Sie sind am meisten betroffen von den Corona-Maßnahmen und kaum einer kümmert sich um ihre Meinung. Das Forum „Schule – wie weiter?“ hat Schülerinnen und Schüler gefragt, wie es ihnen geht nach einem Jahr Homeschooling-, Wechsel- und Präsenzunterricht mit Abstandsregeln, Maske und neuerdings den Tests. Hier lesen Sie, was uns Kinder und Jugendliche geschrieben haben. Von Sandra Reuse.
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Allen Berichten zufolge, die uns vorliegen, wird an den Schulen – auch nicht im Politik- oder Ethikunterricht – kaum darüber gesprochen oder gar diskutiert, wie sich die seit nunmehr über einem Jahr geltenden Corona-Regeln für die Schüler anfühlen, ob sie eventuell belastend, ungerecht oder widersprüchlich sind. Ob es zum Beispiel wirklich eine Gefährdung von Mitschülern und Lehrern darstellt, wenn ein durstiges Kind im Schulgebäude einen Schluck Wasser trinkt – und dafür die Maske kurz abnimmt. Ob es fair ist, dass manche Kinder ihre besten Freundinnen und Freunde wochenlang nicht sehen dürfen, weil diese in einer anderen Teilgruppe beschult werden. Oder worin der Sinn besteht, dass selbst Geschwister auf dem Schulhof nicht zusammentreffen dürfen.
Während Erwachsene in ihren politischen Debatten geradezu fixiert auf die Frage scheinen, welche Lernrückstände entstanden sind und wie diese möglichst schnell kompensiert werden könnten, werden die Schülerinnen und Schüler mit ihren Bedürfnissen und Sorgen kaum gehört. Neben Zukunftsängsten steht der soziale Anpassungsdruck. Wer mit der Maske nicht klarkommt, riskiert schnell, gemobbt zu werden – obwohl ein durchaus relevanter Teil der Schülerinnen und Schüler über Kopfschmerzen, Müdigkeit und Konzentrationsschwierigkeiten berichtet.
Eine Lehrerin schrieb uns:
„Viele Kinder tragen die Masken mittlerweile aus einer Art Pflichtgefühl. Das, finde ich, ist ein sehr erwachsener Umgang mit dem Thema. Andererseits gibt es für Gegenstimmen keinen Raum mehr. Niemand möchte Schuld sein, wenn die Oma eines Mitmenschen stirbt, nur weil man selbst etwas falsch gemacht hat“.
Wichtige Themen für die Schüler: Langeweile, Leistungsdruck, schwierige Selbstmotivation, Freunde vermissen
Wie schon in verschiedenen Beiträgen dargestellt, ist die Lern- und Lebenssituation für Schülerinnen und Schüler aktuell wie in den zurückliegenden Monaten teilweise sehr unterschiedlich. Manche haben mehr Präsenzunterricht erlebt, die meisten weniger. Schülerinnen und Schüler der Mittelstufe, also der Klassen 7 bis 9, saßen von Dezember bis teilweise Anfang Mai(!) fast ausschließlich zu Hause. Ob und wie der Fernunterricht funktioniert hat, war nicht selten eine Frage des familiären Umfelds, der Zeit und der Vorbildung der Eltern. Ein Problem, das möglicherweise „nur“ an den Gymnasien besteht, dort aber offenbar verbreitet ist, ist ein großer Leistungsdruck. Eine Schülerin (7. Klasse) beschreibt das Homeschooling im 2. Lockdown:
„In manchen Phasen habe ich das Gefühl, Tag und Nacht arbeiten zu müssen, um den Ansprüchen gerecht zu werden, und dann kommen wieder Tage, an denen wir praktisch vergessen werden: Kein Lehrer gibt uns Aufgaben, und dann sitzt man morgens um acht am Computer und merkt, dass man auch hätte ausschlafen können“.
Folgende ist eine Aussage, die man bei Schülerinnen und Schülern der Mittelstufe über die lange Phase im Distanzunterricht im 2. Lockdown häufiger hört:
„Die Lehrer scheinen zu denken, wir würden uns langweilen und geben uns irrsinnig viele Aufgaben.“
In der aktuellen Phase wiederum werden an vielen Schulen noch schnell viele Tests und Klassenarbeiten geschrieben. So schreibt ein Schüler der 10. Klasse:
„Die Lehrer brauchen natürlich auch ihre Noten, und somit werden wir mit Arbeiten und oder sachlichen Leistungen zu bombardiert, was teilweise nicht zu managen ist.“
Andererseits wird beklagt, dass es von den Lehrern im Online-Unterricht zu wenig Feedback gebe. Die Vermittlung von Unterrichtsstoff komme zu kurz, schreiben Schülerinnen und Schüler, es würden vor allem Aufgaben verteilt und wieder eingesammelt, dann aber teilweise wochenlang nicht ausgewertet.
Lehrer und Schüler verlieren im Wechselunterricht den Überblick
Mit dem Wechselunterricht, der nunmehr für die allermeisten Schülerinnen und Schüler die vorherrschende Unterrichtsform ist, geht offenbar vielen Lehrern endgültig der Überblick verloren. Ein Mädchen schreibt:
„Ich finde den Wechselunterricht nicht gut, weil Schüler und auch Lehrer durcheinander mit den Aufträgen kommen. Man weiß meistens nicht ob der Auftrag jetzt für die erst oder zweite Gruppe war und wann es fertig sein muss. Auch von den Lehrern wird man oft gefragt ob wir schon den Arbeitsauftrag besprochen haben oder ob das in der anderen Gruppe war. Außerdem kriegt man dann vielleicht wichtige Sachen nicht mit“.
Der Wechselunterricht wird zwar einerseits begrüßt, weil die Kinder endlich wieder in die Schule können, andererseits aber auch als problematisch für die Klassengemeinschaft und eingeübte „Schulaufgaben-Erledigungsnetzwerke“ beschrieben. Hinzu kommt, dass ein Teil der Schülerinnen und Schüler Probleme hat, sich darauf einzustellen, jetzt plötzlich wieder früh loszumüssen – das aber nur jede 2. Woche. So schreibt ein Schüler:
„Mein Schlafrhythmus ist gebrochen, weil ich Wechselunterricht mache“
Probleme mit dem Schlaf- und Wachrhythmus des Nachwuchses haben auch viele Eltern in ihren Zuschriften an das Forum benannt.
Zwar sind die allermeisten Schülerinnen und Schüler froh, endlich wieder in der Schule zu sein, andererseits aber hält sich der Spaßfaktor vor Ort in Grenzen: Fast überall gelten strengste Hygieneregeln, obwohl an mindestens 2 Tagen die Woche getestet wird. Es gibt Grundschulen, an denen die Kinder selbst draußen im Freien nichts essen und nichts trinken dürfen, damit sie ja keine virusbehafteten Aerosole freisetzen. „Wir haben jeden Tag nur drei Stunden Unterricht und müssen dann gleich wieder nach Hause“, hat mir ein Mädchen (7 Jahre) erzählt, deren erstes Schuljahr im Sommer 2020 begann. Wie Schule „früher“ war, kennt sie nur aus Erzählungen.
Ein Schüler aus der 2. Klasse schreibt:
„Wenn das so weiterget platzt mir der Kopf. Ich kann nicht mer. Ich mus aber. Ich möchte wider in die Schule gehen. Aber normal so wie früher. Ich will wieder mit meinen Freunden spielen. Ich will wieder in die Schule one Maske“.
Unter diesem Link geht es zu den Blogbeiträgen der Schülerinnen und Schüler auf den Forumsseiten.
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Alle Schülerzuschriften werden bei Veröffentlichung grundsätzlich anonymisiert, auch werden evtl. zu detaillierte Angaben wie Schulort / Schulname oder sonstiges selbstverständlich entfernt.
Forum Schule – wie weiter? Darum geht es:
Das „Forum Schule – wie weiter?“ hat zum Ziel, die verschiedenen Perspektiven aller von den Schulschließungen und sonstigen Einschränkungen bei Bildung und Betreuung Betroffenen gleichberechtigt sichtbar zu machen Dabei geht es sowohl um positive wie negative Erfahrungen mit der Digitalisierung als auch dem Umgang mit Lernrückständen und sozialer Ungleichheit. Gemeinsam mit allen Beteiligten wollen wir nach kinder- und familiengerechten sowie pädagogisch anspruchsvollen Lösungen für den weiteren Verlauf des Schuljahres und die Zeit nach den Sommerferien suchen.
Diese Beiträge sind bereits bei den NachDenkSeiten erschienen:
- Forum Schule – das schreiben uns Lehrer und Erzieher
- Forum Schule – wie weiter? Erste Zwischenbilanz
- Aufruf zur Beteiligung: Forum „Wie weiter an den Schulen?“
In Kürze folgt die Auswertung der Zuschriften, die uns die Eltern zugesandt haben – wir danken für Ihre Geduld!
Titelbild: shutterstock.com / Oksana Kuzmina