Diejenigen in Medien und Politik, die den Entzug der Grundrechte erst möglich gemacht haben, gerieren sich nun als Gönner, die „gegen Widerstand“ dem geimpften Teil der Bevölkerung wieder einen Zugang zum gesellschaftlichen Leben ermöglichen wollen. Das ist eine Verdrehung der Tatsachen. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
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In diesen Tagen muss Selbstverständliches immer wieder betont werden: Grundrechte sind durch das Grundgesetz garantiert, sie müssen nicht durch die Regierung „gewährt“ werden. In einem funktionierenden Rechtsstaat besitzen Bürger ihre Grundrechte bereits. Darum offenbart die nun von fast allen Medien und Politikern vertretene Haltung, die durch Corona-Maßnahmen eingeschränkten Grundrechte könnten nun selektiv und unter Vorbehalt (z.B. einer Impfung) „wieder zurückgegeben“ werden, ein fragwürdiges Verständnis der Verfassung. Aus dieser Feststellung folgt, dass eine Ungleichbehandlung unter diesen Vorzeichen höchst zweifelhaft ist.
Die aktuelle Impf-Debatte sollte sich also darum drehen, diesen gegen Grundrechte verstoßenden Zustand für alle Bürger zu beenden und ihn nicht durch die nun geplante Ungleichbehandlung noch zu verschärfen.
Medien und Politiker gegen die Verfassung
Auf den NachDenkSeiten wurde diese Problematik bereits vielfach thematisiert. Da aber der Druck aktuell durch Medien und Politik in dieser Frage stark intensiviert wird, muss dem immer wieder entgegengetreten werden. Die Debatte in diesem Sinne zu beeinflussen, ist aber durch die von fast allen Medien und Politkern transportierte Haltung kaum möglich. Ein Beispiel unter vielen ist ein aktueller Kommentar der „Tagesschau“ mit dem Titel „Verdrehtes Verständnis von Solidarität“. Darauf wird weiter unten beispielhaft eingegangen.
Zur weitverbreiteten und fragwürdigen Sichtweise auf Entzug und „Gewährung“ von Grundrechten kann etwa auf den Artikel „Niemand hat die Absicht, eine Impf-Mauer zu errichten!“ von Jens Berger verwiesen werden:
„Der Bürger hat einen elementaren Anspruch auf die ihm zugesicherten Grundrechte. Insofern kann es auch kein ‚Privileg‘ sein, wenn der Staat seinen Bürger diese Rechte einräumt. Er ist vielmehr qua Verfassung dazu verpflichtet! Im Umkehrschluss muss der Staat jedoch ganz genau und gerichtsfest begründen, warum und in welchen eng begrenzten Ausnahmeszenarien er seinen Bürgern diese Grundrechte verweigert. Wer meint, Grundrechte seien ein ‚Privileg‘, sagt damit auch, dass der Staat diese Grundrechte nach eigenem Gusto vergeben könne und sollte eigentlich ein Beobachtungsfall für den Verfassungsschutz sein.“
Lockdown-Befürworter sind plötzlich „Streiter für Grundrechte“
In fast allen Beiträgen von Medien und Politikern zum Thema wird diese Sicht momentan auf den Kopf gestellt. Bis heute wurde der aktuelle, keineswegs „eng begrenzte“ Ausnahmezustand eben nicht „genau“, evidenzbasiert und „gerichtsfest“ begründet. Zusätzlich werden nun – in einer vollends falschen Interpretation – diejenigen, die gegen eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung argumentieren, dargestellt, als seien sie es, die nun dem geimpften Teil der Bevölkerung Rechte „vorenthalten“ wollten.
Diejenigen in Medien und Politik, die den Entzug der Grundrechte erst möglich gemacht haben, gerieren sich dagegen als jene Gönner, die nun gegen Widerstand ankämpfen müssten, um dem geimpften Teil der Bevölkerung wieder einen leidlich „normalen“ Zugang zum gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. In einer Verdrehung der Tatsachen, die nur möglich ist durch eine fast kollektive Falschdarstellung, wird also von den Entziehern der Grundrechte verkündet, eigentlich seien sie es, die nun für diese Rechte streiten würden.
Ich bin kein prinzipieller Impfskeptiker, wie ich bereits kürzlich im Artikel „Merkel und die ‚Impfdrohung‘ an die Kinder“ betont habe: Angemessen erforschte und erprobte Impfstoffe können potenziell sehr viel Leid verhindern. Im Fall der Corona-Impfstoffe ist die Situation aber meiner Meinung nach eine andere, da hier eine angemessene langfristige Erforschung und Erprobung noch nicht gegeben ist.
Trotz dieser starken Einschränkung gegenüber den neuen Impfstoffen kann aber ein Impf-Angebot an den vor allem durch mediale Panikkampagnen verängstigten Teil der Bürger meiner Meinung nach akzeptabel sein. Vielleicht könnte auch das von Jens Berger im Artikel “Gebt die Impfstoffe frei und macht dem Lockdown ein Ende“ beschriebene Modell eine realistische Möglichkeit für die Verantwortlichen sein, die selber angerichtete Situation gesichtswahrend zu verändern. Das gilt aber nur so lange, wie aus diesem Angebot keine Pflicht wird – und sei diese indirekt.
Ungleichbehandlung wird salonfähig
Dass sich diese mindestens indirekte Impfpflicht (als Voraussetzung für eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben) aktuell anbahnt, kann kaum mehr bezweifelt werden. Die „gewährten“ Freiheiten für Geimpfte werden außerdem mit der Zeit zunehmen, in gleichem Maße die Ungleichbehandlung. Dieser Versuch, die Ungleichbehandlung von Menschen offiziell salonfähig zu machen, kann auch als Teil eines indirekten Drucks zum Impfen gedeutet werden.
Dass in dieses Manöver auch die Kinder einbezogen und Ungleichbehandlungen möglicherweise sogar im Schulalltag etabliert werden sollen, wie RT berichtet, ist ein weiterer Aspekt dieses Skandals.
Ebenfalls große Sorge bereitet vielen Bürgern die für die selektive „Freiheits-Gewährung“ nötige Kontroll-Infrastruktur: Künftig wird es nötig (und „normal“) werden, permanent und für die alltäglichsten Verrichtungen und Zusammenkünfte seinen Gesundheitsstatus zu beweisen. Trotzdem gilt natürlich noch immer: „Niemand hat die Absicht, einen Immunitätsausweis einzuführen“.
Voraussehbare zusätzliche Spaltung der Gesellschaft
Wer in diesem Zusammenhang die durch selektive „Gewährung“ von Grundrechten entstehende Spaltung der Gesellschaft leugnet, ist kaum ernst zu nehmen. Man könnte sogar mutmaßen, dass diese voraussehbare Spaltung vielleicht sogar erwünscht ist, um den erwähnten Druck auf Ungeimpfte zu erhöhen. Schließlich sind diese beiden Gruppen künftig deutlich, auch äußerlich (durch die neuen selektiven „Erlaubnisse“ in der Öffentlichkeit), für jeden Beobachter zu identifizieren. Verbunden mit einer Kampagne in Medien und Politik (Tenor: „Impfen ist Bürgerpflicht“) ist das Ergebnis eine öffentliche moralische Diffamierung der Ungeimpften – diese Diffamierung kommt noch zu den praktischen Einschränkungen hinzu.
Die Parlamentarische Versammlung des Europarates hat sich deutlich zum Thema geäußert:
Es sei sicherzustellen, „dass die Bürger darüber informiert werden, dass die Impfung NICHT verpflichtend ist und dass niemand politisch, gesellschaftlich oder anderweitig unter Druck gesetzt wird, sich impfen zu lassen, wenn er dies nicht selbst möchte“. Außerdem sei sicherzustellen, „dass niemand diskriminiert wird, weil er nicht geimpft wurde, weil er möglicherweise gesundheitliche Risiken hat oder sich nicht impfen lassen möchte“.
„Tagesschau“ und Andere: Spaltung wird heruntergespielt
Ein Paradebeispiel für das Herunterspielen der voraussehbar entstehenden Spaltung der Gesellschaft lieferte gerade beispielhaft die „Tagesschau“ mit dem eingangs erwähnten Kommentar, der sagt, „Geimpften ihre Freiheiten vorzuenthalten, hat mit Solidarität nichts zu tun“. In einer Verdrehung der Realität bezeichnet der öffentlich-rechtliche Sender das als ein „verdrehtes Verständnis von Solidarität“. Die sechs Millionen „vollständig geimpften“ Menschen müssten „eigentlich schon heute die Rechte haben“, die ihnen der aktuelle Entwurf einer Verordnung des Bundesjustizministeriums erst noch verschaffen soll.
Das ist falsch: Alle Menschen müssten diese Rechte haben – man hätte sie gar nicht erst einschränken dürfen – zumindest nicht auf der wissenschaftlich fragwürdigen Datenbasis, die bisher dafür aufgeboten wurde. Die Ungleichbehandlung verschärft diesen juristischen und gesellschaftlichen Missgriff zusätzlich. Die „Tagesschau“ aber zeigt keine Sorgen angesichts der vorprogrammierten (zusätzlichen) Spaltung der Gesellschaft und fragt blauäugig und nur scheinbar naiv:
„Warum die Angst vor der Debatte? Weil der Ungeimpfte dem Geimpften nichts gönnt? Spaltet es eine Gesellschaft, wenn die einen schon wieder etwas dürfen, was anderen noch verboten ist? Der Chef der Jungen Union, Tilman Kuban, sagte Anfang des Jahres, es könne nicht sein, “dass im Sommer die Rentner am Strand liegen, aber die junge Generation weiterhin zu Hause sitzt und sich noch mit einer Person treffen darf. Nun ja, Generationenkonflikte kann man auch herbeireden.“
Verdrehte Argumentationen
Man kann Generationenkonflikte aber auch durch Politik und Medien vorsätzlich herstellen, um diese Konflikte als mutmaßlichen gesellschaftlichen Hebel zu nutzen. Es wurde in diesem Artikel beschrieben, warum der folgende Absatz vor allem die verdrehte Sichtweise der „Tagesschau“ (und zahlreicher Politiker und anderer Medien) auf Fragen der Grundrechte offenbart:
„Klar, gemeinsam gegen Corona, das hieß zu Beginn der Pandemie: Junge und Gesunde üben Verzicht zugunsten von Alten und Kranken; nicht nur aus Eigennutz, um eine Triage zu verhindern, sondern auch aus Solidarität mit denen, für die Corona ein größeres Risiko ist als für sie selbst. Aber das jetzt umzudrehen und zu verlangen, dass Geimpfte ohne sinnvollen Grund mit Grundrechtseinschränkungen leben müssen, solange nicht alle ein Impfangebot hatten – das ist rechtlich nicht haltbar und ein verdrehtes Verständnis von Solidarität.“
Wie man das Thema auch (ver-)dreht und wendet. Das Vorhaben der Ungleichbehandlung birgt gesellschaftlichen Sprengstoff und ist abzulehnen.
Titelbild: Viktor88 / Shutterstock