„[Die] wollten mir die Eier abschneiden“ – mit diesen Worten zitieren derzeit Medien in Deutschland den ehemaligen Fußball-Nationalspieler und TV-Experten Mehmet Scholl. Der Grund: Scholl hat den Mund aufgemacht und erzählt, warum die ARD und er seit Sommer 2017 getrennte Wege gingen. Interessant für die NachDenkSeiten ist die „Causa“ Scholl deshalb, weil einmal mehr ein Einblick in die deutsche Medienwelt im Zusammenhang mit Russland sichtbar wird. Der Eindruck, sagt Marcus Klöckner in einem Kommentar für die NachDenkSeiten, verfestigt sich, dass so manche Redaktionen auf Biegen und Brechen versuchen, Russland bei jeder nur denkbaren Gelegenheit in ein schlechtes Licht zu rücken. Und wenn die Situation für dieses Vorhaben nicht passt, dann wird sie eben passend gemacht. Mit Journalismus dürfte die ARD-Entscheidung jedenfalls nichts zu tun gehabt haben, sondern mit Weltanschauung. Scholl hat das gemerkt – irgendwie.
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Rückblende: Deutschland hatte den Einzug ins Confed-Cup-Halbfinale geschafft, die U21-Spieler marschierten ins EM-Halbfinale „und wir hatten 33 Grad. Alles war perfekt“, so Mehmet Scholl. Anders gesagt: Der blaue Himmel und der Sonnenschein strahlten mit Fußball-Deutschland um die Wette – was will man mehr?
Nun, für die Verantwortlichen in der entsprechenden ARD-Redaktion war das offensichtlich zu viel des Guten. Schließlich fand der Confed-Cup ja in Russland statt und galt als Vorbereitung für die Weltmeisterschaft, die ein Jahr später dort stattfinden sollte. Etwas Wasser sollte also in den Wein geschüttet werden. Plötzlich stand das Thema „Doping in Russland“ auf dem Programm und der ehemalige Bayern-Spieler Scholl sollte darüber reden.
Doch Scholl wollte nicht. So kolportierten es zumindest die Medien. Hinter den Kulissen musste es zwischen Scholl und der ARD gescheppert haben. Der Fußballexperte, der seit 2008 für die ARD als Kommentator und Experte im Dienst war, kehrte dem Sender den Rücken. Doch was genau hinter den Kulissen abgelaufen ist, blieb im Dunkeln – bis jetzt.
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Im Bild-Podcast „Phrasenmäher“ sagte Scholl nun: „Dann habe ich zu meinem Assistenten gesagt: Jetzt erzähl’ mir nicht, dass sie mit etwas Negativem aufmachen!? Es gab überhaupt keinen Grund für irgendetwas Negatives. Und dann kommen die mit Russland-Doping um die Ecke. Und dann hab’ ich nur gesagt: Die Story kommt raus oder ich gehe. Es hieß, dass ich mich nicht einmischen darf. Ja, und dann bin ich gegangen.“
Die Aussagen von Scholl sind interessant. Scholl, das sollte man sich vor Augen halten, ist kein ausgebildeter Journalist. Mit der redaktionellen Arbeit dürfte er kaum vertraut sein. Allerdings: Auch wenn Journalisten gerne mal die redaktionelle Arbeit als so „fachlich“ darstellen, dass nur diejenigen, die eine journalistische Ausbildung genossen haben, sie verstehen könnten: Die Arbeit in den Redaktionen ist keine Raketenwissenschaft. Auch ein Laie kann mit einem gesunden Menschenverstand erschließen, nach welchen journalistischen Auswahlkriterien und Entscheidungen Beiträge zusammengestellt werden. Anders gesagt: Scholl erkannte, dass dieses schwere und nicht einfache Thema „Doping in Russland“ an diesem Tag, in diesem Kontext „nicht passte“ – und wohl schon gar nicht als Aufmacher.
„Gut erkannt!“, kann man da Scholl nur zurufen. Aus journalistischer Sicht ergab dieses Thema tatsächlich keinen Sinn. Sinn ergab die Entscheidung allerdings, wenn Weltanschauung bei der Entscheidung im Vordergrund stand.
Schon seit langem ist in unseren Medien zu beobachten, dass Russland regelrecht als Feindbild aufgebaut wird. Allein die Berichterstattung zum Ukraine-Konflikt und der damit verbundenen Hetze gegen Russland zeigten, woher der Wind in den Redaktionen weht. Während für viele Medien Putin regelrecht eine Hass-Figur ist, überschlugen sich dieselben Medien geradezu vor Lobes-Hymnen, als George Bush, der immerhin 88.500 Tonnen Bomben über dem Irak hat abwerfen lassen, verstarb. Doppelte Standards eben. Heiligsprechung hier, Exkommunikation da.
In diesem grundlegenden Medienklima gerieten Scholl und die ARD aneinander. Ob Scholl die politisch aufgeladene Situation aber wirklich verstanden hat, ist unklar. In dem Bild-Podcast sagte er: „Es hätte auch ein Bericht über schlechte Stadionmusik sein können, über randalierende Fans, schlechtes Wetter. Das hat da nicht hingepasst.” Das klingt nicht nach einem Ex-Fußballspieler, der sich bewusst war, wie weitreichend die politische Dimension ist, wenn es um Doping und Russland in der Berichterstattung geht (vgl. hier).
Das ist, einerseits, ärgerlich. Von einem Akteur wie Scholl könnte man nämlich durchaus erwarten, dass er einmal grundlegend öffentlich hinterfragt, warum die ARD unbedingt mit dem Thema Doping in Russland aufmachen wollte, um dann auch die Stimmungsmache gegen Russland, die in der Berichterstattung in unserer Medienlandschaft zu beobachten ist, anzusprechen. Andererseits: Wenn wahrscheinlich auch unbeabsichtigt, demaskieren seine Aussagen gerade durch die fehlende politische Positionierung die fragwürdige Entscheidung der ARD-Verantwortlichen besonders deutlich.
„Das hat da nicht hingepasst“, sagt Scholl, scheinbar unbedarft, aber eben im Kern inhaltlich völlig richtig. Ein politischer Beobachter mit kritischem Blick hätte wohl gesagt: „Die Stimmungsmache gegen Russland – das hat da nicht hingepasst!“
Titelbild: Screenshot ARD