Mit diesem Bericht wird eine Episode beschrieben, die in den internationalen Kommerzmedien kaum zu lesen war. Vielleicht weil sie – derart unglaublich – das durchschnittliche Vorstellungsvermögen bei weitem überfordert. Doch die Covid19-Pandemie sorgt seit einem Jahr für verblüffende bis skandalöse Vorgänge. Ein Bericht von unserem Südamerika-Korrespondenten Frederico Füllgraf.
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Die Pandemie der Milliardäre
Dass Corona die Armen ärmer und die Reichen reicher gemacht hat, gehört mittlerweile auch im medialen Mainstream zur offenkundigen Erkenntnis. Die durch die Pandemie verursachten Lockdowns wurden von den sogenannten „Märkten“ und neoliberal ausgerichteten Regierungen zum Anlass genommen, um weltweit die Kaufkraft von hunderten von Millionen Arbeiterinnen und Arbeitern auszuhöhlen. Jedoch gleichzeitig wurde auf der entgegengesetzten Seite die Einkommens- und Eigentums-Konzentration in eine nie zuvor gekannte Höhe katapultiert, die sich laut Bloomberg Billionaires Index Anfang 2021 auf die schwindelerregende Summe von 1,8 Billionen US-Dollar summierte. Mit anderen Worten, im Coronapandemie-Jahr vermehrten die Milliardäre ihr Vermögen um 31 Prozent. Und zwar nicht nur Tesla-Guru Elon Musk oder Amazon-Eigentümer Jeff Bezos – der in weniger als 10 Monaten 23,6 Milliarden US-Dollar dazugewann – sondern auch unscheinbare Vertreter der rohstoffexportierenden Kompradoren-Bourgeoisie in peripheren Ländern wie Chile, wo das Vermögen des Familien-Clans Luksic in der gleichen Zeit um 12,5 Milliarden US-Dollar anstieg und 23,3 Milliarden Dollar erreichte.
Doch richtig spannend wird es bei der Lektüre der Hausmitteilungen der deutschen Firma BioNTech, Herstellerin des Covid-19-Impfstoffs, bekannt als „Pfizer-Vaccine“. Das im Jahr 2008 in Mainz von dem türkischen Immigranten-Ehepaar Ugur Sahin und Özlem Türeci gegründete Unternehmen ging an die New Yorker Nasdaq-Börse, verzeichnete bereits zu Jahresbeginn 2021 einen 230-prozentigen Wertanstieg seiner Aktien und steigerte seinen Marktwert um fast 27 Milliarden US-Dollar. Nach mehrfachen Angaben deutscher Medien zählen Sahin und Türeci mit einem Vermögen von annähernd 5 Milliarden US-Dollar bereits zu den 100 reichsten Deutschen.
Doch hinter BioNTech verbirgt sich mehr als eine „Gastarbeiter“-Erfolgsgeschichte. Im Hintergrund – genauer: am Tegernsee – beglückwünschen sich die stillen Mitverdiener, die das eigentliche Startkapital von BioNTech in Höhe von 150 Millionen Euro aufbrachten: die Zwillingsbrüder Thomas und Andreas Strüngmann, die zuvor Milliarden mit der Herstellung von Generika-Präparaten verdienten.
Seit Jahren mit dem von deutschen Einwanderern in den USA gegründeten Pharmakonzern Pfizer in Joint-Venture-Geschäften verbunden, lösten beide Firmen Ende 2020 eine scharfe, jedoch bis vor wenigen Wochen verschwiegene Auseinandersetzung mit der EU aus, als das Impfstoff-Duo die EU-Regierungen mit einer als unverschämt bezeichneten Preisforderung für den Comirnaty (BNT162b2)-Impfstoff zu nötigen versuchte. Als surreale, wenn nicht gar infame Forderung wurde allerdings in Argentinien der von Pfizer vorgetragene Anspruch auf sogenannte „Garantien“ für die Lieferung von mehreren Millionen Dosen des BioNTech-Impfstoffs bezeichnet. Ein Fall ohne Präzedenzen, vor dem Hintergrund des von Präsident Alberto Fernández‘ Vorgänger Mauricio Macri hinterlassenen Auslands-Schuldenberges in Höhe von 324 Milliarden US-Dollar und den harten Umschuldungsverhandlungen mit internationalen Gläubigern – darunter dem weltgrößten Fondsverwalter und Pfizer-Aktionär BlackRock – verlangte Pfizer die Verabschiedung eines Garantie-Erlasses „für nicht einklagbare Vermögenswerte“, darunter die einheimischen Geldreserven und Gletscher als Wasserreserven. Der Auftritt des Konzerns sorgte zum Jahresende 2020 für einen Skandal in Argentinien, der offenbar wegen des gesundheitspolitischen Zündstoffs mit dramatisch ansteigenden Corona-Fallzahlen vom Konzern und den Medien rasch deeskaliert wurde.
Probleme hatten Pfizer/BioNTech auch in Brasilien. Nach Angaben der beiden Konzerne seien der brasilianischen Regierung im August 2020 rund 70 Millionen Dosen mit Lieferfrist bis zum Dezember 2020 angeboten worden. Jair Bolsonaros ehemaliger Gesundheitsminister, General Eduardo Pazzuelo, entgegnete dazu, in Wahrheit seien lediglich 9 Millionen Dosen mit Lieferfrist im Januar 2021 in Aussicht gestellt worden. Einerseits zwar um die Unterzeichnung von milliardenschweren Lieferverträgen besorgt, beschränkte sich andererseits die Lieferfähigkeit von Pfizer/BioNTech im März 2021 auf lächerliche 1,6 Prozent der Verträge mit der Region; ein Zustand, der, gepaart mit der ebenfalls schleppenden Belieferung von Impfstoff-Ingredienzien durch China für die Vor-Ort-Herstellung, Länder wie Argentinien dazu bewog, sich zunehmend auf den russischen Impfstoff Sputnik V zu verlassen. Das einzige Land, dessen vorbezahlten Bestellungen Pfizer/BioNTech nachzukommen scheint, ist Chile, mit der bisherigen Lieferung von 1,88 Millionen Dosen.
Der BioNTech-, alias „Pfizer-Impfstoff“
Seit Monaten ist in den weltweit tonangebenden, vor allem in den US-amerikanischen und von ihnen beeinflussten Medien die Rede vom COVID-19-„Pfizer-Impfstoff” und seiner scheinbar höheren Wirkungskraft im Vergleich mit einem halben Dutzend internationaler Konkurrenz-Impfstoffe. Nach einer wissenschaftlichen Empfehlung der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA und der anschließenden Billigung durch die Mitgliedsstaaten erteilte kurz vor Weihnachten 2020 die Europäische Kommission diesem Impfstoff die erste, europaweite Zulassung. Die EMA-Empfehlung stützte sich auf eine angeblich „gründliche Bewertung der Sicherheit, Wirksamkeit und Qualität des Impfstoffs”.
In Wahrheit, so warnte bereits im November 2020 die Nachrichtenagentur Bloomberg, handele es sich nicht um ein Wundermittel von Pfizer, sondern um ein Forschungserzeugnis des deutschen BioNTech-Labors, und zwar mit einer Zuwendung der deutschen Bundesregierung in Höhe von 375 Millionen Euro. Zu den von Bloomberg angeführten Umständen („The truth is …“) gehört nämlich, dass Pfizer von der mit rund 2 Milliarden US-Dollar geförderten „Operation Warp Speed“ der Regierung Donald Trump zur Covid-19-Impfstoff-Forschung keine Mittel für Entwicklung, klinische Prüfung und Herstellung des Impfstoffs erhalten hatte.
Die Folge war ein buchstäblicher Doppelsprung im Pfizer/BioNTech-Deal. Zum einen sprang Pfizer auf den anfahrenden Zug des langjährigen Geschäftspartners BioNTech und zum anderen sprang die Regierung Angela Merkel für die Sicherung eines deutschen Impfstoffs, aber auch für die Geschäftsinteressen des US-Pharmariesen ein, dem eine ethisch mehr als umstrittene Betriebsgeschichte anhaftet. Seitdem sorgt der „Pfizer-Impfstoff” für Schlagzeilen, nicht nur für Verlockungen. Nach monatelangen Testläufen mit tausenden von Probanden gelang Pfizer/BioNTech bis Dezember 2020 der Verkauf von nahezu 60 Millionen Einzeldosen des BNT162b1-Impfstoffs an lateinamerikanische Regierungen, darunter vor allem an Argentinien und Brasilien. Doch schon Wochen später fehlten im Januar 2021 europaweit die Impfstoffe, für dessen Lieferung Pfizer/BioNTech sowie der britisch-schwedische Konzern AstraZeneca sich gegenüber der EU vertraglich verpflichtet hatten.
Dem gingen von Juni bis Dezember 2020 zweifelhafte bis sinistere Verhandlungen mit der deutschen und argentinischen Regierung voraus.
Der krumme Geschäftsversuch von BioNTech/Pfizer mit der EU: 54,08 Euro sollte die Dosis Impfstoff kosten, dennoch Milliarden-Profit
Im Februar 2021 erhielten einzelne deutsche Medien Zugang zum streng vertraulichen Angebots-Papier vom Juni 2020, das beide Firmen der EU unterbreiteten. Wortreich wird darin erklärt, wie gravierend die wirtschaftlichen Schäden durch die Pandemie seien, „jeder Tag koste die EU 3,8 Milliarden Euro, aufs Jahr gerechnet satte 1,4 Billionen Euro. Nur ein Impfstoff sei der Weg aus dieser Notlage“. Würde man die Abermilliarden, die die Pandemie an Schäden verursache, in ein „traditionelles Kosten-Wirksamkeits-Modell“ übertragen, käme man auf einen Preis für eine Dosis Impfstoff, der „unangemessen wäre während einer globalen Pandemie“, zitierte die Süddeutsche Zeitung aus dem Papier. „Nach dieser Vorrede“, so die Zeitung weiter, „unterbreitete Pfizer/BioNTech deshalb ein vermeintlich großzügiges Angebot: In Fettschrift boten die beiden Firmen der EU ihren Impfstoff zum Preis von 54,08 Euro pro Dosis an, bei einer Abnahme von 500 Millionen Dosen. Insgesamt wollten Pfizer/BioNTech also 27 Milliarden Euro für so viel Impfstoff, dass damit gut die Hälfte der EU-Bevölkerung zu impfen wäre“.
Doch da staunten die Bundesregierung und die EU: „Mit 54,08 Euro wäre der BioNTech-Impfstoff damit mehr als zwanzig Mal so teuer wie eine Dosis jenes Impfstoffs, den AstraZeneca gemeinsam mit der Universität Oxford entwickelt hat“. Und: Womöglich hätten die überzogenen, wenn nicht gar unverschämten Preisvorstellungen auch ein neues Licht auf die Zurückhaltung mancher EU-Länder im Sommer gegenüber dem BioNTech-Impfstoff geworfen, kommentierte die Münchner Abendzeitung. Der endgültige Preis werde bis heute zwar geheimgehalten, doch nach Informationen von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung soll er auf 15,50 Euro pro Dosis heruntergehandelt und erst im November 2020 ein Vertragsabschluss zwischen der EU und Pfizer/BioNTech unterzeichnet worden sein. Die USA hatten bereits im Juli einen Vertrag mit Pfizer geschlossen, der ihnen 100 Millionen Dosen zu rund 16 Euro je Einzeldosis und zum Gesamtpreis von 1,95 Milliarden Dollar sicherte.
Der mit 28 Billionen US-Dollar mega-verschuldeten US-Regierung machten Pfizer und BioNTech keinerlei Auflagen. Anders, beziehungsweise mit frech anmutender kolonialistischer Pose, versuchte das Konzernduo jedoch die Regierung Alberto Fernández regelrecht zu erpressen.
Impfstoff-Lieferung gegen Gletscher, Militär-Stützpunkte und Fischerei-Rechte
Der argentinische Sanitärarzt und Referent der Provinzregierung Buenos Aires, Jorge Rachid, versicherte, Pfizer habe im Austausch für die Impfstoff-Lieferung von der Regierung Alberto Fernández die Verabschiedung eines sogenannten „Garantiegesetzes“ gefordert. „Pfizer verlangte ein Gesetz mit Garantien für nicht einklagbare Vermögenswerte, darunter Erdöl und Gletscher“, erklärte Rachid Ende Dezember 2020 den erstaunten Reportern und Hörern des Radiosenders LT8 in Buenos Aires. Mit Bezug auf die Ende 2019 abgelöste Regierung Mauricio Macris protestierte der Mediziner, „nach einer Regierung wie der, die wir hatten, kommen nun multinationale Unternehmen daher und benehmen sich, als wäre Argentinien eine Kolonie. Argentinien kann dies nicht zulassen“.
Auch Gesundheitsminister Ginés González García beklagte vor der Gesundheitskommission der argentinischen Abgeordnetenkammer, Pfizer habe bei den Verhandlungen über die Impfstoff-Bereitstellung sich gegenüber Argentinien „sehr schlecht verhalten“. Zu recht erinnerte González García daran, dass Argentinien im Juli 2020 immerhin Pfizer dazu ermächtigt hatte, eine Phase-3-Studie mit 6.000 Probanden, kostenlosen Einrichtungen und Personal im Land durchzuführen, und dass die Aufsichtsbehörde die Verwendung des von der deutschen Firma BioNTech entwickelten Impfstoffs genehmigte. Die Vertragsverhandlungen seien im September begonnen worden. Argentinien habe jedoch ein Gesetz mit bestimmten regulatorischen Bedingungen für den Fall der Nichteinhaltung von Zahlungs- und Lieferbedingungen verabschiedet, wovon Pfizer bestimmte Klauseln ablehnte; eine Haltung, so der Minister, die „enorme Intoleranz“ offenbart habe. Die renitente Haltung rief schließlich Präsident Fernández auf den Plan. Auch er beklagte, „Pfizer macht zu viele Auflagen, die von anderen Lieferanten niemals vorgetragen wurden“.
Als der Mediziner Rachid, der der Landesregierung unter dem ehemaligen Wirtschaftsminister Axel Kiciloff als gesundheitspolitischer Berater dient, den skandalösen Deal-Versuch von Pfizer vor die Medien brachte, wirkte er allem Anschein nach als inoffizielles Sprachrohr der argentinischen Bundesregierung. Diese wollte auf keinen Fall mit ihrer Empörung über das Ausmaß des Erpressungsversuchs hinter dem Berg halten. Denn zunächst verlangte Pfizer, Argentinien solle eine internationale Versicherung abschließen, um „potenzielle zukünftige Klagen“ gegen den Konzern abzusichern. Argentinien stimmte zu. Im Dezember 2020 erhob Pfizer jedoch neue Forderungen, nämlich Sicherheiten in Gestalt von Staatsvermögen. Im Klartext verlangte Pfizer die argentinischen Bankreserven, seine Militärbasen und seine Botschaftsgebäude im Ausland; selbst die patagonischen Gletscher und Fischereirechte kamen ins Spiel. Oder anders ausgedrückt: Argentinien sollte gegen Impfstoff-Lieferungen seine Souveränität aufs Spiel setzen.
Wurde Pfizer etwa vom Aktieninhaber und Argentinien-Gläubiger BlackRock dazu angestiftet? Der New Yorker Fonds-Verwalter hatte nämlich noch im Vorfeld des Umschuldungs-Abkommens vom August 2020 mit einem Dutzend internationaler Gläubiger Argentinien mit internationalen Klagen gedroht. Und nun die Pointe: Ist es etwa ein Zufall, dass Pfizer-Aktionär BlackRock intensiv in Geschäfte mit der Fischerei und das Geschäft mit dem Wasser involviert ist?
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