Selbstverständlich gibt es keine Löwen mehr in Deutschland – auch in Hessen nicht. Als „Hessenlöwen“ bezeichnet man vielmehr das Hoheitswappen für das Bundesland Hessen, auf dem ein Löwe in bedrohlicher Haltung als Motiv benutzt wird. Eigentlich ist das keine Schlagzeile wert, wenn das Landeswappen nicht ab und an eine Verwandlung erfahren würde. Diese fand gerade im Kommunalwahlkampf 2021 in Frankfurt statt, an der auch die Satire-Partei „Die Partei“ teilnahm. Ob sie wirklich an die Macht der Wahlen glaubt, darf man bezweifeln. Vielmehr teilt sie auf ungewöhnliche Weise das Grundverständnis des aktuellen Innenministers, der in einer Satire-Sendung die Gelegenheit nutzte, mal Tacheles zu reden. Von Wolf Wetzel.
„Diejenigen, die entscheiden, sind nicht gewählt, und diejenigen, die gewählt werden, haben nichts zu entscheiden.“ (bei „Pelzig“ am 31. Mai 2010)
Während der Kommunalwahlkampf gähnend langweilig im Zero-Null-Bereich (mit AHA-Regeln) stattfand, sorgte wenigstens „DIE PARTEI“ für ein bisschen Abwechslung und Aufregung. Sie verwandte auf ihren Plakaten einen Hessenlöwen, der in eine Polizeiuniform gesteckt wurde. Das alleine hätte sicherlich kaum Protest ausgelöst, denn viele würden sofort damit assoziieren, dass die Polizei in Frankfurt, also auch in Hessen, wie ein Löwe kämpft, wenn man auf die Nachfrage verzichtet: Wofür eigentlich?
Der Hessenlöwe trug nicht nur die Polizeiuniform, sondern hatte auch eine Armbinde. Auch das wäre nicht verstörend, denn Polizeibeamte in Zivil, die sich plötzlich als solche zu erkennen geben, demonstrieren dies mit einer Armbinde, auf der dann ein Polizeiwappen zu sehen ist. Auch das kann es nicht gewesen sein.
Um die Spannung nicht ins Unerträgliche zu steigern, kommt nun die Auflösung: Auf der Armbinde stand „NSU 2.0“. Man darf sicherlich die Annahme wagen, dass nicht alle Betrachter dieses Plakats sofort die Luft angehalten haben – oder gar heftig nickten.
Was hat also „NSU 2.0“ auf der Armbinde eines Hessenlöwen zu suchen?
„Miese Türkensau!“ … „du machst Deutschland nicht fertig“ … „Als Vergeltung (…) schlachten wir deine Tochter“. Unterschrieben wurde der Drohbrief mit „NSU 2.0“. Abgeschickt wurde er am 2. August 2018. Der Drohbrief war an die Privatadresse der Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz gerichtet. Sie vertrat im NSU-Prozess die Familie des ersten NSU-Mordopfers Enver Simsek in der Nebenklage. Der Drohbrief wies eine Besonderheit auf: Er wurde an ihre Privatadresse geschickt, die nicht im öffentlichen Telefonbuch zu finden ist. Genauso wenig wie der Name ihrer Tochter. Sie erstattete Anzeige … und hörte monatelang nichts, bis die Öffentlichkeit von diesem Vorgang, von dieser Anzeige erfuhr. Die Polizei fand ihre Sprache wieder – und gab Auskunft. Eine Spur habe zu einem Computer im ersten Polizeirevier der Innenstadtwache in Frankfurt geführt.
„Dort seien die Melderegistereinträge zu Basay-Yildiz abgefragt worden. Und das offenbar ohne dienstlichen Grund.“ (fr.de vom 16.12.2018)
Damit gerieten jene Polizisten in Verdacht, die Zugriff zu diesem Polizeicomputer hatten. Im Zuge weiterer Ermittlungen sei man „per Zufall auf die Whatsapp-Gruppe gestoßen“, in der Polizisten ihre rassistische und neofaschistische Gesinnung teilten. Vier Polizisten und eine Kollegin sind inzwischen suspendiert oder beurlaubt. Ob sie auch für den Drohbrief verantwortlich sind, will man nicht sagen. Laut der FAZ dürfte es „sich um den größten Polizeiskandal der vergangenen Jahre handeln“.
„Unterdessen ist (…) ein weiteres Drohschreiben aufgetaucht, das an mehrere Strafverteidiger, Behörden und Medien geschickt wurde und auch dieser Zeitung vorliegt. Überschrieben ist es mit „NSU 2.0“ – derselben Bezeichnung, die auch der oder die Verfasser des Faxes an die Frankfurter Strafverteidigerin Seda Basay-Yildiz verwendet hatten. Aus Sicherheitskreisen war zu hören, man nehme dieses neue Schreiben ernst, kann es aber noch nicht einordnen. Es könne sich um denselben Verfasser handeln, möglich sei aber auch ein Nachahmer.“ (faz.net vom 18. Dezember 2018)
Erst kürzlich hat die Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz einen weiteren Drohbrief erhalten. Dass der „NSU 2.0“ ausgerechnet in einer Polizeistation in Frankfurt seine Homebase hat, ist kein Zufall, wenn man ganz vorsichtig und umsichtig eine sehr heiße Spur vom Mord an Halit Yozgat in Kassel 2006 bis zum Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke 2019 zieht und damit alles auf dem Tisch ausbreitet, was mit dem offiziellen Ende des NSU 2011 unter den Tisch gefallen ist.
Man kann also verstehen, dass das hessische Innenministerium in dem Plakat keinen gelungenen Scherz sah, sondern eine Lunte, die man ganz schnell, gewohnt rigoros austreten muss. Und das tat man im hessischen Innenministerium, an dessen Spitze Peter Beuth (CDU) steht. Ein Mann, der als Nachfolger von Volker Bouffier weiß, was er an „Leichen“ geerbt hat und wie man damit umgeht.
In diesem Fall standen keine Zufälle, keine Pannen im Wege. Alles lief wie am Schnürchen: Man erstattete Anzeige wegen „Verunglimpfung von Hoheitswappen“ und verband dies mit der Aufforderung, mit diesem Plakat/Logo nicht länger Wahlkampf zu machen. DIE PARTEI bemühte sich um vollständige Aufklärung des Sachverhaltes und stellte dazu in einer Presseerklärung fest:
„Der prügelnde Polizei-Löwe Drohfax greift in seiner Gestaltung das rechtsextremistische Netzwerk ‚NSU 2.0‘ innerhalb der hessischen Polizei auf, wie an seiner Armbinde zu erkennen ist. Sein Blick ist zielstrebig und voller Angriffslust in die Zukunft gerichtet und in seinen Händen hält er mit Schlagstock und Pfefferspray jene Utensilien, mit denen die hessischen Beamt:innen der Polizei in den vergangenen Monaten immer wieder von sich reden machten und das Bild von sich in der Öffentlichkeit geprägt haben.“ (fr. de vom 14.03.2021)
DIE PARTEI versuchte es zudem mit einem demokratischen Diskurs und bot dem hessischen Innenministerium für den 11. März 2021 ein Gespräch an. Das Innenministerium zögerte nicht lange, passte sich hervorragend dem verfremdeten Landeswappen an und schickte anstelle von Argumenten Polizisten, verbunden mit Platzverweisen. Ob sie bei diesem mutigen Einsatz auch die Binde mit der Aufschrift „NSU 2.0“ trugen, ist nicht bekannt.
Die Geschichte wiederholt sich nicht und wenn …
Der „Hessenlöwe“ hat eine bewegte Geschichte. Als in den 1980er Jahren die Landesregierung – koste, was es wolle – die Startbahn 18-West am Frankfurter Flughafen durchsetzen wollte, war sie argumentativ auch am Ende und schickte stattdessen Tausende von Polizisten, um dieses Projekt durchzuprügeln. Das kann man wörtlich nehmen, denn der 11. Oktober 1981 ging in der Startbahnbewegung als „Blutsonntag“ in die Geschichte ein: Vor der neu gezogenen Mauer rund um die Startbahn 18-West wurde eine Kundgebung abgehalten, die mit einem Gottesdienst eröffnet werden sollte. Der Gottesdienst hatte noch nicht begonnen, als die Versammlung mit etwa 20.000 Menschen mit Wasserwerfern und Tränengasgranaten auseinandergetrieben wurde. Sondereinsatzkommandos (SEK) der Polizei schlugen auf die fliehende Menschenmenge ein. Auf einer Pressekonferenz gab die Bürgerinitiative (BI) die Zahl von 40 schwerverletzten Demonstranten bekannt.
Eine Antwort auf dieses einschneidende Erlebnis waren Aufkleber und Plakate, die einen „Hessenlöwen“ zeigten, mit einem blutverschmierten Knüppel in der rechten „Hand“ und einem Polizeihelm auf dem Kopf. Überall wurde der „Hessenlöwe“ plakatiert und Tausenden klebten sich den Hessenlöwen an die Windschutzscheibe des Autos. Nicht die gewalttätigen Ausschreitungen der Polizei störten die Regierenden, sondern die Erinnerung daran. In den folgenden Wochen und Monaten wurden Polizisten damit beauftragt, alle KFZ-Halter festzuhalten, die diesen „Hessenlöwen“ hatten. Es kam zu ebenso vielen Anzeigen wegen „Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole gem. § 90 a StGB“. Auch der Autor erhielt eine Anzeige mit mehrmaligen Vorladungen zur Staatsschutzabteilung der Polizei Frankfurt (K 42). Das Ermittlungsverfahren wurde eingestellt.
Ein Angebot, dass das hessische Innenministerium garantiert nicht abschlagen kann
Selbstverständlich steht die Frage in Raum, ob es sich bei der Polizeizelle „NSU 2.0“ um einen weiteren Einzelfall handelt, den man bedauert … und zu den anderen Einzelfällen legt. Das inkriminierte Plakat erhebt – Spaß bei Seite – einen anderen Vorwurf: Im Schutz staatlicher Institutionen werden neonazistische Gesinnungen geduldet, verharmlost und gedeckt.
Das Plakat will mit der NSU-2.0-Armbinde deutlich machen, dass der Neonazismus kein Randphänomen ist, sondern in staatlichen Institutionen operative und strukturelle Unterstützung findet. Das sind in der Tat schwere Vorwürfe, die mit diesem „ausgewilderten“ Hessenlöwen einhergehen und für die der hessische Innenminister ein ganz feines Gespür hat.
Es gibt eine einfache, glaubhafte und gewaltfreie Antwort auf diese Vorwürfe:
- Das hessische Innenministerium gibt endlich alle Akten und Untersuchungsergebnisse zum Mord an Halit Yozgat in Kassel 2006 frei.
- Das hessische Innenministerium gibt die etwa 200 Stunden Abhörprotokolle frei, die den V-Mann-Führer Andreas Temme in Kassel, sein berufliches und neonazistisches Umfeld betreffen.
- Das hessische Innenministerium weist den Verfassungsschutz an, alle Unterlagen freizugeben, die klären können, ob der Verfassungsschutz in Hessen den Mord an Walter Lübcke mit begünstigt hat, indem er Wissen unterschlagen hat, das beweisen könnte, dass der Mörder Stephan Ernst dem Verfassungsschutz ab 2009 ganz und gar nicht „vom Schirm“ gerutscht ist.
Dass man mit Drohungen sein Ziel erreichen kann, hat das hessische Innenministerium einmal mehr bewiesen. Dass wenig später, am 14. März 2021, eine Droh-Mail von NSU 2.0 bei DER PARTEI eingeht, kann man, ohne einen Zusammenhang herzustellen, so wirken lassen:
„Die Drohmail ordnet sich in eine Reihe von Schreiben ein, die unter anderem in einer Recherche der ‚Süddeutschen Zeitung‘ als typisch für den Absender angesehen wird. ‚Unter anderem der sprachliche Duktus, die Wahl eines einschlägigen russischen Mailproviders sowie die Benennung der Mailadresse lassen uns annehmen, dass es sich um eine authentische Mail des NSU 2.0 handelt‘, sagt Nico Wehnemann“ im Zuge einer Pressemitteilung vom 14.3.2021 PDF.
Titelbild: Die PARTEI
Hintergrundlektüre: Wolf Wetzel – Tödliche Schüsse, Eine dokumentarische Erzählung, Unrast Verlag 2008, Münster
Hinweise und Quellen: