Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock würde gerne den Benzinpreis erhöhen. Um stolze 16 Cent pro Liter. So meldeten es in der vergangenen Woche verschiedene Zeitungen. Das ist zwar nur die halbe Wahrheit, zeigt jedoch, in welch seltsame Richtung die Klimadebatte abgedriftet ist und wie wenig die Grünen von der Lebenswirklichkeit der meisten Menschen verstehen. Wir haben es hier nicht mit einer Klima-, sondern mit einer Phantomdebatte zu tun, bei der das Leben der meisten Menschen schlicht ausgeblendet wird. Damit retten wir nicht das Klima, sondern vertiefen nur die Spaltung der Gesellschaft. Von Jens Berger.
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Wenn Sie heute zusammen mit ihrer Frau in Köln leben und ihren Sohn in Berlin besuchen möchten, werden Sie von der Deutschen Bahn mit stolzen 456 Euro zur Kasse gebeten. Wenn Sie stattdessen das Auto benutzen, haben Sie gute Chancen, mit weniger als 150 Euro Spritkosten auskommen. An diesem massiven Preisunterschied können auch grüne Benzinpreiserhöhungsorgien nichts ändern. Selbst wenn Benzin – wie einmal im Überschwang von grünen Politikern gefordert – nun fünf Mark, also 2,50 Euro, pro Liter kosten würde, wäre das Auto noch um Längen preiswerter als die umweltfreundliche Bahn. Und dies ist ungefähr das Niveau der Debatte, auf dem wir uns bewegen. Es geht um eine ökonomische Lenkungswirkung, die de facto nicht vorhanden ist.
Nun hätte man zwei Alternativen, über die Preis- und Steuerpolitik tatsächlich lenkend einzugreifen. Man könnte – so wie es die aktuellen Entwürfe der Regierung und die Forderungen der Grünen ja vorsehen – fossile Brennstoffe verteuern. Dies würde angesichts der Preise für umweltschonendere Alternativen jedoch nicht dazu führen, dass man sich umwelt- und klimaschonender fortbewegt, sondern eher für die meisten Menschen die Frage aufwerfen, ob man sich eine Reise überhaupt leisten kann. Denn wer ein knappes Budget hat, weil er nicht zum erlauchten Kreis der Besserverdiener gehört, wird sich in unserem Beispiel die 456 Euro für die Bahnfahrt ohnehin nicht leisten können oder wollen. Dann bleibt man halt zu Hause. Gut für das Klima, aber schlecht für die Menschen, die dann halt auf den Familienbesuch verzichten müssen. Nur, wer das nötige Kleingeld hat, kann dann noch halbwegs regelmäßig seine Kinder und Enkel besuchen. Schöne neue Normalität.
Dabei läge die sinnvollere Alternative doch auf der Hand. Würde die Bahnfahrt nicht ein halbes Vermögen, sondern nur noch so viel oder gar weniger als eine normale Autofahrt kosten, gäbe es eine echte Alternative, die nicht nur umwelt- und klimafreundlich, sondern sogar sozial verträglich wäre und den Menschen einen echten Gewinn an Lebensqualität bringen würde. Die Bahn ist zwar ein privates Unternehmen, gehört aber zu 100 Prozent dem Bund und könnte sehr wohl günstige Preise anbieten, wenn die Politik es denn nur wollte.
Die Frage, wie viel teurer das Benzin werden soll, ist also im Kern schon mal falsch. Die richtige Frage müsste lauten, wie preiswert sinnvolle Alternativen sein müssen, um eine Lenkungswirkung zu entfalten. Doch diese Frage stellen weder die Regierungsparteien noch die Grünen.
Ein wenig anders stellt sich die Lage für die Millionen Menschen dar, die in den ländlichen Regionen leben und auf ihr Auto angewiesen sind – sei es, um zum Arbeitsplatz zu kommen oder für die alltäglichen Aufgaben. Hier kann eine Erhöhung der Spritkosten keine Lenkungswirkung erzielen, weil es in sehr vielen Fällen gar keine Alternative gibt, in deren Richtung man das Verhalten der Menschen lenken könnte. Wenn der Pendler an seinem Wohnort keine Bushaltestelle hat oder der Nahverkehr nicht mit seinen Arbeitszeiten kompatibel ist, wird ihn auch eine Erhöhung des Spritpreises nicht zum Umsteigen bewegen … auf was denn auch?
Es macht nun einmal überhaupt keinen Sinn, über eine Lenkungswirkung nachzudenken, wenn man nicht zuvor umwelt- und klimapolitisch sinnvolle Alternativen aufgebaut hat. Für die meisten Menschen wäre eine Erhöhung der Benzinpreise ohne das realistische Angebot von Alternativen somit lediglich eine zusätzliche finanzielle Belastung – umwelt- und klimapolitisch sinnlos und sozial ungerecht.
Das will Annalena Baerbock jedoch nicht gelten lassen. „Wer in einem sehr, sehr großem Haus wohnt und sehr, sehr viele Autos fahre“, müsse „am Ende mehr bezahlen“, so die Grünen-Politikerin, die sich anschickt, Angela Merkel im Kanzleramt zu beerben. Das ist schon sehr schlicht gedacht. Nicht wer sehr, sehr viele Autos besitzt, sondern diejenigen, die sehr, sehr viel Auto fahren müssen, zahlen am Ende drauf – und das können auch sehr, sehr arme Menschen in sehr, sehr kleinen Wohnungen sein, die einen sehr, sehr langen Weg zum Arbeitsplatz haben. Wer indes in einem sehr, sehr großen Haus lebt und sehr, sehr viele Autos besitzt, wird wahrscheinlich auch sehr, sehr viel Geld haben und über die Benzinpreiserhöhungen sehr, sehr herzhaft lachen. Aber das ist wohl zu offensichtlich, als dass es Annalena Baerbock verstehen würde. Es gibt wohl nur sehr, sehr wenige Politiker gleich welchen Geschlechts, die derart weit von der Lebensrealität der Menschen entfernt sind, wie die grüne Kanzlerette.
Die Posse um Baerbocks Benzinpreis-Äußerungen eignet sich jedoch nur sehr bedingt zum Wahlkampf. So ist es schon tolldreist, dass nun ausgerechnet Unionspolitiker die dummen Äußerungen Baerbocks nutzen, um die Grünen zu diskreditieren. Baerbocks Forderung setzt nämlich ganz genau auf der CO2-Bepreisung auf, die CDU/CSU und SPD im Jahre 2019 beschlossen haben. Die Erhöhung des Benzinpreises um 16 Cent ist bereits verabschiedet. Der einzige Unterschied: Nach dem Plan der Regierung verläuft die Erhöhung stufenweise und die 16 Cent werden erst im Jahre 2026 erreicht; Baerbock und ihre Grünen wollen dies drei Jahre vorziehen und schon 2023 die letzte Stufe der Erhöhung zünden. Das ist zu kritisieren – aber bitte doch nicht von denjenigen, die das Gleiche mit einem etwas defensiveren Zeitplan beschlossen haben.
Die Debatte rund um die Benzinpreise zeigt wieder einmal vor allem eins – die Grünen sind eine Klientelpartei der eher urban lebenden Besserverdienenden und sehr, sehr weit weg von der Lebensrealität der Bevölkerung, vor allem in den Regionen. Frei nach Marie-Antoinette könnte man Baerbock mit dem Satz zitieren: Wenn sie kein Geld für Benzin haben, sollen sie doch Tesla fahren. Eine solche Politik hilft dem Klima kein Jota und verschärft letzten Endes nur die ohnehin bereits massive Spaltung der Gesellschaft.
Titelbild: uzhursky/shutterstock.com