Die Milch wird sauer, das Bier wird schal, der SPIEGEL macht den Löwenthal.
Das Blatt, über das immer noch Viele das Vorurteil haben, es sei kritisch, ja sogar intellektuell, entblödet sich nicht, General a.D. Schönbohms Rückfall in alte Kalte Kriegs-Reflexe als „nachdenklichen Satz“ zu verteidigen.
Die „erzwungene Proletarisierung“ habe im Osten zu einer Erhöhung der Gewaltbereitschaft geführt und das wiederum habe Anteil an dem neunfachen Kindsmord in Frankfurt/Oder, meinte der brandenburgische Innenminister.
Die breite Kritik an Schönbohms Zuweisung einer Art „zweiten Kollektivschuld“ an die Ostdeutschen nimmt der Leiter des Politik-Ressorts von SPIEGEL ONLINE, Claus Christian Malzahn, als Indiz dafür, dass „die Nachfahren der SED in Ostdeutschland die kulturelle und politische Hegemonie gewonnen hätten“, denn sonst hätte es ja nicht diese „hysterischen Distanzierungen“ gegeben.
Dass Angelika Merkel ihren Parteifreund – angeblich sogar scharf – zurecht gewiesen hat und sogar Schönbohm selbst sich für diesen furchtbaren Fauxpas inzwischen – zugegebenermaßen ziemlich gewunden, aber immerhin – entschuldigt hat, liegt für den SPIEGEL vor allem an der PDS: Sie gebe „in der ehemaligen DDR inzwischen auch den Ton der jeweiligen Debatte“ wieder an. Der PDS sei es tatsächlich gelungen, nach der Wende in Ostdeutschland jene DDR-Identität zu konstituieren, die es vor der Wende, als die DDR noch existierte, kaum gegeben habe, meint Malzahn.
Da die PDS „die alte SED minus Egon Krenz und Co.“ sei und „Ulbrichts und Honeckers brutale Kybernetik auch ihren Anteil am Tod der Säuglinge in Frankfurt an der Oder haben könnte“ wird dem Leser nahe gelegt, diese Partei, die für sich ausgebe „ehrliche Maklerin ostdeutscher Geschichte und Gegenwart“ zu sein, sei letztlich urheblich und schuldig, wenn schon nicht dafür, dass es weiterhin zu solchen unfassbaren Tötungen komme (das wäre es nach Malzahn „Wert, zumindest untersucht zu werden“), aber immerhin für „das beredte Schweigen, das diese Tötungen auch ermöglichte“.
Zur Sache selbst, nämlich zur Herstellung eines Zusammenhangs zwischen SED-Sozialisation und zur Häufigkeit der Kindstötungen in den neuen Bundesländern im allgemeinen und schon besonderen Fall in Frankfurt/Oder, wären auch noch ein paar Fragen zu stellen:
- Kommt die Mutter aus dem „typischen SED-Milieu“?
- Könnte man nicht mit der gleichen Plausibilität einen Zusammenhang zwischen der seit der Wende bei einem Teil der Menschen in den neuen Bundesländern eingetretenen totalen Verunsicherung, Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit und dem hohen Grad von Kindstötungen sehen? Die Konstruktion eines solchen Zusammenhangs wäre jedenfalls nicht weniger abenteuerlich als jene, die Schönbohm in die Welt setzte.
Von 1969 bis 1988 gab es im ZDF ein „ZDF-Magazin“, das Gerhard Löwenthal moderierte. Löwenthal verstarb 2002. Er war ein exponierter journalistischer „kalter Krieger“ und blinder Antikommunist, der in Willy Brandts Ostpolitik genauso wie in allem, was „links“ von Franz Joseph Strauß stand, kommunistische Unterwanderungen witterte.
Damals gab es von der Rock-Gruppe „Floh de Cologne“ einen weitverbreiteten Spottgesang auf seine Sendung: „Die Milch wird sauer, das Bier wird schal, im Fernsehen kommt der Löwenthal…“ Wie jetzt dem SPIEGEL, war Löwenthal keine noch so verquere Logik zu blamabel, um aus irgendeinem schlimmen Ereignis, eine meist ziemlich miese Attacke gegen die Linke oder gegen Linksliberale zu reiten.
An diesem rechten politischen Rand scheint der SPIEGEL mit seinem Beitrag „Politisch unkorrekt – aber notwendig“ über Schönbohms Urteil über die asoziale Sozialisation der Ostdeutschen jetzt wieder anknüpfen zu wollen.
Übrigens Malzahn kam früher von der taz zum SPIEGEL.
Ein weiteres Beispiel für eine Karriere von links unten nach rechts oben – wenn man den SPIEGEL immer noch als „oben“ bezeichnen wollte, tiefstes Niveau wäre wohl angemessener.
Quelle: SPIEGEL ONLINE