Hochschulbildung und soziale Ungleichheit
Eine Powerpointpräsentation von Andrä Wolter [PDF – 870 KB] im dem Workshop „Bildung für alle?“ der Hans-Böckler Stiftung und der IG Metall Frankfurt, am 27./28. September 2010.
- Mit der Bildungsexpansion war die Hoffnung verbunden, die sozialen Disparitäten in der Beteiligung an Hochschulbildung zu reduzieren.
- Diese Hoffnung hat sich nur teilweise realisiert. Tatsächlich wird die soziale Zusammensetzung der Studierenden in
- Deutschland trotz Expansion exklusiver -auch ein Ergebnis früherer Wellen der Bildungsexpansion.
- Das bildungspolitische und wissenschaftliche Interesse konzentriert sich dabei stark auf den Hochschulzugang. Über soziale Selektivität während des Studiums und beim Übergang in den Arbeitsmarkt/Beruf gibt es noch recht wenig empirische Evidenz.
- Die Schwelle des Hochschulzugangs ist ein Teil der selektiven Organisation des gesamten Bildungssystems in Deutschland.
- Im internationalen Vergleich ist die Selektivität des Hochschulzugangs in Deutschland gering. Die „eigentliche“ Selektion findet im Schulsystem statt.
- Das Studienberechtigtenpotenzial ist aufgrund dieser Selektion bereits erheblich sozial vorgefiltert. Dennoch bildet auch die Hochschulzulassung noch eine Hürde. Zur Selektion im Studium (Erfolg, drop-out) sind die Befunde uneinheitlich.
- Beim Hochschulzugang greifen –wie im Schulsystem –primäre und sekundäre Mechanismen ineinander.
Die soziale Differenzierung entkoppelt sich mehr und mehr von sozioökonomischen Merkmalen und verläuft vor allem entlang des Merkmals „akademischer Bildungs-/Berufsstatus der Eltern“ (→„bildungsfern“).
Strategien zur sozialen Öffnung des Hochschulzugangs:
- Reduktion primärer und sekundärer Herkunftseffekte in der Schullaufbahn
- Ausbau von Wegen zur Hochschule, die über „berufliche“ Bildungseinrichtungen (z.B. Berufs-/Fachgymnasien) direkt zur Studienberechtigung führen → unterschiedliche soziale Selektivität von Schulformen
- Reduktion sekundärer Ungleichheitseffekte beim Hochschulzugang (z.B. durch Studienfinanzierung)
- Maßnahmen, die an der Struktur des Hochschulsystems oder des Studiums ansetzen
- Alternative Wege zur Studienberechtigung, die Personen ohne schulische Studienberechtigung, aber mit beruflicher Qualifikation eine „zweite“ Chance eröffnen
Befunde zur sozialen Wirksamkeit alternativer Formen des Hochschulzugangs
- Hochschulsysteme, die sich insgesamt durch eine höhere soziale Offenheit auszeichnen, weisen auch höhere Anteile nicht-traditioneller Studierender auf.
- In Deutschland fallen alternative Formen des Hochschulzugangs so schmal aus, dass davon keine Korrektur der sozialen Disparitäten ausgeht.
- Studien zeigen, dass der Anteil der Arbeiterkinder/ Studierenden aus den „unteren“/ „bildungsfernen“ Schichten tendenziell etwa doppelt so hoch ist wie auf regulären Zugangswegen.
- Aber auch hier zeigen sich abgeschwächt die herkömmlichen Rekrutierungsmuster.
- Intergenerationaler Mobilität geht oft eine intragene-rationale Mobilität voraus: Arbeiterkind > mittlerer Schulabschluss > qualif. Dienstleistungsberuf > Studienberechtigung und Studienaufnahme.
- Während der Arbeiterkinderanteil noch recht hoch ausfällt, ist der Anteil der Studierenden aus industriellen/gewerblichen Berufen sehr gering.
- Alternative Hochschulzugänge erfüllen eher eine individuelle Ventil- als eine soziale Korrekturfunktion.
Schlussfolgerungen
- Fazit: Nach wie vor gibt es ein hohes Ausmaß an sozialen Disparitäten in der Beteiligung an Hochschulbildung.
- Die Hochschule ist immer mehr zu einer Institution geworden, die nicht mehr primär dem sozialen Aufstieg, sondern der „Vererbung“ (Reproduktion) des in der Familie schon vorhandenen akademischen Bildungskapitals dient. Bedeutsam dafür sind vor allem sozio-kulturelle Einflussfaktoren.
- Die sozialen Disparitäten werden vor allem im Schulsystem kumulativ aufgebaut, die Selektionsfunktion des Hochschulzugangs ist vergleichsweise gering.
- Die Beantwortung der Frage, ob das Ausmaß an sozialer Ungleichheit beim Hochschulzugang zu- oder abgenommen hat, fällt unterschiedlich aus –sie hängt vom Vergleichszeitraum ebenso ab wie von der Berechnungsart.
- In jedem Fall gibt es ein hohes Potenzial an Jugendlichen, die für ein Studium geeignet wären, aber keine Studienberechtigung erwerben oder kein Studium aufnehmen.
- Nicht zu unterschätzen ist die Funktion der öffentlichen Studienförderung.
- Erklärungsbedürftig ist die hohe historische Kontinuität sozialer Ungleichheitsstrukturen beim Hochschulzugang über alle gesellschaftlichen Veränderungen hinweg.
- Es gibt in unserer Gesellschaft einen heftigen Kampf um die Verteilung des Bildungskapitals –um die Statusdistributionsfunktion des Bildungssystems.
- Die Bildungsexpansion führt zu einer stärkeren Konkurrenz um den Zugang zu den „privilegierten“ sozialen und beruflichen Positionen. Knappheit an höheren Zertifikaten und Berechtigungen vermindert den Konkurrenzdruck.
- Die Auseinandersetzung wird über weite Strecken dadurch geführt, dass externe Funktionen von Bildungseinrichtungen in interne transformiert werden (Eignung, Leistung, Studierfähigkeit u.a.) –ein Mechanismus symbolischer Gewalt (Bourdieu).
Andrä Wolter ist Professor an der Fakultät Erziehungswissenschaften der Technischen Universität Dresden.