100.000 Neuinfektionen pro Tag, eine Inzidenz von 2.000 und die Triage auf den vollkommen überfüllten Intensivstationen – so sollte es im Mai in Corona-Deutschland aussehen, wenn die Prognosen aus den Monaten März und April eingetreten wären; Prognosen von medial präsenten Virologen wie Christian Drosten, Regierungsberatern der TU Berlin, dem Verband der Intensivmediziner und der Regierungsbehörde RKI. Es kam bekanntlich anders. Kurz nach diesen Horrorprognosen gingen die Zahlen zurück. Also alles kein Problem? Im Gegenteil. Auf Basis dieser Prognosen wurden politische Entscheidungen getroffen. Handelten die wissenschaftlichen Berater und die Medien, die diese Prognosen prominent unter das Volk brachten, mit Vorsatz? Lieferten sie den Entscheidern absichtlich falsche Zahlen, um die Politik zu manipulieren? Es sieht ganz so aus. Von Jens Berger.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download
Als die Infektionszahlen der sogenannten zweiten Welle Anfang des Jahres deutlich zurückgingen und aus den Reihen der Politik die ersten Forderungen nach Lockerungen durchdrangen, tauchten in den Medien plötzlich dramatisch klingende Zahlen auf. So zitierte der Tagesspiegel beispielsweise am 22. Januar den Virologen Christian Drosten mit seiner „Befürchtung“, dass die britische Mutante sich auch in Deutschland durchsetzen könne und dann – so Drosten – „haben wir Fallzahlen nicht mehr von 20.000 oder 30.000, sondern im schlimmsten Fall von 100.000 pro Tag“. Sein Rat, um dieses Szenario noch abzuwenden, lautete jetzt auf „die Null zu zielen“, also das Land komplett herunterzufahren. Anderenfalls gäbe es „viele Tote“, da „sich ganz viele junge Menschen infizieren“, und „dann sind die Intensivstationen [trotz des Impffortschritts] trotzdem wieder voll“.
Drostens Rat wurde glücklicherweise nicht gehört, die britische Mutante setzte sich dennoch durch, jedoch erwies sich seine Prognose als grotesk zu hoch. Obgleich das Land nicht komplett heruntergefahren wurde, verlief die dritte Welle milder und blieb vor allem bei den Sterbezahlen sehr deutlich unter der zweiten Welle. Der höchste 7-Tages-Durchschnittswert bei den Neuinfektionen lag mit etwas über 20.000 gerade einmal bei einem Fünftel der Drosten-Prognose. Doch die Zahl war im Raum und sollte während des gesamten Frühjahrs die politische Debatte beeinflussen. Und es war nicht nur Drosten, der massiv danebenlag.
Im März stand Deutschland dann kurz vor dem Höhepunkt der sogenannten dritten Welle. In den Medien wurde tagein, tagaus vor der britischen Mutante gewarnt und ein harter Lockdown gefordert. Emotional wurden diese Forderungen durch dramatische Prognosen untermauert. So prognostizierte am 12. März das Robert Koch-Institut eine bundesweite Inzidenz von 350 für Mitte April – mehr als doppelt so hoch wie die Werte, die Mitte April dann zum Höhepunkt der dritten Welle erreicht wurden.
Diese Fehlprognose wurde noch vom Berliner Mobilitätsforscher Kai Nagel getoppt. Der Forscher der TU Berlin sagte für Mitte Mai sogar Inzidenzen von über 1.000 und im ungünstigsten Fall sogar über 2.000 voraus. Dieser Wert wurde dann auch gleich von Karl Lauterbach aufgegriffen und vollkommen unkritisch via Twitter verbreitet, um eine bundesweite Ausgangssperre als letzte Rettung vor der Katastrophe zu fordern. Überflüssig zu erwähnen, dass die Inzidenz wenige Wochen später mit 169 ihren Höhepunkt erreichte und seitdem stetig sinkt.
Diese Zahlen fanden wenige Tage später auch ihren Weg in die Prognosemodelle der Intensivmediziner. Am 11. April sagte ein Prognosemodell des Intensivmedizinerverbandes DIVI für Anfang Mai „mehr als 7.000 Corona-Intensivpatienten“ voraus. Verfolgt man das Rechenmodell weiter, wären in der zweiten Maiwoche bereits mehr als 10.000 Intensivbetten mit Covid-19-Patienten belegt gewesen. In der Realität waren es zu diesem Zeitpunkt rund 4.000 und es kam zu keinem dynamischen – oder wie Wissenschaft und Medien es immer wieder falsch formulieren „exponentiellen“ – Wachstum, sondern zu einem sehr dynamischen Rückgang. Die damals vom „Weltärztepräsidenten“ Frank Ulrich Montgomery vorhergesagte Triage („mit Sicherheit“) kam ebenfalls nicht. Das DIVI-Intensivregister tauschte fix sein Prognosemodell aus und sagte nun nicht mehr den Kollaps, sondern bis Ende Juni eine „Entspannung“ mit „voraussichtlich 1.000 Patienten“ voraus. So schnell kann das gehen. Gestern noch Weltuntergang, heute Entspannung.
Verstanden die genannten Wissenschaftler nicht, was sie da prognostizierten? Der Virologe und Epidemiologe Alexander Kekulé hat dafür eine Erklärung …
Da ist die Frage, auf welcher Basis hat man vorher diese Horrorszenarien aufgestellt? […] Ich glaube, man hat eigentlich mehrere Fehler gemacht. Der Wichtigste war, dass man den Einfluss dieser Mutanten überschätzt hat. […] konkret haben wir ja jetzt in Deutschland die B.1.1.7, die Variante aus England, quasi dominant, dass ist die wichtigste im Moment. Dadurch haben wir kein explosionsartiges Wachstum bekommen.
Ob es aber wirklich nur eine „Fehleinschätzung“ war, darüber ließe sich vortrefflich streiten, wiesen die ersten Daten aus Großbritannien doch bereits darauf hin, dass sich die britische Mutante zwar gegenüber der alten Version durchsetzt, dies aber nicht zu deutlich mehr Infektionen führt. Kekulé weist in seinem Podcast jedoch auch auf einen anderen wichtigen Aspekt hin …
Und vielleicht gab es auch noch ein paar andere, aber ich glaube, unterm Strich müsste man das sicher mal analysieren, weil das natürlich insgesamt die Entscheidungen der Politik sehr stark in die falsche Richtung gelenkt hätte. Es war ja letztlich so, dass die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten – rückwirkend muss man sagen: glücklicherweise – eben nicht die hier dringend vorgeschlagenen, sehr, sehr drastischen weiteren Maßnahmen beschlossen haben. Sozusagen dieser komplette Lockdown, der empfohlen wurde von mehreren, ist ja dann zum Glück nicht beschlossen worden. […]
Das ist ja auch klug, immer zu warnen. Aber es ist ein Unterschied, ob man jetzt warnt und zugleich drastische weitere Maßnahmen fordert.
Pikanterweise gehören genau die Wissenschaftler, die mit ihren Prognosen derart daneben lagen, nicht nur zum engen Beratergremium der Bundesregierung – der („Inzidenz 2.000“) Mobilitätsforscher Kai Nagel wurde damals sogar von der Kanzlerin höchstpersönlich in den Beraterstab berufen, während sie kritischere Experten, wie den Virologen Klaus Stöhr ausgeladen hatte – sondern sind auch dafür bekannt, dass sie zu den „Falken“, also den Propagandisten einer No- bzw. Zero-Covid-Politik gehören. So wollte Kai Nagel private Kontakte auch in Innenräumen unterbinden.
Es ist hochproblematisch, wenn Wissenschaftler nicht neutral sind, sondern selbst einen „Bias“, eine klare Ideologie, haben. Man kennt dies ja aus anderen Disziplinen. Wenn man neoliberale Ökonomen in ein Beratergremium beruft, werden sie einem auch „Studien“ präsentieren, die ihre Ideologie stützen; auch wenn der wissenschaftliche Wert dieser Studien gegen Null geht. Ähnlich verhält es sich auch mit den Corona-Experten, die von Angela Merkel berufen wurden.
Hier steht sogar der begründete Verdacht im Raum, dass diese Fehlprognosen keine Fehler waren, sondern mit Vorsatz falsch erstellt wurden. Die Publizistin Lamy Kaddor vemutet sogar, dass es sich um gezielte Kampagnen handelt, und dieser Verdacht ist sehr berechtigt und die Medien sind in diese Kampagnen eingebunden. So verteidigte der SPIEGEL beispielsweise seine Fehlprognosen aus dem Frühjahr (Neuinfektionen „weit über 40.000“ und eine Inzidenz von „über 1.000“) damit, man hätte dadurch dazu „beigetragen, [diese] Szenarien zu verhindern“. Dies sei „kein Manko, sondern im Gegenteil ihr großer Wert“.
Zwischen den Zeilen heißt das, man glaubt, der Alarmismus dieser Prognosen habe als eine Art selbsterfüllende Prophezeiung dazu beigetragen, dass eben jene Prognosen nicht eingetreten sind. Man hat also mit vollem Vorsatz die Bevölkerung verunsichert und die Politik manipuliert, um seine Vorstellung der Corona-Politik durchzusetzen. Und das ist nicht nur bei Corona der Fall. Schön, dass wir es nun schwarz auf weiß haben. Denken Sie bitte daran, wenn „Wissenschaft“ und Medien künftig wieder die Meinung in die von ihnen aus gesehen „richtige“ Richtung drängen wollen.
Hinweis in eigener Sache: Am 28. Juni erscheint im Westend Verlag das „Schwarzbuch Corona“ von NachDenkSeiten-Redakteur Jens Berger. Bitte merken Sie sich den Erscheinungstermin vor. Nähere Informationen dazu finden Sie in der Programmvorschau des Westend Verlages und in der Presseankündigung:
“In der Medizin sagt man, die Therapie darf nicht schädlicher sein als die Krankheit. Überträgt man dies auf die weltweiten Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus, müsste man wohl von einem der größten Kunstfehler der Geschichte sprechen. Die indirekten Kollateralschäden der Therapie stehen in keinem Verhältnis zu den Schäden durch das Virus selbst. Der Journalist und Bestsellerautor Jens Berger zeigt anhand zahlreicher nationaler und internationaler Beispiele, welche Schäden die Corona-Politik verursacht hat und immer noch verursacht. Schäden auf dem Gebiet der Ökonomie, der Ökologie und der Gesundheit – aber auch Schäden an unserer Psyche. Schäden, die so unsolidarisch verteilt sind, wie bei keiner Katastrophe zuvor. Schäden, die uns noch lange begleiten werden und unsere Gesellschaften nachhaltig verändern werden. Berger blickt über den Tellerrand von Infiziertenzahlen und Inzidenzen und richtet den Fokus auf Zusammenhänge, die in der Debatte gerne verdrängt und ignoriert werden. Erstmals werden hier Daten und Studien zusammengetragen, die außerhalb von Fachkreisen wenig Beachtung finden, da sie nicht in das Bild einer Politik passen, für die das Wohl und die Gesundheit der Bürger angeblich das oberste Primat sind.“
Titelbild: Roman Samborskyi/shutterstock.com