Fast zwei Jahrzehnte nach Beginn der NATO-Besatzung gehört Afghanistan zu den tödlichsten Ländern für Journalisten und Medienschaffende. Verantwortlich hierfür sind auch jene Akteure, die sich meist die Pressefreiheit auf die Fahne schreiben. Eine Reportage von Emran Feroz aus Kabul.
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Fazelminallah Qazizais schwarzer Toyota ist verstaubt und abgenutzt. Der Wagen fährt, doch einige leichte Schäden sind bemerkbar. „Der muss mal dringend wieder gewartet werden“, bemerkt der 34-jährige Journalist, während er sich durch den anstrengenden Kabuler Verkehr durchschlängelt. Der Zustand des Autos ist nicht überraschend. Immerhin handelt es sich hierbei quasi um Qazizais Dienstwagen, mit dem er – stets selbst am Steuer – fast ganz Afghanistan bereist hat. Der Toyota hat mehr gesehen als die meisten Afghanen selbst: Von den Bergen des nördlichen Badakhshans bis hin zur Wüste Kandahars. Er hat damit auch die verschiedensten Checkpoints durchquert. Afghanische Armee und Polizei, IS-Milizen und Taliban oder US-Soldaten und Drogenschmuggler – Qazizai hat sie alle erlebt. Für den Journalisten, der hauptsächlich für internationale Medien berichtet, ist die stetige Präsenz vor Ort wichtig – auch außerhalb Kabuls während der verschiedensten Gefahrensituationen. In Afghanistan ist dies alles andere als einfach. Mittlerweile gehört das Land zu den gefährlichsten Ländern für Journalisten. Anfang März wurden drei Journalistinnen des Fernsehsenders Enikass in der östlichen Stadt Dschalalabad von IS-Terroristen ermordet. Im vergangenen Jahr wurden mindestens acht Journalisten landesweit während der Ausübung ihrer Arbeit getötet.
Viele Medienschaffende sind in den letzten Wochen und Monaten geflüchtet. Für Qazizai kommt dies nicht in Frage. „Ich habe hier meine Familie. Wir waren schon immer hier und ich denke nicht, dass sich das ändern wird“, meint er. Aufgrund seiner Erfahrung und seinen guten Verbindungen ist Qazizai ein gefragter Mann. Während viele seiner Kollegen Fluchtpläne schmiedeten, kutschierte er vor wenigen Wochen New-Yorker-Legende Dexter Filkins durch Kabul und arrangierte für ihn Treffen mit Taliban-Offiziellen. Wie viele andere Afghanen war er anfangs als sogenannter Fixer für ausländische Korrespondenten tätig, bevor er in den Beruf des Journalisten wortwörtlich hineinrutschte. 2019 erschien sein erstes Buch über den Afghanistan-Krieg bei einem renommierten Londoner Verlag. Trotz der Gefahrensituation hat sich der Arbeitsalltag für Qazizai kaum verändert. Dies habe allerdings auch damit zu tun, dass er im Vergleich zu anderen Gesichtern eher unbekannt sei. „Bekannte Kollegen, die auch regelmäßig im Fernsehen präsent sind, erleben eine andere Art der Bedrohung. Doch für die meisten von uns wird sich nichts ändern. Wir werden hier bleiben“, prognostiziert Qazizai.
Auf sein Umfeld achtet der Familienvater dennoch. Fremden gegenüber stellt sich Qazizai selten als Journalist vor. Seine Reise- und Recherchepläne teilt er nur mit engen Vertrauenspersonen. Dennoch ist klar: Der Alltag des Journalisten ist mittlerweile selbst in Afghanistan eine Ausnahme. Die meisten seiner Kollegen verweilen nämlich in den Städten, allen voran in Kabul, und verlassen oftmals nur ungern ihre Redaktionsräume. „Ich gehe nur raus, wenn es sein muss. Aufgrund der aktuellen Umstände geht es leider nicht anders“, meint Murtaza Pazhwak, während er an seinem Teeglas nippt. Pazhwak ist seit einigen Monaten für eine Kabuler Wochenzeitung tätig. Die Redaktionsräume liegen nahe des bekannten Dar-ul-Aman-Palastes, der während der vielen Kriegsjahre zerstört und 2019 renoviert und wiedereröffnet wurde. Das Redaktionsgebäude, in dem Pazhwak und seine Kollegen arbeiten, liegt hinter dicken Mauern. Gemeinsam mit anderen Büros, die hier liegen, wird es von bewaffneten Soldaten überwacht. Wer das Gelände betreten will, muss sich ausweisen und wird gefilzt.
Nachdem Pazhwak sein Journalismus-Studium in der westlichen Stadt Herat abgeschlossen hatte, wurde ihm die Stelle in Kabul angeboten. Ein Schlafzimmer in der Redaktion war mit inbegriffen. „Das kam mir nur recht“, meint der 25-Jährige. Er weiß, dass Journalismus auf diese Art und Weise nicht auf Dauer funktionieren kann. Eigentlich muss man raus und mit den Menschen reden, doch die jüngsten Entwicklungen bereiten auch Pazhwak Sorgen. Ihn beschäftigen gezielte Attentate auf Journalisten sowie Drohungen und Anfeindungen seitens der Taliban sowie der afghanischen Regierung. Zumindest Letztere hätte eigentlich die Aufgabe, die Pressefreiheit am Hindukusch zu beschützen, doch stattdessen findet Gegenteiliges statt. Der Zugang zu Informationen wird erschwert und Regierungsoffizielle greifen regelmäßig Medienvertreter an. Ein Beispiel hierfür ist etwa Vizepräsident Amrullah Saleh, der vor geraumer Zeit via Twitter Journalisten, die über die zivilen Opfer eines Luftangriffs berichteten, als Lügner bezeichnete und indirekt bedrohte.
Außerdem lässt sich ein unterschiedlicher Umgang zwischen ausländischen Reportern und Lokaljournalisten feststellen, und zwar von allen Seiten. Während etwa die Taliban zum Teil Journalisten der New York Times oder der Washington Post hofieren und ihnen „exklusive Einblicke“ ermöglichen, sind unbekannte Gesichter wie Pazhwak und seine Kollegen den Drohungen extremistischer Gruppierungen hilflos ausgesetzt. Ähnlich verhält sich auch der Präsidentenpalast, etwa wenn englischsprachige Statements vorsichtig verfasst werden, während Anfragen lokaler Journalisten meist unkommentiert bleiben oder wenn Präsident Ashraf Ghani der britischen BBC oder anderen ausländischen Medien Interviews gewährt, während afghanische Kollegen, die kritische Fragen stellen, als „ausländische Agenten“ oder Ähnliches diffamiert werden. „Dies macht nur deutlich, dass Journalisten in Afghanistan von allen Seiten bedroht werden. Ich denke, dass die jüngsten Angriffe nicht nur auf das Konto der Taliban gehen“, sagt Pazhwak. Sein Resümee: Für das gegenwärtige Klima der Angst sind mittlerweile alle Beteiligten gleichermaßen verantwortlich. Dass westliche Staaten wie Deutschland oder die USA hier ebenso in der Verantwortung stehen, wird meist verdrängt. Immerhin geht es hier auch um Akteure, die westliche Gelder akquirieren und ohne diese de facto nicht überleben können.
Dass regierungsfreundliche Akteure ebenfalls Jagd auf Journalisten machen, ist kein Geheimnis. Involviert sind vor allem der Kabuler Sicherheitsapparat, allen voran Polizei und Geheimdienst, sowie afghanische CIA-Milizen wie die „Khost Protection Force“ (KPF), die im Südosten des Landes aktiv ist. Ein Beispiel hierfür ist etwa der Fall des Radiojournalisten Rahim Sekander, der im vergangenen August in der Provinz Khost vom Geheimdienst NDS inhaftiert wurde. Der Grund: Sekander äußerte sich in Sozialen Medien kritisch gegenüber der Regierung. „Die schlimmsten Kriminellen dieses Landes sind auf freiem Fuß, doch mein Bruder wurde verhaftet, weil er auf Facebook die Regierung kritisierte“, meint Siddiqullah, Sekanders Bruder. Vor Kurzem wurde der Journalist aus der Haft entlassen.
Wer meint, dass es sich hier einen Einzelfall handelt, geht in seiner Annahme fehl. „Gegen die Sicherheitsorgane des Staates kann man kaum vorgehen. Sie attackieren die Pressefreiheit regelmäßig und genießen Narrenfreiheit“, meint Sayed Jalal, der für internationale Medien als freier Journalist tätig ist. Er gehört zu jenen Medienschaffenden, die die Gewalt des Staates am eigenen Leib zu spüren bekamen. 2019 wurde Jalal in Dschalalabad von Sicherheitskräften verhaftet, nachdem er vor dem pakistanischen Konsulat Fotos mit seinem Smartphone schoss. Vor dem Gebäude hatte sich ein Chaos angebahnt, nachdem Hunderte von Menschen auf ihre Visa-Dokumente warteten. Jalal wollte ein Foto vom Geschehen auf Twitter teilen, doch dann schritt die Polizei ein. Er wurde verhaftet und verprügelt. „Mir wurde vorgeworfen, ein Terrorist zu sein. Es hieß, dass ich mit dem IS zusammenarbeiten würde. Ich machte mehrfach deutlich, dass ich Journalist sei, doch das wurde ignoriert“, erzählt Jalal heute. Aus der Haft wurde er nur entlassen, nachdem der Provinzgouverneur – ein Freund von Jalals Bruder – einschritt. „Wer weiß, was mit mir passiert wäre, wenn ich diesen Kontakt nicht gehabt hätte?“, fragt er sich. Die Prügelattacke der Sicherheitskräfte hat Jalal langfristig beeinträchtigt. Er musste mehrfach behandelt werden. Mittlerweile lebt auch Jalal im Ausland. Dies hat nicht nur mit seiner Arbeit zu tun, sondern hat auch private Gründe. Abermals vor Ort zu recherchieren, fällt ihm dennoch schwer. „Ich würde mich nicht sicher fühlen und mir die Frage stellen, ob es das wirklich wert ist. Journalisten werden von allen Seiten angefeindet – doch am Ende des Tages beschützt sie niemand, zumindest nicht in Afghanistan“, sagt er.
Titelbild: (C) Emran Feroz