Verraten und verkauft – ein Weckruf von Wolfgang Bittner

Verraten und verkauft – ein Weckruf von Wolfgang Bittner

Verraten und verkauft – ein Weckruf von Wolfgang Bittner

Ein Artikel von Winfried Wolk

„Deutschland, verraten und verkauft“ – das ist der Titel des gerade erschienenen Buches von Wolfgang Bittner. Anfangs erschreckte mich diese unverblümte Benennung eines bedenklichen und eigentlich inakzeptablen Zustandes. Konnte man so etwas über ein Land sagen, das zu den mächtigsten Industriestaaten der Welt gehört, das zu den führenden Ländern der westlichen Wertegemeinschaft zählt und von einer Frau regiert wird, die vom US-Magazin »Forbes« gerade zum zehnten Mal zur „mächtigsten Frau der Welt“ gekürt worden war? Von Winfried Wolk.

Nun mag das Letztere nicht wirklich etwas bedeuten, hatte doch genau zu dem Zeitpunkt, als Bittners Buch auf den Markt kam, diese „Mächtigste“ mit ihrer Bitte um Verzeihung für eine getroffene Entscheidung das offensichtlich dilettantische Agieren der politischen Eliten unseres Landes offenbart und damit selbst die Notwendigkeit einer solch kritischen Auseinandersetzung mit den politischen und gesellschaftlichen Zuständen im Lande gerechtfertigt, genauso, wie Wolfgang Bittner das in seinem neuesten Buch getan hat.

Was ist das für ein Land, dieses Deutschland, fragt sich Bittner, gräbt in der Geschichte und fördert Fakten zutage, die ganz aktuelle und weltgeschichtliche Dimensionen besitzen. Schon der im Titel gewählte Begriff „Deutschland“ offenbart einen Teil des Dilemmas. Offiziell heißt das Land „Bundesrepublik Deutschland“, wobei der zweite Teil des Namens umgangssprachlich gern weggelassen wird. Auch das nach dem infolge der Kriegsniederlage untergegangene Kaiserreich durch den Versailler Vertrag enorm geschwächte, neu gebildete deutsche Staatsgefüge wird ebenfalls bis heute nicht „Deutschland“ genannt, sondern „die Weimarer Republik“. Die heutige Situation in der Gesellschaft erscheint irgendwie mit der damaligen vergleichbar, auch wenn viele Komponenten anders sind. Damals erzeugte die gewollte totale, nationale und wirtschaftliche Schwächung eine brachial-nationalistische Entwicklung, führte zur faschistischen Diktatur, in eine zweite große Weltkatastrophe, zur Teilung Deutschlands und der gesamten Welt.

Die politischen Akteure wissen zwar, dass aggressive Aktionen immer auch aggressive Reaktionen erzeugen, lassen aber dennoch nicht von ihrem verderblichen Tun. Sie glauben, dass es den von ihnen abhängigen Medien gelingt, die provozierten Reaktionen als bösartige Aktionen darzustellen, die weitere Handlungen begründen. Die Historie ist voller solcher Geschichten, auch wenn die Mächtigen bemüht sind, diese unschönen Dinge unter den Teppich zu kehren, alternative Informationsmedien zu manipulieren und mit entsprechenden Zensurmaßnahmen zu disziplinieren und die, die Wahrheiten verkünden, mit allen Mitteln mundtot zu machen. Die Schicksale von Julian Assange, Edward Snowden und Chelsea Manning sind erschütternde Beispiele. Im Moment sieht Deutschland und die Welt nicht wirklich gut aus. Wolfgang Bittner führt uns das in seinem neuen Buch sehr eindringlich vor Augen, benennt die Umbrüche und Verwerfungen, aber auch die Drahtzieher der Konzepte und deren Strategien.

Ich war noch ein Kind, damals, als die außerordentlich schwierige Kriegsfolge- und Umbruchszeit Deutschland in Agonie versetzte. Später erst erfuhr ich, dass vieles nicht so war, wie ich es von meinen Eltern gehört hatte, und begriff, nicht wir Deutschen waren die Opfer, wir waren zuerst brutale Täter, hatten nicht nur Polen, sondern auch die Sowjetunion vertragsbrüchig überfallen, dort unglaubliche Zerstörungen angerichtet und 27 Millionen Tote hinterlassen. Das Leid, das wir nun ertragen mussten, war die Folge des Leids, das wir Anderen zuvor zugefügt hatten.

Der Ostteil Deutschlands, in dem ich aufwuchs und mehr als die Hälfte meines Lebens zugebracht habe, war nach dem Krieg die sowjetische Besatzungszone, später die DDR. Dieser Landesteil hatte die berechtigten Reparationsforderungen der östlichen Siegermacht, die das darniederliegende Land noch mehr schwächten, zu erbringen. So glaubte ich immer, dass die Attributierung „verraten und verkauft“ eigentlich immer nur diesem Landesteil zugeordnet werden konnte, auch weil die westlichen Brüder und Schwestern, die von ihren Besatzungsmächten weitgehend von Reparationsleistungen befreit worden waren, nun die im ostdeutschen Teilland lebenden Landsleute diese Last allein schultern ließen. Und nicht nur das, mit den auf Geheiß ihrer Besatzungsmächte verhängten Embargos und Boykotten erschwerten sie zusätzlich das Leben der Menschen in diesem wirtschaftlich viel schwächeren Teil Deutschlands, das nun die westdeutschen Politiker herablassend „Zone“ nannten. Dabei sollte nach den Beschlüssen der Siegermächte in Jalta das besiegte Deutschland als wirtschaftliches Ganzes erhalten bleiben. Dass getroffene Vereinbarungen von der westlichen Führungsmacht einfach ignoriert werden, wenn das die aktuelle Strategie erfordert, gehört leider zu den üblichen politischen Praktiken und ist und war immer auch die Ursache aller Spannungen.

Wolfgang Bittner listet in seinem Buch präzise die eigentlich Jedem zugänglichen Fakten auf, mit denen die führende Macht der „westlichen Wertegemeinschaft“ seit über einem Jahrhundert die gesamte Welt unter ihre Herrschaft zu bringen versucht. Das seit der Oktoberrevolution als Erzfeind betrachtete östliche russische Riesenreich stand und steht dabei wegen seiner überreichen Ressourcen im Zentrum der Begehrlichkeiten. Bereits unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges planten sowohl England (Operation Unthinkable) als auch die USA (Operation Totality, Operation Dropshot) einen neuen großen Krieg gegen den ehemaligen Verbündeten im Osten, da die Hoffnung nicht aufgegangen war, dass sich Deutschland und die Sowjetunion im Krieg gegenseitig neutralisieren würden.

Da diese Vorhaben aus verschiedenen Gründen nicht umzusetzen waren, wurde eine langfristige Strategie permanenter Konfrontation entwickelt, um trotzdem irgendwie zum Ziel zu kommen. Ohne Absprache mit dem östlichen Vertragspartner konstruierten die westlichen Siegermächte 1948 auf der Londoner Sechsmächtekonferenz deshalb ein separates staatliches Gebilde aus den drei westlichen Besatzungszonen, um es als Frontstaat und „unsinkbaren Flugzeugträger“ im längst entfachten Kalten Krieg einsetzen zu können. Mit weiteren Maßnahmen, wie der separaten Währungsreform und der Gründung der NATO 1949, die sich zwar heuchlerisch „Verteidigungsbündnis“ nannte, dessen konfrontative Ausrichtung aber eindeutig auf die östliche Großmacht zielte, wurde die Spannung weiter verschärft, wobei die folgerichtige Reaktion der Gegenseite schon damals als die eigentliche, schändliche Aktion verteufelt wurde. Dabei vollzogen die ausgewählten deutschen Politiker über vierzig Jahre der Teilung gleichermaßen gehorsam die Vorgaben ihrer Besatzungsmächte in Ost- und Westdeutschland. Allerdings möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass die östliche Siegermacht Sowjetunion 1952 mit der „Stalin-Note“ den Westmächten ein Angebot unterbreitete, mit freien Wahlen die Teilung Deutschlands zu beenden, was aber als bloße Propagandamaßnahme abgetan wurde. 1955 wurde die Bundesrepublik Mitglied der NATO, womit das westliche Militärbündnis direkt an der Nahtstelle der Einflussbereiche postiert wurde. Als Reaktion darauf rief die so provozierte Sowjetunion den Warschauer Pakt ins Leben.

Die friedliche Revolution der Ostdeutschen im Herbst 1989 schien die weltpolitische Situation grundlegend zu verändern, da die östliche Weltmacht darauf verzichtete, die sich abzeichnende Entwicklung zu unterbinden. So ergab sich nicht nur die Chance, die deutsche Teilung zu beenden und ein einheitliches deutsches Staatsgefüge zu schaffen, sondern endlich auch eine neue, ganz andere und friedliche Weltordnung. Der westlichen Zusage, die NATO „nicht einen Inch“ Richtung Osten auszuweiten, glaubten die führenden Politiker der Sowjetunion, gaben ihr Einverständnis zur deutschen Einheit, lösten das östliche Militärbündnis auf und entließen die östlichen Satellitenstaaten in die nationale Selbständigkeit. Damit waren die Voraussetzungen gegeben, dass jetzt endlich das lange herbeigesehnte, friedliche Zeitalter seinen Anfang nehmen würde. Das Wunder war geschehen, nirgends und für niemanden mehr war ein zu bekämpfender Feind in Sicht. Ich träumte davon, wie die unglaublichen, in Rüstung fehlinvestierten Ressourcen jetzt zum Wohle aller Menschen eingesetzt werden und Hunger und Not für immer aus der Welt verbannt sein würden.

Doch das war leider nur eine naive Hoffnung, die Wolfowitz-Doktrin „Defense Planning Guidance“ von 1992, die von Senator Edward M. Kennedy als „Aufruf zum amerikanischen Imperialismus des 21. Jahrhunderts“ beschrieben wurde, setzte ganz andere Ziele. Auch machten die West-Alliierten ihre Zustimmung zur deutschen Wiedervereinigung davon abhängig, dass auch weiterhin das nun wiedervereinigte Deutschland auf bestimmte Souveränitätsrechte verzichtet.

Damit war das neue, eigenständige, souveräne Deutschland nichts weiter als die alte, nun mit der aufgelösten DDR vergrößerte Bundesrepublik. Die vierzigjährigen Erfahrungen der Ostdeutschen wurden und werden weitgehend ausgeblendet und konnten so nicht zu einer Ost und West verbindenden neuen Qualität werden. So blieb es bei der nachkriegsbedingten Anbindung des Landes an die westlichen Siegermächte, und viele ostdeutsche Landsleute fühlten sich bald trotz der verheißungsvollen Verkündigung „blühender Landschaften“ und dem wunderschön klingenden Aufruf im Nationalhymnen-Vers, gemeinsam und brüderlich mit Herz und Hand nach Einigkeit und Recht und Freiheit zu streben, wieder verraten und verkauft. Dabei waren es doch sie, die die Entmachtung der SED-Bonzokratie zuwege gebracht und die Voraussetzungen für die Entflechtung der Machtblöcke und ein künftiges friedliches Miteinander erreicht hatten. Dass es bei der Vereinigung der beiden deutschen Staaten vor allem um eine Vereinnahmung mit möglichst optimalen Gewinnaussichten für einige Wenige ging, beweisen die Vorgänge um Minol, Kali+Salz und die Deutsche Seereederei, um nur einige gravierende Beispiele zu nennen.

Mittlerweile sind alle Staaten des ehemaligen Ostblocks in den westlichen Einflussbereich vereinnahmt, in Afghanistan herrscht seit 20 Jahren ein von den USA angezettelter „Krieg gegen den Terror“, der das Land völlig ruiniert, der Irak wurde in zwei Kriegen vollständig destabilisiert und damit zur Quelle des Terrorbündnisses IS gemacht, Jugoslawien durch von außen angeheizte ethnische und religiöse Spannungen zerschlagen, Libyen zu einem „failed state“ und Syrien in einen mittlerweile zehnjährigen, von einer von den USA angeführten Staatengemeinschaft arrangierten Krieg verstrickt. Bei fast all diesen Unternehmungen spielte und spielt das von US-amerikanischen NGO´s gegründete und finanzierte Organisationskonstrukt »Otpor!« eine dargestellt positiv-revolutionäre, aber in Wirklichkeit die Staatsstruktur der ausgewählten Länder zerstörende Rolle, deren Einvernahme damit ermöglicht werden soll. In über 30 Ländern wurden solch umstürzlerische Aktionen angezettelt, z.B. in Serbien, Georgien, Libanon, der Ukraine, den Malediven, Ägypten, Tunesien und Syrien. Zwar klingen die gewählten Namen, mit denen die zu Gewaltorgien eskalierenden Regime-Change-Bemühungen versehen werden, außerordentlich freundlich, wie „arabischer Frühling“ und diverse Farb- und Blumenrevolutionen. Doch sind das nicht mehr als PR-Etiketten, die das dabei vergossene Blut verdecken sollen, um eine gnadenlose Geopolitik durchzusetzen, die der nunmehr einzigen Weltmacht die unangefochtene Herrschaft sichern soll. Deshalb greift die USA nun auch nach Teilstaaten der ehemaligen Sowjetunion, installiert auf Linie gebrachte Politikermarionetten, in Georgien Micheil Saakaschwili, in der Ukraine Arsenij Jazenjuk, in Kirgisien Rosa Otunbajewa, in Litauen Dalia Grybauskaite. Auch für in anderen Ländern geplante Regimewechsel zauberte man solche Figuren aus dem Hut: für Venezuela Juan Guaido, für Russland Alexej Navalny und für Weißrussland, das jetzt Belarus heißen muss, Swetlana Tichanowskaja.

Die „souveränen“ europäischen Staaten engagierten sich bei diesem Tun gern und willig, obwohl sie nach Brzezinski nichts weiter waren als „weitgehend ein amerikanisches Protektorat…, dessen alliierte Staaten an Vasallen und Tributpflichtige von einst erinnern“, weshalb die westliche Führungsmacht die EU-Vertretungen abhört und das Mittun und das unbedingte, linientreue Verhalten mit ihren Geheimdiensten kontrolliert. Das ungeheure Ausmaß der Spionageaktionen sorgte für weltweites Entsetzen, führte aber zu keinen Konsequenzen, im Gegenteil. Auch die deutsche Bundeskanzlerin blieb bei ihrer Zusicherung der „unverbrüchlichen Freundschaft“, obwohl die USA das vereinte Deutschland Geheimdokumenten zufolge als Angriffsziel deklariert und ihm lediglich den Status „eines Verbündeten dritten Grades“ zugesteht (Spiegel.online am 30. Juni 2013). Dabei halfen doch lange schon deutsche Soldaten in Afghanistan, Sudan, Mali, im Kosovo und Syrien, das westliche Wertesystem durchzusetzen.

Alle diese Vorgänge analysiert Wolfgang Bittner in seinem Buch sehr genau, benennt Ursache und Wirkung und legt die historischen Wurzeln vieler der uns heute belastenden Umstände offen. Er beschäftigt sich vor allem intensiv mit der immer weiter wachsenden Kriegsgefahr durch provokative Aktionen. Nun stehen bereits NATO-Truppen an Russlands Westgrenze und führen ein Großmanöver nach dem anderen durch. Im Schwarzen Meer, das nicht zu den Territorialgewässern der USA gehört, kreuzen US-amerikanische Schlachtschiffe, äußerst dubiose Vergiftungsaktionen werden initiiert oder vorgetäuscht und harsche Sanktionen verhängt, die Ukraine-Krise wird weiter und weiter verschärft und die Schuld Russland angelastet.

Dabei überbieten sich die politische Elite Deutschlands und die deutschen Medien unterstützend in vorauseilender Ergebenheit, wie das auch in der Kommentierung der beiden zurückliegenden US-Wahlkämpfe überaus deutlich wurde. Von dieser Politik ist somit leider keine Veränderung zu erwarten, obwohl doch das vom ersten Generalsekretär der NATO, Lord Ismay, geprägte Leitmotto des NATO-Bündnisses „to keep the Russians out, the Americans in, and the Germans down“ bei den deutschen Politikern eigentlich nicht vergessen sein dürfte.

Der beängstigende politische Dilettantismus deutschland- und weltweit wird jetzt in der Corona-Krise erschreckend offenbar. Mit durch kühne Rechenoperationen erzeugten „Infektionszahlen“ wird vorsätzlich Panik ausgelöst, der logisch unverständliche, nicht durch Fakten begründete Maßnahmen folgen. Das gesellschaftliche Leben wird stranguliert und der Motor der kapitalistischen Wirtschaft mit unabsehbaren Folgen lahmgelegt.Wir sind verraten und verkauft, wir alle!

Wir haben es nicht gewusst, wird man irgendwann später sagen, wenn es irgendwann tatsächlich dieses Später geben wird. Was hätten wir denn tun können, wenn wir doch nichts gewusst hatten? So wird es heißen, wenn es denn später tatsächlich ein Später gibt. Wolfgang Bittner allerdings sendet mit seinem neuen Buch einen notwendigen, sehr ernst zu nehmenden Weckruf. Ich hoffe, dass er von vielen gehört wird.

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