Mitte April ereignete sich in der wichtigsten iranischen Atomanlage in Natanz ein Bombenanschlag, der dem israelischen Mossad zugeschrieben wird. Das iranische Atomprogramm sei um neun Monate zurückgeworfen. Dieser Anschlag reiht sich ein in eine lange Liste israelischen Staatsterrorismus gegen den Iran und sein Zeitpunkt ist kein Zufall: Parallel laufen in Wien indirekte Gespräche zwischen den USA und dem Iran, um beide Länder ohne Gesichtsverlust zurück zu ihren Verpflichtungen des Iran-Deals von 2015 zu holen. Doch Benjamin Netanyahu will diese Verhandlungen sabotieren und taumelt lieber einem offenen, katastrophalen Krieg mit dem Iran entgegen. Von Jakob Reimann
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Am Sonntag, den 11. April, ereignete sich ein Anschlag auf die iranische Nuklearanlage Natanz in der Isfahan-Provinz im Landesinneren. Zunächst kursierte die Vermutung eines Cyberangriffs auf das Stromnetz, doch stellte sich rasch heraus, dass es sich um einen vom Innern der Anlage ausgeführten Bombenanschlag handelte. Die Bombe soll in die Anlage geschmuggelt und via Fernzünder detoniert worden sein. Durch die Explosion wurde das von der Außenwelt isolierte interne Stromsystem zur Versorgung der Zentrifugen „vollständig zerstört“, erklären anonyme israelische und US-amerikanische Geheimdienstquellen gegenüber der New York Times. Laut dem Forschungsleiter des iranischen Parlaments wurden dabei „Tausende Zentrifugen beschädigt oder zerstört“. Zur Zeit des Anschlags waren rund 1.000 Personen vor Ort, die alle in Lebensgefahr gebracht wurden. Auch hätte eine vernichtende Umweltkatastrophe ausgelöst werden können. Natanz ist die wichtigste Atomanlage im Iran, hier wird zu Forschungszwecken sowie im industriellen Maßstab Uran angereichert. Gemeinhin wird berichtet, dass das iranische Atomprogramm durch den Anschlag um sechs bis neun Monate zurückgeworfen wurde. Teheran vermutete Israel als Schuldigen und präsentierte kurz darauf den 43-jährigen Reza Karimi, der im Auftrag des israelischen Mossad-Geheimdienstes den Anschlag ausgeführt haben soll, jedoch bereits aus dem Iran geflohen sei.
Der Mossad steckt hinter dem Anschlag
Es gehört zur Politik der israelischen Regierung, militärische oder Geheimdienstoperationen, die ihr vorgeworfen werden, in aller Regel weder zu bestätigen noch zu dementieren. Beim Natanz-Anschlag verdichten sich hingegen die Kommentare, Leaks und Einschätzungen, die alle in nur eine Richtung deuten: So identifiziert das israelische öffentlich-rechtliche Kan Radio unter Berufung auf anonyme Quellen den Mossad hinter dem Anschlag und auch die rechtslastige, Netanyahu-freundliche Jerusalem Post titelte unter Berufung auf „westliche Quellen“: „Mossad hinter Angriff auf iranische Nuklearanlage Natanz“. Noch am Tag des Anschlags räumten mehrere ungenannte israelische Geheimdienstquellen gegenüber verschiedenen hebräischsprachigen Medien ein, der Mossad habe den Angriff durchgeführt, wie die Times of Israel berichtet. Netanyahu selbst implizierte am selben Tag eine israelische Täterschaft: „Der Kampf gegen den Iran […] ist eine gigantische Mission.“ Der höchste Militär im Land, Generalstabschef Aviv Kochavi, konnte sich noch bremsen, die Täterschaft Israels nicht direkt einzuräumen, als er einen Tag später erklärte: Israels „Operationen im gesamten Nahen Osten bleiben nicht vor den Augen unserer Feinde verborgen. […] Wir werden auch weiterhin agieren und dabei Macht und Diskretion kombinieren“. Auch der israelische Außenminister Gabi Ashkenazi erklärt recht unverblümt: „Wir ergreifen Maßnahmen [gegen den Iran], die lieber unausgesprochen bleiben“.
Angesichts dieser Vielzahl an Leaks und Andeutungen und mit der langen Liste ähnlicher Anschläge Israels gegen den Iran im Hinterkopf (dazu später mehr), ist es fair, zu sagen: Der Mossad steckt hinter dem Anschlag von Natanz.
In einer regelrecht Orwell’schen Bedeutungsumkehr der Worte erklärte Netanyahu einen Tag nach dem Anschlag: „Im Nahen Osten gibt es keine gefährlichere, gravierendere und dringlichere Bedrohung als die des fanatischen Regimes im Iran“. Und weiter: „Israel wird sich auch weiterhin gegen die Aggression und den Terrorismus des Iran verteidigen“. Derartige Worte zu äußern, kurz nachdem die eigene Regierung einen Bombenanschlag auf den Iran verübt hat, illustriert die Chuzpe der Netanyahu-Administration.
Irans Antwort und das Versagen westlicher Medien
Der Natanz-Anschlag ereignete sich einen Tag, nachdem Iran feierlich den Betrieb seiner weiterentwickelten IR-5- und IR-6-Zentrifugen aufnahm. Der iranische Außenminister Javad Zarif sagte kurz nach dem Anschlag: „Natanz wird stärker sein als je zuvor, mit noch fortschrittlicheren Maschinen.“ Die in der Testphase befindliche IR-9 soll das Uran künftig 50-mal schneller anreichern als die ursprüngliche IR-1, die unter dem Iran-Deal von 2015 erlaubt ist. Als Reaktion auf den Anschlag wurden in Natanz „sechs Kaskaden mit bis zu 1.044 IR-2m-Zentrifugen und zwei Kaskaden mit bis zu 348 IR-4-Zentrifugen“ installiert, berichtet Reuters, was dem Anderthalbfachen beziehungsweise Doppelten der jeweils bisher installierten Zentrifugen entspricht.
Die zu erwartende Trotzreaktion des Iran illustriert bilderbuchartig, wie der israelische Bombenanschlag sein Resultat in seine ursprüngliche Begründung wiederkehrt. Wenige Tage nach dem Natanz-Anschlag verkündete der Leiter der Iranischen Atomenergieorganisation AEOI, Ali Akbar Salehi, der Iran habe Uran nun auf 60 Prozent angereichert, was technisch nur noch knapp unter den 90 Prozent Anreicherung liegt, die zum Bau von Atomwaffen nötig wäre. Stündlich würden neun Gramm angereichert. Bis auf die Anti-Iran-Falken in Israel und den USA behauptet niemand ernsthaft, dies sei tatsächlich ein Schritt hin zur iranischen Bombe – vielmehr herrscht Konsens darüber, dass es sich hier um den Aufbau von Verhandlungsmasse in zukünftigen Gesprächen zur Aufhebung von Sanktionen handelt sowie um „die Antwort auf eure Niedertracht“, wie es Präsident Rouhani in Richtung Israel formuliert.
Auch das Timing des Anschlags selbst ist alles andere als zufällig: Just in dieser Zeit begannen in Wien indirekte Gespräche zwischen der Biden-Administration und dem Iran darüber, wie beide Länder – ohne das Gesicht zu verlieren – wieder zu ihren Verpflichtungen unter dem Nuklearabkommen zurückkehren können. Der israelische Anschlag in Natanz sollte die Gespräche sabotieren, doch laufen diese unbeschadet und relativ konstruktiv weiter. Israels Obstruktionismus dient dem Ziel, den iranischen Geduldsbogen derart zu überspannen, dass auch Teheran den Verhandlungstisch umwirft und so wieder zu dem internationalen Paria wird, als den die israelische Propaganda seinen Erzfeind so gerne zeichnen will.
Bereits im Mai 2019, ein Jahr, nachdem Trump aus dem Iran-Deal (offiziell: JCPOA) ausstieg, begann Teheran, in fünf Schritten seine Verpflichtungen zurückzufahren, etwa indem mehr Kilogramm und auf einen höheren Grad angereichert oder mehr Zentrifugen installiert wurden. All diese Schritte sind technisch leicht umkehrbar. Sie waren die iranische Reaktion darauf, dass nicht nur die USA, sondern auch die anderen Vertragsparteien China, Deutschland, EU, Frankreich, Großbritannien und Russland den Iran-Deal verletzten, indem sie Teheran die zugesagten Handelserleichterungen nicht gewährten.
Ich möchte an dieser Stelle auf eine eklatante Irreführung unserer schreibenden Kolleginnen und Kollegen im Westen hinweisen: Nach ihrer Erzählung würde der Iran mit der Aussetzung seiner Verpflichtungen das Nuklearabkommen brechen, so lesen wir in sämtlichen großen westlichen Gazetten. Irans Außenminister, der diese Lüge jedes Mal redigiert, wird dafür verspottet; ebenso Präsident Rouhani, der auch nach Bekanntgabe der 60-Prozent-Anreicherung jüngst erneut versichert: „Was wir machen, ist legal.“ Das mag in westlichen Ohren sonderbar klingen, doch rechtfertigt Teheran sein Handeln stets mit Artikel 36 des JCPOA, der jeder Vertragspartei das Recht einräumt, „ihre Verpflichtungen ganz oder teilweise auszusetzen“, wenn sich die anderen Parteien einer „signifikanten Nichterfüllung“ ihrer Vertragsverpflichtungen schuldig machen. Wir können uns nach Belieben über Teherans Aussetzung seiner Verpflichtungen moralisch empören, doch handelte der Iran stets im Einklang mit dem Völkerrecht – alle anderen Parteien brechen jeden Tag das Völkerrecht. Es kann nicht oft genug darauf hingewiesen werden.
Eine Randnotiz: Ich möchte über dieses Verhalten meiner Kolleginnen und Kollegen der schreibenden Zunft nicht urteilen, doch fallen mir spontan zwei mögliche Gründe ein: Entweder ist es Faulheit, die Dokumente, über die sie schreiben und auf deren Grundlage sie den Iran des Völkerrechtsbruchs beschuldigen, im Original nicht zu studieren. Oder sie sind sich der Existenz des Paragraphen 36 sehr wohl bewusst und ergehen sich demnach in vorsätzlicher Irreführung und aus ideologischen Gründen in anti-iranischer Propaganda. Ersteres würde journalistische Inkompetenz belegen, Zweiteres Kollaboration im staatlichen Konfrontationskurs respektive Kriegseintrittspropaganda – beides ließe tief in das Berufsethos des westlichen Journalismus blicken.
Heiko Maas vs. Vereinte Nationen
Ein wesentlicher Kritikpunkt rechter Agitatoren gegen den Iran-Deal lautet, dass er weder das ballistische Raketenprogramm des Iran noch dessen expansive Aktivitäten im Nahen Osten umfasst, was beides bekanntlich auch nie das Ziel war: Maximales Herunterschrauben des iranischen Nuklearprogramms gegen Aufhebung der Sanktionen, so lautete der Deal, an dessen Vorgaben sich Teheran – im Gegensatz zu allen anderen Parteien – bis Mai 2019 penibel hielt, wie die Internationale Atomenergie-Organisation IAEA zwölf Mal bestätigte. Ein Jahr zuvor, im Mai 2018, stieg Donald Trump aus dem Deal aus, fuhr seine „maximum pressure“-Politik der illegalen Sanktionen und setzte so die Eskalationsspirale in Gang, die uns kausal direkt zum jüngsten Bombenanschlag auf Natanz führte.
Präsident Rouhani versicherte stets, der Iran werde seine Verpflichtungen wieder vollständig erfüllen, sollten die USA Trumps illegale Sanktionen zurücknehmen – eine Chance, die unbedingt ergriffen werden muss. Doch anstatt hier als ehrlicher Broker zu agieren und den Iran-Deal zu retten, schlug die Bundesregierung in den Eskalationskurs Washingtons ein. Bereits im Dezember 2020 biedert sich Außenminister Heiko Maas (SPD) an den doch eigentlich so verhassten Präsidenten Trump an: „Eine Rückkehr zum bisherigen Abkommen wird nicht ausreichen. Wir haben klare Erwartungen an Iran: keine Nuklearwaffen, aber auch kein ballistisches Raketenprogramm, das die ganze Region bedroht. Außerdem muss Iran eine andere Rolle in der Region spielen.” Der deutsche Außenminister kann natürlich Erwartungen, Wünsche und Träume haben, wie es ihm beliebt, nur gibt es ein Problem: Als Forderung und Vorbedingung an den Iran formuliert sind seine „klaren Erwartungen“ völkerrechtswidrig. Denn: Der Iran-Deal ist nicht „nur“ ein Vertrag zwischen Iran und sieben Weltmächten, sondern in Resolution 2231 des UN-Sicherheitsrats verbrieft und damit für alle Länder dieser Welt völkerrechtlich bindend.
Zum weiteren Verständnis ein kurzer Abstecher zu den zwei Kritikgründen, iranische Raketen und Teherans Unterstützung von Milizen in Nahost. Diese tragen in ihrem Kern das alte Dilemma der Geo- und Sicherheitspolitik: Des einen Defensive ist durch des anderen Brille Offensive. Wer Irans misstrauisches Verhalten im Hier und Heute verstehen will, muss sich das Jahrzehnt nach der Islamischen Revolution 1979 ansehen, den Iran-Irak-Krieg 1980–1988: Mit deutschem Giftgas und Geheimdienstinformationen der CIA führte Saddam Hussein einen brutalen Giftgaskrieg gegen den Iran. Bis auf Nordkorea und Syrien von der gesamten Welt verraten, flehte Teheran diese Welt an, ballistische Raketen zu erhalten, um doch wenigstens seine Zivilbevölkerung vor Saddams Gasbeschuss verteidigen zu können. Vergeblich. Am Ende starben bis zu einer Million Menschen, mehr als Hunderttausend allein am Gas. Westliche Akteure arbeiten seit der Revolution von 1979 daran, das iranische Regime zu Fall zu bringen – und schrecken dabei selbst vor der Komplizenschaft an Giftgasmassakern nicht zurück. Das ist der Grund, warum der Iran autark Raketen baut und sich in der Region ein Netzwerk aus Proxy-Milizen hält.
Gesagtes soll das Verhalten des Iran keineswegs rechtfertigen, sondern rational erklären, es soll geopolitische Realitäten anerkennen: Teherans Verhalten ist das, was Iran-Experte Michael Lüders „Vorwärtsverteidigung“ nennt – Irans einzige Rückversicherung, sich nicht in die lange Liste der vom westlichen Imperialismus überfallenen Staaten einzureihen, nicht zum neuen Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien zu werden. Wir können uns über Raketen und Milizen moralisch empören – aus reinem Selbstschutz wird Teheran beides nicht aufgeben.
Wenn Heiko Maas nun exakt die Trump’schen Talking Points übernimmt, missachtet er diese Realitäten vollends und schwenkt auf den Kriegskurs der Anti-Iran-Falken in Washington und Jerusalem ein. Wenn er das Ende seines eigenen Völkerrechtsbruchs an vollkommen illusorische Forderungen an Teheran knüpft, tritt er genau wie die rechten Hetzer Trump und Netanyahu eben dieses Völkerrecht mit Füßen – die vermeintlich werte- und regelbasierte Weltordnung, die Politikerinnen und Politiker im liberalen Westen stets heraufbeschwören. Selbst der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages urteilte in einem völkerrechtlichen Gutachten vom Juni 2018 unmissverständlich: „Die rechtliche Verbindlichkeit der Vereinbarungen des JCPOA könnte allein der VN-Sicherheitsrat wieder aufheben.“ Wer gibt Heiko Maas das Recht, sich über die UN hinwegzusetzen? Welch eine Arroganz und Anmaßung, in unserer aller Namen unilateral das Umschreiben von UN-Resolutionen zu fordern.
Zurück zum Natanz-Anschlag. Außenminister Zarif spricht hier genau wie Präsident Rouhani vollkommen zutreffend von „nuklearem Terrorismus“. Diese Formulierung kann als iranische Propaganda abgetan werden, nur ist sie zweifelsohne akkurat. Wenn Al-Qaida einen Bombenanschlag auf die einzige deutsche industrielle Urananreicherungsanlage Gronau in NRW durchführen würde, würden wir natürlich von Terrorismus sprechen; führte – rein hypothetisch – Schweden den Anschlag aus, sprächen wir von Staatsterrorismus. Wenn Israel nun Bombenanschläge in iranischen Atomanlagen begeht, ist es selbstredend genau das: Staatsterrorismus. Ein Blick zurück.
Die lange Geschichte israelischen Staatsterrorismus
Das iranische Nuklearprogramm blickt auf eine ereignisreiche Geschichte israelischen Staatsterrorismus zurück, ausgeführt oft in Kollaboration mit Washington. Allein im Frühsommer 2020 ereigneten sich innerhalb weniger Tage mehrere konzertierte Brand- und Bombenanschläge sowie Cyberattacken auf iranische Infrastrukturen wie Kraftwerke, medizinische Einrichtungen, Chemiefabriken, Zentrifugenmontageanlagen und wie jüngst bereits auf die Nuklearanlage in Natanz. Zumeist wurde bei diesen Anschlägen glaubwürdig Israel als Täter ausgemacht. 2007 berichtete die London Times unter Berufung auf „mehrere israelische Militärquellen“ exklusiv, die israelische Luftwaffe trainiere bereits die vollständige Zerstörung der größtenteils unterirdisch gelegenen Natanz-Atomanlage mittels des Einsatzes bunkerbrechender taktischer Nuklearwaffen. Um 2010 herum setzte der von Israel und den USA entwickelte 50 Millionen Dollar teure bösartige Computerwurm Stuxnet rund 1.000 Zentrifugen in Natanz außer Betrieb (Operation Olympic Games), bevor er durch einen Programmierfehler aus Natanz ausbrach und weltweit über 200.000 Rechner infizierte. Mit dem israelisch-US-amerikanischen Stuxnet-Terroranschlag auf Natanz wurde Obama damit der erste US-Präsident, der „wiederholt Cyberwaffen einsetzte, um die Infrastruktur eines anderen Landes lahmzulegen“, wie die New York Times damals schrieb.
Neben Angriffen auf iranische Nuklearinfrastruktur nutzt Israel eine weitere staatsterroristische Taktik: die Hinrichtung iranischer Wissenschaftler. Insgesamt tötete der israelische Geheimdienst aller Wahrscheinlichkeit nach seit 2007 mindestens sechs hochrangige iranische Nuklearwissenschaftler, die tatsächliche Zahl liegt wohl darüber. Der erste unter ihnen war der angesehene Professor für Elektrodynamik, Ardashir Hosseinpour, der laut dem US-Geheimdienst-Thinktank Stratfor 2007 durch „radioaktive Vergiftung“ in einer „Geheimoperation“ des Mossad getötet wurde. Zwischen 2010 und 2012 gab es mehrere Anschläge Israels, bei denen vier iranische Wissenschaftler getötet und einer schwer verletzt wurde; die Modi Operandi: zweimal wurden Magnetbomben an die Autos der Opfer angebracht, einmal eine ferngezündete Bombe in der Nähe detoniert und einmal feuerte ein Agent von seinem Motorrad in einem Drive-by-Shooting auf die Familie des Opfers. Mehrfach wurden bei diesen Attentaten auch die Frauen der Wissenschaftler verletzt. Iran beschuldigte jedes Mal den israelischen Mossad hinter den Mordanschlägen, teils bestätigte dieser die Vorwürfe indirekt, teils kam die Verifizierung von anderen westlichen Diensten. 2015 wurde laut iranischen Behörden ein ähnlicher Anschlag vereitelt. Und im jüngsten dieser Fälle wurde im November 2020 Mohsen Fakhrizadeh, der „Vater des iranischen Atomprogramms“, nahe Teheran hingerichtet. Seine geschützte schwarze Nissan-Limousine wurde mit Kugeln durchsiebt, auch sollen mehrere Bodyguards getötet worden sein. Im April 2018 sprach Netanyahu in einem PowerPoint-Vortrag in ominösen Worten über Fakhrizadeh, deren Bedeutung nun glasklar ist: „Remember that name.“ – eine politische Hinrichtung mit Ansage.
Derartige Meldungen verpuffen in der westlichen Medienlandschaft recht schnell, für die Perspektive: Versuchen Sie bitte, sich einen Moment lang das Medienecho vorzustellen, würden iranische Söldner in Tel Aviv, New York oder Berlin auf offener Straße ein Blutbad anrichten und israelische, US-amerikanische oder deutsche Wissenschaftler exekutieren.
Welch schwindelerregende Ausmaße die terroristische Energie der israelischen Führung annehmen kann, um den Iran zu schwächen, offenbart ein im Januar 2012 vom Fachblatt Foreign Policy enthüllter Spionagethriller, der ebenso aus der Feder einer Hollywood-Regisseurin hätte stammen können. Unter dem treffenden Titel „False Flag“ berichtet Geheimdienstexperte Mark Perry über streng geheime CIA-Memos bezüglich Aktivitäten des Mossad in den Jahren 2007 und 2008. Demnach trafen sich israelische Agenten in London und anderen europäischen Metropolen mit hochrangigen Vertretern der pakistanisch-iranischen Terrororganisation Jundallah („Soldaten Gottes“), die mittels brutalster Anschläge für den Tod vieler Hundert Menschen im Iran und Pakistan verantwortlich ist und sich 2014 dem IS anschloss. Ziel dieser konspirativen Treffen war es, für die israelische Regierung Jundallah-Kämpfer zu rekrutieren, die daraufhin unter falscher Flagge Mordanschläge gegen iranische Staatsbürger ausführen sollten. Um jedoch die Spuren zur Olmert-Regierung in Jerusalem zu verwischen, gaben sich die Mossad-Agenten als CIA-Mitarbeiter aus. Sie hatten gefälschte US-Pässe und Taschen voller Dollarbündel im Gepäck und ließen die Terroristen in dem Glauben, Washington würde sie für Anschläge im Iran rekrutieren. George W. Bush sei „regelrecht explodiert vor Wut“, als er von der Operation erfuhr, da der Mossad mit dieser Aktion Vergeltungsschläge provozieren und so US-Bürger in Lebensgefahr bringen konnte. Von der Tatsache, dschihadistische Terroristen als Söldner für politische Auftragsmorde zu rekrutieren, einmal abgesehen: Dies unter falscher Flagge der eigenen Schutzmacht USA zu tun, ist an Dreistigkeit kaum zu übertrumpfen. Konsequenzen für Israel gab es keine.
In zeitlicher Folge dieser Mossad-Jundallah-Verschwörung kam es zu einer Vielzahl von Terroranschlägen auf Zivilisten, Militärs, Wissenschaftler und Regierungsmitglieder im Iran, darunter Massenentführungen, Exekutionen, sowie Bomben- und Selbstmordanschläge: Im Dezember 2008 entführte die Jundallah 16 iranische Polizisten und richtete sie auf bestialische Weise hin. Im Mai 2009 wurden bei einem Selbstmordanschlag in einer schiitischen Mosche in der südiranischen Provinzhauptstadt Zahedan mindestens 25 Menschen durch Jundallah getötet. Im Oktober 2009 tötete ein Jundallah-Selbstmordattentäter 42 Menschen in der Provinz Sistan und Belutschistan im Südosten Irans, darunter hochrangige Offiziere der Iranischen Revolutionsgarden – der blutigste Terroranschlag im Iran seit den 1980ern. Im Juli 2010 wurden bei einem Doppel-Selbstmordanschlag der Jundallah vor einer Moschee in Zahedan 26 Menschen getötet und über 300 verletzt. Im Dezember 2010 tötete die Jundallah in einem Selbstmordanschlag auf eine Moschee in Tschahbahar 41 Menschen, viele Kinder darunter, 100 weitere wurden verletzt. Viele weitere Anschläge mit vielen Toten folgten. Es ist kaum möglich, retrospektiv im Einzelnen zu rekonstruieren, ob und, wenn ja, in welchem Maße die Kollaboration des Mossad mit der Jundallah einen Einfluss auf diese blutigen Anschläge hatte, doch ist es mehr als bezeichnend nachzuskizzieren, mit welch einer Mörderbande die israelische Regierung ins Bett steigt, um ohne jeden Skrupel gegen ihren Erzfeind Iran vorzugehen.
Säbelrasseln auf offener See
In den Tagen nach dem Anschlag auf Natanz überschlugen sich die Ereignisse: Teheran schwor Rache. Diese sollte nicht lange auf sich warten lassen und fiel wie schon die Reaktion auf Trumps Hinrichtung von General Qassem Soleimani im Januar 2020 – als der Raketenbeschuss auf eine US-genutzte Basis im Irak bewusst so ausgeführt wurde, dass keine Personen zu Schaden kamen – verhältnismäßig moderat aus: Am 13. April wurde das mit Autos beladene 200-Meter-Frachtschiff Hyperion Ray des israelischen Geschäftsmanns Rami Ungar mittels Drohne oder Raketenbeschuss attackiert, wie die israelische Haaretz berichtete. Israel beschuldigt den Iran, hinter dem Angriff zu stecken. Das Schiff lag in internationalen Gewässern vor dem emiratischen Fujairah Port und wurde bei dem Angriff leicht beschädigt. Laut den Schiffs-Tracking-Websites MarineTraffic und MyShipTracking hat die Hyperion Ray den Hafen Hambantota in Sri Lanka als Ziel, doch liegt sie seit dem Angriff vor der Küste Fujairahs fest. Auch in den Wochen zuvor gab es mehrere Angriffe auf israelische und iranische Schiffe in der Region, zu denen sich niemand offiziell bekannte und die an die Hocheskalationsphase im Frühjahr 2019 erinnerten, als eine Vielzahl ziviler Schiffe im Golf von Hormuz auf weiterhin ungeklärte Weise attackiert wurden.
Seit Jahren führt Israel einen verdeckten Krieg gegen den Iran. Dieser wird mittels Cyberkrieg, Sabotageaktionen und diversen staatsterroristischen Anschlägen geführt. In den vergangenen Jahren kamen hundertfache Luftschläge gegen iranische Stellungen in Syrien dazu. Seit kurzem findet eine Strategieverschiebung statt: „Israels Schattenkrieg gegen den Iran zieht aufs offene Meer hinaus“, titelt die New York Times treffend. So griff Israel am 6. April den iranischen Frachter Saviz vor der jemenitischen Küste mit einer am Schiffsrumpf befestigten magnetischen Mine an. Die israelische Regierung räumte den Angriff gegenüber US-Offiziellen sogar ein, wie die New York Times berichtet, und sprach von „Vergeltung“ für einen Angriff auf das israelische Containerschiff Lori im Arabischen Meer, das Ende März mutmaßlich von einer iranischen Rakete getroffen wurde. Erst am Samstag beschoss vermutlich eine Drohne einen iranischen Öltanker im Mittelmeer nahe der syrischen Baniyas-Raffinerie, wobei mutmaßlich mindestens drei Syrer getötet wurden.
Seit 2019 griff Israel mindestens zehn zivile iranische Schiffe an, berichtet die New York Times unter Berufung auf israelische und US-amerikanische Regierungs-Insider, wobei die tatsächliche Zahl bei Angriffen auf über 20 Schiffe liegen dürfte. Die meisten dieser Schiffe waren Öltanker auf dem Weg nach Syrien und wurden von Spezialeinheiten der israelischen Navy angegriffen. Doch die iranischen Angriffe genau „wie die israelischen waren offenbar nicht dazu gedacht, die Schiffe zu versenken, sondern eine Message auszusenden“, schreibt die New York Times. Wir befinden uns in einer gefährlichen Eskalationsspirale, in der zivile Schiffe für militärische Machtgeplänkel missbraucht werden und dabei – neben der potentiellen Auslösung von Umweltkatastrophen – jedes Mal Zivilisten an Bord der Frachter in Lebensgefahr gebracht werden. Wie lange dieses leichtsinnige Säbelrasseln noch „gut“ geht, kann niemand sagen: Was geschieht, wenn bei solch einer Aktion ein iranischer Öltanker ungewollt tatsächlich im Mittelmeer versenkt wird? Was, wenn ein israelisches Containerschiff voller deutscher Autos auf den Grund des Arabischen Meeres sinkt? Bei Machtspielchen so scharf vor einem offenen Krieg können kleinste Fehler katastrophale Folgen haben.
Netanyahus Kriegskurs könnte die gesamte Region Nahost mit einem Flächenbrand überziehen. Wie bezeichnend: Während in Wien versucht wird, den von Trump angerichteten Scherbenhaufen zu kitten, begeht Netanyahu einen Terroranschlag auf eine Nuklearanlage. Der altgediente Kolumnist Simon Tisdall fragte jüngst im britischen Guardian: „In einer Region, die für all ihre Kriegstreiber und Tyrannen berühmt ist – wer ist derzeit der gefährlichste Mann im Nahen Osten?“ Es seien weder Assad noch bin Salman noch Erdoğan. Nein, der „danger man“-Titel geht an Benjamin Netanyahu. Angesichts dessen, was Mohammed bin Salman im Jemen so treibt, muss man diese Einschätzung nicht unbedingt teilen. Doch eines steht ohne Zweifel fest: Ein potentieller Irankrieg – Netanyahus Endgame, seine Obsession, auf die er seit Jahrzehnten voller Fanatismus hinarbeitet – würde im Ausmaß an Tod und Zerstörung alles in den Schatten stellen, was wir im Pulverfass Nahost jemals erlebt haben. Netanyahu zündelt ohne Sinn und Verstand. Seine gesamte Regierung ist gemeingefährlich.
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