoft als auch von dessen ärgstem Konkurrenten Apple seien. Die Autoren sehen die Gefahr von Preisabsprachen und fürchten, der Wettbewerb werde untergraben, und damit werde auch die Hoffnung von Adam Smith gestört, der Wettbewerb mehre den Wohlstand der Nationen.
BlackRock verfügt über 7,4 Billionen Dollar Anlagekapital und besitzt inzwischen Anteile an allen deutschen DAX 30 Unternehmen. Und ähnlich sieht es bei anderen großen Finanzkonzernen aus.
Dass die FAZ 2016 auf das Problem aufmerksam gemacht hat und immerhin von der »Neuen Macht der Fondsgesellschaften« schrieb, ist ja verdienstvoll, aber es darf und muss darauf hingewiesen werden, dass zu diesem Zeitpunkt diese Entwicklung schon einige Zeit lang erkennbar war. Wir haben auf den NachDenkSeiten schon vorher auf dieses Problem aufmerksam gemacht, in meinem 2009 erschienenen Buch Meinungsmache war die Besorgnis erregende Entwicklung aufgespießt worden und der NachDenkSeiten-Redakteur und Autor Jens Berger hat schon 2014 in seinem Buch Wem gehört Deutschland darauf hingewiesen:
Besonders spannend an dieser Situation und der dahintersteckenden Entwicklung ist die Tatsache, dass die institutionellen Anleger ja nicht nur Preisabsprachen zwischen den Unternehmen organisieren, sondern auch auf andere Teile der Geschäftspolitik Einfluss nehmen können. Sie können Einfluss nehmen auf große Einkaufsentscheidungen, sie können Einfluss nehmen auf große Investitionen und auf den Kauf oder Verkauf von Unternehmen. Man muss sich das konkret vorstellen: Ein Unternehmen, an dem der Finanzkonzern X mehrheitlich beteiligt ist, läuft schlecht. Dann ist es für diesen Finanzkonzern attraktiv, ein Unternehmen, an dem der Konzern gering, aber einflussreich beteiligt ist, zu veranlassen, dieses in Schwierigkeiten befindliche Unternehmen zu kaufen. Der damals amtierende Deutschland-Chef von BlackRock, Christian Staub, hatte schon 2015 in einem Interview mit dem Berliner Tagesspiegel offen und arglos erklärt: »Insofern nehmen wir Einfluss. Aber im Hintergrund.«
Ein Finanzkonzern kann mithilfe einer geringen Beteiligung auch Personalentscheidungen mitbestimmen. Die Tatsache, dass einige der Finanzkonzerne an mehreren oder allen DAX 30 Unternehmen beteiligt sind, erleichtert die Einflussnahme. Es ist inzwischen eingetreten, was man an der Deutschland AG immer wieder kritisiert hatte, dass zum Beispiel Vertreterinnen oder Vertreter der Deutschen Bank oder der Allianz AG in vielen verschiedenen Aufsichtsräten sitzen und damit für eine Verflechtung der Interessen sorgen.
Wir wissen auch, dass Finanzkonzerne auf der Basis ihrer oft sehr geringen Beteiligung von drei oder vier Prozent von den Unternehmensleitungen verlangen, ihre Vertreter in interne Sitzungen des Unternehmens zu schicken. Und wir wissen aus den gleichen Quellen, dass diesem Begehren mit Drohungen Nachdruck verliehen wird. Siehe dazu auch Kapitel II. 6.
An dieser Stelle macht es Sinn, den Bogen zu den Bemerkungen Pikettys über die unterschiedlichen Renditen zu schlagen. Selbstverständlich erzielt eine Kapitalsammelstelle, also ein Finanzkonzern wie BlackRock oder Vanguard, mit dieser Art von Geschäftspraxis ganz andere Renditen.