Wer in den letzten Tagen Medien verfolgt hat, könnte glatt meinen, diese Woche sei eine Schicksalswoche für Deutschland. Die Unionsparteien und mit ihnen ihre Gremien und Verbände zoffen sich über die K-Frage und die Leitartikler sind aus dem Häuschen. Laschet oder Söder? Wer soll Kanzlerkandidat und eventueller Merkel-Nachfolger werden? Für einen Außenstehenden, der solche Fragen höchstens noch mit Zynismus betrachtet und den Politklatschbasen á la Robin Alexander oder Albrecht von Lucke bestenfalls amüsieren, ist diese Debatte ermüdend. Zwar verkauft sich Politik über Gesichter; der Versuch, die K-Frage analytisch zu betrachten, gleicht jedoch dem Versuch, einen Pudding an die Wand zu nageln. Welcher der beiden Großmeister des Opportunismus nun die C-Parteien in die Wahl führt, ist letztlich eher eine kosmetische Frage, da die Machtzentren im Hintergrund die gleichen bleiben. Ein Kommentar von Jens Berger.
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Für was steht eigentlich Armin Laschet? Zu dieser Frage könnten Qualitätsjournalisten großer Zeitungen sicher ganze Seiten füllen. Doch warum? Die interessantere Frage ist doch eigentlich: Steht Armin Laschet überhaupt für etwas? Hat er überhaupt Überzeugungen? Um sich diesen grundsätzlicheren Fragen zu nähern, reicht eigentlich bereits ein Blick auf seine Positionen zur Corona-Thematik. Solange es ihm opportun erschien, vertrat Laschet hier eine im Vergleich zu anderen CDU-Politikern eher differenzierte Linie. Schnell galt er in der öffentlichen Debatte als Kapitän des „Teams Öffnen“. Medien lieben solche Personalisierungen und Pauschalisierungen. Und da sein Konkurrent in der K-Frage sich gerne in der Öffentlichkeit als Kapitän des „Teams Vorsicht“ präsentiert, hatten die Medien mal wieder was zu schreiben. Wunderbar.
Doch wer nun denkt, Armin Laschet sei einer, der die Corona-Politik selbst kritisch oder zumindest differenziert sieht, sah sich schnell getäuscht. Kaum verfestigten sich in den Meinungsumfragen, durch das Trommelfeuer der Medien entfacht, die Mehrheiten für eine rigide Lockdown-Politik, warf der Kandidat seine vermeintlichen Überzeugungen über Bord und kündigte bedeutungsschwanger an, er wolle über Ostern erst einmal nachdenken. Was genau er über die Feiertage so dachte, ist nicht überliefert. Wahrscheinlicher ist ohnehin, dass er gar nicht nachdachte, sondern sich von seinen Wahlkampfmanagern und Parteifreunden überzeugen ließ, dass er nur dann Chancen auf die Kandidatur habe, wenn er auf dem Corona-Parkett eine flotte 180-Grad-Wende hinlegt. Geboren war der „Brücken-Lockdown“. Der Kapitän des „Teams Öffnen“ wechselte zum „Team Vorsicht“. In den USA nennt man solche Politiker „Flip-Flopper“, in Deutschland müsste man sie wohl Opportunisten nennen. Und Laschet ist ein wahrer Großmeister des Opportunismus.
Selbst in progressiven Kreisen hat man Laschet lange Zeit für seine vergleichsweise differenzierte Position in außenpolitischen Fragen gelobt. So sind von Laschet beispielsweise in der Tat Äußerungen zu Russland oder Syrien überliefert, die eigentlich die Hoffnung aufkeimen lassen könnten, hier handele es sich um einen Politiker mit Rückgrat, der zumindest in homöopathischen Dosen zu Differenziertheit fähig ist. Kaum standen ihm seine Äußerungen aber im Vorfeld der Wahl zum CDU-Vorsitz im Weg, distanzierte er sich in Windeseile von ihnen. Überzeugungen sind für einen Unionspolitiker, der als „Papabile“ gilt, Manövriermasse.
Hat Laschet überhaupt Überzeugungen? Wohl kaum. Wenn Laschet „gemäßigte“ Töne Richtung Moskau twitterte, war dies wohl eher auf den Einfluss der großen NRW-Politikbroker im Hintergrund wie RWE und E.ON zurückzuführen, als auf die Überzeugungen des Mannes, der sich selbst attestiert, „seit frühester Jugend transatlantisch sozialisiert“ worden zu sein. Und seine anfangs differenzierte Linie bei der Corona-Thematik dürfte ebenfalls keine Geburt aus Überzeugung, sondern eine Konzession an die Interessen der Wirtschaft gewesen sein. Aber mit dem Amt oder zumindest der Perspektive auf ein Amt ändern sich auch die Politbroker und deren Wünsche.
Und wie sieht es mit Markus Söder aus? Söder ist einer der wenigen Politiker, denen noch nicht einmal ein Armin Laschet in Sachen Opportunismus das Wasser reichen kann. Mal gibt er den Hardliner und Reaktionär, der beispielsweise in der Zeit der Flüchtlingskrise der aufstrebenden AfD mit harschen Sprüchen gegen Migranten Wähler abspenstig machen wollte. Mal gibt er den Grünfink, der die Bienen retten und mit flotten, aber wenig glaubwürdigen Umweltinitiativen den aufstrebenden Grünen Paroli bieten will. Im letzten Jahr hat sich Söder nun vor allem als Hardliner in Sachen Corona positioniert und dabei gezeigt, über welche Leichen er zu gehen bereit ist, um seine Umfragewerte zu pushen. Aber auch das ist wohl reine Machtpolitik. Jede Wette – sobald die öffentliche Meinung umschwenkt, wird Söder seine Fahne ebenfalls in den gedrehten Wind hängen und „vorsichtige Öffnungen“ fordern. Und das wird gar nicht mehr so lange dauern. Er ist nun einmal ein Opportunist.
Wofür Söder steht, was er denkt und ob er überhaupt Überzeugungen hat, bleibt bei all seiner durchaus geschickten Selbstvermarktung im Trüben. Fest steht nur, was und wohin Markus Söder will – nach ganz oben.
So gesehen sind sowohl Laschet als auch Söder Politiker des neuen Typs. Politiker, die keine Überzeugungen, keine Visionen und kein Rückgrat haben. Sie haben viel von der Kanzlerin gelernt und wahrscheinlich ließ das „System Merkel“ ohnehin nur derartige Opportunisten so weit nach oben kommen, dass sie die Kanzlerin dereinst beerben können.
Was wir für die K-Frage und eine mögliche Kanzlerschaft der beiden Diadochen erwarten können, ist also weniger eine Frage der Personen selbst, sondern eher eine Frage der Netzwerke und Machtzentren hinter diesen Personen. So muss man sich beispielsweise die Frage stellen, warum ausgerechnet ein Friedrich Merz nun so vehement für Armin Laschet eintritt. Und warum bekennt sich Norbert Röttgen nicht zu „seinem“ Parteichef und macht zwischen den Zeilen Wahlkampf für Markus Söder? Eines sollte klar sein: Die Empfehlung dieser beiden Machtpolitiker ist nicht kostenlos und sie sind auch nicht die einzigen, die sich ihre Unterstützung und Gefälligkeiten etwas kosten lassen werden. Vor allem die Landesverbände dürften in dieser Woche ihren Preis für die Unterstützung mit Teams der beiden Kandidaten ausschachern.
Daher ist es eigentlich eher eine kosmetische Frage, welcher Kandidat die C-Parteien in den kommenden Wahlkampf als Spitzenkandidat führt. Die Felle dürften bereits verteilt sein und nicht die Kandidaten, sondern die Netzwerke im Hintergrund bestimmen, was abseits der Wahlkampfrhetorik später Politik wird. Und da kann einem angst und bange werden. Wie unser Herausgeber Albrecht Müller es erst Anfang des Jahres noch einmal unterstrichen hat, ist und bleibt die CDU – genauso wie die CSU – eine im Kern reaktionäre Partei, die vor allem auf den Feldern der Außen-, Sicherheits-, Sozial-, Wirtschafts- und Finanzpolitik am rechten Rand zu verorten ist. Daran ändert die K-Frage überhaupt nichts. Lassen Sie sich also bitte nicht ins Bockshorn jagen. Welcher der beiden Opportunisten künftig das „freundliche“ Gesicht dieser reaktionären Partei ist, ist letztlich eher zweitrangig und keinesfalls eine Schicksalsfrage für das Land. Einen Vorteil hat der ganze Pressetrubel jedoch bereits jetzt für die Unionsparteien. Die Korruptionsfälle in ihren Reihen scheinen irgendwie bereits ins Vergessen geraten zu sein. Oder täusche ich mich da?
Titelbild: Foto-berlin.net/shutterstock.com und photocosmos1/shutterstock.com