Merkel, Medien und die Angriffe auf den Föderalismus

Merkel, Medien und die Angriffe auf den Föderalismus

Merkel, Medien und die Angriffe auf den Föderalismus

Tobias Riegel
Ein Artikel von: Tobias Riegel

Die Kanzlerin und viele Journalisten sind sich einig: Die Gestaltungsrechte der Bundesländer sind ein Problem für den „Gesundheitsschutz“. Darum soll der Föderalismus nun an die Leine genommen werden – natürlich nur aus den besten Gründen und nur vorübergehend. Das ist abzulehnen. Von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Das Interview von Anne Will mit Bundeskanzlerin Angela Merkel beherrscht noch immer viele Schlagzeilen. Während das Interview selber keiner tieferen Betrachtung bedarf, sind die Medienreaktionen interessant. Dass die Kanzlerin versucht, ein unkritisches Interview als Vehikel für ihre harten Lockdown-Forderungen zu nutzen, und dabei die eigene Verantwortung auf die Ministerpräsidenten abwälzen möchte, ist nicht überraschend. Schwerer wiegt Merkels Angriff auf die Gestaltungsrechte der Bundesländer, die sie im Interview unverhohlen bedroht hat. Einmal mehr irritiert nun auch die Flankierung von Merkels Linie durch einige große Medien. Bei aller, teils scharfen Detail-Kritik am Handeln der Kanzlerin lautet ein verbreiteter Tenor: für harte Lockdowns und gegen die Länderchefs. Auch der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen und Bundesvorsitzende der CDU, Armin Laschet, ist ins Visier geraten. Fazit von Regierung und zahlreichen Medienkommentaren: Die Länder sind zu egoistisch, nun muss es der Bund richten – notfalls mit harter gesetzgeberischer Hand.

„Die Bundesregierung muss die Kompetenzen an sich ziehen“

Ein Beispiel für die Unterstützung durch einige große Medien für Merkels aktuelle Angriffe auf die Gestaltungsrechte der Bundesländer – verbunden mit Panikmache und einer auf den Kopf gestellten Moral – ist dieser aktuelle Kommentar in der ARD. Hier wird gefordert, Kanzlerin Merkel müsse endlich aufhören, „die Befindlichkeiten aus den Bundesländern zu moderieren und durchgreifen“. Nötig sei nichts weniger als „ein kompletter Nothalt“. Schließlich würden „die Infektionszahlen nach oben schießen“. Es gebe „durch die neuen, hochansteckenden Virusmutationen“ gar eine gänzlich „neue Pandemie“. Und trotz dieser Schrecknisse hätten einige Länderchefs aber „den Kompass verloren“. Nachdem die Angst geschürt wurde, kommt der Kommentar zum eigentlichen Punkt:

„Das Land befindet sich in einem nationalen Gesundheitsnotstand, der ist nicht abstrakt. Auf dieser Grundlage muss die Kanzlerin – der das als einer der wenigen Politikerinnen wirklich bewusst zu sein scheint – nun die Zügel in die Hand nehmen. (…). Die Bundesregierung muss das Infektionsschutzgesetz so schnell wie möglich ändern und die Kompetenzen an sich ziehen. Es muss schnell gehen – und es kann schnell gehen.

Auch wenn viele Medien Merkels „Schlingerkurs“ etwa bezüglich der Osterruhe teils harsch kritisieren, so finden zahlreiche Artikel bei diesem zentralen Punkt doch zurück an die Seite der Kanzlerin, wie etwa die „taz“:

„Allerdings hat die Kanzlerin den Ministerpräsidenten und -präsidentinnen deutlich gedroht. Etwas verschwurbelt, aber unmissverständlich. Wenn die Länder nicht liefern, sprich: bei einer über 100 liegenden, weiter steigenden Inzidenz die vereinbarte Notbremse ziehen, werde sie das Problem auf Bundesebene anpacken und vielleicht das Infektionsschutzgesetz ergänzen. Der Schritt wäre überfällig.“

Auch Bundesinnenminister Horst Seehofer fordert laut Medien, die Ministerpräsidentenkonferenz in der Corona-Krise zu entmachten und die Bundesregierung ans Steuer zu lassen. „Man muss als Bundesregierung handeln“, sagte Seehofer der „Süddeutschen Zeitung“. Der Bund habe „von jeher die Gesetzgebungskompetenz auf diesem Gebiet. Man muss nur Gebrauch davon machen.“

Sind diese Vorgänge ein ernster Angriff auf den Föderalismus unter dem Deckmantel eines „Gesundheitsschutzes“? Ein dreister Versuch, opponierende Instanzen in den Ländern auszuschalten? Erscheinen manche Medienkommentare nicht wie das berüchtigte „Rufen nach der starken Frau“, das sonst als klares Zeichen des Populismus verachtet wird? Oder ist die Episode – und auch der darin enthaltene „Konflikt“ zwischen Armin Laschet und Angela Merkel – nur ein weiterer Akt im politischen Ablenkungstheater rund um die Corona-Krise?

Betont sei aber auch, dass das Konstrukt der Ministerpräsidentenkonferenz als „Corona-Entscheidungsstelle“ ebenfalls und zu recht kritisiert wurde. Manche würden da die Richtlinienkompetenz einer durch das Parlament kontrollierten Bundesregierung sogar vorziehen.*

Feindbild Länderchef

Den journalistischen Offenbarungseid, den Anne Will durch ihre tendenziöse und die Lockdown-Politik abschirmende Interview-Führung geleistet hat, hat Norbert Häring in diesem Artikel beschrieben. Häring spricht in seinem Kommentar auch die Angriffe gegen die Ministerpräsidenten und damit die zweite Facette der aktuellen Medienkampagnen an. Anne Will hake nicht kritisch nach… :

„(…) wahrscheinlich, weil sie eine Agenda mit der Kanzlerin abgesprochen hat, für die sie öffentliche Rückendeckung organisieren soll, damit diese die widerspenstigen Ministerpräsidentinnen zur Räson bringen kann.
Eine Stunde lang wird nicht einmal in Erwägung gezogen, dass die Ministerpräsidenten widerstrebend sind, weil sie näher an den Menschen sind als Anne Will und die Kanzlerin in ihrer Berliner Blase. Und dass diese Menschen eben die Nase voll davon haben, mit immer weniger aussagekräftigen Inzidenzzahlen in Lockdowns immer fragwürdigerer Wirksamkeit getrieben zu werden.“

Hat man die großen Medien in den letzten Tagen verfolgt, konnte (neben scharfer, aber oberflächlicher Detailkritik an Merkel) teilweise der Eindruck entstehen, es solle ein neues Feindbild aufgebaut werden: die störrischen, opportunistischen und vor ihren Bürgern „einknickenden“ Länderchefs. Vielleicht soll mit dieser Praxis auch verhindert werden, dass deutsche Ministerpräsidenten oder Regierende Bürgermeister den eigenwilligen Beispielen der US-Gouverneure von Florida oder Texas folgen?

Armin Laschet im Visier

Bei den Anwürfen gegen die Länderchefs trifft es aktuell wie gesagt auch Armin Laschet – vordergründig wegen seiner Corona-Politik. Könnte man auch mutmaßen, dass mit diesen Vorwürfen nun aber zusätzlich indirekt Laschets aus Sicht vieler Medien zu versöhnliche Haltung gegenüber Russland bestraft werden soll? Soll mit den aktuellen innenpolitischen Angriffen der Politiker Laschet allgemein beschädigt werden, aus eher außenpolitischen Motiven? In diesem Artikel bei Telepolis werden die (auch CDU-internen) Angriffe gegen den „Ladenhüter“ Laschet dagegen vor allem als innerparteilicher CDU-Machtkampf gedeutet. Ein Beispiel für die aktuelle Stimmungsmache einiger großer Medien gegen Laschet findet sich etwa in der „Zeit”:

„Derweil fragt sich eine wachsende Zahl an Menschen, wie man eigentlich so doof sein kann. Und zwar Menschen aus allen politischen Lagern, Altersklassen und sozialen Verhältnissen. Was sie eint: dass sie im letzten Jahr Wissen über Menschen, Viren, Mutationen gesammelt haben, während Armin Laschet Gott weiß was getan hat, im Zweifel den falschen Leuten zuhören. Laschet kann sie in Zukunft unmöglich glaubhaft kompetent und unideologisch regieren.“

Wer die Kinder schützt, ist „unverantwortlich“

In der Corona-Debatte verstört es immer wieder, dass die wenigen Politiker als besonders „unverantwortlich“ diffamiert werden, die etwa unsere Kinder nicht länger einsperren wollen und ihnen ihr Recht auf Bildung und Entwicklung nicht länger in unverantwortlicher Weise vorenthalten wollen. Ein zusätzliches Problem ist das der seltsamen Bettgenossen: So ist etwa Laschet auf vielen Feldern ein sehr kritikwürdiger CDU-Politiker, mit dem man sich nicht über Gebühr solidarisieren möchte. Bei der aktuell essentiellen Frage der Schulöffnungen erscheint seine Position aber (relativ) mutig.

Mutig darum, weil solche Positionen im Widerstreit zu den massiven Angst-Kampagnen in den Medien stehen. Durch diese Kampagnen sollen die wenigen, noch nicht gänzlich eingeschüchterten Lockdown-Kritiker (und sei diese Kritik noch so sanft und noch so verspätet) in die Defensive gedrängt und eine nicht vorhandene moralische Eindeutigkeit in der Virus-Debatte suggeriert werden.

Kann die aktuelle reale gesundheitliche Bedrohung durch das existente Virus die destruktiven und weitreichenden Folgen der Corona-Maßnahmen rechtfertigen? Meiner Meinung nach: nein. Viele Bürger vermuten hinter der Lockdown-Politik und dem Verhalten einiger Medien andere Motive als die öffentlich verlautbarten Gründe der Gesundheitsfürsorge. Es gibt Indizien, die diese Vermutungen möglicherweise stützen können – in diesem Text soll auf diese mutmaßlichen Motive noch nicht eingegangen werden. Dass man mit der Frage nach der Verhältnismäßigkeit zwischen Virus und Lockdown-Folgen nicht die Existenz von Corona „leugnet“, ist selbstverständlich. Ebenso selbstverständlich ist es, dass es Situationen geben kann, in denen zugunsten der Gesellschaft auf individuelle Freiheiten verzichtet werden muss.

* 30.03.2021 11:45 Uhr: Dieser Absatz wurde nachträglich eingefügt.

Titelbild: 360b / Shutterstock

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