Mit Fortschreiten der Impfkampagne sind die meisten Bundesländer dazu übergegangen, der sogenannten Prioritätsgruppe 3 ein Impfangebot zu machen. Zu dieser Gruppe zählen Menschen, die älter als 60 Jahre sind, besondere medizinische Risikofaktoren aufweisen oder aber „in besonders relevanter Position in Einrichtungen der Kritischen Infrastruktur tätig sind“, wie es die Bundesregierung formuliert. Zu diesen „Systemrelevanten“ zählen – man glaubt ja kaum – auch sämtliche Journalisten. Davon haben Sie in den Zeitungen nichts gelesen? Warum nur? Wird sich die Berichterstattung nun ändern, wenn die Alarmisten vom Dienst nun zur Spritze gerufen werden und keine Angst mehr haben müssen? Eine Glosse von Jens Berger.
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In ihrer Ansprache zum 1. Mai dankte Angela Merkel ausdrücklich all den tapferen Menschen, die im Homeoffice arbeiten. Sie hätten das Land in der Pandemie „am Laufen gehalten“, so die weise Kanzlerin. Da rann mir als mutigem Home-Office-Hengst doch glatt eine Träne der Rührung durchs Knopfloch. Nicht all die nutzlosen Krankenschwestern, Polizisten, Müllmänner, Pizzaboten und Briefträger, sondern ich war es, der das Land am Laufen gehalten hat! Danke, Merkel! Endlich spricht jemand diese unbequeme Wahrheit einmal aus!
Es gibt jedoch noch andere tapfere Menschen, die so systemrelevant sind, dass ihre Arbeit für den Fortbestand unserer Zivilisation unabdingbar ist. Das sind, sie ahnen es bereits, die eifrigen Genossen der Kampfbrigade Feder, die gerade in der Krise ihr Bestes geben, um in den Worten eines berüchtigten Rechtsradikalen „den Alarm stetig ganz oben zu halten, und dafür sorgen, dass kein unnötiger, kritischer Disput uns ablenken kann von der Zustimmung zu den sinnvollen und immer angemessenen Maßnahmen unserer Regierung.“
Nun drohen dem Bollwerk der Reaktion jedoch erste Risse. Sobald die lieben Kollegen aus ihrer kollektiven Angstpsychose gespritzt wurden, könnte ihnen – Gott bewahre – ja vielleicht die Angst abhandenkommen und die Ratio die Denkprozesse beeinflussen. Dann fänden ja vielleicht auch erste kritische Gedanken ihren Weg in die Hirne und von dort aus in die analogen und digitalen Blätter und TV-Formate.
Was würde geschehen, wenn wir nicht mehr tagein tagaus mit Inzidenzzahlen, erschreckenden Einzelschicksalen und düsteren Prognosen bombardiert werden? Vielleicht verlören wir gar unsere Angst? Und das wäre mitten in der Pandemie eine Katastrophe!
Zwei Pandemien rollen zurzeit über das Land. Neben der eigentlichen Viruserkrankung hat auch die Angst vor dem Virus pandemische Formen angenommen und man fragt sich, was für die Gesellschaft schlimmer ist – das Virus oder die Angst vor dem Virus. Getreu dem alten Sponti-Spruch „Stell Dir vor, es ist Pandemie und niemand hat Angst“ könnten wir jedoch zumindest die kollektive Angstpsychose und mit ihr die vielzitierte neue Normalität überwinden. Machen Sie mal einen Selbstversuch und meiden eine Woche sämtliche journalistischen Erzeugnisse. Sie werden sehen, es geht ihnen viel besser. Und was wäre, wenn die systemrelevanten Meinungsmacher selbst ihre Angst verlören und fortan befreit und rational berichteten? Die Pandemie wäre vorbei … zumindest die Pandemie der kollektiven Angst.
Sind dies fromme Wünsche eines Verzweifelten? Wahrscheinlich schon. Zu tief hat sich die Angstpsychose in die Hirne der Alarmisten und Trommler gefressen, als dass ein Verlust der eigenen Angst die Psychose beseitigen könnte. Betrachtet man den Geisteszustand der schreibenden Zunft realistischer, ist wohl eher davon auszugehen, dass die Spritze ihre Gedanken auf ganz andere Art und Weise beflügelt. Nun, da ja die systemrelevanten Journalisten bald alle geimpft sind, wird sicher das Thema „Sonderrechte für Geimpfte“ die Leitartikel prägen. Wäre ja auch noch schöner, wenn man als Stütze unserer Gesellschaft diesen Sommer nicht bei einem Gläschen Barolo und glutenfreiem Fingerfood auf Sylt verbringen könnte. Es ist ja auch eine feine Sache, wenn man unter sich ist und das gemeine, nicht systemrelevante, Volk zu Hause bleiben muss. Und das geht natürlich nur, wenn der Alarm weiter genau da bleibt, wo er hingehört: nämlich ganz oben! In diesem Sinne: Stößchen! Und haben Sie doch bitte Angst!
Titelbild: Edvard Munch – Google Art Project