Viele Medien berichten aktuell über die Künstler-Aktion, als würde ein Kriminalfall untersucht und alle Unterstützer seien Komplizen bei einer „neurechten“ Schandtat. Dabei wird die Umdeutung von Begriffen wie „rechts“ und „links“ weiter vorangetrieben und mit dem Vorwurf der „Kontaktschuld“ gearbeitet. Von Tobias Riegel.
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Die standhaft gebliebenen Künstler der Aktion #allesdichtmachen haben in ein Wespennest gestochen. Nochmals Danke dafür. Umso hektischer wird nun versucht, von ihren Inhalten abzulenken und stattdessen mit Vorwürfen der „Kontaktschuld“ die persönliche Reputation der Beteiligten anzugreifen.
Hergestellter „Konsens“ zum Lockdown
Diese Praxis ist nicht überraschend und sie wäre nicht weiter erwähnenswert, wenn nicht ein zentrales Thema einer seit Corona festzustellenden Meinungsmache in diesem Vorgehen deutlich würde: die Manipulation der Begriffe „rechts“ und „links“ bis hin zur fast völligen Bedeutungslosigkeit. Weil dieser Vorgang erhellen kann, wie ein Teil der Bürger in eine anscheinende Zustimmung zur Lockdown-Politik getrieben wurde und dort gehalten wird, soll er hier betrachtet werden.
Besonders hervor tut sich aktuell der „Tagesspiegel“, der bereits mit seinem ersten Artikel zum Thema eine unseriöse, geradezu giftige Richtung auch für andere Medien vorgegeben hat. In den vergangenen Tagen hat die Zeitung nachgelegt: mit einer in pseudo-investigativem Duktus gehaltenen „Spurensuche“ zum Verdachtsfall #allesdichtmachen. Die Aktion wird geschildert, als würde ein Kriminalfall untersucht und alle Unterstützer seien Komplizen bei einer „neurechten“ Schandtat.
„Eine Spur führt ins Querdenker-Milieu”
Wie die NDS bereits geschrieben haben, ist der (nun teils im Verbund mit dem „zivilgesellschaftlichen Recherchenetzwerk Antischwurbler“) aufgedeckte „Skandal“, dass der Dreh zu #allesdichtmachen nicht in anarchischer Einzelperformance zustande kam, wie das anscheinend im Rückschluss beim täglichen Produkt „Tagesspiegel“ der Fall ist. Stattdessen gab es doch tatsächlich Menschen, die das Projekt organisiert haben – „in klandestinen Strukturen“ natürlich.
Die beiden Artikel sind überschrieben mit „Filmbranche und Querdenker: Das antidemokratische Netzwerk hinter #allesdichtmachen“ und „Eine Spur führt ins Querdenker-Milieu”. Die Beiträge betonen „Vorwürfe“ der Kontaktschuld, während die inhaltlichen Fragen, die #allesdichtmachen endlich in die Debatte zurückgebracht hat, weitgehend in Nebensätzen abgehandelt werden. Inzwischen sind weitere Medien auf diesen Zug aufgesprungen, etwa hier oder hier oder hier oder hier.
Die rechts/links-Verdrehung
Die nun erlebte mediale Betrachtung zeichnet sich einerseits durch Spitzfindigkeit aus bei der Frage, wer wann mit wem in Kontakt stand und wer dadurch eine solche „Schuld“ auf sich geladen hat, dass er nach medialer Lesart als Diskussionspartner und gesellschaftlicher Impulsgeber disqualifiziert ist – weitgehend unabhängig von den eigenen, aktuell geäußerten Standpunkten. Diese Kontaktschuld hat wenig mit den inhaltlichen Fragen zu tun, die durch #allesdichtmachen aufgeworfen wurden, aber diese Fragen sollen ja auch mutmaßlich umschifft werden. Andererseits herrscht in vielen Medien eine grobe Pauschalisierung vor bei der Betrachtung der sehr heterogenen Proteste gegen die Lockdown-Politik, die mittlerweile unter dem erfolgreich diffamierten Sammelbegriff „Querdenker-Bewegung“ verbucht wurden.
Noch grundlegender: Es wurden im Zuge der Corona-Politik Fragen der Datenerhebung und der Gesundheitsfürsorge zu Fragen von „rechts“ und „links“ erklärt: Hiervor muss man den Hut ziehen – diese bei vielen Bürgern anscheinend erfolgreiche Verdrehung ist ein Meisterstück der Manipulation.
Bei allen drei Aspekten – rechts/links-Verdrehung, Kontaktschuld als „Ausschlusskriterium“, Pauschalisierung der Proteste – können der „Tagesspiegel“ und andere Medien nun bei der Diffamierung Andersdenkender auf die eigene Meinungsmache der vergangenen Monate aufbauen. Diese Meinungsmache war so intensiv, dass vielen Bürgern die irrationalen Verdrehungen kaum noch auffallen: Unter vielen anderen Aspekten etwa, dass Medienkritik inzwischen ebenso unwidersprochen als „rechts“ bezeichnet werden kann wie das Pochen auf unveräußerliche Grundrechte.
Das „linke“ Schweigen nutzt den Rechten
In den eingangs erwähnten Artikeln des „Tagesspiegel“ wird das fortgeführt. So wird etwa die Position, „die Medien“ hätten in der Corona-Pandemie „ihre Aufgabe der unabhängigen Berichterstattung im Sinne einer vierten Säule der Demokratie nicht erfüllt”, von der Zeitung als eine „neurechte“ Position bezeichnet. Außerdem sei #allesdichtmachen Teil einer größeren Kampagne, „die eine antidemokratische Agenda verfolgt“.
Die auch von solchen Beiträgen eingeschüchterten ehemals Linken, die sich entweder in Schweigen hüllen oder noch härtere Lockdowns fordern, hinterlassen ein großes Vakuum in der gesellschaftlichen Debatte. Dass die tatsächlich Rechten diese Lücke jetzt nur zu gerne füllen werden und damit mutmaßlich Erfolge bei Wahlen erringen können, ist so selbstverständlich, dass man eigentlich gar nicht mehr darauf hinweisen möchte. Die pauschale Diffamierung der Lockdown-Kritik und die Schaffung dieses Vakuums kann man darum als gesellschaftlich sehr verantwortungslos bezeichnen.
Titelbild: StunningArt / Shutterstock