Wenn Spalter für Einigkeit plädieren: Die Rede des Bundespräsidenten beim Kirchentag wurde (einmal mehr) dominiert vom falschen Motiv der über die Gesellschaft aus heiterem Himmel „hereinbrechenden“ Corona-Maßnahmen, für die niemand die Verantwortung trägt und die alternativlos sind. Von Tobias Riegel.
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Mit der Diagnose, dass unsere Gesellschaft gespalten ist, hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) in seiner Rede beim ökumenischen Kirchentag zwar recht. Dass aber mit Steinmeier einer der Verantwortlichen für diese Spaltung immer wieder (siehe hier oder hier) in salbungsvollen Worten Solidarität oder eine Überwindung dieser Spaltung „fordern“ kann, ohne dass dieser Widerspruch angemessen (etwa in großen Medien) thematisiert wird, ist infam. Denn dass diese wiederholten Forderungen Steinmeiers (und Anderer) nach einer Überbrückung der Gräben stets folgenlos bleiben, müsste eigentlich schwere Vorwürfe der Heuchelei provozieren: weil hier die Verantwortlichen für die Spaltung eine Distanz zu eigenen Taten herstellen wollen, indem sie das Ergebnis der eigenen Sozial- und Corona-Politik thematisieren, als seien das Naturereignisse und nicht Folgen auch des eigenen politischen Handelns.
Wenn Spalter „Brücken bauen“
Die Gesellschaft ist auf vielerlei Arten gespalten. Die dramatischste Zerrüttung wirkt vor allem durch das soziale Gefälle – hier hat Steinmeier unter anderem durch seine Mitverantwortung für die Einführung und Umsetzung von Hartz-IV einen gehörigen Teil beigetragen.
Noch zu diesen bereits vorhandenen Verwerfungen hinzu kommen seit einigen Monaten die durch die Corona-Politik von SPD und CDU ausgehobenen gesellschaftlichen Gräben. Diese Corona-Politik hat nicht nur die sozialen Gefälle noch weiter verstärkt, sondern noch eine weitere Dimension der Spaltung hinzugefügt, die teilweise unabhängig vom Sozialen wirkt. Dazu kommt eine skandalöse Stimmungsmache von Teilen der Politik und der großen Medien gegen Andersdenkende. Die vorläufige „Krönung“ einer fast schon vorsätzlich erscheinenden Zerrüttung des gesellschaftlichen Zusammenhalts ist die offiziell abgesegnete Aufteilung der Gesellschaft in Geimpfte und Nichtgeimpfte und die Einführung einer dafür notwendigen gefährlichen Kontroll- und Überwachungs-Architektur. All diesen Aspekten hat sich Steinmeier weder in seiner Funktion als Bundespräsident noch in der eines mächtigen SPD-Funktionärs angemessen entgegengestellt.
Einmal mehr wurde Steinmeiers Rede dominiert vom falschen Motiv der anscheinend aus heiterem Himmel über die Gesellschaft hereinbrechenden Corona-Maßnahmen, für die niemand die Verantwortung trägt, weil die (wegen „gesundheitlicher Dimension“) anscheinend alternativlos sind und (von wem?) „verlangt“ werden. So sagte er:
„Noch ächzen wir unter Maßnahmen, die die gesundheitliche Dimension der Pandemie verlangt.“
Dann fordert der Bundespräsident, dass „wir“ die zahllosen Bürger nicht vergessen sollen, die Opfer der Corona-Politik geworden sind:
„Vergessen wir nicht diejenigen, die kein Grün ums Haus haben und nur wenig Raum zum Wohnen. Vergessen wir nicht diejenigen, die kein Homeoffice machen können, sondern an vorderster Front für uns alle schuften – im Krankenhaus und in der Pflege, im Einzelhandel, in Kitas und Schulen, in Bus und Bahn. Vergessen wir nicht diejenigen, die allein sind, die Schaden an der Seele nehmen, und auch nicht die, die in der Familie Gewalt erfahren.“
Kein Ende des „Albtraums”
Mit folgendem Satz erklärt Steinmeier die Corona-Politik zum anscheinend „einfach so“ eingetretenen Naturereignis („Albtraum“), das darum auch nicht beendet werden kann, also auch nicht von dem Personal, das diesen Albtraum durch Gesetze und Maßnahmen herbeigeführt hat:
„Wie gern hätten wir diesen Ökumenischen Kirchentag als großes Fest am Ende dieses Albtraums gefeiert. So weit sind wir leider noch nicht.“
Dann huldigt Steinmeier noch dem (mutmaßlich im Sinne von „gehorsam“ gemeinten) „verantwortlichen Verhalten der allermeisten“ und natürlich dem „Wunder der Impfstoffe“: „All das bringt uns dem rettenden Ufer immer näher.“ Aber nur – möchte man hinzufügen – wenn dieses Ufer nicht immer wieder von SPD/CDU weiter und willkürlich verschoben wird. Auch im folgenden Satz müsste man „Corona“ durch „Corona-Politik“ ersetzen:
„Wir müssen die Wunden heilen, die Corona in unserer Gesellschaft geschlagen hat.“
Corona-Politik ist kein Naturereignis
Weil die Corona-Politik aber eben kein Naturereignis ist, sondern Folge ganz konkreter politischer Entscheidungen, für die man theoretisch Menschen zur Verantwortung ziehen könnte, soll die dringend nötige Aufarbeitung der Politik der vergangenen Monate mutmaßlich erst einsetzen, wenn es zu spät ist:
„Natürlich muss aufgearbeitet werden. Aber wir sollten uns nicht in der ehrgeizigen, schnellen Suche nach Fehlern und Schuldigen erschöpfen. Der Prozess der gesellschaftlichen Versöhnung wird länger dauern als die 15 Monate, die hinter uns liegen.“
Zum Abschluss folgen nochmals die Betonung des angeblich nicht steuerbaren Zustands („was immer kommt“) und die hohle, von den Corona-Politikern gründlich diffamierte Phrase vom aufeinander Achtgeben:
„Denn wenn wir eines aus Corona gelernt haben, dann das: Wir sind aufeinander angewiesen! Beherzigen wir das, liebe Brüder und Schwestern, mehr als in der Vergangenheit – und was immer kommt: Geben wir acht aufeinander!“
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