Ein halbwegs kohärentes Bild von Isabel Díaz Ayuso zu zeichnen, die gerade als „Erdrutsch-Siegerin“ aus den Wahlen der autonomen Region Madrid hervorgegangen ist, ist schwierig. Es gibt wenig verlässliches Material zu ihrer Person und ihrem Werdegang. Und seit ihrem Eintritt in die Rechtspartei PP vor über 15 Jahren liegen einige Abschnitte ihres Lebens bis hin zu möglichen Verwicklungen in kriminelle Aktivitäten des PP genauso im Nebel wie in der Partei insgesamt. Von Eckart Leiser.
Ayuso war bis zu ihrer Nominierung als Spitzenkandidatin für die Wahlen der autonomen Region Madrid vor knapp zwei Jahren selbst in ihrer Partei eine weitgehend unbekannte Figur. Sie wurde immer als „Kreatur“ wahrgenommen: Erst als Protegé von Pablo Casado, Chef des PP, seinerzeit Vorsitzender von „Nuevas Generaciones“, der „Jungen Union“ des PP. Später nahm sie dann Ex-Präsident José María Aznar unter seine Fittiche, Gründer von FAES. FAES versteht sich selbst als rechten „think tank“, wird allerdings von der digitalen Zeitung DCML als „Fabrik für die Herstellung von mittelmäßigen rechten Politikern“ bezeichnet (so ging aus ihr der Chef der faschistischen Partei, Abascal, hervor).
Aber konkret: Woher kommt diese Isabel Díaz Ayuso? Sie wurde 1978 in Madrid geboren, im Reiche-Leute-Viertel Chamberí, in das der Vater aus einem Dorf in der Provinz Avila gezogen war. Er gründete eine Firma nach der anderen. Alle scheiterten. Er stirbt völlig überschuldet und mit schwerer Demenz. Immerhin schaffte man es noch, seine zwei Häuser in Madrid und Avila rechtzeitig vor der Pfändung zu retten und als „Geschenk“ seinen zwei Kindern zu überschreiben. Immer noch wird gegen Ayuso wegen „Verheimlichung von Vermögenswerten“ ermittelt.
Nach ihrem Studium der Publizistik in Madrid, das sie 2002 mit einem Master abschließt, startet Ayuso 2005 ihre Ochsentour durch verschiedene untergeordnete Posten in der Regierung der autonomen Region, die ihr Parteifreunde verschaffen. Zwischen 2008 und 2011 platziert sie die damalige Präsidentin Esperanza Aguirre in einem gut bezahlten Job in „Madrid Network“, einem dieser korrumpierten öffentlich-privaten Unternehmen, die zu dieser Zeit entstehen. Ayusos Versuche, aus der PP-Kelleretage in die Politik einzusteigen, fruchten nicht. Zwar gelangt sie 2011 auf die Liste für die Wahlen zum Madrider Parlament, wird aber nicht gewählt.
Sie hat jedoch Glück: Als eine Abgeordnete im gleichen Jahr auf ihr Mandat verzichtet, rückt Ayuso nach. Ähnliches Glück hatte sie dann 2019: Die Präsidentin Cristina Cifuentes, Nachfolgerin von Ignacio González, wegen Korruption zu einer Haftstrafe verurteilt, musste ihrerseits wegen eines gefälschten Mastertitels zurücktreten. Gegen Widerstand in der Partei setzte damals deren Chef Pablo Casado die Kandidatur Ayusos durch. Ihr Wahlergebnis war das seit Jahrzehnten schlechteste. Aber in Koalition mit der Partei Ciudadanos wurde sie dann doch zur Präsidentin gewählt. Nach wenig mehr als einem halben Jahr reduzierte sich ihre Arbeit auf das Management der Pandemie. Das Ergebnis hatte Spanien im letzten Jahr schockiert: etwa die Altenheime mit 6200 Toten, eine um 53 Prozent höhere Mortalität als in den übrigen Altenheimen Spaniens. Ayuso zieht sich für längere Zeit nach einer Corona-Infektion in ein Luxushotel zurück, vermutlich auf Einladung von Kiko Sarasola, Hotelkettenbesitzer. Sie lässt im Schnellverfahren und mit Hilfe des Militärs eine Art Riesenlazarett für Corona-Patienten in den Messehallen errichten, zur Erweiterung der als Folge der Privatisierung des Gesundheitswesens dezimierten Madrider Krankenhauskapazitäten. Leider gab es dann dafür kein Personal. Schließlich führt an einem Lockdown der Schulen kein Weg mehr vorbei, und um den aus den Armenvierteln kommenden Schülern die Schulspeisung zu ersetzen, erhalten Fastfoodketten gut bezahlte Aufträge zur Lieferung von Pizzas und Hamburgern frei Haus. Erst nach öffentlichem Aufschrei wird eine andere Lösung gesucht. Immerhin hatte Ayuso eine bisher nicht umgesetzte Gesetzesidee: auch schon den schwangeren Frauen, derem Fötus also, ein Kindergeld zu gewähren. Konkret betrachtet ist ihre Zeit als Regierungschefin der autonomen Region Madrid eine Serie von Skandalen und Misserfolgen.
Wenn Ayuso politisches Talent hat, besteht es in ihren permanenten Versuchen, all diese Misserfolge in Trümpfe umzumünzen, und zwar unter dem Label „Freiheit“. Sie hält Bars und andere Stätten der Unterhaltung offen (womit auch die Zahlung einer Corona-Unterstützung wegfiel), bis die Zentralregierung wegen überbordender Inzidenzen deren vorübergehende Schließung anordnet. Keine Rede, in der Ayuso nicht den Madrider „Lebensstil“ preist und von dem mit Ausgangssperren unverträglichen Madrider Nachtleben schwärmt. Sie wird nicht müde, geradezu eine Madrider Identität zu erfinden. Ein Satz zu dieser Identität ging viral: „Du kannst hier Deinen Arbeitgeber und Deinen Partner wechseln und ihn niemals wiedertreffen.“ Solche Sätze, „Ayusadas“ genannt, kommen an. Während des Lockdowns vermisste sie sogar die nächtlichen Autostaus im Stadtzentrum, sind doch auch diese für sie Teil der Madrider Identität. Inzwischen wird Madrid als Partyhauptstadt Europas gefeiert, zum Stolz von Ayuso. Das Hotel- und Gaststättengewerbe hat sie zur „Heiligen Isabel“ ernannt.
Ihr Wahlerfolg ist rational daher nur schwer zu verstehen, wobei bei dessen Bewertung soziologisch differenziert werden sollte: Die hohe Wahlbeteiligung findet sich vorwiegend in den Reiche-Leute-Vierteln im Norden der Hauptstadt und der autonomen Region Madrid. Die Mobilisierung der sozialistischen Stammwähler im Süden war dagegen nur mäßig erfolgreich. Außerdem ist die jahrzehntelange Zerrissenheit der Madrider Sozialisten auch dieses Mal trotz ihres konsensbesessenen Kandidaten Gabilondo nicht wirklich überwunden worden. Hinter dem Wahlerfolg steht wohl ein schon die Franco-Diktatur stützendes Bündnis zwischen den inzwischen „hippen“ und modernen „Hidalgos“ aus Chamberí mit ihren SUVs (diese waren im letzten Jahr in den Protest-Autokorsos gegen die Lockdowns auf dem Paseo de Castellana zu besichtigen), und dem verschreckten traditionell katholischen Kleinbürgertum. Diesem kann Pedro Sánchez ohne weiteres als Kommunistenfreund und Pablo Iglesias als Beelzebub verkauft werden. Beiden Gruppen gemeinsam ist, dass bei ihnen die Demokratie nie angekommen ist. Für sie sind letztlich der König und die Streitkräfte die Garanten für ihren sozioökonomischen Status bzw. die Rettung Spaniens vor dem Untergang. Das Schreckgespenst für beide Gruppen ist die Republik. Sollte nicht unter diesen Bedingungen und ab einem bestimmten Niveau von Dummheit – fragt Gerardo Tecé in der digitalen Zeitung ctxt.es – das demokratische Tabu des Wähler-Bashings etwas gelockert werden?
Der Ayuso-„Hype“ wurde neben den Medien in erster Linie von der Frivolität der Madrider Geld-Eliten angefeuert, denen Ayusos Triage-Politik in den Altenheimen einfach „wurscht“ war. Das verknüpfte sich mit den frivolen Flirts Ayusos mit den Faschisten, in Sätzen wie: „VOX steht uns nicht als Gegner gegenüber, sondern an unserer Seite“. Warum dann noch VOX wählen? Deren Zuwachs hielt sich deshalb in Grenzen. Die Barbesitzer, ohne einen Cent Unterstützung durch den Staat und eine traditionelle Abteilung des Kleinbürgertums, steuerten dieser Frivolität ihre eigene bei: „Freiheit heißt, in der Bar ein Bier trinken zu können“. Folge: Inzidenz in Madrid aktuell 150, in Barcelona 80. Jedenfalls ist Madrid ein Mikrokosmos, von dem nur schwer auf die politische Zukunft Spaniens extrapoliert werden kann. Regionale Führer der Rechtspartei und selbst der Parteivorsitzende Pablo Casado sind vom Erfolg Ayusos eher verschreckt. Wenn die linke Regierung in Madrid jetzt nicht den Kopf verliert, ist die Chance für einen politischen Wandel in Spanien noch nicht verspielt.
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