Bereits am 20. Mai konnten im Ausland lebende Syrer in den syrischen Botschaften ihre Stimmen für die heutigen Präsidentschaftswahlen in Syrien abgeben. Eine Gruppe von acht Staaten – Deutschland, die USA, Kanada, Großbritannien, die Türkei, die Niederlande, Saudi Arabien und Katar – haben die Wahlen in den dortigen syrischen Botschaften oder Konsulaten aber untersagt. Manaf Hassan (30) lebt in Berlin. Er ist ein angehender Volljurist, Publizist und Blogger. Hassan hat sich ausführlich über die Kandidaten zu den Präsidentschaftswahlen in Syrien informiert und wollte sein Wahlrecht in der syrischen Botschaft wahrnehmen. Warum er wählen wollte und warum daraus dann doch nichts wurde, erläutert Manaf Hassan im Interview mit Karin Leukefeld.
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Unter dem Interview folgt eine Übersicht von Karin Leukefeld zu den aktuellen Präsidentschaftswahlen in Syrien.
Interview
Am 20. Mai konnten Syrer, die in aller Welt leben, sich an den Präsidentschaftswahlen in Syrien beteiligen. Sind Sie wählen gegangen?
Manaf Hassan: Leider hat die deutsche Bundesregierung den Syrern in Deutschland verboten, sich an den Präsidentschaftswahlen in der syrischen Botschaft in Berlin zu beteiligen. In ganz Deutschland gab es keine Möglichkeit zu wählen. Viele andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union und darüber hinaus haben die Wahlen zugelassen, aber Deutschland nicht.
Auch bei den Präsidentschaftswahlen 2014 hat die Bundesregierung den Syrern in Deutschland eine Beteiligung an der Wahl verweigert. Wie war das und was war die Begründung?
Manaf Hassan: Die Begründung von damals ist nahezu identisch mit der von heute. Angeblich sollen die Wahlen eine „Farce“ sein, „weder frei noch fair“ – so ein Nachtrag des Auswärtigen Amtes zur Regierungspressekonferenz am 19.05.2021. Die Wahl werde nicht „unter Beteiligung aller Syrer, einschließlich derjenigen in der Diaspora, durchgeführt werden“. Deshalb hat die Bundesregierung eine formelle Anfrage der syrischen Botschaft zur Durchführung der Wahlen abschlägig beschieden. Man sei nicht verpflichtet, Wahlen in den Räumlichkeiten eines ausländischen Staates zu genehmigen.
Wie wirkt das Verbot auf Sie und andere, die wählen wollten?
Manaf Hassan: Zu sagen, dass die Wahlen „weder frei noch fair“ seien, ist eine Ausrede. Die Bundesregierung trägt durch ihr Verhalten selber dazu bei, dass nicht alle Syrer an der Wahl teilnehmen können. Was für eine Demokratie in Syrien will die Bundesregierung, wenn sie Syrern ihr Wahlrecht und das Recht, sich an demokratischen Prozessen zu beteiligen, wegnimmt? Das Verbot bedeutet, dass man die syrische Regierung und Syrien allgemein weiter bekämpft, dazu gehören auch die menschenfeindlichen Sanktionen, die Syrer auch töten.
Die Gründe für das Wahlverbot sind offensichtlich. Wenn Syrer in Massen nach Berlin pilgern, um zu wählen, würde die trügerische Berichterstattung über Syrien wie ein Kartenhaus zusammenfallen. Denn die Wahlen in Syrien finden mittlerweile wirklich demokratisch statt. Medien und Öffentlichkeit müssten nachfragen, weshalb Syrer wählen gehen und wen sie wählen. Aber die Bundesregierung und die meisten deutschen Medien halten das Bild einer Diktatur in Syrien aufrecht, Syrien wird weiter dämonisiert. Und sollte der bisherige Präsident Bashar Al-Assad bei diesen Wahlen wieder gewinnen, dann heißt es, dass er nicht legitim und nicht von allen Syrern gewählt worden sei. Das Verbot soll das Image aufrechterhalten, das man der deutschen Öffentlichkeit bisher vermittelt hat.
In Berlin gibt es zahlreiche syrische Oppositionelle, wie verhalten die sich zu den Wahlen?
Manaf Hassan: Die Anhänger der sogenannten „Freien Syrischen Armee“ (FSA) – das ist für mich eine islamistische Terrormiliz – verbreiten seit Wochen Videos, in denen sie Syrer davor warnen, die Botschaft überhaupt zu betreten. Das war so, bevor die Bundesregierung ihre Entscheidung veröffentlichte. Man drohte Syrern damit, ihnen ihre Aufenthaltsgenehmigungen, ja sogar Staatsbürgerschaften entziehen und nach Syrien zurückschicken zu lassen, sollten sie an den Wahlen in der Botschaft teilnehmen wollen. Diese Leute spielen mit der Angst, sie wollen einschüchtern und abschrecken.
Ist das ein Verhalten, dass Sie speziell zu den Wahlen beobachtet haben?
Manaf Hassan: Das tun sie nicht erst seit einigen Wochen, sondern seit Kriegsbeginn. Sie drohen Menschen, die sich auf die Seite von Assad stellen. Sie geben offen zu, gute Kontakte zu Behörden zu haben, um solche Prozesse in die Wege zu leiten. Es gibt auch Morddrohungen und es werden Adressen und Bilder von Assad-Anhängern in Facebook-Gruppen und anderswo veröffentlicht. Es ist schwer, das alles zu beschreiben. Es ist schockierend. Anhänger der „Freien Syrischen Armee“ sollen bezüglich der Wahlen wohl sogar Druck beim Auswärtigen Amt ausgeübt haben. Übrigens wird diesen Leuten ein Büro in Berlin von deutschen Steuergeldern unter dem Namen „Etilaf“ finanziert.
Wahlen gelten in Deutschland als zentrales Element der parlamentarischen Demokratie. Warum denken Sie, hat das Wahlrecht in Syrien, also Ihr Wahlrecht, in Deutschland einen anderen Stellenwert?
Manaf Hassan: Das ist politisches Kalkül. Nicht mehr, nicht weniger. Syrien wird nun seit 10 Jahren von der halben Welt bekriegt und trotzdem steht Syrien noch. Das Volk steht noch aufrecht. Die syrische Regierung und die syrische Armee stehen auch noch. Und zwar nicht irgendwie, sondern sie stehen zusammen. Das ist vielen Staaten ein Dorn im Auge, weil sie ihre geopolitischen Interessen nicht durchsetzen konnten.
Sehen Sie, Deutschland hat sehr viel Geld für die syrischen Flüchtlinge ausgegeben. Das hat vermutlich auch mit der demographischen Entwicklung in Deutschland zu tun, die deutsche Bevölkerung wird immer älter, es fehlen Kinder. Offenbar sollen die vorwiegend jungen Menschen und Familien aus Syrien und aus anderen Ländern dafür sorgen, dass die deutsche Wirtschaft weiter stark bleibt. Die Entvölkerung Syriens kommt der Bundesregierung sehr gelegen. Die kommenden Generationen syrischer Flüchtlinge werden Deutschland nutzen. Syrien aber hat diese Menschen verloren. Ich sehe die feindselige Haltung gegenüber den Wahlen in einem Zusammenhang mit dieser Entwicklung. Obwohl das Land nun überwiegend befriedet ist, wird Syrien für eine Rückkehr syrischer Flüchtlinge als nicht zumutbar eingestuft. Man spielt auf Zeit. Je mehr Zeit vergeht, desto mehr Syrer werden hier in Deutschland eingebürgert sein. Ich sehe das in einem Zusammenhang mit dem Verbot der Wahlen in Deutschland.
Dass es auch anders geht, haben Frankreich, Schweiz, Österreich, Schweden, Spanien, Polen, Serbien, Tschechien, Armenien, Bulgarien, Rumänien, Zypern und viele, viele weitere Länder gezeigt, sie haben die Wahlen in syrischen Botschaften zugelassen. Deutschland dagegen hat die komplette Straße vor der syrischen Botschaft in Berlin sperren lassen.
Lassen Sie uns über die Wahlen sprechen. Es gibt drei Kandidaten, was wissen Sie über sie und deren Programme?
Manaf Hassan: Ich habe mit großem Interesse verfolgt, wie sich die Wahlen seit Kriegsbeginn verändert haben und wie westliche Medien, speziell in Deutschland, darüber berichten. Seit Kriegsbeginn ist dies die zweite Präsidentschaftswahl in Syrien. Die erste war im Jahre 2014 und hatte schon viele gute Veränderungen. Mehrere Kandidaten sind inzwischen möglich. Wahlbeobachter aus mehr als 30 Ländern waren 2014 im Land. In diesem Jahr werden es höchstwahrscheinlich noch mehr sein. Wahlplakate aller Kandidaten sind in ganz Syrien zu sehen. Und im syrischen Staatsfernsehen und anderen syrischen Medien bekommen alle Kandidaten die gleiche Plattform. Beworben haben sich in diesem Jahr 51 Kandidaten. Drei Kandidaten haben sich davon am Ende durchgesetzt.
Bis zum letzten Sonntag (23.05.) habe ich keinen einzigen Beitrag der etablierten Medien hierzulande zu den Wahlen finden können. Aber es war ohnehin bisher oft so, dass die etablierten Medien gewartet haben, was über Syrien geschrieben wird, um sich das rauszunehmen, was ihnen in ihre Berichterstattung passt. Oder um gute Analysen stumpf zu machen. Auch in englischer Sprache habe ich nur sehr wenige und vor allem sehr kurze Beiträge finden können. Die meisten hatten die Intention, Syrien und seine Wahlen zu dämonisieren. Details wurden nicht erläutert.
Die Kandidaten werden kleingeredet oder in die Nähe des aktuellen syrischen Präsidenten Assad gerückt. Die drei sind aber sehr verschieden. Mahmoud Ahmad Marei (64) ist ein sehr bekannter Jurist und Regierungskritiker und er tritt mit einer richtigen Oppositionspartei an. Er hat für die Opposition an der Genf-Konferenz zu Syrien teilgenommen und ist fern der syrischen Regierung. Und mitten in Syrien – nicht nur in Damaskus – gibt es Plakate von ihm, auf denen er die Freilassung politischer Gefangener fordert. Wäre Syrien nur annähernd so, wie man im Westen behauptet, wäre das unmöglich. Die aktuellen Medienberichte beweisen nur, dass sie sich gar nicht mit den Wahlen beschäftigt haben und es vermutlich auch gar nicht wollen.
Bashar al-Assad ist ja der bekannteste der Kandidaten, Sie haben jetzt über Herrn Marei gesprochen. Wie ist es mit Herrn Abdullah?
Manaf Hassan: Abdullah Salloum (65) kommt aus Azaz, das liegt nördlich von Aleppo. Er hat Jura in Damaskus studiert und ist Mitglied und Vorsitzender der Partei der Sozialistischen Union in Damaskus-Umland. Er war Staatsminister für Angelegenheiten des Parlaments und auch selbst Mitglied des Parlaments. Er hat ähnliche Vorstellungen wie Präsident Assad, ist aber nasseristisch ausgerichtet, eine Richtung des arabischen Nationalismus. Auf mich wirkt er nicht sonderlich modern.
Persönlich denke ich, dass eine deutlich überwiegende Mehrheit der Syrer mit Präsident Assad gehen und ihn wählen wird. Er hat Syrien durch diese extrem schwierige Zeit begleitet und hat dem Land nie den Rücken gekehrt. Und was die Menschen ihm nicht vergessen, ist, dass Syrien vor dem Krieg eines der fortschrittlichsten Länder des Nahen Ostens war. Die Menschen lebten dort friedlich, glücklich und zufrieden zusammen. Das behaupte ich nicht, das haben auch etablierte deutsche Medien vor dem Krieg selbst berichtet.
Was meinen Sie, ist nach 10 Jahren Krieg in Syrien die wichtigste Aufgabe des zukünftigen Präsidenten in Syrien?
Manaf Hassan: Es werden mehrere wichtige Aufgaben bevorstehen. Am wichtigsten wird es aber sein, das Land schnell wieder aufzubauen. Mit dem Aufbau kommt die Hoffnung für Land und Leute. Syrien muss schnell vom Krieg wegkommen, auch wenn es noch einige Gebiete gibt, die vom Terrorismus und von fremder Besatzung – von der Türkei und den USA – befreit werden müssen. Aber die aktuell von der syrischen Regierung kontrollierten Gebiete müssen schnell einen Aufschwung erfahren und an die Zeit von vor dem Krieg anknüpfen. In vielen Gebieten ist dies schon der Fall. Mit Wiederaufbau wird sich die Wirtschaft erholen und dann könnten andere, schier unlösbare Aufgaben auch gelöst werden. Ein Aufschwung könnte beispielsweise einen Aufstand der zivilen Bevölkerung in der letzten Terroristenhochburg Idlib forcieren, die Menschen würden gegen die Terrorherrschaft des syrischen Al-Kaida-Ablegers Hayat Tahrir al Scham (HTS) aufstehen. In Idlib wird die Zivilbevölkerung von extremen Islamisten so unterdrückt und misshandelt, dass sich noch kaum jemand traut, Widerstand zu leisten. Eine politische Lösung in Idlib gibt es bisher nicht und eine Offensive der syrischen Armee wird von den Großmächten unterbunden. Es heißt, man wolle eine „politische Lösung“, aber man weiß auch, je mehr Zeit vergeht, desto mehr festigen die HTS-Terroristen ihre Kontrolle auch militärisch. Dabei hilft ihnen der türkische Präsident Erdogan und andere. Ich bin dennoch guter Dinge. Die syrische Bevölkerung hat in der Vergangenheit bewiesen, dass sie Besatzer und Terroristen mit Widerstand verdrängen kann.
Ein großes Problem bleibt: Syrien hat ganze Generationen verloren. Viele Menschen sind geflüchtet, haben alles verloren, tragen Hass in sich und haben viel Leid erfahren. Sie sind physisch und psychisch krank. Das gilt auch für die in allen Teilen Syriens lebenden Menschen, sie müssen gesellschaftliche Stärkung erfahren. Das betrifft vor allem Menschen, die länger unter der Herrschaft terroristischer Milizen ohne Sicherheit und Ordnung leben mussten oder bis heute darunter leiden, wie in Idlib.
Sie leben schon so lange in Deutschland und dennoch ist die Präsidentschaftswahl in Syrien für Sie so wichtig. Warum?
Manaf Hassan: Mir sind vor allem Syrien und das Volk wichtig. Syrien ist das Herkunftsland meiner Eltern. Ich bin Deutscher und Syrer und trage beide Länder im Herzen. In Syrien war ich in jedem Jahr meines Lebens seit meiner Geburt. Auch während des Krieges. Ich habe dort viele Freunde, Bekannte und Familie. So habe ich die Widersprüche der Berichterstattung zu den wahren Begebenheiten vor Ort schnell feststellen können. In allererster Linie geht es mir darum, dass die Stimme der deutlich überwiegenden Mehrheit des syrischen Volkes, die hier vollständig unterdrückt wird, zum Ausdruck kommt. Ich kämpfe für Gerechtigkeit und Frieden in Syrien. Die Syrer haben das Recht auf Selbstbestimmung. Wahlen sind ein Teil dieses Selbstbestimmungsrechts. Und das wird ihnen in Deutschland und anderswo genommen.
Übersicht
Am heutigen Mittwoch (26.05.2021) wird in Syrien ein neuer Präsident gewählt. 51 Personen hatten sich um das höchste Amt beworben, darunter erstmals auch Frauen. Drei Kandidaten wurden zu den Wahlen zugelassen. Nach Angaben der obersten Wahlbehörde wurden in allen 14 Provinzen des Landes mehr als 12.000 Wahlzentren eingerichtet. Zahlreiche Staaten haben auf Einladung des syrischen Parlaments Delegationen zur Wahlbeobachtung entsandt. Der Wahltag ist ein Feiertag, die syrischen Medien berichten ausführlich.
Botschaften in acht Staaten verweigern im Ausland lebenden Syrern das Wahlrecht
Bereits am 20. Mai konnten im Ausland lebende Syrer in den syrischen Botschaften wählen. Eine Gruppe von acht Staaten – Deutschland, die USA, Kanada, Großbritannien, die Türkei, die Niederlande, Saudi Arabien und Katar – hat die Wahlen in den dortigen syrischen Botschaften oder Konsulaten untersagt.
Auf eine Anfrage der Autorin antwortete das Auswärtige Amt in Berlin, die Bundesregierung habe „bereits im März in einem gemeinsamen Statement mit den USA, Vereinigtem Königreich, Frankreich und Italien sowie im Rahmen einer EU27-Erklärung (…) klar Stellung bezogen.“ Die Präsidentschaftswahlen seien „weder frei noch fair“ und entsprächen nicht „der maßgebenden UN-Sicherheitsrats-Resolution 2254“. Eine formelle Anfrage der syrischen Botschaft zur Teilnahme der in Deutschland lebenden syrischen Wahlberechtigten an den Wahlen in der Botschaft in Berlin habe das Auswärtige Amt „abschlägig beschieden“, hieß es weiter. „Völkerrechtlich besteht keine Verpflichtung der Bundesregierung“, die Wahlen zu genehmigen.
In 40 Staaten dagegen, von China über Malaysia, Südafrika, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Ägypten bis Argentinien und Venezuela, konnten Hunderttausende Syrer wählen. Im Libanon zogen Zehntausende zur syrischen Botschaft nach Beirut. Männer einer lokalen Miliz, den Libanesischen Kräften, versuchten die Anreise der Wähler mit Stangen und Fäusten gewaltsam zu verhindern.
Neben Amtsinhaber Bashar al-Assad, der von der Baath-Partei nominiert wurde und dem allein schon wegen seiner Bekanntheit die besten Chancen zugerechnet werden, tritt der wenig bekannte Politiker Abdallah Saloum Abdallah von der linksgerichteten Nasseristischen Partei Syriens an. Abdallah stammt aus Aleppo, strebt die Einheit Syriens im Sozialismus an und ist Herausgeber einer Zeitung.
Der dritte Kandidat ist Mahmoud Ahmed Marei von der oppositionellen Demokratischen Arabischen Sozialistischen Union (DASU). Mit 12 anderen Parteien hatte die DASU sich 2011 zum Nationalen Koordinationskomitee für Demokratischen Wandel (NCC) zusammengeschlossen, einer Dachorganisation der (nicht bewaffneten) syrischen Opposition. Sechs Jahre war Marei als politischer Gefangener inhaftiert, 2011 wurde er eine der führenden Personen der innersyrischen Opposition. Marei ist Vorsitzender der Syrischen Arabischen Organisation für Menschenrechte und gehört der Delegation der innersyrischen Opposition an, die in Genf an den Verhandlungen des Verfassungskomitees unter dem Dach der UNO teilnimmt. Im Zentrum seiner Kampagne stehen die Forderungen nach der Freilassung der politischen Gefangenen und nach der Bildung einer „Regierung der nationalen Einheit mit einer wirklichen Vertretung der Opposition“.
Die syrischen Präsidentschaftswahlen finden in einer Zeit großer sozialer, wirtschaftlicher und finanzieller Probleme statt. Nach zehn Jahren Krieg wird der Wiederaufbau durch Sanktionen der EU und der USA (Caesar-Gesetz) blockiert. Teile des Landes in Idlib, nordöstlich des Euphrats und im Süden beim Grenzübergang Al Tanf werden von türkischen, US-amerikanischen Truppen und Soldaten der Anti-IS-Allianz besetzt gehalten. Unterstützt werden sie von lokalen bewaffneten Gruppen.
Kritik an den Wahlen wird seit Monaten schon von der EU und den USA geäußert. Sie werden als „Farce“ gebrandmarkt, deren Ergebnis man nicht akzeptieren werde und die auch andere Staaten nicht akzeptieren sollten: Gemeinsame Erklärung zu den Präsidentschaftswahlen in Syrien – Auswärtiges Amt (auswaertiges-amt.de)
Im UN-Sicherheitsrat erklärten die USA, Großbritannien und Frankreich, die Wahlen nicht anerkennen zu wollen, weil sie nicht den Vorgaben der UN-Sicherheitsratsresolution 2254 entsprächen. Der russische UN-Boschafter Vasily Nebenzya warnte davor, sich in die inneren Angelegenheiten Syriens einzumischen. Die westlichen Staaten sollten keine falschen Informationen verbreiten, so Nebenzya. Die Präsidentschaftswahlen in Syrien hätten „nichts mit der Arbeit des Verfassungskomitees zu tun“, das tage unter dem Dach der Vereinten Nationen.
Der UN-Sonderbeauftragte für Syrien, Geir Pedersen, erklärte bei einer Sitzung des UN-Sicherheitsrates am 28. April 2021, man habe zur Kenntnis genommen, dass die Präsidentschaftswahlen in Syrien am 26. Mai stattfinden sollten. Die Wahl entspreche der aktuellen Verfassung und sei „nicht Teil des politischen Prozesses entsprechend der UN-Sicherheitsratsresolution 2254“.
Der kurdisch geführte „Syrische Demokratische Rat“ teilte mit, man habe nichts mit diesen Wahlen zu tun, da sie gegen „die UN-Resolution 2254“ verstießen. Wahlen in Syrien könnten nur „in Übereinstimmung mit internationalen Entscheidungen“ stattfinden.
Nasr al-Hariri, Chef der Nationalen Koalition syrischer Revolutions- und Oppositionskräfte (Etilaf) mit Sitz in Istanbul bezeichnete die Wahlen als „Putsch gegen den politischen Prozess“ in Syrien. Die einzigen akzeptablen Wahlen in Syrien seien Wahlen, „an denen der Kriegsverbrecher Bashar al-Assad nicht teilnimmt“.
Die Syrer demonstrierten am vergangenen Sonntag landesweit „für das verfassungsgemäße Recht zu wählen“. Eine Geschäftsfrau aus Damaskus sagte mit der Bitte um Anonymität der Autorin am Telefon: „Wir stimmen weniger über einen der Kandidaten ab als für das grundsätzliche Recht zu wählen. Die Syrer sind politisch sehr bewusst. Sie wollen sich nicht bevormunden lassen, von niemandem.“
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